Ich hab nie dazu gehört, aber ich habe einen sehr guten Einblick gehabt |
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Bibiana Beglau und Alexander Beyer in Die Stille nach dem Schuss | ||
(Foto: Arthaus) |
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: Wie am es zu Ihrem neuen Film Die Stille nach dem Schuss
Volker Schlöndorff: Die langweilige, aber echte Variante der Entstehungsgeschichte ist, dass Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und ich uns eines Tages in der Berliner Akademie der Künste kennengelernt haben...
artechock: Vorher kannten Sie sich gar nicht?
Schlöndorff: Nein, wir sind uns mal so über den Weg gelaufen, bei offiziellen Veranstaltungen. Jedenfalls haben wir schnell miteinander sympathisiert, auch aufgrund unserer gemeinsamen Vergangenheiten – er mit 40 Jahren in der DDR aufm Buckel, ich über 30 Jahre Filme – und gesagt: Mensch machen wir doch mal was zusammen.
Ich bin damals nach Berlin gekommen, um irgendwelche »Berlin-Filme« zu machen: Natürlich
menschliche Geschichten, aber die sich jetzt aus dieser neuen Situation nach 89 ergeben. Unser Stichwort war Pitterwall [??; R.S.] wenn Ihnen das was sagt...
artechock: Nein, überhaupt nicht.
Schlöndorff: Das gibt’s seit 150 Jahren, mindestens seit Ende des 19.Jahrhunderts, das ist so ein jährlicher Band, da werden die spektakulärsten Kriminalfälle aufgeführt, das ist unter Autoren so ein Stichwort; früher jedenfalls, in den 30er oder 40er Jahren hat man da seine Stoffe oft herbezogen. Das eine Randnotiz.
Also wir dachten eher an einen einigungsbedingten Wirtschaftskrimi oder Ähnliches. Und dann sagte der
Wolfgang: Du hast doch die Geschichte gelesen. Na klar hatte ich die gelesen, ich hab sogar die Ausschnitte bei mir gesammelt, einfach so aus alter Anhänglichkeit und Interesse. Und er sagte: Das wärs doch.
Ich war erst nicht so begeistert, weil ich dachte: Ach Du lieber Gott, Katharina Blum und das ist ja irgendwie alles..., also ich hab eigentlich erst so reagiert,
wie das Publikum heute reagiert: Der Terrorismus, das liegt doch Jahrzehnte zurück – in der ersten Reaktion.
artechock: Hat es Sie auch genervt, dass Sie selbst damit noch mal zu tun haben sollten...
Schlöndorff: Ja, ich hatte irgendwo das Gefühl, ich hätte meinen Tribut schon gezahlt. Und ich konnte mir erst nicht vorstellen, dass ich da noch etwas Neues entdecke. Aber innerhalb des gleichen Gespräches war natürlich auch die Neugier geweckt. Zuerst mal im Sinne dieser beiden Fragen, die sofort wieder da waren: Warum hat die DDR denn so etwas gemacht, sich auf diese unsicheren Kandidaten einzulassen. Politisch ein absolutes Abenteuer, das ihnen nichts bringen kann, aber mit allerhöchstem Risiko, wenn das auffliegt, sind sie doch blamiert.
Das war die eine Frage, die andere war natürlich diese menschliche Frage: Ich hab' ja nun einige gekannt von denen früher. Ich hab' nie die Inge Viett persönlich gekannt, aber ich kannte sie indirekt sehr gut von früher, denn ich habe so zwischen 1975 und 1980 in München sehr aktiv mit dem Fritz Teufel in der sogenannten „Roten Hilfe“ gearbeitet. Wir haben da – wie das hieß – „Knastarbeit“ gemacht, also Gefängnisbesuche, die Margit Schenkie und den Rolf Heißler, die 'ne Bank gemacht hatten, – was meine Frau, meine damalige, [= Margarethe von Trotta; R.S.] unter dem Titel Das zweite Erwachen der Christa Klages verfilmt hat –, und der Fritz Teufel schwärmte immer so von der Inge Viett.
artechock: Aus welchen Gründen?
Schlöndorff: Der sagte, das sei die einzige patente Frau da drin, die nicht so aus bürgerlichen Kreisen kommt, und die einfach ist und vernünftigen, klaren Menschenverstand hat und nicht in irgendeiner Weise gewaltversessen ist. Sondern eine ganz ruhige, abwägende, die immer auch versucht, zu klären: »Wie können wir das jemandem vermitteln, der nicht so verschrobene politische Ideen hat?« – dieser Ansatz.
Und da war der Name in mir hängengeblieben. Der Teufel hat mir auch einen dicken Aktenordner mit Briefen... – er war Anfang der 70er Jahre in Berlin im Knast, und die Inge Viett auch, vor Ihrem ersten Ausbruch – und da haben sie sich geschrieben, wöchentlich, und diesen ganzen Briefwechsel, den hat der mir damals anvertraut, und den hatte ich 20 Jahre später noch – sorgfältig wie ich bin – zu Hause. Den hab' ich übrigens im letzten August [= 1999; R.S.] der Inge Viett gegeben, die eben ihre eigenen Briefe nicht hatte. So dass ich also, im Gegensatz zu dem, was die immer behaupten: das sei alles Kasperletheater oder so – Ich hab nie dazu gehört, aber ich habe einen sehr guten Einblick gehabt. Wie diese Atmosphäre war, wie diese Aufbruchstimmung war, wo man wirklich glaubte, alles sei möglich. Wie sagt sie einmal im Satz: »Wir dachten, wir können das Unrecht abschaffen und den Staat gleich mit.« Und so verkürzt muss man das leider sagen, wurde das auch geglaubt.
artechock: Gehörten Sie zu den Überzeugten?
Schlöndorff: Also ich war damals schon sehr gespalten, wenn wir diese Sitzungen hatten, die dann also wirklich wie bei Dostojewski in irgendwelchen ausgedienten Kellern stattfanden, mit viel Rauch und wenig artikulierten Gedanken – das waren jetzt nicht die Aktiven, sondern das war die Unterstützerszene.
artechock: Waren die Ideen wirklich so simpel, wie Sie es im Film zeigen? Das kommt einem so ironisiert vor.
Schlöndorff: Ja, ich konnte das damals schon nur ironisch aufnehmen. Da war die Margarethe von Trotta dabei, und wenn wir immer nach Hause gingen, haben wir immer nur den Kopf geschüttelt und gesagt: »Träumen die völlig, oder in welcher Welt leben die eigentlich?« Aber es waren dann doch irgendwie sympathische Träumer – das waren ja wie gesagt keine Gewalttätigen, sondern welche die von außen dabei waren, die berühmte Unterstützerszene. Übrigens waren da einige dabei, die dann später abgestürzt sind und in die nächste Generation reingekommen sind – wie der Christoph Wackernagel oder die eine Biene genannte, wie hieß sie? Sabine Plambeck glaub' ich.
artechock: Juliane Plambeck?
Schlöndorff: Ja, das waren zwei Schwestern. Ich hab' die Namen fast vergessen. Die dann übrigens so 'nen tödlichen Autounfall hatte,
artechock: In Bietigheim-Bissingen...
Schlöndorff: Sie kennen sich ja aus. Also das waren Leute, die kamen auch zu mir in die Toskana ins Haus in Ferien, und kochten da nachts Schokoladenpudding und alle Töpfe waren angeschmort
artechock: Das war aber bevor sie gesucht wurden?
Schlöndorff: Das war alles bevor sie gesucht wurden. Wenn man das so will, war das alles so eine abschüssige Ebene. Also sei es, dass die kriminalisiert und schikaniert wurden, bloß weil sie sich immer um die Leute da im Gefängnis kümmerten, sei es weil sie für sich selbst keinen anderen Ausweg mehr fanden. Oder dass sie beinahe durch 'ne Erpressung reinkamen: das dann einer getürmt ist und dann auftaucht und versteckt wird, und dem man seine Papiere gibt – das reichte meistens. Das war dann ja schon Beihilfe zu irgendetwas, was weiß ich – wie hieß das? – Landverrat, nein Landfriedenbruch. Jedenfalls KV, Kriminelle Vereinigung.
artechock: Haben Sie den Eindruck, dass viele, die da reingerutscht sind, jedenfalls in den zweiten und dritten Generationen, dass die da halb unfreiwillig mitgemacht haben?
Schlöndorff: Würde ich unbedingt sagen. Wo der freie Wille des Menschen anfängt, ist ja in der Philosophie sehr umstritten.
artechock: Sie glauben doch auch, dass nicht alles determiniert ist?
Schlöndorff: Klar. Nein, jeder hat immer die Wahl, was er macht. Und sie hätten immer die Wahl gehabt, das nicht zu tun.
Aber alles, worüber wir jetzt sprechen, ist eigentlich nicht der Film. Das wäre ein vollkommen anderer Film geworden. Und solche Themen veralten übrigens nie, da glaube ich auch nicht dran. Das kann jemand sicher noch mal interessant erzählen. Aber da muss man sehr, sehr weit ausholen, um das einigermaßen richtig
darzustellen.
Um auf den Anfang des Gesprächs zurückzukommen: Was uns interessierte war: Wie werden die mit der DDR fertig? Wie wird die DDR mit denen fertig?
Wichtig ist da die erste Kontaktaufnahme: Das die so beiläufig am Flughafen Schönefeldt läuft, das wusste ich nicht. Dass dann der Stasi-Offizier die einfach „anzählt“, wie die das nennen, im Warteraum, ihr dann ihren Pass gibt, und ihre Pistole – was ja auch erstaunlich ist. Unsereiner hat nicht mal ein
Rowohlt-Taschenbuch da durchgebracht, und die bringen gleich 'ne Waffe durch. [LACHT]
Und bis es dann zur endgültigen Einreise kommt und einer von denen sagt: Warum eigentlich nicht, wir kennen das Land ja nur von der Durchreise, ich will mich jetzt mal darauf einlassen. Und da wiederum war von all den Charakteren – es sind ja 11 gewesen – die Inge Viett die einzige, die von sich aus damit einfach gebrochen hat. Die anderen waren, wenn man so will, kaputt und waren ein
Gewicht am Bein der Aktiven und waren zu nichts mehr nütze.
Inge Viett aber hat durchaus noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gesagt: Ich will das nicht mehr mitmachen. Das hat aber hauptsächlich auch damit zu tun, dass die paar Übriggebliebenen von der „Bewegung 2.Juni“ gerade von der RAF absorbiert wurden. Und die RAF dann die großen Töne spuckte, und sie auf einmal dann im Abseits stand. Also es gab viele Gründe.
artechock: Also hier ist die Rita, Ihre Hauptfigur, der Inge Viett sehr nahe?
Schlöndorff: Da ist sie ihr sehr nahe. Natürlich ging das nicht so Knall auf Fall wie im Film: Direkt nach dem Schuss auf den Polizisten in Paris der Ausstieg. Die hat sich noch ein gutes Jahr, anderthalb Jahre in Syrien mit den Palästinenser rumgetrieben, hat diese Macho-Gesellschaft nicht ertragen, und ist dann freiwillig nachgekommen.
Wir hatten zuerst ein sehr dokumentarisch geschriebenes Drehbuch über das Leben der Susanne
Albrecht. Wie sie da als Hanseaten-Tochter reinkommt, wie das alles passiert ist. Wenn man so will, wie die Jungfrau zum Kind. Das war aber eine passive Heldin. Was ein Widerspruch in sich ist.
artechock: Die Albrecht wusste vorher auch gar nichts von der Ponto-Aktion?
Schlöndorff: Nein, sie wusste: die gehen da mit den Waffen rein, aber das die auf einmal losballern, damit hatte sie nicht gerechnet. Also der Satz: »Es sollte nichts passieren«, den jetzt wieder unsere Rita nach der Gefängnisbefreiung sagt, entspricht ihrer Haltung, dieser Naivität.
Insofern ist der fertige Film jetzt zum Schluß eine Erfindung, der sich der Elemente bedient. Wie jede Literatur vom Werther bis sonst wohin, oder bei
Dostojewski.
Nicht weniger wichtig sind aber die Erfahrungen der Rita in der DDR. Auch da geht es mir nicht um Ideologie, sondern um die Menschen in der DDR. Und was mir heute noch sympathisch ist an den Menschen in der DDR, das ist, das die in einem ausgesprochen schlechten Staatswesen trotzdem versucht haben, als Menschen zurecht zu kommen. Das macht sie einfach sympathisch nicht die Überzeugten – um Gottes Willen. Sondern das die ganz normalen Leute einfach mit der List die das Volk auszeichnet, irgendwie mit ihrem Staat fertig werden – egal wie ungerecht oder wie unvollkommen der ist, wie verlogen in seinen Parolen. Aber jeder Einzelne hat doch versucht, seine Würde zu wahren, sich nicht einvernehmen zu lassen. Das ist ja eine gewisse Qualität, weil es Bewusstsein voraussetzt. Und das ist die Haltung, die mir gefällt. Die sagen: Ich erwarte mir von keinem Staatswesen mehr das Heil der Menschheit – und auch nicht von der Marktwirtschaft. Diese Skepsis den Ideologien gegenüber, die ist ihnen ja geblieben. Das muß man nicht belächeln.
artechock: Das ist ja auch eine politische Haltung...
Schlöndorff: Ganz klar. Und das war es, das ich in den wenigen Begegnungen der Rita zeigen wollte. Wir zeigen ja nie, wie der Staat funktioniert, oder die Stasi, sondern die Begegnung mit Menschen. Daran kann man viel mehr ablesen. Das sind Begegnungen, die wir alle nicht gehabt haben, wir sind ja wirklich nur durchgereist.
Und das sie nach den ganzen Jahren der Verfolgung sich darauf einläßt – es wird irgendwann 'mal
angedeutet, dass sie auch aus einer kaputten Familie kommt: Die Mutter ist mit 40 gestorben, der Vater wird gar nicht erwähnt –, dass sie sich da wohl fühlt, ist bemerkenswert. Eine Welt in der es diese Verfolgung nicht gibt, aber auch nicht diesen Konsumterror, wo nicht das Materielle alles bestimmt, in der eine gewisse spartanische Lebensweise vorherrscht. Sie fühlt sich wohl. Und das verwechselt sie natürlich dann, als es untergeht da sagt sie dann: »Das kann doch nicht das
Ende sein«. Wobei sie zugleich spürt: Das ist auf jeden Fall das Ende. Wogegen die Rike – sprich Susanne Albrecht, die da von der Jenny Schily gespielt wird, die ja damit auch aus Bürgerkreisen kommt, von der Besetzung her – die empfindet das natürlich als die große Erleichterung. Die wird sich wahrscheinlich zwei Monate später scheiden lassen von ihrem Chorleiter, und mit ihrem Kind rüberziehen.
artechock: Aber sie wird erst einmal inhaftiert werden, nicht, Susanne Albrecht ist glaube ich auch erst einmal mehrere Jahre in Haft gewesen.
Schlöndorff: Das ist klar.
artechock: Haben Sie eigentlich Kontakt zu Ex-RAF-Mitgliedern?
Schlöndorff: Nein, überhaupt nicht. Gar nicht mehr. Ich hab den auch nicht mehr gesucht. Ich habe diese Besuche auch bewusst vom Wolfgang machen lassen. Denn die sind ja alle jetzt über 50, und ich wollte für den Film lieber das Bild der End-Zwanzigjährigen im Kopf behalten. Aber im Zuge der Recherchen – es gibt ja das Spiegel-Archiv, und Stefan Aust mit seinen Büchern und Kontakten – haben wir buchstäblich mit jedem gesprochen, bis hin zu Leuten im Betrieb, wo die waren, um uns ein Bild zu machen.
Denn erst dann kann man frei erfinden, wenn man die Sicherheit hat: Ich kenne den dokumentarischen Teil jetzt so gut, dass ich mich traue, zu erfinden. Als das in Hamburg vorgeführt wurde, habe ich den Stefan Aust angerufen, und er hatte gerade Zeit, und kam später heraus und sagte: »Es stimmt so genau, und trotzdem glaubt man kein Wort. Genauso ist es gewesen, der General war der General Neubert, der sieht dem sogar ähnlich« – das hab ich nicht gewusst, da hab
ich mich nie drum gekümmert.
Der den der Martin Wuttke spielt, der war nur noch jovialer und herbergsvatermäßig...
artechock: Der hat im Film etwas Dämonisches...
Schlöndorff: Ja, wenn der schon so sympathisch ist, wollte ich ihn wenigstens mit einem Schauspieler besetzen, der sonst den Bösewicht spielt. Damit man nicht verharmlost wird. Zudem wissen wir, dass er in seiner Funktion auch ganz anders sein kann.
Jedenfalls hat mir der Stefan – der auch sehr hart umspringen kann mit mir, wir kennen uns ja seit Ewigkeiten, und haben damals Der Kandidat über Strauß gemeinsam gemacht und Deutschland im Herbst, diese Filme – er sagt: »es stimmt im kleinsten Detail, ich erkenne alles wieder, und trotzdem sitze ich da und denke: Das kann doch nicht wahr sein.«
artechock: Mir – ich kenne das ja nicht aus eigenem Erleben – ging es so, dass ich manches sehr ironisierend fand – etwa diese politischen Gespräche am Anfang des Films in Paris...
Schlöndorff: Ja das ist aber auch ironisierend. Das ist eine stilistische Entscheidung: Der Banküberfall ist wie Kasperltheater inszeniert, das weiß ich auch, dass das nicht ganz so abgelaufen ist. Dass die auch Angst hatten, oder so was.
Aber ich dachte, als Einstieg mit dem Zusatz »Das waren die heiteren Jahre« – das ist eine Stilfrage. Wenn ich Musiker wäre, hätte ich ein Scherzo davor gesetzt: Nicht ganz ernst genommen,
das sieht ja wohl jeder, dass man das nicht ganz ernst meint.
Aber es gibt dann andere Momente, wo plötzlich die Kamera zum Stillstand kommt und man Ruhe hat. Und diese Auseinandersetzung in Paris – natürlich: In der Verkürzung wirkt die immer absurd. Wir haben es nicht darauf angelegt, die schlimmsten Sätze zu nehmen oder so was. Wir haben im Gegenteil versucht, moderat zu bleiben.
Aber das entlarvt sich selbst. Ich weiß überhaupt bis heute nicht – übrigens: in der Bleierne Zeit spielt der Luc Bondy so 'ne Szene, wo er da als Terrorist reinkommt, und solche Sprüche ablässt. Das sollte auch sehr überzeugend sein und ist vollkommen lächerlich – ich kenne bis heute keinen Fall wo das wirklich glaubwürdig ist. Aber ich würde 'mal sagen: Im Gegensatz zu Breloers Todesspiel werden sie trotzdem nicht denunziert. Man sieht einfach: Das
ist ein armer Haufen. Und als es an die persönliche Auseinandersetzung geht, und die sich vorwerfen: Du fickst rum, und Du trägst Designerjeans, und Du fährst 'ne Honda – da ist es am wahrhaftigsten. Das kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass das so läuft. Und dass das natürlich ein Psychoterror ist. Die waren ja nur maximal zwölf Leute, alle sehr jung, und mit ihren Bedürfnissen, und die Partnerwahl konnte nur innerhalb der Gruppe stattfinden und der Partnerwechsel
auch. Nach draußen gabs keine Kontakte. Dass das in 'ner Psychokiste endet, das kann jeder Psychologe nachweisen.
artechock: Da muss man kein Psychologe sein. Was würden Sie sagen, auch dem Jüngeren, der Ihnen gegenüber sitzt, was bleibt von der RAF? Was ist es, dass man heute damit anfangen kann und mit dem Ansatz einer radikalen politischen Veränderung?
Schlöndorff: Also ich finde, das erste ist: Es muss einem sehr fremd sein. Es ist nur in der damaligen Zeit denkbar gewesen, nur in dem Umfeld der Sprüche, die damals beinahe Gemeingut waren, konnten die ihren Dialog auf diese Sprüche verkürzen. Auch ihre Vorstellung, dass man das Unrecht in der Welt auf einen Schlag mit einem kleinen Grüppchen abschaffen kann. Allein die Vorstellung, dass so ein Grüppchen einen mächtigen NATO-Staat aushebeln
könnte, von den Verbündeten ganz zu schweigen, ist nur in der damaligen Zeit denkbar gewesen. Und das haben damals sehr kluge Leute gedacht.
Das erste, was man wirklich feststellen kann: Das ist eine Sache, die sich mit der damaligen Zeit überholt hat, und insofern auch nicht weiterwirken kann.
artechock: Nur als Einschub: Was sind denn heute die klugen Sprüche, die uns in 20, 30 Jahren lächerlich vorkommen werden?
Schlöndorff: Nun ganz bestimmt viel von dem Karrieredenken, dem Traum der ewigen Jugend, und das Glück aus dem Internet. Wie sich überhaupt eine gesamte Zivilisation aus dem Internet berauschen kann, das wird einem spätestens in 15 Jahren wie eine Verirrung vorkommen.
Aber das ist etwas anderes: Ja, warum dann überhaupt so eine Geschichte erzählen? Es ist wie es bei Kleist von seinem „Michael Kohlhaas“ gesagt wird: Einer der beeindruckendsten und entsetzlichsten Menschen zugleich. Das heißt es gibt Leute, die so eine altruistische Ader haben – man kann es auch Idealismus nennen – die sind dann glaube ich doch die Hefe der Menschheit. Die scheitern oft, aber andererseits: Alle ihre Ansätze zusammen bewirken dann eben doch, dass wir dran glauben, dass eben die Menschheit sich bessert.
So einen zu beschreiben, ist immer wieder interessant. Und das die scheitern liegt auch in der Natur dieser Sache. Aber dass sie auch im Scheitern nie zu Kreuze kriechen, und nie bedauern, was sie gemacht haben, das gehört auch zu dieser Art Charakter. Man kann sagen: sie sind uneinsichtig. Man kann aber auch sagen: Sie sind ungebrochen.
Der aufrechte Gang war auch ein Slogan im Westen. Natürlich ist das auch ein jugendliches Phänomen. Klar gibt es immer wieder
diese Haltung. Deshalb ist es eine schöne Haltung. Das sind die erzählenswerten Biographien für mich.
artechock: Ist es auch erzählenswert, an diesem Anspruch einer radikalen politischen Veränderung festzuhalten?
Schlöndorff: Glaube ich nicht. In den schlimmsten Fällen führt das dann zu Fundamentalismus religiöser Art. Also: Ich glaube überhaupt, das durch den Radikalismus nie etwas Gutes geschehen kann. Ich glaube mehr an so eine praktische moderate Demokratie wie die amerikanische: Ablösung durch Wahlen. Wo man aber auch weiß: es kommt auf Individuen an. Ich habe da eine hoffnungslos humanistisch individualistische Einstellung. Die jedenfalls verirren sich nie ganz. Das ist ein positives Mittelmaß. Und sie erwarten sich nie so viel von der Politik und den Politikern. Ich glaube, das ist sogar das Wichtigste. Sie merken, meine politische Überzeugung ist noch nicht 'mal mehr eine linke.
artechock: Ja, es wundert mich, dass sie da so milde sind.
Schlöndorff: Ja, aber an eine Revolution, eine Planwirtschaft, an die Diktatur einer Partei – da habe ich mal dran geglaubt, aber das glaube ich nicht mehr. Dafür sind die Gegenbeweise zu erdrückend. Es geht nur ganz schrittweise. Und ohne den enormen Einsatz des Einzelnen geht gar nichts.
artechock: Kann Film etwas leisten?
Schlöndorff: Da hab ich übrigens noch nie dran geglaubt...
artechock: Aber Sie haben politische Filme gemacht, im Gegensatz zu vielen anderen...
Schlöndorff: Aber wenn Sie so wollen, da muss man doch mal ehrlich sein: Diese politischen Filme, die predigten zu Überzeugten. Und das ist auch wichtig. Man muss den Überzeugten Mut machen. Die anderen erreiche ich sowieso nicht. Ich hätte nie gedacht, dass ich durch einen sogenannten „politischen Film“ Andersdenkende bekehre. Aber sich in den eigenen Reihen Mut zu machen – so wie ich einen Roman von Böll oder Text von Marcuse lese. Natürlich entdecke ich etwas, aber ich fühle mich oft auch bestätigt in etwas, was ich unklar empfunden habe. Und insofern gehören politische Filme natürlich zur Bewusstseinsbildung.
artechock: Sie sind aber heute selten.
Schlöndorff: Ja natürlich. Es kann heute keinen politischen Film in dem Sinne geben, als es keine politischen Ideen gibt.
Es kann jemand einen Film machen gegen das Töten von Seerobben oder Ölpipelines in Afrika, und über Menschenrechtsverletzungen – also über konkrete Zustände. Aber man kann es nicht mehr im Namen einer Ideologie machen, nur im Namen einer allgemeinen Freiheitssuche des Menschen. Im Grunde sind wir wieder
zurückgeworfen auf den Anfang des 19.Jahrhunderts: Schiller: »Geben Sie Gedankenfreiheit.« Aber immerhin um die Erfahrung bereichert, dass die totalitäre Ideologie nicht die Lösung ist. Dagegen ist die Menschheit jetzt auf absehbare Zeit immun. Das ist ja auch was.
artechock: Sie glauben, es ginge ganz ohne politische Utopie?
Schlöndorff: Ich kann mir es mir nicht vorstellen. Aber ich weiß nicht, wo die nächste herkommen soll.
artechock: Und wie geht man gegen extremistische Herausforderungen vor, etwa die Neonazis zur Zeit?
Schlöndorff: Mit denen ist schon die Weimarer Republik nicht fertig geworden.
artechock: Aber es fragt sich, wie man gegen die vorgeht.
Schlöndorff: Ich glaub nur mit Law and Order [Lacht]. Auch das ist eine erstaunliche Erfahrung, dass man da hin kommt. Aber ich glaube, das Allerwichtigste ist einfach: Wenn einer dem Anderen in die Fresse haut, dann gehört er erst mal dafür bestraft. Und zwar nicht mit 'nem Prozeß in 12 Monaten und dann 3 Wochen auf Bewährung, sondern wie bei Guiliani in New York: Auf der Stelle. Das kommt mir zum eigenen Erschrecken so über die
Lippen.
Dagegen reduziert sich das bei uns auf diese Plakate mit Günter Jauch und anderen – aber die featuren nur sich selbst, für mich kommt das nicht in Frage.
artechock: Können Sie sich denn vorstellen, in 20 Jahren einen Film über die Neonazis zu drehen, einen Neonazi in ähnlicher Weise zu vermenschlichen, wie jetzt ein RAF-Mitglied?
Schlöndorff: Das ist eben sehr schwer. Ich hab in Hoyerswerda sehr lang mit einem US-Journalisten recherchiert. Der hat darüber in „Esquire“ geschrieben, fast 40 Seiten, so wie die Amerikaner das dann machen – investigative journalism. Daraus ist dann das Drehbuch für den Film mit Edward Norton geworden, American History X. Erinnern
Sie sich an das Knacken des Kopfes da am Bürgersteig – das kommt alles aus Hoyerswerda. Da sieht man es aber auch: Obwohl der Film sehr stark ist, hat er seine Grenzen.
Ich kann es nicht anders sagen: Für die Linken, auch die Gewalttätigen, die ich gekannt habe, für die konnte ich mehr empfinden, menschlich, als für manche von diesen Rechten, bei denen ich das Gefühl habe, das sind in erster Linie sadistische Schläger und in zweiter Linie ordnen sie sich ein. Aber der Sadismus
ist zuerst da. Und das ist schon ein erheblicher Unterschied. Weshalb man mit denen auch sehr schwer argumentieren kann. Man kommt da gar nicht 'ran. Die haben auch ein Brett vorm Kopf.
Leider ist der Rechtsradikalismus mit seiner Fremdenfeindlichkeit in Deutschland eine Grundtendenz. Ich komme sehr viel herum, und sie begegnen dem immer wieder: Wozu brauchen wir überhaupt Ausländer? Antisemitismus, das sitzt so tief, und auch in den „allerbesten Kreisen“. Das ist einfach ein Urübel in der deutschen Gesellschaft, und das drücken diese Rechtsradikalen im Grunde aus.
Deswegen ist gerade diese Einwandererdebatte ganz
wichtig. Wir müssen einfach begreifen, dass jeder Einwanderer eine Bereicherung ist. Das muss Allgemeingut werden.