»Eine andere Erzählung des Kapitalismus...« |
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Nina Hoss in Yella |
Muss man Christian Petzold noch vorstellen? Eigentlich nicht. Hier also der O-Ton eines öffentlichen Gesprächs über Yella. Es fand im Juni beim „Festival des deutschen Films“ in Ludwigshafen statt.
Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland .
artechock: Man traut sich als Kritiker kaum, das Ende Ihres Films zu verraten. Ist es nicht ein bisschen riskant, so zu arbeiten?
Christian Petzold: Ich mag keine Filme, die sich erst erschließen, wenn man das Ende gesehen hat. Solche Geheimnisse sind ja wie früher bei einem Francis Durbridge-Vierteiler in den 60er Jahren. Da hat der Kabarettist Wolfgang Neuss das Ende verraten, und sich den Hass aller aufrechten Deutschen zugezogen. Die ganze Bundesrepublik verfiel in einen Zustand furchtbarster Aggression auf Wolfgang Neuss – so ein Kino mag ich
eigentlich nicht. Ich mag ein Kino, das gegenwärtig ist in jeder Filmsekunde und nicht nur vom Ende und vom Plot her lebt.
Darum habe ich bei einer Voraufführung einfach vorher den Zuschauern gesagt: Was wir jetzt sehen, das ist der Traum einer Sterbenden. Das hat dem Film überhaupt keinen Abbruch getan, und deswegen werde ich glaube ich in Zukunft den Zuschauern immer das Ende des Films verraten. Ich habe den Film gar nicht dramaturgisch so angelegt, dass man am Schluss erstaunt
sagt: »Boah, die ist ja tot!«
Im ganzen Film sind so viele Zeichen offen präsentiert, nicht einmal versteckt, dass jeder etwas aufmerksame Zuschauer begreift: Hier stimmt etwas nicht. Das Paar, dass zweimal auftaucht, die Kleidung, das Wasser, das eine besondere Rolle spielt – ist doch eigentlich klar, dass die nicht nur einen Traum hat, sondern irgendetwas über sie einbricht.
Aus diesem Grund habe ich mit dem Ende überhaupt keine Probleme.
artechock: Aber es gibt sicher ein paar Leute, die es doch nur am Ende merken… Die Grundlage de Films ist eigentlich eine Kurzgeschichte von Ambrose Bierce, bei der weiß man es auch erst am Schluß. Wie kam es dazu, dass sie einen Film so erzählen? Das haben Sie ja bisher nicht gemacht?
Petzold: Ambrose Bierce hat Novellen zum amerikanischen Bürgerkrieg geschrieben. Viele von ihnen sind sehr mysteriös.
Diese Geschichte handelt von einem Mann, der über einer Brücke hingerichtet wird. Er soll gehenkt werden, das Seil reißt, er fällt in den Fluss, die Henker schießen, doch die reißende Strömung trägt ihn davon, er kann sich ans andere Ufer retten. Er kann an Land gehen, und versucht, nach Hause zu kommen – also auch
den Krieg zu verlassen. Das ist das Schöne an dieser Geschichte: Es geht auch darum, dass einer aus einem Krieg wegwill, den er nicht mehr versteht. Er will nach Hause in die Normalität.
Auf dem Weg nach Hause orientiert er ich an Sternen, die er kennt, aber auch nicht kennt, an Pflanzen, die er schon mal gesehen hat, die ihm nun aber anders vorkommen.
Und er erreicht die Ranch seiner Familie auf eine Weise, wie er sie noch nie betreten hat – von hinten oder über einen
Seiteneingang…
artechock: …alles hat verzerrte Perspektiven…
Petzold: Ja, alle schauen in eine andere Richtung: Seine Frau, seine Kinder. Er ruft ihren Namen, sie drehen sich um – in diesem Augenblick spürt er einen furchtbaren Schmerz. Und dann objektiviert der Erzähler die Erzählung, und wir begreifen, dass er hängt und stirbt. Diese Geschichte schockiert durch das Ende – und trotzdem ich den Ausgang kenne, habe ich die bestimmt 50 Mal gelesen.
Man sagt ja: Wenn einer stirbt, zieht
das Leben an ihm vorüber. Aber im Fall on Ambrose Bierce zieht das nicht gelebte Leben, das gewünschte Leben an der Hauptfigur vorbei. Das finde ich die interessantere Variante.
artechock: Das Lügen-Signal in ihrem Film ist ja, neben dem Wasser, den Vögeln, dass immer wieder die gleichen Zahlen auftauchen, in den absurdesten Zusammenhängen…
Petzold: Der Mann, den sie kennenlernt, trägt den selben Anzug wie ihr Mann. Der Wagen den er fährt, hat die gleiche Lackierung. Der Traum von ihr ist aus ihrem Leben gegriffen.
Yella macht etwas, was man bei uns eigentlich nicht macht: Im Abendland steht die Liebe über allem. Sie schlägt die Klassengegensätze, sie kann zwischen Arm und Reich
stattfinden, jüdisch und islamisch, es gibt im Westen tausende von solchen Romeo-und-Julia-Geschichten.
Yella aber ist eine Frau, die einen Mann verlässt, weil er nichts mehr hat. Weil er sie nicht mehre ernähren kann. Nicht weil er sie schlecht behandelt, weil er sie schlägt oder so… Yella ist ja nicht auf dem Weg zum Frauenhaus.
In der Zeitung kann man lesen, dass es in der gesamten Ex-DDR einen wahnsinnigen Frauenmangel gibt, weil die Frauen da weggehen. Die sind
Glückssucherinnen, die wollen alle weg. Die Männer sind träger. Die wollen bleiben, das sind Söhne.
artechock: Wie der Ehemann von Yella. Ein großes Kind, ein Riesenbaby, das aus der Kindheit, dem Paradies der Kindheit vertrieben wird…
Petzold: Genau! Diese ganze Aggression des Mannes ist ja darauf zurückzuführen, dass er verzweifelt ist, der will Yella festhalten, und im Stand eines unschuldigen 18-jährigen verharren, dem die Zukunft noch völlig offensteht.
Das ist etwas, das sie berührt. Dieser Traum, den wir dann sehen, ist ja auch einer von jemandem, der sich von einer Schuld freimachen will.
Sie sagt dann auch zu dem Mann, den sie jetzt liebt: »Ich habe ihn
verlassen, weil er nichts mehr hat, nicht weil ich ihn nicht mehr liebe.«
Das ist in ihr drin, und das ist es auch, was mich interessiert. Ich mache ja keinen Horrorfilm, wo die Figuren Schachfiguren sind, die ich hin und her schiebe, damit der Zuschauer Spannung empfindet. Sondern die Figuren müssen in sich auch kompliziert sein, mit sich hadern.
artechock: artechock: Ein zweiter Hintergrund sind die Dokumentar-Arbeiten von Harun Farocki. Was hat es damit auf sich?
Petzold: Ich schreibe seit elf Jahren mit meinem Freund Harun Farocki die Drehbücher. Gerade gestern [Das Gespräch fand im Juni 2007 statt] haben wir um 16.20 Uhr ein Buch in den Abfalleimer geworfen, an dem wir seit sechs Monaten sitzen. Deswegen muss ich gerade lächeln. Wir holen es natürlich morgen da wieder heraus, aber es tut ihm auch mal gut, vielleicht lernt es was dazu.
Der Harun hat in letzter Zweit sehr viele Dokumentarfilme
gedreht, in denen er auf der Suche nach einer neuen Sprache ist. Er hat Architekten gefilmt, die Shopping-Malls bauen. Er hat Wissenschaftler gefilmt, die versuchen, das Einkaufsveralten von Menschen noch wesentlich stärker überwachen zu können. Und einer dieser Filme war ein Film über eine Verhandlung im Wirtschaftsbereich. Er hat vier Tage lang die Verhandlung eines mittelständischen bayerischen Unternehmens mit einer britischen Hedge-Fonds gefilmt, der 35 Prozent seiner
Firma haben wollte für einen Kredit von 2 Millionen Euro. Das ist eine sehr harte Verhandlung. Und gleichzeitig findet sie zwischen Mozart und bei Tageslicht und zwischen sehr sehr gebildeten Menschen statt. So wie wir uns das gar nicht vorstellen können. Wenn Franz Müntefering von »Heuschrecken« spricht, denkt man immer noch an die SPD der 20er Jahre. An dickbäuchige Zylinderträger mit Pfeife und ausgemergelte Arbeiter.
In der Wirklichkeit spielt sich eine andere Erzählung des
Kapitalismus ab. Die hat Harun Farocki gefilmt. Und die reine Geschäftssprache, jeder Satz, der in meinem Film gesprochen wird, stammt aus diesen zwölf Stunden Aufzeichnungen. Nur was Devid Striesow im Auto sagt, habe ich hinzuerfunden.
Man könnte sagen: Yella ist ja ein Film über Illusionen und ihre Enttäuschung, über Desillusionierung. Er spielt in Ostdeutschland, zeigt Wittenberge quasi als Geisterstadt. Er spielt auch im Westen, auch in einer ganz künstlichen, imaginären Landschaft: Dem EXPO-Gelände von Hannover. Ich weiß gar nicht, was da jetzt stattfindet, ohne EXPO, wenn keine Filme gedreht werden…
Petzold: Die niedersächsische Filmförderung sitzt dort. [Lacht]
artechock: Das war dann ja günstig.
Petzold: Nee, im Gegenteil… [Lacht]
artechock: Diese Sprache und das Leben, was sie sich da erträumt – vielleicht in den Sekunden ihres Todes – ist ja auch vielleicht eher eine Illusion, wenn sie weitergelebt hätte…
Petzold: Als die Mauer gefallen ist, und ich meine Cousins in Thüringen sah, und ich dann vier Wochen mit denen durch Thüringen zog, da kam mir Thüringen so vor, wie 'ne Illusion des Westens. So wie der Westen sich den Osten vorstellte. Als ob Hitchcock das gebaut hätte: Gelbes fahles Licht, farblose Menschen, Kraftlosigkeit wo man hinschaute. Ich dachte: Das ist wie Torn Curtain (Der zerrissene Vorhang) von Hitchcock mit Paul Newman.
Als ich dann aber zurückfuhr nach Düsseldorf in dieses »Gewerbegebiet Ost«, in dessen Nähe ich damals mit meinen Eltern wohnte, und dort die Produktionsstädten sah, die »Schenker-Logistik-Group« mit ihren Lagerhallen – da dachte ich, ob der Westen nicht auch eine
Illusion des Ostens ist? Die ganze Bundesrepublik sah plötzlich aus, wie eine Phantasie von jemandem aus Thüringen.
Jetzt bei Yella dachte ich, so müsste das aussehen: Als ob das EXPO-Gelände gebaut worden wäre für die Ostler.
artechock: Es sind Illusionen, die sich gegenseitig spiegeln.
Petzold: Genau.
artechock: Gibt es denn da auch eine Realität? Worin besteht die? Ihr ganzes Leben ist ja auch eine Illusion.
Petzold: Man muss sich klar bleiben, dass dieses EXPO-Gelände ja Realität ist. Was ich schön finde: Wenn man in das Hotel auf dem Gelände geht. Da haben wir auch beim Dreh gewohnt. Die französische Nationalmannschaft bei der WM war im selben Hotel. Devid Striesows Zimmer war das Zimmer von Zidane zwei Tage vor dem Kopfstoß.
Wenn man diese Zimmer sieht: Das Hotel hat gar keinen Raum nach Innen, sondern so riesige Fenster mit
Doppelscheiben. Man kann sie nicht mehr öffnen – das ist nur Blick. Man schaut hin und sieht eine Brücke zur Messe rüber, hinten ein Hügel mit über 70.000 Parkplätzen. Hannover ist ja als Messestadt ein einziger Parkplatz. Eine entsetzliche Stadt!
Dann sieht man diese ganzen Bauten des EXPO-Geländes: Der litauische Pavillon, der aussieht, wie ein riesiger Staubsauger, dann der jeminitische – da denkt man, dort ist von Fritz Lang das indische Grabmahl drin – man
sieht das nur an, und ganz hinten sieht man: Der amerikanische Pavillon wird abgerissen. Von wegen ein Denkmal: Man erfährt: Den hat Ikea gekauft. Ikea schiebt sich jetzt auf dieses EXPO-Gelände drauf. Das ist die Realität. Eine andere sehe ich da nicht.
artechock: Wie erklären Sie Ihren Schauspielern diese Welt und ihre Figuren?
Petzold: Das Tolle ist: Die beiden wissen genau, was die zu spielen haben. Denn als vielbeschäftigte Schauspieler, leben die acht Monate im Jahr im Hotel, acht Monate im Jahr außerhalb unserer Wirklichkeiten, werden morgens abgeholt, zum Set gebracht, abends wieder ins Hotel geschmissen, sind »abgedreht«, liegen da ungebraucht herum, schreiben noch ne SMS, gucken noch ein bisschen fern, sie haben ein paar Hobbys um sich vor der
Einsamkeit, dem Selbstmord, dem Uwe-Barschel-Ende zu schützen…
Und diese wahnsinnige Einsamkeit, die um Schauspieler und um alle herum ist, die nur in Hotels leben müssen, die ist auch um diese Hedge-Fonds-Manager. Man kennt das aus der US-Literatur: Die haben zu Hause tolle Wohnungen. Aber die sehen so aus, wie aus einem Prospekt, den sie im Hotel gefunden haben. Keine Sozialität, keine Freunde, nur Hotelleben und die Hotelbar. Überall ihr Notebook anschließen, ihren Palm
einrichten, das können die alles. Das ist ihr zuhause.
Diese Körperlichkeiten des Schauspielerlebens und der Figuren waren fast deckungsgleich. Und mit einer ungeheuren Lust haben die sich ihre Einsamkeit aus dem Körper gespielt.
artechock: Sie haben es schon früher erzählt: Sie gehen ja mit Schauspielern immer zum Anfang in Klausur. Sie geben denen Lektüre, Filme über die sie reden. Was war das in diesem Fall?
Petzold: Bein diesem Film hatte ich das Problem, dass ich nur vier Tage Probezeit hatte, weil Nina Hoss vorher etwas anderes gedreht hat. Ich wollte aber vier Wochen haben. Also musste ich das während des Drehs abends nachholen. Wir haben also fast jeden Abend irgendetwas gemacht.
Was hochinteressant war: Alle wollten wissen: Wie funktioniert das mit dem Kapital? Die haben alle keine Ahnung. Schauspieler werden ja von irgendwelchen
Beratern übern Tisch gezogen, wo es nur geht. Im Osten gibt es bestimmt Millionen leerstehender Schlecker-Märkte, die irgendwelchen westdeutschen Schauspielern gehören… Die haben überhaupt keine Ahnung von Geld.
Und im Film gibt es ja diese hochkomplizierten Venture-Capital-Verhandlungen. Über die haben wir drei Tage geredet – was aber notwendig ist. Da bin ich nicht ungeduldig, und denke: Lasst mal das Gequatsche, wir ollen einen Film machen. Denn es geht darum,
dass die das verstehen.
Es gab dann eine ganz heikle Geschichte: Wir haben in Hannover in der Nord-LB gedreht. Die haben einen Pressesprecher, ein unheimlich sympathischer, hochintelligenter junger Mann. Den hab' ich dann als Beisitzer bei der Verhandlung gecastet – weil der sowieso auf uns aufpassen musste. Und dann wurde mir plötzlich klar: Scheiße, ich muss ja jetzt mit ihm dabei den Schauspielern das neoliberale Wirtschaftssystem erklären. Und der Mann hat ja
dreimal mehr Ahnung, als ich. Der hat das studiert. Das war hart, da war ich abends fast ohnmächtig.
Ein Großteil der Vorbereitung war also dieses neue Risikokapital.
Und dann habe ich mit Nina sehr genau STROMBOLI von Rossellini geschaut. Weil dieses Umhergehen von Ingrid Bergman, in dieser fiktionalen Stromboliwelt der Fischer, von diesem Hollywoodstar, der da eigentlich nicht hingehört, mir sehr so vorkam wie Nina Hoss in diesem Fall. So haben wir aus der Betrachtung der
Körperlichkeit von Ingrid Bergman eine Menge gewonnen.
Ich möchte immer, dass die männlichen Schauspieler da auch dabei sind – also nicht: Nina, lass uns mal zu zweit Stromboli schauen. Sondern jeden Abend: Filmausschnitte, dann reden wir darüber, und versuchen unsere Arbeit dadurch zu befeuern. Ich gucke also nicht Filme, die thematisch vom Gleichen handeln, oder Filme wo
Schauspieler Gesten machen, die ich gerne von meinen Darstellern sehen möchte. Sondern Filme, wo das soziologische Verhältnis, Fremdheiten, so was auftaucht, und wir darüber sprechen können.
artechock: Und der soziologische Befund in Yella ist das Scheitern am Ende, der morbide Kern des Kapitalismus – die Todgeweihten grüßen…, es ist etwas faul im Staate…
Petzold: Ich finde, die Gefahr bei Yella war immer die ganze Zeit, dass man eine platte Erfolgsgeschichte erzählt: Sie wird brillant, bekommt einen Mann, wird Prinzessin.
Ich wollte erzählen, dass das System so stark ist, dass man selber nicht mehr weiß, was man da anrichtet. Das geht ja in Wirklichkeit ganz schnell: Die Linken haben auch vom
»langen Marsch durch die Institutionen« gesprochen – und ich habe das auch kurze Zeit für richtig gefunden –, um die Institutionen von Innen zu verändern. Das glaube ich heute nicht: Ich glaube die Institutionen verändern einen. Man infiziert sich.
Und das passiert mit Yella auch: Sie sieht das Haus, die 200.000 Euro, die reichen Leute, und sie kann das Spiel noch nicht so präzise gut spielen.