»Wenn wir Filme machen wollen, lasst es uns tun!« |
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Geschwindigkeit (1963) hieß einer der ersten Filme von Edgar Reitz, die nach dem »Oberhausener Manifest« entstanden sind |
Mit einem Staatsakt wurde in der HFF München vergangen Dienstag, am 28.02.2012 und damit auf den Tag genau 50 Jahre nach seiner Unterzeichnung, das Oberhausener Manifest geehrt. 1962 trafen sich in dem Ort der Kurzfilmtage 26 Unterzeichnungswillige, die gegen »Papas Kino« antraten, ähnlich wie bereits zwei Jahre zuvor in Frankreich, als die „Nouvelle Vague“ gegen das „Cinéma de papa“ rebellierte. Der 28. Februar 1962 gilt seither als Geburtsstunde des deutschen Autorenfilms. Filme von Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog oder Wim Wenders sind undenkbar ohne den Impuls, der damals auf die deutsche Kinolandschaft überging: »Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. (…) Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen.«
Was aber ist von dem Aufbruch von damals heute noch übrig? Bereits in den 80er Jahren musste man mit dem Sterben der Programmkinos den Niedergang des deutschen Autorenfilms verzeichnen. 20 Jahre nach ihrer Gründung bekommt die „Oberhausener Gruppe“ den deutschen Filmpreis verliehen, 1982, als es gerade noch nicht zu spät war. Jetzt, 50 Jahre nach seiner Unterzeichnung, schwebt über dem Oberhausener Manifest die Gefahr der kulturpolitischen Vereinnahmung, der ins Archiv abschiebenden Historisierung und der irgendwie verniedlichenden Belobigung. Plötzlich treten Kulturstaatsminister auf und halten Reden über Medienstandorte, die im Grunde alle auf das Oberhausener Manifest zurückgehen. In dem Podiumsgespräch, das den Festreden folgte, äzte Podiumsteilnehmer Romuald Karmakar deshalb auch trefflich: »Wir müssen aufpassen. Demnächst werden sie dem Oberhausener Manifest auch noch die Energiewende zuschreiben.«
Die vom Staat Bayern getragene HFF München war auf eine ganz spezielle Art der ideale Ort für das Gespräch. Die »Oberhausener« bestanden vor allem aus Münchnern, die das Manifest in einem chinesischen Lokal in Schwabing „aussponnen“, wie Oberbürgermeister Christian Ude noch am Sonntag bei einer festlichen Veranstaltung im (städtischen) Münchner Filmmuseum in Erinnerung rief. Die Oberhausener eckten im Freistaat Bayern immer wieder an, als unbeliebte Querköpfe wie zum Beispiel auch Vlado Kristl, der Münchner Filmkünstler aus Jugoslawien. Zwar gehörte er nicht zu den Manifest-Unterzeichnern, war aber sicherlich Wegbereiter ihrer Ideen. Und während am Sonntag im Filmmuseum Filmgeschichte betrieben wurde, mit einer ernsthaften und feierlichen Hinwendung an die Filme und das Sprechen über die Zeit, wurde die HFF mit ihrem »repräsentativen« Neubau im Gespräch der Filmemacher zur Steilvorlage gegen die Libertas Bavariae, den Medienstandort und die Filmförderung. Pathos und Provokation machten sich als dominierende Stimmungslagen breit und sorgten für lebhafte Diskussionen und teilweise empörte Reaktionen im Saal. Letztlich eine großartige, weil so sehr »bayerische« Mischung für ein Gespräch über Aufbruch, Stillstand und Zukunft des deutschen Autorenfilms.
Gleich vier Generationen waren als Gesprächsteilnehmer eingeladen: Edgar Reitz gehört zu den Unterzeichnern des „Oberhausener Manifests“. Er hat, was es damals noch überhaupt nicht gab, ein Institut für Filmgestaltung gegründet (an der Hochschule für Gestaltung in Ulm) und, zentral für sein Filmschaffen, eine eigene Produktionsfirma. Edgar Reitz ist im Gespräch ganz klar für das Pathos zuständig. Er führt die Sätze, die ein Manifest ausmachen, jederzeit auf der
Zunge. Podiumsteilnehmerin Jutta Brückner zählt zur nachfolgenden Generation, die in den 70er Jahren anfing, Filme zu machen, zu einer Zeit, als sich der deutsche Film bereits erneuert hatte. Als eine der ersten Frauen führte sie Regie. Sie ist die „Politische“ auf dem Podium, die Kämpferische, die von Filmemachern vor allem eines fordert: dass sie mit ihren Filmen etwas zu sagen haben. Romuald Karmakar, der in den 80er Jahren mit dem Filmemachen begann, kennt man
vor allem von seinen minimalistischen, wohlüberlegten und grandios konzentrierten Filmanordnungen wie Das Himmler-Projekt, Hamburger Lektionen, oder zuletzt Angriff auf die Demokratie. Schon immer produziert er seine Filme unabhängig.
Maximilian Linz schließlich war, wie es durchaus polemisch an diesem Abend hieß, der „auserwählte“ Student in einer an diesem Abend ansonsten nahezu studentenfreien HFF. Er studiert Film an der DFFB in Berlin und hat für die Website, die das
„Oberhausener Manifest“ dokumentarisch begleitet, unter dem Titel „Das Oberhausener Gefühl“ Videofilme gedreht. Besonders sehenswert: Folge 1, „Die Befreiten“, in dem es um das Pitiching geht, dem Anpreisen von Filmstoffen vor Fördergremien und Fernsehredaktionen. Im folgenden können alle, die sich von dem Oberhausener Pathos anstecken lassen wollen, oder aber über Produktionsbedingungen und die Praxis der Filmförderung nachdenken
wollen, das Gespräch in gekürzter Form nachlesen.
Eine offene Diskussion mit den Studenten der HFF zum Manifest erfolgt am 12. Mai im Rahmen des Tags der Offenen Tür. Wer die Filme sehen will, die in der Zeit nach dem »Oberhausener Manifest« entstanden sind, sollte in München ins Filmmuseum gehen, wo bis zum 27. März zahlreiche Kurz- und Langfilme der Oberhausener gezeigt werden. Bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen gibt es dieses Jahr überdies eine Retro, wo die Filme in restaurierter Fassung zu sehen sind.
Das Gespräch wurde moderiert von Artechock-Autor Rüdiger Suchsland.
Rüdiger Suchsland: Wir reden gleich über die Zukunft des Autorenkinos und über dessen Gegenwart, aber wir wollen mit der Vergangenheit anfangen. Sie, Edgar Reitz, haben besonders mit der Vergangenheit des Autorenkinos zu tun. Wo waren Sie heute vor 50 Jahren in diesem Moment, als das Oberhauser Manifest verfasst wurde?
Edgar Reitz: Wir haben das Manifest morgens verfasst. Um diese Zeit am Abend waren wir keinesfalls mehr nüchtern. Eins weiß ich aber sicher: Eine Gruppe waren wir erst nach dem Verfassen des Manifests. Bis dahin gab es eine intensive Diskussionsatmosphäre, in der das Manifest ausformuliert wurde. Während das Manifest verlesen wurde und während der anschließenden Diskussion hatte ich dann ganz stark das Gefühl: Jetzt bist du nicht mehr allein. Das ist von da an ein ganz beherrschendes Gefühl geworden.
Rüdiger Suchsland: Als Sie damals von München nach Oberhausen gefahren sind, hatten Sie da schon eine Vorstellung darüber, was daraus werden würde? Hatten Sie Angst, dass es eine Form von Eklat geben könnte?
Edgar Reitz: Dieser Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen, hieß in eine Branche einzudringen, die wir gar nicht kannten. Und die uns gar nicht wollte! All die vergeblichen Versuche in den Jahren vorher, eine Assistentenstelle zu bekommen oder mal hinter die Kulissen zu gucken: die Tür war immer zu. Und ich dachte, wenn wir das da machen, sind die Türen für immer zu. Aber wir wollten gar nicht durch die verschlossenen Türen, sondern irgendwo anders durch. Nur wussten wir nicht, wo.
Rüdiger Suchsland: Wann haben denn die anderen drei Filmemacher hier auf dem Podium zum ersten Mal vom Oberhausener Manifest gehört? Was denkt man, wenn vor einem so eine Gruppe war, die dann schon bald »die Oberhausener« hießen?
Jutta Brückner: Die meisten der Frauen, die ungefähr zur gleichen Zeit wie ich angefangen hatten zu arbeiten, mussten sich erst zu dem Wunsch bekennen, Filme machen zu wollen. Die Brisanz dieses Schrittes, sich zu sagen: jetzt werde ich Filmemacher, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Diese massive Wand, die unserem Wunsch entgegenstand, mussten wir erst mal durchbrechen. Die wenigsten waren an einer Filmhochschule, die ja erst gegründet worden sind, die meisten waren Seiteneinsteiger. Alle hatten schon mal von Oberhausen gehört, aber ich wette, dass niemand das Manifest gelesen hat. Es musste auch niemand, denn es war völlig klar, was damit verbunden war: der Startschuss für ein Filmemachen, das im Extremfall hemmungslos subjektiv sein durfte und doch gleichzeitig etwas zu sagen hatte. Alle Frauen, die damals angefangen haben, hatten das ungeheure Bedürfnis, etwas aus ihrem Leben, von ihrer Situation und über die Bilder, mit denen sie leben mussten, zu sagen – und jetzt durften sie! Insofern war Oberhausen für uns so etwas wie eine Existenzgrundlage.
Rüdiger Suchsland: Max Linz, Sie sind jetzt Student an der DFFB. Ist das Oberhausener Manifest motivierend, Filme zu machen, oder ist es rein historisch, auf das man sich nicht beziehen muss?
Max Linz: Ich bin Jahrgang 1984, also geboren, als das Oberhausener Manifest im Grunde schon wieder durch war. Da war die »verhängnisvolle Macht der Regisseure« schon gebrochen, um eine Rede von Herrn Rohrbach zu zitieren (Günter Rohrbach, Die verhängnisvolle Macht der Regisseure, nachzulesen in: Alexander Kluge, Alexander. Bestandsaufnahme: Utopie Film, 1983, Anm. d. Red.). Die geistig-moralische Wende war schon vollzogen. Die Begegnung mit dem Oberhausener Manifest ist ein Augenblick in meiner Bildungsbiographie, wo ich erkenne: es ist offensichtlich schon einmal anders gewesen. Oder es ist vielleicht schon einmal so gewesen, wie ich es jetzt wahrnehme, und es hat sich schon mal Widerstand dagegen artikuliert.
Rüdiger Suchsland: Romuald Karmaker, Sie haben Ihre ersten Filme in den 80er Jahren gemacht, zu einer Zeit, als das Manifest schon ein Stück Geschichte war und der deutsche Film schon an seinen Zenit angelangt war. War das auch eine Befreiung für Ihr eigenes Filmschaffen: die Söhne von einst waren schon Väter geworden, und die musste man nicht mehr ermorden?
Romuald Karmakar: Ich habe mir solche Gedanken nie gemacht. Ich bin 1982 nach Deutschland gekommen, nach München. Ich hatte vom Oberhausener Manifest auf dem Bielefelder Kolloquium der Neuen Poesie gehört, die sich auf die Kunst der 20er Jahre, auf DADA bezogen hatten. Das ist dann übergegangen auf die Punk-Bewegung, die ich in München im Umfeld des Werkstattkinos erlebt habe, das heißt, ich habe überhaupt keine museale Erziehung gehabt. Irgendwann, wenn man sich mit Filmgeschichte beschäftigt, stößt man dann automatisch auf das Oberhausener Manifest.
Rüdiger Suchsland: Edgar Reitz, noch mal eine Frage im Rückblick: Sind Sie stolz darauf, dass Sie dabei waren, dass Sie zu der Gruppe auf das Manifest, oder welches Gefühl verbinden Sie mit dem Manifest?
Edgar Reitz: Wenn ich den Alexander ansehe (Anm. d. Red. Alexander Kluge, anwesend im Publikum), dann weiß ich, dass es eine Art Rütlischwur gibt unter uns. Mit ihm haben wir eine Art inneren Kompass, der uns durch das Leben leitet, der immer wieder unterscheidet zwischen dem, was uns gut tut und dem, was verlangt wird. Die bewegten Bilder und das, was der Film kann, nämlich Zeit zu einem Mythos zu machen, ist eine parallele Welt, eine Erfahrung, die es ohne Film nie gegeben hätte. Das Wissen davon, das sehr emotional ist und sehr persönlich, sehr an einen selbst gebunden, das ist der Rütlischwur, sich dazu zu bekennen.
Jutta Brückner: Ich bin sehr gerührt von dem, was Edgar sagt. Es hat eine Menge Pathos gegeben, aber das Pathos wurde umgewandelt in Energie. Wir haben damals nicht gelitten, wenn die Filme in irgendeinem Hinterzimmer unter miserablen Projektionsbedingungen gezeigt wurden, die Hauptsache war: sie haben etwas ausgedrückt, was uns wichtig war. Wir hatten immer eine große Scheu vor der Cinephilie, weil sie uns dieses wunderbare Medium so weit entrückt hat, für sie waren Kinos Tempel und Filme eine Religion. Für uns waren Filme ein Werkzeug, mit dem man etwas machen konnte, man konnte mit ihm spielen, wenn man wollte. Mit diesem Werkzeug konnte man, wenn’s gut ging, eine Revolution anzetteln. Man konnte Gemeinschaften damit bilden. Film kann auch etwas ganz anderes sein, kein Objekt, vor dem man knien muss.
Romuald Karmakar: Ich möchte einen Spagat zwischen Nostalgie-Show und Gegenwart versuchen. Wir sitzen hier im Neubau der HFF, in einem bombastischen Haus, hier sollen Leute Filme machen. Herr Reitz, wenn Sie jetzt das Oberhausener Manifest lesen, was kann das heißen, heute: »Freiheit von den branchenüblichen Konventionen«, »Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner«, »Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen«. Wie überträgt sich das, wenn jemand hier anfängt, Filme zu machen?
Edgar Reitz: Wenn heute jemand ein Drehbuch einreicht, zur Förderung, da hat man doch schon im Urin, was man schreiben muss, damit man was kriegt. Ist das Freiheit? Oder wenn man in den Filmhochschulen etwas lernt, was man »Pitching« nennt, dann ist das offensichtlich die Art und Weise der Sprache, in die man etwas übersetzen muss, damit man was kriegt. Das tut mir weh, dass man das in so jungen Jahren in einer Schule, die staatlich subventioniert ist, lernen muss. Wo ist da der Impuls zum Eigenen, zur Freiheit? Was heißt heute »Freiheit von kommerziellen Partnern«? Da gibt es die Einschaltquote, die ist mehr als ein Dogma, die ist ein Naturgesetz! Alles ist unumstößlich, wenn die Quote nicht stimmt. Ja, was ist denn, wenn die Quote nicht stimmt? Erreicht man da die Herzen nicht? Ist dann der Film weniger interessant? Die Quote ist die Hürde, über die alles muss, was heutzutage gedacht wird. Wir leben heute in vieler Hinsicht in einer sehr viel komfortableren Welt. Was ein Studierender an einer Hochschule an Instrumentarium in die Hände bekommt, das haben wir im ganzen Leben nicht gehabt. Daran mangelt es nicht. Wenn wir aber von den Freiheiten reden, so ist da doch einiges fällig.
Max Linz: Es ist aber auch die Frage: Wer darf überhaupt an die Geräte ran, wer hat überhaupt Zugang zur Technik? Wenn man sich die Filmhochschulen anschaut, zumindest die vier großen: Ludwigsburg, Babelsberg, DFFB in Berlin und die HFF hier, dann stellt man ja fest, dass sich alle dieselben Tempel gebaut haben. Woher kommt dieses Begehren nach dieser gigantischen Repräsentation? Und gleichzeitig immerzu zu markieren, dass es extrem teuer und extrem rar ist? Deswegen ist es so wichtig, dass ganz strikt limitiert wird, wer damit was macht.
Romuald Karmakar: Jeder träumt davon, gute Kameras zu haben, nur: Was passiert damit? Der Regieverband sammelt Fälle, wo Produzenten Regisseuren den Final Cut ihres Filmes aus der Hand nehmen. Es gibt immer mehr Fälle, in denen Produzenten, die Projekte auch mit Mitteln der Filmförderung lancieren, im Grunde genommen den Endschnitt einem Redakteur im Fernsehen überlassen.
Rüdiger Suchsland: Die Oberhausener haben sich einfach die Freiheit genommen, die haben gemacht. Was hindert die jungen Filmemacher heute daran, sich ebenso die Freiheit zu nehmen?
Edgar Reitz: Unser Problem war: Wie mache ich meinen ersten Spielfilm. Heute lautet die Frage: Wie mache ich meinen zweiten Film? Denn den ersten Film nimmt man schon als Examensfilm mit, wenn man aus dem Studium kommt. Für Erstlingsfilme gibt es vielfältige Förderungsformen. Es gibt kein anderes Land, in dem so viele Erstlingsfilme entstehen wie in Deutschland. Eine Statistik zeigt: In den letzten zehn Jahren sind 600 Erstlingsfilme in Deutschland gedreht worden. Von diesen 600 Regisseuren kennen wir nur noch fünf.
Hubert von Spreti: (ehemals leitender Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, aus dem Publikum): Ich wehre mich gegen die Behauptung, die wiederholt wird wie eine gebetsmühlenartigen Weisheit, die Redakteure würden den Endschnitt bei Filmen vornehmen. Wenn das so ist, dann nennt doch mal einfach die Fälle, nennt die Namen, nennt, was wirklich passiert ist. Nicht immer diese Pauschalurteile über diese Dinge!
Romuald Karmakar: Herr von Spreti, in Ihrer Gegenwart würde ich mich überhaupt gar nicht trauen, pauschale Urteile zu fällen, schon gar nicht in München. Es gibt im Regieverband eine Person, die sich um diese Fälle, die sich häufen, kümmert, so viel sei gesagt.
Hubert von Spreti: Es gibt aber auch Redakteure, die für die Filme kämpfen, die sollte man auch mal nennen und nicht immer nur die, die alles beschneiden, das kann man so nicht stehen lassen.
Edgar Reitz: Die Rolle der Rundfunkanstalten im deutschen Film ist sehr bedeutend. In jeder Hinsicht. Auch in positiver Hinsicht. Das ist unbestritten. Es gibt allerdings einen fatalen Zusammenhang. Wenn man gefördert werden möchte von den staatlichen Förderinstitutionen, muss jeder Produzent sogenannte Eigenleistungen nachweisen. Das ist ein Teil der Produktionskosten, die keiner hat. Die Beteiligung einer Fernsehanstalt kann da als Eigenleistung gelten. Deswegen beginnt ausnahmslos jedes deutsches Kinofilmprojekt mit dem Fernsehen. In diesem allerersten Dialog werden Weichen gestellt, darüber kann es keinen Zweifel geben.
Max Linz: Oberhausener wie Alexander Kluge haben sich die Produktionsmittel verfügbar gemacht, über die Jahre und ausgehend von Oberhausen. Wenn man sich aber die Produktionsspiegel der großen Filmförderanstalten durchliest, zum Beispiel des deutschen Filmförderfonds, findet man in den Pitchings zwei große Begriffe in den Synopsen, unter denen die Projekte stattfinden: Liebe und Deutschland. »Liebe Deutschland«, das ist der große kategorische Imperativ, unter dem alles stattfindet.
Rüdiger Suchsland: Was die Oberhausener wollten, war dem Publikum einerseits etwas zuzutrauen, vertrauen, dass das Publikum kompliziertere, schwierigere, nicht sofort einsichtige Sachen sehen mag und auch begreifen kann, und andererseits, dass man das Publikum auch erziehen kann, besser zu verstehen und nicht nur das Einfache zu mögen. Brauchen wir Publikumserziehung?
Jutta Brückner: Niemand will Erziehung! Auch sehr wohlwollende Entscheidungsträger in den Gremien sagen immer ganz dezidiert: Ich bin kein Volkserzieher!
Edgar Reitz: Das Wort »Erziehung«, auch von Publikum, haben wir nie in den Mund genommen. Aber es sind damals unglaublich viele Programmkinos gegründet worden. Das war so, bis in den 80er Jahren mit den gestiegenen Mieten die Programmkinos gestorben sind. Und mit ihnen fiel der Autorenfilm weg, sonst gäb’s den heute noch genauso. Wenn das Publikum ein Gefäß hat, wird es das Gefäß benutzen.
Jutta Brückner: Das Publikum müsste aber mit Kenntnissen vertraut gemacht werden. An den mangelnden Kenntnissen scheitert vieles! Das zeigt sich bei Diskussionen über Güte oder Qualität – auch wenn es ein falsches Wort ist: dass es hier eine ganz große Unsicherheit gibt. In Frankreich ist auch unter Geschäftsmännern die Frage alltäglich: Welchen Film hast du neulich gesehen?
Edgar Reitz: Das ist eine alte Diskussion. Die Frage nach Publikumserziehung empfinde ich als sehr unangenehm. Mein Vertrauen in die Kraft von Filmen ist sehr viel größer. Ich bin der Meinung, dass jeder gute Film eine Hoffnung auslöst und die Kraft hat, die Augen zu öffnen. Es ist auch die Zeit gekommen, wo sich diese starr gewordene Filmtheaterlandschaft aufbrechen kann. Jeder kann sich einen Beamer hinstellen und anfangen, Kino zu machen. Es ist so leicht geworden, Filme, die es gibt, zur Aufführung zu bringen. Dazu gehört einfach ein Impuls. Lasst uns doch zehn Filme machen! Lasst uns doch zehn Kinos machen! Das ist jederzeit machbar, man muss nur die Stimmung aufgreifen. Das ist etwas, was Oberhausen hingekriegt hat. Wir haben eine Stimmung erzeugt, die mindestens zehn oder fünfzehn Jahre angehalten hat, wo man einfach etwas gemacht hat und nicht nur stundenlang darüber geredet. Wenn wir Filme machen wollen, lasst es uns tun! Und wenn wir sie vorführen wollen, lasst es uns tun!