»Es gibt immer noch keinen Film aus Südafrika, der die Regierung offen kritisiert!« |
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Lidudumalingani Mqombothi | ||
(Foto: Axel Timo Purr) |
Das Gespräch führte Axel Timo Purr
Lidudumalingani Mqombothi ist Schriftsteller, Fotograf und Filmemacher und Gewinner des Caine-Preises 2016, des bedeutendsten Nachwuchspreises für afrikanische Literatur. Lidudamalingani empfängt mich an seinem Arbeitsplatz in einer Multimediagentur in Woodstock, wo er als Produzent für Werbe- Doku-Produktionen zuständig ist. Der einstige, für hohe Kriminalitätsraten berüchtigte Arbeitervorort von Kapstadt ist inzwischen von der Gentrifizierung schwer gezeichnet. Alte viktorianische Villen sind edelrenoviert worden, verlassene Fabrikgebäude wurden von Galerien und Agenturen übernommen. Die Agentur, bei der Lidudumalingani sein Geld verdient, liegt gleich neben den Bahngleisen, in einem Teil der ehemaligen Castle-Brauerei. Eine Sekretärin bringt sofort Kaffee; wir setzen uns in die warme Sonne. Links von uns glitzern die Kräne des Kapstädter Hafens, rechts sind die Ausläufer des milchig leuchtenden Tafelberges gerade noch zu sehen.
artechock: Was machen Sie hier eigentlich, haben Sie nach dem Caine-Preis überhaupt noch Zeit hier zu arbeiten?
Lidudumalingani Mqombothi: Aber ja doch, ich arbeite hier Vollzeit als Multimedia-Produzent, ein Job, den ich schon vor dem Caine-Preis hatte. Nach der Filmhochschule blieb mir nicht viel anderes übrig. Trotz der riesigen Filmstudios hier in Kapstadt sind es meist ausländische Blockbuster-Produktionen, die hier buchen; dementsprechend wird man an der Filmhochschule motiviert. Eigentlich sollte ja „Memories we lost“ (seine Caine-Preis prämierte Kurzgeschichte – hier als PDF-Download) ein Film werden, aber keiner hat sich dafür interessiert.
artechock: Die Geschichte von zwei jugendlichen Schwestern auf dem Land, von denen die jüngere durch eine Geisteskrankheit gehandicapt ist und durch traditionelle Heiler kuriert werden soll – ist nicht gerade „modern“. Sie hätte so in der African Writer Series von Heineman in den 1960er Jahren erscheinen können. Liegt es vielleicht daran, dass keiner Interesse an einer filmischen Umsetzung der Idee hatte?
Lidudumalingani: Das stimmt schon, aber obwohl es mit der filmischen Umsetzung nicht geklappt hat, ist es ja dann immerhin ein Stück Literatur geworden. Man muss in dieser Hinsicht flexibel sein. Und auch beim Schreiben will ich nichts schreiben, dass „nur“ literarisch ist. Ich möchte über Dinge schreiben, die es gibt, die real sind, die uns betreffen. Dinge, die meinem Herzen nah sind, Dinge die meinen Charakteren nah gehen.
artechock: Wissen die Leute in den Städten hier von dieser immer noch existierenden „traditionellen“ Welt in den ländlichen Regionen Südafrikas, mit all ihren Vorurteilen?
Lidudumalingani: Die Weißen vielleicht weniger als die Schwarzen. Aber Vorurteile über Geisteskrankheiten existieren auch in den Städten. Auch in Städten redet man nicht über Depressionen, versteckt, verdrängt es. Es kann also überall passieren. Ich hatte mal eine Frau in einer Lesung, die sagte, dass Ärzte bestraft werden sollten, die Patienten mit bipolarer Diagnose, Depressionen und Ängsten unter Medikation stellt. Das finde ich nicht. Medikamente können auch helfen. Genauso wenig kann allein ein „Sangoma“, ein traditioneller Mediziner, helfen.
artechock: Haben Sie ihre Geschichte auch in den Dörfern, wo sie spielt, vorgestellt?
Lidudumalingani: Dazu hatte ich bislang noch nicht die Möglichkeit, ich weiß nicht mal, ob meine Mutter die Erzählung überhaupt schon gelesen hat. Ich werde aber ein paar Exemplare in an meiner alter Schule vorbeibringen, bin mir aber nicht sicher, ob die Leute das mögen. Bei einem Film zu diesem Thema wäre das nicht anders.
artechock: So wie im rumänischen Film – im Ausland gemocht, im Inland gehasst?
Lidudumalingani: So in etwa, denn ich schreibe über Sachen, über die keiner reden will. Es ist ein Betrug an der eigenen Heimat. Aber es muss sein, denn diese unausgesprochenen Problemfelder betreffen auch die nächste Generation. Das fängt ja schon an, wenn Mädchen ihre Periode kriegen und mit niemanden drüber reden können, weil ihre Mütter nicht dazu bereit sind, ihnen nie etwas davon gesagt haben. Und natürlich gilt das auch für den Film. Es gibt immer noch keinen Film aus Südafrika, der die Regierung offen kritisiert! Sowas wie Gewalt ist natürlich Thema, aber über das Land, unser Land, das auseinanderfällt, macht niemand etwas.
artechock: Fehlen die Gelder für diese Produktionen?
Lidudumalingani: Es ist inzwischen schon so weit, dass die Verfilzung der Regierung bis weit in die Kunstszene greift. Das Arts Department mit seinen Fördergeldern steht der Regierung nah und schon aus diesem einfachen Grund hat ein regierungskritischer Film keine Chance auf irgendwelche Gelder. Es gibt eine paar Ausnahmen, wie etwa der satirische Film Wonder Boy for President (Link zum Youtube-Trailer), aber das sind rare Momente abseits des Eskapismus, der sonst überall dominiert. Und dabei gibt es so tolle Regisseure in diesem Land. Die zwar Gelder kriegen, aber nicht für Projekte, die sie wirklich realisieren wollen. Immerhin ist es noch nicht so weit, dass Filmemacher verboten werden, was Anlass zur Hoffnung gibt. Doch im Grunde müssen wir jetzt handeln, müssen diese Filme jetzt drehen, bevor der ANC zum nächsten Schritt ansetzt und nicht nur die Förderung solcher Filme, sondern die Filme selbst verbietet
artechock: Wird der ANC wirklich soweit gehen?
Lidudumalingani: Ich weiß es nicht. Ich habe das Interesse an Wahlen verloren. Ich habe einfach keine Lust mehr mich von Politikern verarschen zu lassen. Wähle für das oder das, obwohl du weißt, dass nichts davon in Erfüllung gehen wird. Auch wenn ich den Lokalwahlen immerhin etwas Schönes abgewinnen konnte, da der ANC zum ersten Mal realisieren musste, dass ihn nicht nur Weiße nicht wählen, sondern es auch Schwarze gibt, die das nicht mehr tun. Es ist ein Wahnsinn vom ANC zu glauben, dass die Leute zu blöd sind, um zu kapieren, was hier wirklich passiert. Und Kapstadt und Johannesburg zu verlieren, heißt so viel wie die Wahlen verlieren. Aber nicht nur dort. In der kleinen Stadt im Free State, wo mein Vater wohnt, sieht es nicht anders aus, da ist die DA (Democratic Alliance) auch stark geworden.
artechock: Bleibt nur zu hoffen, dass nicht hier wie überall auf der Welt, die populistischen, die radikalen Kräfte stärker werden...
Lidudumalingani: Wir kriegen das schon hin. Ich bin auch nicht zufrieden mit der Idee, dass die DA das Land regiert, aber dem ANC zu zeigen, dass es so nicht weitergeht, ist von unschätzbarem Wert.
artechock: Sie schreiben, filmen, fotografieren auch. Wie hängt das alles zusammen? Ist es nur mehr pragmatisch, wie sie vorher bezüglich ihrer Idee zu ihrer Kurzgeschichte angedeutet haben oder steckt mehr dahinter?
Lidudumalingani: Es überlappt alles sehr stark. Im Moment arbeite ich an einer Dokumentation und einem Spielfilm und an meinem ersten Roman, „The Many Ways God Abandons Us“. Nachher habe ich ein Treffen über die Finanzierung des Spielfilms, an dem ich seit drei Jahren arbeite. Aber es ist tatsächlich auch mehr, gerade wenn sich die Arbeiten derartig überschneiden. Für mich ist eine Fotografie wie ein perfekter Satz und mein Schreiben ist wie eine Geschichte, die sich nach vorne bewegen muss. Eine Fotografie ist wie ein Gedicht und ein Film ist dieses Gedicht, nur in Bewegung versetzt.
artechock: War das schon immer so für Sie oder gab es eine Entwicklung dahin?
Lidudumalingani: Na ja, es hat bei mir eigentlich damit angefangen, dass ich unbedingt ein Radio-DJ sein wollte. Und das bin ich dann auch geworden. Natürlich erst Schule usw., aber dann war ich genau das – und bin vor Langeweile fast gestorben. Ich bin dann Redakteur in einem Jugendmagazin im Free State gewesen. Dort habe ich dann wen getroffen, der Filme machte. Und weil ich über Monate Texte redigiert hatte und auch über Filme geschrieben habe, interessierte mich das so sehr, dass ich mich entschloss eine Filmhochschule zu besuchen, für zwei Jahre und dann ein weiteres Jahr Drama-School. Die Fotografie kam erst vor zwei Jahren dazu. Ich fing einfach an, Fotos zu machen, auf meinen Wegen zwischen Arbeit und Zuhause. Witzigerweise war die Literatur das Stiefkind der drei, aber dann kam diese Erzählung, die ich eigentlich ursprünglich als Film angelegt hatte. Und deswegen schreibe ich nun auch wie schon erwähnt an einem Roman. Und wenn der fertig ist, werde ich vielleicht auch daran denken können, diesen Job hier aufzugeben.
artechock: War es immer selbstverständlich für Sie, in Englisch zu schreiben, ich denke an Ngugi und seine Probleme damit?
Lidudumalingani: Ich habe immer in Englisch geschrieben und ich wüsste gar nicht, ob ich überhaupt in isiXhosa schreiben könnte. An einem normalen Tag spreche ich wirklich so wenig isiXhosa, dass ich die Worte fast an der Hand abzählen kann. Ich spreche es kaum hier und ich spreche es nirgendwo im Ausland. Ich mag Ngugi und seine Ideen zwar, aber das ich in Englisch schreibe, gibt mir nicht das Gefühl mein Hirn zu kolonialisieren.
artechock: In einem Interview mit dem Mail & Guardian haben Sie vor kurzem gesagt, dass Sie Probleme mit der „Whiteness“ in Kapstadt hätten. Was meinen Sie damit?
Lidudumalingani: Es ist einfach so, dass etliche Institutionen hier auf Weiße zugeschnitten sind – Galerien, Buchläden, Literatur- und Filmfestivals. Und wenn sie dann mal einen Schwarzen einladen, dann kommen sie mit diesen ganzen Erwartungshaltungen: erzähl uns über schwarzes Leben, schwarze Probleme. Und das ist halt nicht das, was man Weiße auf diesen Workshops und Festivals fragt. Und wenn man diesen Erwartungshaltungen folgt, wird das zu Kunst, die im Grunde nichts mehr mit dem Leben, mit der Realität zu tun hat. Deshalb bleibt einem als Schwarzer in Kapstadt eigentlich keine andere Möglichkeit, als sich mit anderen schwarzen, kreativen Leuten zusammenzutun, um dieser „Whiteness“ zu widerstehen. Und Dir das Gefühl zu geben, dass du auch kreativ sein kannst.
artechock: Das erinnert mich an das Problem, das schwarze Geschäftsleute in Südafrika beim „Bidding“ für neue Aufträge haben, weil sie zuerst immer verdächtigt werden korrupt zu sein und damit nicht wirklich in Konkurrenz zu „weißer“ Wirtschaft stehen zu können.
Lidudumalingani: Exakt, das System gilt tatsächlich nicht nur für den kreativen Bereich, es ist überall hier in Kapstadt. Schwarz sein, heißt verdächtig sein. Natürlich gibt es ein paar Ausnahmen, wie die zwei Galerien in der Stadt, die sich auf schwarze Künstler spezialisiert haben. Aber mir geht es um die anderen Orte. Wir als Schwarze müssen einfach auch in den Kopf kriegen, dass wir ein Recht haben dorthin zu gehen, auch wenn wir nur 2 unter 20 sind. Dass eine Galerie für alle offen steht, dass wir jedes Recht haben dort zu sein. In Johannesburg ist das ein wenig anders, da gibt es mehr Orte wie etwa in Braamfontein, wo die Kunstszene schwarz ist. Das liegt auch daran, dass im Zentrum von Jozi viele Studenten und Schwarze leben, dass es also bei Veranstaltungen dort auch anders durchmischt als in Kapstadt ist, wo im Zentrum hauptsächlich Weiße leben.