05.05.2005

»Ich liebte Kurosawa und ich liebte Bergman!«

Szenenbild KINGDOM OF HEAVEN
Kingdom of Heaven

Ridley Scott über filmische Vorbilder, sein neues Werk Kingdom of Heaven und die Schwierigkeit, einen Monumentalfilm zu drehen

Nahezu alle und jeden­falls die besseren der Filme von Ridley Scott sind Reisen in den Untergang, Phan­ta­sien der (Selbst)zerstörung. Die Charak­tere brechen auf, manchmal frei­willig, manchmal gezwun­ge­ner­maßen, doch die Ziele ihrer Reise sind ungewiss, und man kann sicher sein, dass sie andere Orte erreichen, als jene, zu denen sie aufbra­chen. Immer wieder kreisen Scotts Filme auf diese Weise um den schmalen Grad zwischen Zivi­li­sa­tion und Barbarei. Ob Alien, Blade Runner, Thelma & Louise oder Gladiator – die Helden des 67jährigen Briten Scott, einem mehr­fa­chen Oscar­ge­winner, müssen diese Grenze erfahren, sie für sich ausloten, und sich am Ende auf eine Seite schlagen.

Mit Ridley Scott sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Sie haben auf einer Kunst­aka­demie studiert. Nach einigen Werbe­filmen haben Sie mit Arthouse-Filmen begonnen. Wer waren damals Ihre Vorbilder?

Ridley Scott: Seit meinen frühen Jahren als Teenager, seit der Zeit der Film­schule, habe ich mich für Alter­na­tiven zum Main­stream, für das Kino der Autoren­filmer inter­es­siert. Ich liebte Kurosawa und ich liebte Bergman.
Aus dieser Zeit stammt der Wunsch einen Film über das Hoch­mit­tel­alter zu drehen, aus der Zeit der Ritter. Wenn Sie an Bergman denken: Zwei seiner wich­tigsten Filme spielen im Mittel­alter: Das siebente Siegel und Virgin Spring. Kurosawa wiederum definiert geradezu die Idee der Ritter­lich­keit und des Ritters in seinen Samurai-Filmen. Samurai und Ritter sind genau das Gleiche. Daher wollte ich schon damals einen Film über einen Ritter machen, der vom Glauben ange­trieben wird.

artechock: Sie wurden selbst von der Queen geadelt, heißen jetzt Sir Ridley Scott. Sie sind also selbst ein Ritter. Fühlen Sie irgend­eine Form von Nähe zu den Kreuz­fah­rern?

Scott: Nähe nicht. Aber Respekt vor ihrer Leistung. Ich möchte nicht mit ihnen tauschen. Sie müssen sich einmal vorstellen, was es ganz praktisch hieß, im 12. Jahr­hun­dert ein Ritter auf Kreuzzug zu sein. Sie waren ein führendes Mitglied der Gesell­schaft. Aber sie mussten auf extrem harte Weise kämpfen, härter, als jeder andere, in Metall-Rüstung in dieser Hitze. Ein Ritter war mili­tärisch so viel wert, wie heute ein Panzer. Man hatte im Mittel­alter die Vorstel­lung, ein christ­li­cher Ritter könnte es mit etwa zehn Moslem-Fußsol­daten aufnehmen. Ich glaube das nicht ganz. Aber es gab eine Schlacht, wo 40 Ritter es tatsäch­lich mit 400 Sarazenen aufge­nommen haben.

artechock: Das Thema des Kreuzzugs und des Friedens zwischen Christen und Moslems ist sehr zeitgemäß. War das der Grund dafür, jetzt diesen Film zu drehen?

Scott: Nein, überhaupt nicht. Sie können zu einem solchen Thema keinen pädago­gi­schen Film machen. Ich hatte das Projekt seit langem im Kopf, seit der Zeit, als ich 32, 33 Jahre alt war und noch Werbe­filme gemacht habe – ich habe meinen ersten Spielfilm ja erst mit 38 gedreht. Ich wusste, dass ich das irgend­wann machen wollte, aber ich wusste auch, dass ich es damals nicht machen konnte.

artechock: Auch wenn Sie es nicht wollen: Kingdom of Heaven hat eine sehr direkte, sehr klare poli­ti­sche Botschaft: »Jerusalem für alle!«

Scott: Ja, der alte Bürger­meister von Jerusalem, Teddy Kollek, hat das Gleiche gesagt. Alle müssen sich ändern. Man muss versuchen, die Vergan­gen­heit zu vergessen. Man kann nicht immer zurück­schauen, man muss an morgen denken, und an nächstes Jahr. Das scheint mir der vernünf­tigste Gedanke überhaupt zu sein. Histo­risch gesehen gab es im Jerusalem der Kreuzzüge längere Abschnitte solcher Toleranz. Die Zeit, die ich beschreibe, war die libe­ralste Zeit in Jerusalem, in der Stadt lebten drei Reli­gionen friedlich und multi­kul­tu­rell mitein­ander. Das wollte ich zeigen. Toleranz und kultu­relles Neben­ein­ander sind möglich!

artechock: In den USA werden Sie von rechten christ­li­chen Funda­men­ta­listen genau dafür ange­griffen. Ihr Film passt mit seiner Botschaft nicht in die dortige Stimmung...

Scott: Ich kämpfe keinen neuen Heiligen Krieg im Kino. Ich will ein Bewusst­sein dafür schaffen, dass nicht alle aus dem Westen good guys waren, und nicht alle Moslems bad guys.

artechock: Sie haben mit einem neuen Autor gear­beitet, William Monahan...

Scott: William Monahan ist einer der besten Autoren, mit denen ich je gear­beitet habe. Einen guten Autor lässt man nicht wieder gehen. Ich traf ihn, als ich an Black Hawk Down gear­beitet habe, kurz vor dem 11.September. Zunächst wollten wir das Projekt Tripoli reali­sieren, mit Russel Crowe. Als es dann dazu nicht kam, haben wir uns Kingdom of Heaven überlegt. Wichtig war, dass Kingdom of Heaven nicht einfach ein blödes Action-Abenteuer werden würde.

artechock: Sie haben den Film gegenüber dem Drehbuch aller­dings ganz erheblich gekürzt. Warum? Und war das schwer?

Scott: Es fiel mir leicht, ich bin da ganz unro­man­tisch. Man muss das. Eines, was man als Filme­ma­cher lernen muss, ist nicht zu sehr auf die Ratschläge anderer zu hören. Ganz ehrlich – und mit allem Respekt vor dem, was Leute wie Sie tun – ich lese keine Kritiken. Egal ob gut oder schlecht. Weil einen das einengt. Daher bleibe ich unbe­ein­flußt. (Lacht) Ich versuche »unschuldig« zu sein. Daher lese ich keine Presse und lasse ich mich nicht in die eine oder andere Richtung drängen. Ich muss mein eigener Kritiker sein. Das es ist eine immense Lehr­stunde in Selbst­kon­trolle: Da ist eine wunder­bare Szene, aber sie muss raus.
Dynamik ist alles im Kino. Dabei geht es um Infor­ma­tion. Dynamik meint nicht Verfol­gungs­jagden und Schlachten – das kann es meinen – tatsäch­lich geht es um neue Infor­ma­tion in Bezug auf den durch­ge­henden Subtext, also die Story. Das ist echte, wahre Kino-Dynamik.
Das Groß­ar­tige an der Digi­ta­li­sie­rung, der Einfüh­rung der DVD ist, dass ich im kommenden Jahr eine Version des Films veröf­fent­li­chen werde, die eine Stunde länger ist. Darin ist dann nicht nur irgendein Mist – »nie gesehene Inhalte« – sondern eine echte Weiter­ent­wick­lung der Geschichte. Dann ähnelt der Film mehr der Lektüre eines Buches. Man kann eine Pause einlegen, etwas noch mal angucken. Im Kino ist der Film wie ein Drama im Theater. Wir schneiden ihn, um Dynamik hinein­zu­bringen.

artechock: Aber man will doch mehr über die Figuren wissen...

Scott: Das ist das Beste, was Sie sagen können. Dann habe ich alles richtig gemacht. Was wir gekürzt haben, war der Anfang in Frank­reich, und einige Teile aus den Episoden mit Sibylla.

artechock: Wie muss man sich den Dreh für so einen monu­men­talen Stoff mit vielen Statisten praktisch vorstellen? Haben Sie viel mit Hilfe des Computer gear­beitet?

Scott: Sie haben keine Vorstel­lung, wie so etwas abläuft. Bevor überhaupt irgend­etwas Kreatives passieren kann, geht es um Logistik. Versuchen Sie mal 650 Statisten anzu­kleiden, auch noch mit verschie­denen Kostümen, dann müssen Sie um 4 Uhr morgens anfangen, damit die 650 um 9 Uhr fertig sind. Frühes­tens! Sie brauchen einen detail­lierten Plan, ein Konzept, damit es funk­tio­niert.
Wenn Sie 5000 Statisten hätten, wären Sie nie im Leben vor 2 Uhr nach­mit­tags fertig, wenn alle schon völlig erschöpft sind. Oder wenn Sie 200 Pferde gleich­zeitig brauchen.
Digitale Effekte sind nur ein Hilfs­mittel für solche Fälle. Die 650 Statisten kann ich digital zu 10.000 oder 170.000 Soldaten vermehren. Sie werden digital geklont, einzeln und in Gruppen, damit es nicht aussieht, wie in einem Video­spiel. Und Sie brauchen es, um die Spuren der Gegenwart, Strom­masten oder Autos wegzu­re­tu­schieren.
Wir haben ansonsten nichts digi­ta­li­siert, Außen­auf­nahmen sind Außen­auf­nahmen. Wir haben gar nicht in irgend­einem Studio gedreht. Wir hatten sie nur in Reserve, als Ausweich­sets. wenn es zum Beispiel so schlechtes Wetter gegeben hätte, dass wir Außen nicht hätten drehen können – dann hätten wir einen Ort gehabt, wo wir hätten drehen können.

artechock: Worauf also kommt es beim Filme­ma­chen an?

Scott: Filme­ma­chen ist wie Schach­spielen. Jeder Zug muss gut überlegt sein. Man muss immer ein paar Züge voraus denken, auf alles Mögliche gefasst sein. Viele Leute begreifen immer noch nicht, dass Film eine echte Industrie ist. Man denkt, da sind ein paar Leute, die Cham­pa­gner trinken, kurz »Action!« rufen, und dann in einen Nachtklub gehen. Alles Quatsch: Wir arbeiten wir die Hunde. Wir arbeiten härter, als die meisten Leute. Wir sind eine echte Industrie. Überlegen Sie sich, wie klein Hollywood ist – ein Dorf, höchstens eine Klein­stadt. Und doch befindet sich dort die zweit­größte Industrie der USA.
Mit jedem Film versuche ich, die Zuschauer an Orte zu bringen, wo sie noch nicht waren. Im Kino geht es nicht um platte Schönheit, sondern um Wahrheit, Echtheit.

artechock: Als nächstes werden Sie, mit dem gleichen Dreh­buch­autor, „Blood Meridian“ verfilmen, den berühmten Roman von Cormac McCarthy, der zur Zeit der Eroberung des Wilden Westens spielt. Das ist, wie viele Ihrer Filme, wie auch Kingdom of Heaven wieder eine düstere Story, die von der Selbst­zer­störung der Zivi­li­sa­tion handelt.

Scott: Das Buch ist fantas­tisch, aber sehr schwer zu verfilmen. Es ist leicht, etwas zu adap­tieren, aber man muss einen Grund finden, warum es gemacht werden muss. Dieser Film ist für mich die größte Heraus­for­de­rung von allen meiner Filme.