»Es ist, als würde man das Leben mit dem Kino betrügen« |
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Küchengespräch: Sandrine Kiberlain und Vincent Macaigne | ||
(Foto: Neue Visionen) |
Vincent Macaigne ist womöglich einer der unscheinbarsten Schauspieler Frankreichs: Bislang war er vor allem in Nebenrollen zu sehen, meist als einer, der sich von männlichen Alphatieren verdrängen lässt, immer unsicher, immer um Worte ringend. Mit beginnender Glatze, klein und untrainiert, könnte er auch für den durchschnittlichen Franzosen gelten. Der aber gerade deshalb so reizvoll ist. Man sollte ihn sich von nun an unbedingt merken, als einer, der locker die Nachfolge von Jean-Pierre Bacri einnehmen könnte. Vincent Macaigne hat als Theaterregisseur abseits der standardisierten Comédie Française debütiert. Von seinen vielbeachteten Inszenierungen hat vor allem »Idiot!« nach Dostojewski 2009 am Théâtre Chaillot für Furore gesorgt. Macaigne spielte dort den gutmütigen Naiven, und irgendwie ist ihm das haften geblieben. Auch in seinen Filmrollen (wo er nicht selbst inszeniert) kehrt die reizvolle Mischung aus liebenswertem Naivling und Sonderling wieder, bei Olivier Assayas in Doubles vies (Zwischen den Zeilen), und jetzt bei Regisseur Emmanuel Mouret, bei dem Macaigne schon zum zweiten Mal den Schüchternen gibt. Die romantische Komödie Chronique d’une liaison passagère (Tagebuch einer Pariser Affäre) eröffnete letzten Donnerstag das 71. Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg (IFFMH) und ist jetzt auch bei der Französischen Filmwoche in Berlin und München zu sehen, bevor der Film nächstes Frühjahr in den Kinos startet.
Im Gespräch in der Nähe des Mannheimer Bahnhofs, mit Sprach-Verwirrungen und dem Sagen des Unsagbaren, wird klar: Vincent Macaigne sitzt einfach dieser besondere Schalk im Nacken. Die Erkenntnis aus dem Interview: Er ist ein Schauspieler, der organisch ganz und gar er selbst ist, selbst wenn er doch nur spielt. Oder?
Das Gespräch führte Dunja Bialas
artechock: Monsieur Macaigne, Ihre Rolle in Emmanuel Mourets Chronique d’une liaison passagère (Tagebuch einer Pariser Affäre) hat mich stark an Olivier Assayas' Doubles vies (Zwischen den Zeilen) erinnert, wo Sie an der Seite von Juliette Binoche einen strauchelnden Schriftsteller spielen, der mit der Verlagsgattin eine Affäre hat. Finden Sie nicht auch?
Vincent Macaigne: Ja, sie haben vieles gemeinsam. Auch, was die Liebe zur Sprache und zum Text anbelangt. Assayas und Mouret sind beides Filmemacher, die an den Dialog glauben. Im Dialog von einer Handlung zu sprechen, ist für beide eigentlich wichtiger, als die Handlung selbst zu inszenieren. Das ist anders als bei anderen Filmemachern, für die Kino als allererstes ein Medium der großen Bilder ist. Mouret ist ein Filmemacher, der ganz an den Dialog und das Drehbuch glaubt.
artechock: Auch in Chronique geht es wie in Doubles vies um das Scheitern, um einen, der nicht wirklich zum Zug kommt, der nie wirklich Erfolg hat. Was interessiert Sie an den Rollen?
Vincent Macaigne: In Doubles vies gibt es die Idee des Betrugs, das steckt ja schon im Titel: Doppelleben. Es sind beides Filme über… wie heißt es noch… mir fällt das Wort nicht ein… habe ich ein Gedanken-Co-Vide? …das ist noch dazu ein absolut normales Wort… äh… Also auf jeden Fall sind es beides Filme über Pärchen, die sich betrügen… ich habe das genaue Wort jetzt vergessen…
artechock: …Ehebruch?
Vincent Macaigne: Ehebruch! Das ist es, jetzt haben wir’s! L’adultère! Beides sind Filme über den Ehebruch. Aber sie sind doch unterschiedlich. In Doubles vies geschieht alles mit einer großen Leichtigkeit, der Ehebruch vollzieht sich hier in einer Zone der Unterhaltung, des Amusements, während in Chronique alles auf bizzare Weise mit einer … nicht Schwerfälligkeit, lourdeur …, sondern…
artechock: Schwere?
Vincent Macaigne: Ja, Schwere, gravité! …mit enormer Schwere passiert. Das ist es. Diese enorme Schwere in Mourets Film überwältigt, wenn der Film uns von vielen leeren Räumen erzählt, von all diesen Räumen und Plätzen, wo das Liebespaar war, wo sie sich getroffen haben, wo sie miteinander gesprochen haben.
Mouret erzählt jenseits des Ehebruchs aber noch viel mehr: Vom Risiko, das wir eingehen, wenn wir dem Anderen begegnen. Diese Begegnung ist gefährlich. Davon hatte er auch schon in Les choses qu’on dit les choses qu'on fait erzählt. Dem Anderen zu begegnen, ist gefährlich, sogar eine verrückte Tat. Oft vergleicht man Emmanuel Mouret auch mit Woody Allen, mit Manhattan zum Beispiel. Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Sicherlich hat Mouret eine Form der Schnelligkeit, Fröhlichkeit und viel Humor. Aber mit jedem Film erzählt er immer mehr von dem, was man verpasst und was man verpatzt. Auf eine wunderschöne, leichte Weise. Weil er im Grunde ein heiterer Typ ist. Ich denke, und das ist jetzt ein bisschen tragisch, dass Mouret ein Filmemacher ist, der, je älter er wird, sich umso bewusster über die Dinge ist, die er nicht mehr erreichen wird. Deshalb erzählt er, obwohl es in seinem Werk eigentlich immer um die Liebe geht, mit jedem Film immer auch von etwas anderem … also das preist ihn jetzt überhaupt nicht an … er erzählt irgendwie auch vom Tod. Aber nicht auf eine traurige Weise. Das ist nicht trüb und nicht finster bei ihm! Er erzählt eigentlich nur von seinem eigenen Älterwerden, die Geschichte des Lebens, das ist sehr selten.
artechock: Und es geht ihm um die Menschlichkeit im Allgemeinen. Auch seine Dialoge kreisen um eine Leere, da geht es viel um das, was man nicht sagt, das Ungesagte.
Vincent Macaigne: Genau.
artechock: Und um die Missverständnisse, die sich daraus ergeben.
Vincent Macaigne: Ja, richtig. Sein ganzes Werk geht über das Missverständnis. Das ist verrückt. Das ist auch ein Aspekt des Menschlichen. Oft geht den Konflikten und dem Scheitern voraus, dass man bestimmte Dinge nicht sagen kann, oder etwas, über das man sich nicht verständigt hat. Aber beide, Assayas und Mouret, sind Filmemacher, die an »die Leute« glauben, sogar auf eine etwas naive Weise. Es gibt verschiedene Arten von Leuten. Pessimisten, die aber zur gleichen Zeit auch optimistisch sind.
artechock: Das betrifft auch die Humorebene, das ist auch eine Spezialität des französischen Kinos: In den guten Komödien gibt es immer auch die dunklen Momente, die Schattenseiten der Seele. Chronique ist so eine Komödie, die sehr dunkle Seiten hat. Und gleichzeitig schraubt sich die Sprache hoch wie bei Marivaux…
Vincent Macaigne: Ja, das ist absolut Marivaux. Was schön ist in dem Film: Er ist sehr abgehoben, sehr schnell. Mouret war beim Dreh immer alles zu langsam, ständig wollte er, dass wir schneller sprechen. Die Dialoge sind wahnsinnig viel Text. Aber im Leben, also hier, wenn wir ein Drehbuch schreiben müssten darüber, was wir uns sagen, dann wäre das auch sehr lang! Während es aber eigentlich ganz kurz ist! Weil man einfach schnell spricht. Jedenfalls ich spreche sehr schnell. Man lebt auch sehr schnell! Das Kino wirkt aber oft so, dass es das Leben verlangsamt. Mouret verlangsamt die Sprache nicht, er inszeniert sie fast auf realistische Weise. Und das muss im Film sogar noch ein wenig schneller werden.
artechock: Ja, seine Figuren rennen sogar! Was aber in der Inszenierung dann wiederum auffällt, sind seine langen Plansequenzen, seine enorm langen Szenen, in denen überhaupt kein Schnitt fällt. Hat Sie das mit Ihrer Theaterarbeit verbunden?
Vincent Macaigne: Nein, das gar nicht. Ich selbst komme zwar vom Theater, aber mehr von dem, was Frank Castorf entspricht, da bin ich weit von Mourets Filmen entfernt. Es gibt auch eine Verwirrung darüber, wofür das Theater angeblich steht. Gerade das deutsche Theater hat revolutionär gewirkt, mit Christoph Marthaler an der Berliner Volksbühne, oder Matthias Lilienthal bei den Münchner Kammerspielen. Sie haben ein Theater ohne Text gemacht. Da hat sich viel umgewälzt. Viele Theaterregisseure haben die Idee vom Text zerstört! Während es in den Filmen oft mehr Text als heute im Theater gibt.
artechock: Welche Bedeutung sehen Sie dann in den Plansequenzen?
Vincent Macaigne: In ihnen versenkt sich Mouret auf ganz emotionale Weise in seinen Film. Er ist sehr präzise, was den Text anbelangt. In den einzelnen Szenen aber, vor der Inszenierung, weiß er nicht, was genau er dort sehen möchte. Er versucht eher, die Emotion der Sequenz zu verstehen, einzufangen, was ihn im Bild bewegt und berührt. Man könnte sagen, er öffnet in den Plansequenzen halluzinierende Türen des Kinos. Sie führen uns direkt an das Kino zurück, das ist der »état brut«, der Rohzustand des Kinos. Es geht ihm um die grundsätzliche Frage: Wie bewegen die Kadrierung und das Bild emotional?
Mouret hat ein enormes Vertrauen in die Sprache. Das kommt aber nicht vom Theater, das kommt bei ihm vom Leben. Daran glaubt er. Er glaubt daran, dass sich die Leute zuhören, während es im Theater ganz viele Regisseure gibt, die eben nicht mehr daran glauben. Der Glaube an das Menschliche, nicht an das Theater, ist der Ort, an dem wir, Emmanuel und ich, uns treffen. Und Mouret glaubt auch daran, dass das Publikum seinen Filmen zuhört, und versteht, was die Figuren sagen. Das versöhnt auch mit dem Menschen.
artechock: Wenn es bei Mouret so einen großen Unterschied zwischen der Sprach- und Szeneninszenierung gibt: Wie hat er mit Ihnen jeweils konkret gearbeitet?
Vincent Macaigne: Die Dialoge sind bei Mouret sehr geschrieben, die stehen fest. Das ist, als würde man ein Stück von Marivaux einstudieren, den Text muss man einfach lernen. Für die Technik haben wir mit einem Coach zusammengearbeitet, das war ziemlich gut. Bevor es an den Dreh ging, haben wir den Text schon hundert Mal gesprochen, den Text mussten wir einfach können. In der Inszenierung vertraut Mouret aber ganz seinen Schauspielern. Einerseits arbeitet er also ganz präzise, andererseits lässt er sich davon überraschen, wie wir uns in der Szene bewegen, was wir machen.
artechock: Die Plansequenzen sind nicht choreografiert?
Vincent Macaigne: Das schon, aber das findet erst unmittelbar vor dem Dreh statt, ganz spontan. Wir kommen ans Set, gehen die Szenen durch. Da kommen die Einfälle. Hier findet er die Diskussion zu lang: mach dir hier einen Kaffee – dann hat der andere die Zeit, dieses und jenes zu machen. Oder: Hier ist es nicht gut, dich zu filmen, man muss dich jetzt nicht sehen, besser kommst du erst wieder hier ins Bild. Das ist eine kleine Choreografie der Dinge. Wenn er ans Set kommt, weiß er das alles noch nicht. Es ist die Emotion, die in den Szenen durch die Körper der Schauspieler erst zum Vorschein kommt, nicht durch die Dialoge. Wenn er auf den Rücken von Sandrine Kiberlain draufhält, weil sie von einer Emotion bewegt wird, weiß er vorher noch nicht, wie sie zu diesem Punkt gelangen wird. Die Choreografie ergibt sich erst, wenn er die Kadrierung sieht. Und dann erst kann die Emotion der Szene erfasst werden.
artechock: Das erklärt auch, warum die Szenen improvisiert wirken, obwohl man genau weiß, dass die Dialoge bis ins kleinste Detail geschrieben sind. Das Bild teilt eine Spontaneität mit.
Vincent Macaigne: Ja, das ist spontan. Und gleichzeitig präzisiert Mouret mit jedem Film mehr, was seine Idee vom Kino ist. Er ist gerade dabei, ein großer Regisseur zu werden.
artechock: Und er arbeitet mit tollen Schauspielern zusammen. Neben Ihnen spielt Sandrine Kiberlain. Über sie zu sagen, sie sei eine erfahrene Schauspielerin, wäre schon eine ziemliche Untertreibung.
Vincent Macaigne: Sandrine passt perfekt ins Universum von Mouret. Sie hat etwas Leichtes, ist sehr präzise und gleichzeitig sehr agil. Ins Spiel von Mouret muss man eine Form des Lebens hineinbringen, um die Szenen im Fluss zu halten, die natürlichen Gesten des Alltags, die Art, wie man einen Kaffee zubereitet. Mit Sandrine an der Seite wird das alles ganz einfach, während es eigentlich ziemlich schwierig ist. Sie ist randvoll mit Emotionen und geheimnisvoll. Das habe ich selten erlebt. Sie ist eine sehr große Schauspielerin.
artechock: Und sie verströmt Vertrautheit und Nähe. Mit ihr hat man das Gefühl, sich in einer Familie wiederzufinden.
Vincent Macaigne: Ja, im wahrsten Sinne: Das ist eine Familie! Mit Mouret zusammen Chronique zu machen, das war nach Corona, hat mich fast gerettet. Ich hatte das Gefühl, in eine Familie zu kommen. Nicht in seine reale Familie mit vier Kindern, sondern in seine andere, in seine Filmfamilie. Mouret führt mit dem Kino ein Doppelleben! In seiner Kinofamilie sind Freunde aus seiner Schulzeit, mit denen er zusammenarbeitet, sie bleiben sich alle außerordentlich treu, arbeiten teilweise schon seit 25 Jahren mit ihm. Das ist seine zweite Familie, mit der er alle zwei Jahre einen neuen Film macht.
Auch das verbindet ihn mit Olivier Assayas. Das sind beide sehr menschliche Regisseure, die Filme machen, um ihre Humanität in der Filmfamilie wiederzufinden. Manchmal frage ich mich, ob sie überhaupt eine Ambition als Filmemacher haben… oder ob das Filmemachen nicht eher eine Entschuldigung dafür ist, wieder zusammensein zu können. Und währenddessen sind sie unfassbar große Regisseure. Aber eigentlich geht es um das Zusammensein, der Film ist nur eine Ausrede. Nach dem Motto: Lasst uns was zusammen machen, damit wir zusammensein können! Das Filmemachen ist dann eine Form, dem Leben zu entkommen. Es ist, als würden sie ihr eigenes Leben mit dem Kino betrügen und damit, dass sie Filme machen.