»Es erschreckt mich immer wieder, dass ich bald schon ein Erwachsener bin« |
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Marcus H. Rosenmüller | ||
(Foto: © Manuela Theobald) |
Nach seiner überzeugenden Filmbiografie Trautmann, die vor einem Monat in unsere Kinos kam, startet diese Woche ein weiterer Film von Marcus H. Rosenmüller in den deutschen Kinos. Rosenmüllers Kinderfilm Unheimlich perfekte Freunde ist in Kooperation mit der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ entstanden, die bereits für so ungewöhnliche Produktionen wie Auf Augenhöhe und Ente gut! verantwortlich war.
Auf den ersten Blick mag Rosenmüller kein klassischer Kinderfilmregisseur sein, doch im Grunde ist sein als „neuer Heimatfilm“ charakterisiertes Werk nicht nur an einem immer wieder überraschenden und radikalen Umschreiben des Heimatbegriffes interessiert gewesen, sondern waren viele seiner Filme immer auch Coming-of-Age Geschichten von Kindern und Jugendlichen – sei es Sebastian Schneider in Wer früher stirbt ist länger tot, Kati und Jo in Rosenmüllers Coming-of-Age Trilogie Beste Zeit, oder Lili und Fabian in Sommer in Orange.
In Unheimlich perfekte Freunde, das sich in Teilen wie eine Variante von Penny Marshalls Big oder die kinderkonforme Version von Jordan Peels Wir ansieht, richtet sich Rosenmüller und das bissige Drehbuch von Simone Höft und Nora Lämmermann aber auch gegen das marode, fantasielose deutsche Schulsystem und ebensolche Eltern, die in ihrem elitären Denken nicht mehr zwischen ihrem eigenen Leben und dem ihrer Kinder unterscheiden können.
Das Gespräch führte Axel Timo Purr.
artechock: Herr Rosenmüller, ich bin noch ganz durch den Wind. Ich habe mir gerade Ihren Trautmann angesehen.
Marcus H. Rosenmüller: Dann sind Sie ja gut vorbereitet für das Interview.
artechock: Na ja, eigentlich sollte es ja hier um Ihren Kinderfilm Unheimlich perfekte Freunde gehen. Aber ich muss sagen, Trautmann hat mich überrascht. Weil ich befürchtet hatte, dass es ein bisschen zu rührselig werden könnte, zu rührselig für diese Thematik.
Rosenmüller: Ich bin aber auch ein sehr rührseliger Mensch. Das kann bei mir schon passieren.
artechock: Bin ich auch und mag ich auch. Aber gerade bei dem Thema hätte ich gedacht, es könnte zuviel zuviel sein. Aber ich fand es gut. Ich fand auch die Schuldfrage interessant herausgearbeitet. Wie sieht Schuld aus, wie groß ist der Komplex in einem Leben? Wie kann man das wieder gutmachen?
Rosenmüller: Ja, das war ein großes Projekt, das ist der Hammer und jetzt bin ich auch froh, dass er erscheint.
artechock: Ich finde Trautmann auch deshalb interessant, weil er so wie Ihr Kinderfilm Unheimlich perfekte Freunde wie eine Emanzipierung von Ihrem bisherigen Werk aussieht. Weg von dem besonderen Heimatfilm. Weg auch in andere Richtungen. Alleine vom Setting der Orte her. In Trautmann ist es England, in Unheimlich perfekte Freunde befinden wir uns in Leipzig.
Rosenmüller: Das ist eher ein schöner Zufall als gewollt, kein Konzept. Es war immer schon so, dass ich mich auf Sachen eingelassen habe, die mir angetragen wurden. Oder mich hat die Geschichte interessiert, dann habe ich es gerne gemacht. Und es war immer das Thema im Film, das ich interessant fand. Und das war halt bei Trautmann eine Geschichte, die in England spielt. Und das war bei dem Kinderfilm eine Geschichte, die nicht nur in München, sondern in einer anderen Stadt spielt. Die die Autorinnen auch aus gutem Grund auf hochdeutsch geschrieben haben. Und von dem her haben wir in Leipzig und München gedreht, und Wien.
artechock: Bad Tölz war auch mit dabei...
Rosenmüller: Stimmt, da waren wir auch. Da war das Schwimmbad. Aber es ging nicht um eine bayerische Erdung.
artechock: Da gab es bei Ihnen kein Fremdeln? Wie entstand eigentlich die Zusammenarbeit mit der Initiative, dem besonderem Kinderfilm? Sie sind ja eigentlich kein designierter Kinderfilmregisseur. Obwohl viele Ihrer Themen durchaus Coming-of-Age-Themen verhandeln.
Rosenmüller: Ja, das waren immer ein paar Kinderprotagonisten mit dabei. Wer früher stirbt ist länger tot, Die Perlmutterfarbe war ein Jugendfilm...
artechock: Und Sommer in Orange hat ebenfalls Anteile...
Rosenmüller: Stimmt, aber da gab es natürlich auch viele Erwachsene. Doch insgesamt waren die Kinder in meinen Filmen schon das Ausschlaggebende dafür, dass die Produktion und die Autorinnen sich mich gewünscht haben. Weil sie das Gefühl hatten, ich kann das warmherzig inszenieren, die Kinder vor allem. Das habe ich auch versucht. Die haben mir einfach das Drehbuch geschickt. Das dann auch deswegen für mich interessant war, weil ich selber an einem ähnlichen Thema, einem eigenen Drehbuch gearbeitet hatte. Mit dem ich aber nicht zufrieden war, weil es mir ein bisschen zu sehr mit erhobenem Zeigefinger daherkommt. Da werde ich auch dranbleiben, das dauert bloß bei mir immer etwas länger. Und es ist ja eine tolle Kombination, das Thema Leistungsdruck und dann noch eine Abenteuergeschichte. Und mit sowohl ernsten als auch lustigen Anteilen.
artechock: Hatten Sie andere, deutsche Kinderfilme im Kopf? In denen es ja bei allem Ernst meist nicht ohne Klamauk geht, und Ernst meist ausgeschaltet ist?
Rosenmüller: Ich habe natürlich andere Sachen gesehen. Aber es gibt kein konkretes Vorbild. Es gibt da einen italienischen Film mit Kindern, der ist aber auch kein Kinderfilm und der geht ästhetisch in eine ganz andere Richtung. Nein, ich lese einfach das Buch, ich sehe die Geschichte und ich denke mir, eigentlich müssten wir es so umsetzen. Ich wollte aber vor allem, dass auch der Dreck im Film zu sehen ist. Nicht diese sterile Welt...
artechock: Das fand ich super, dass es nicht schon wieder der Entwurf einer weiteren Legolandwelt ist, eine leider typische Herangehensweise im gegenwärtigen deutschen Kinderfilm.
Rosenmüller: Das ist überhaupt nicht mein Geschmack. Mir war es wichtig, dass es trotz dem Fantastischen authentisch ist und dass ich das selbst auch spüre. Deswegen wollten wir auch unbedingt in Siedlungen drehen, wo man lebt. Wo eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn lebt, gerade, weil sie sich nichts anderes leisten kann. Uns war wichtig, dass wir gerade nicht nach den scheinbar ästhetisch schönsten Motiven gesucht haben. Stimmig sollten sie sein. Das war wichtig.
artechock: Ente gut! spielt ja in Halle. Und Krebitz‘ Wild. Gleich neben Leipzig. Und wie aufregend so ein Drehort sein kann, zeigt auch Thomas Stubers In den Gängen, der ebenfalls in Leipzig spielt. Und dennoch ist es weiterhin ungewöhnlich, das in einem Kinderfilm zu sehen. Haben Sie das entschieden?
Rosenmüller: Nein, das war eine gemeinsame Entscheidung. Auch weil der MDR mit an Bord ist. Und wir da auch gerne was gedreht haben. Man hätte sich natürlich für andere Motive dort entscheiden können. Aber die Siedlungsszenen haben wir in München gedreht.
artechock: Kaum zu glauben, aber wenn man genau hinsieht, hat natürlich auch München seinen Anteil Leipzig.
Rosenmüller: Das ist schon lustig. Aber ich mag das. Und es ging uns unbedingt darum, authentische Motive zu finden. Und nicht so Hochglanzecken zu zeigen. Das alles bunt und besonders bunt ist. Wir haben die Farben schon dramaturgisch eingesetzt. Zu Beginn war es bunter um die Wildheit und das Lebendige zu unterstützen. Und als die Doppelgänger erscheinen, wird es uniformierter, farbloser. Es ist schon so, dass die Großstädte, die Zentren sich immer mehr ähneln, immer uniformierter und glanzloser werden. Beziehungsweise wir nur denken in ihrem Glanz, den sie verbreiten, es wäre Glanz. Dabei wird es halt immer lebloser.
artechock: Ich musste bei den Jahrmarktszenen an Big mit Tom Hanks denken; da wird eine sehr ähnliche Geschichte erzählt. Er will erwachsen werden, um alle Möglichkeiten im Leben abschöpfen zu können. In Unheimlich perfekte Freunde ist das ja sehr ähnlich. Und vor allem deshalb sehr aktuell, weil viele Kinder und Jugendliche mittlerweile so perfektionistisch und selbstoptimierungsmäßig denken und handeln – ohne das unbedingt die Eltern dahinter stehen.
Rosenmüller: Na ja, das Thema ist schon ein Thema, in dem ich mich auch selbst wiederfinde. Jetzt bin ich erwachsen, erinnere mich einerseits an mich als Kind und im nächsten Moment an die Rolle, die die eigenen Kinder antreibt. Und deswegen stelle ich mich mit dieser Geschichte auch gerne dagegen. Ein bisschen Chaos, auch ein bisschen Klamauk. Auch ein bisschen sich wieder daran zu erinnern, ein bisschen Dadaismus, deswegen diese Schriften am Anfang. Ein bisschen diese Einsprengsel bei der Musik. Dass allein das Sein schon wertvoll ist. Und das man mal raus aus diesem Denken kommt – dieses Das, was ich jetzt gerade mache, ist wichtig für irgendwann. Diese ganze Selbstoptimierung. Dieser Druck, dieses Nachaußenschielen, sich selber nicht so zu akzeptieren. Einfach mal zu kapieren, dass man nicht perfekt ist, dass das schon passt. Und dass es den anderen genauso ergeht.
artechock: Früher hat man sich ja geschämt für seine guten Noten, heute scheint es mir genau anders herum zu sein...
Rosenmüller: Ich war gar nicht so dabei bei den Guten und erinnere das anders. Ich glaube, ich habe mich schon ein bisschen geschämt, bei meinen Deutschnoten. Da war es schon so, dass ich mir gewünscht habe, dass mir doch besser wer anders den Aufsatz geschrieben hätte, so wie in unserem Film. Aber es stimmt schon, heute kommt der Druck nicht nur von den Eltern, sondern kommt von den Kindern selbst. Weshalb man auch selbst erkennen muss, dass es wichtig ist, mal mit sich zufrieden zu sein. Das ist tatsächlich ein bisschen Arbeit, sich einzugestehen und zufrieden zu sein, dass ich jetzt mal nichts gemacht habe. So wie als Kind, wie du im Bach stehend Forellen beobachtet hast. Einfach nur das. Und das war es. Und das war erfüllend. Das geht mir ja selbst immer wieder so, wenn ich ein paar Stunden an einem Werktag mal nichts tue, dann habe ich immer ein schlechtes Gewissen. Ich versuche dann, daran zu arbeiten, und denke mir, lass es doch gut sei... Aber diese Selbstoptimierung, dass es immer einen Sinn haben muss, die kommt einem immer in die Quere.
artechock: Es ist brutal schwer, sinnlos zu leben. Deshalb ist ihr Film ein schönes Statement gegen diese herrschende Moral.
Rosenmüller: Es braucht dazu dann einfach noch die Neugierde, auf die mache ich ja auch aufmerksam, die einem dabei hilft, sich dagegen anzustemmen. Der Antrieb für die Neugierde, neugierig am Leben zu sein, ist das Wichtigste überhaupt.
artechock: Ohne Neugierde ist das Leben vorbei...
Rosenmüller: Und die traurigste Sache überhaupt: Dann hat es dich plötzlich doch erwischt. Und das hat auch was mit Überarbeitung zu tun. Und mit dem, was unsere Ziele in der Gesellschaft sind.
artechock: Weil natürlich in unserem Schulsystem mit den langen Schultagen die Zeit für Langeweile fehlt. Und Neugierde entsteht ja auch in diesen Momenten totaler Langeweile. Dass man plötzlich fokussiert ist auf etwas, das vorher überhaupt nicht im Kopf gewesen ist.
Rosenmüller: Und wenn es doch mal klappt, man die Langweile nicht mehr zulässt.
artechock: Warum funktioniert es so gut mit den Kinderschauspielern bei Ihnen?
Rosenmüller: Das Casting ist schon einmal wichtig. Das ist einfach wichtig, da einen Blick zu haben, dass derjenige, der vor dir hockt, auch authentisch ist. Und eine gute Casterin ist immer Gold wert. Und dann ist es für mich schon so, dass ich die Mädels und Buben da als Kumpel sehe. Also dass ich die nicht von oben herab betrachte, sondern dass ich schon auf Augenhöhe mit denen sein möchte. Ich will Spaß haben, und die Kinder sollen weniger den Druck spüren, sondern die Freude am Spiel erleben. Denn das ist ja ein Spiel. Schauspieler, das wollen sie sein und das sollen sie auch spielen. Und ich versuche, ihnen die Angst zu nehmen. Die kann ich ihnen natürlich nicht ganz nehmen. Weil dann da plötzlich ein Kameramann ist und so. Aber durch viel Ausprobieren, auch Blödelei mit meinem Kameramann, mögen sie auch den, weil er auch spielerisch an die Sache herangeht. Die haben dann Vertrauen in uns und gemeinsam versuchen wir, das dann zu wuppen.
artechock: Das hört sich fast wie der ideale Lehrer an...
Rosenmüller: Das sind dann auch meine Vorbilder, so wie der, der mir die Angst in Mathe genommen hat. Solche Leute. Lehrer, die das auch so gemacht haben. Und die dennoch gesagt haben: »Freunde, jetzt müssen wir arbeiten, jetzt hör auf mit deinem Schmarrn«. Wo sie dann auch drauf hören, weil es gab ja dann auch Lehrer, wo du nicht mehr hingehört hast. Also so eine Mischung ist es. Witzig halt. Aber ich mache es auch schon wahnsinnig gerne. Filme mit Kindern zu drehen.
artechock: Es zieht sich ja auch durch Ihr ganzes Werk. Es ist immer auch Entwicklungsroman. Es geht immer irgendwo hin und ist nicht statisch. Haben Sie das mal hinterfragt? Woran das eigentlich liegt?
Rosenmüller: Da gibt es für mich wahrscheinlich drei Gründe. Erstmal weil ich das Glück einer tollen Kindheit hatte. Nicht finanziell toll, sondern durch Abenteuer und Natur und Freunde. Und das zweite sind die Filme, die mich geprägt haben, so etwas wie Pippi Langstrumpf. Auch da gab es diese Freiheit, dieses fröhliche, diese positive Weltsicht. Und das dritte ist, dass ich philosophisch und überhaupt Weltfragen so naiv durch Kinderaugen angehen kann. Dass ich mir auch das Kind in mir bewahren möchte, ich weiß es auch nicht. Es erschreckt mich immer wieder, wenn ich höre, dass ich jetzt schon 45 bin, dass ich irgendwo bald schon, eventuell in wenigen Jahren, ein Erwachsener bin. Das ist sehr gruselig.
artechock: Gibt es bei Ihnen ein Projekt, einen Film, den Sie schon immer mal realisieren wollten, das aber nie geklappt hat?
Rosenmüller: Ich würde wahnsinnig gerne eine richtig lustige, großartige und sehr diffizile Komödie machen. Richtig physisch. Also fast Klamauk, Slapstick, das ist sehr große Kunst. Das kommt immer hoch, wenn ich Charlie Chaplin oder Stan Laurel sehe, und die Marx Brothers. Das ist zwar auch nicht immer perfekt, aber manche Sachen sind so großartig, dass man denkt, ja, so einen Film möchte ich mal drehen. Das Glück, lachen zu können. Kollektiv sich hinsetzen und nicht verletzend Lachen zu lassen. Sondern da zu sitzen und raus zu lachen, als Familie, als Gesellschaft. Das finde ich großartig. Und das, ja das würde ich gerne machen.