»Ich liebte Kurosawa und ich liebte Bergman!« |
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Kingdom of Heaven |
Nahezu alle und jedenfalls die besseren der Filme von Ridley Scott sind Reisen in den Untergang, Phantasien der (Selbst)zerstörung. Die Charaktere brechen auf, manchmal freiwillig, manchmal gezwungenermaßen, doch die Ziele ihrer Reise sind ungewiss, und man kann sicher sein, dass sie andere Orte erreichen, als jene, zu denen sie aufbrachen. Immer wieder kreisen Scotts Filme auf diese Weise um den schmalen Grad zwischen Zivilisation und Barbarei. Ob Alien, Blade Runner, Thelma & Louise oder Gladiator – die Helden des
67jährigen Briten Scott, einem mehrfachen Oscargewinner, müssen diese Grenze erfahren, sie für sich ausloten, und sich am Ende auf eine Seite schlagen.
Mit Ridley Scott sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Sie haben auf einer Kunstakademie studiert. Nach einigen Werbefilmen haben Sie mit Arthouse-Filmen begonnen. Wer waren damals Ihre Vorbilder?
Ridley Scott: Seit meinen frühen Jahren als Teenager, seit der Zeit der Filmschule, habe ich mich für Alternativen zum Mainstream, für das Kino der Autorenfilmer interessiert. Ich liebte Kurosawa und ich liebte Bergman.
Aus dieser Zeit stammt der Wunsch einen Film über das Hochmittelalter zu drehen, aus der Zeit der Ritter. Wenn Sie an Bergman denken: Zwei seiner wichtigsten Filme spielen im Mittelalter: Das siebente Siegel und Virgin Spring. Kurosawa wiederum definiert geradezu die Idee der Ritterlichkeit und des Ritters in seinen Samurai-Filmen. Samurai und Ritter sind genau das Gleiche. Daher wollte ich schon damals einen Film über einen Ritter machen, der vom Glauben angetrieben wird.
artechock: Sie wurden selbst von der Queen geadelt, heißen jetzt Sir Ridley Scott. Sie sind also selbst ein Ritter. Fühlen Sie irgendeine Form von Nähe zu den Kreuzfahrern?
Scott: Nähe nicht. Aber Respekt vor ihrer Leistung. Ich möchte nicht mit ihnen tauschen. Sie müssen sich einmal vorstellen, was es ganz praktisch hieß, im 12. Jahrhundert ein Ritter auf Kreuzzug zu sein. Sie waren ein führendes Mitglied der Gesellschaft. Aber sie mussten auf extrem harte Weise kämpfen, härter, als jeder andere, in Metall-Rüstung in dieser Hitze. Ein Ritter war militärisch so viel wert, wie heute ein Panzer. Man hatte im Mittelalter die Vorstellung, ein christlicher Ritter könnte es mit etwa zehn Moslem-Fußsoldaten aufnehmen. Ich glaube das nicht ganz. Aber es gab eine Schlacht, wo 40 Ritter es tatsächlich mit 400 Sarazenen aufgenommen haben.
artechock: Das Thema des Kreuzzugs und des Friedens zwischen Christen und Moslems ist sehr zeitgemäß. War das der Grund dafür, jetzt diesen Film zu drehen?
Scott: Nein, überhaupt nicht. Sie können zu einem solchen Thema keinen pädagogischen Film machen. Ich hatte das Projekt seit langem im Kopf, seit der Zeit, als ich 32, 33 Jahre alt war und noch Werbefilme gemacht habe – ich habe meinen ersten Spielfilm ja erst mit 38 gedreht. Ich wusste, dass ich das irgendwann machen wollte, aber ich wusste auch, dass ich es damals nicht machen konnte.
artechock: Auch wenn Sie es nicht wollen: Kingdom of Heaven hat eine sehr direkte, sehr klare politische Botschaft: »Jerusalem für alle!«
Scott: Ja, der alte Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, hat das Gleiche gesagt. Alle müssen sich ändern. Man muss versuchen, die Vergangenheit zu vergessen. Man kann nicht immer zurückschauen, man muss an morgen denken, und an nächstes Jahr. Das scheint mir der vernünftigste Gedanke überhaupt zu sein. Historisch gesehen gab es im Jerusalem der Kreuzzüge längere Abschnitte solcher Toleranz. Die Zeit, die ich beschreibe, war die liberalste Zeit in Jerusalem, in der Stadt lebten drei Religionen friedlich und multikulturell miteinander. Das wollte ich zeigen. Toleranz und kulturelles Nebeneinander sind möglich!
artechock: In den USA werden Sie von rechten christlichen Fundamentalisten genau dafür angegriffen. Ihr Film passt mit seiner Botschaft nicht in die dortige Stimmung...
Scott: Ich kämpfe keinen neuen Heiligen Krieg im Kino. Ich will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass nicht alle aus dem Westen good guys waren, und nicht alle Moslems bad guys.
artechock: Sie haben mit einem neuen Autor gearbeitet, William Monahan...
Scott: William Monahan ist einer der besten Autoren, mit denen ich je gearbeitet habe. Einen guten Autor lässt man nicht wieder gehen. Ich traf ihn, als ich an Black Hawk Down gearbeitet habe, kurz vor dem 11.September. Zunächst wollten wir das Projekt Tripoli realisieren, mit Russel Crowe. Als es dann dazu nicht kam, haben wir uns Kingdom of Heaven überlegt. Wichtig war, dass Kingdom of Heaven nicht einfach ein blödes Action-Abenteuer werden würde.
artechock: Sie haben den Film gegenüber dem Drehbuch allerdings ganz erheblich gekürzt. Warum? Und war das schwer?
Scott: Es fiel mir leicht, ich bin da ganz unromantisch. Man muss das. Eines, was man als Filmemacher lernen muss, ist nicht zu sehr auf die Ratschläge anderer zu hören. Ganz ehrlich – und mit allem Respekt vor dem, was Leute wie Sie tun – ich lese keine Kritiken. Egal ob gut oder schlecht. Weil einen das einengt. Daher bleibe ich unbeeinflußt. (Lacht) Ich versuche »unschuldig« zu sein. Daher lese ich keine Presse und lasse ich
mich nicht in die eine oder andere Richtung drängen. Ich muss mein eigener Kritiker sein. Das es ist eine immense Lehrstunde in Selbstkontrolle: Da ist eine wunderbare Szene, aber sie muss raus.
Dynamik ist alles im Kino. Dabei geht es um Information. Dynamik meint nicht Verfolgungsjagden und Schlachten – das kann es meinen – tatsächlich geht es um neue Information in Bezug auf den durchgehenden Subtext, also die Story. Das ist echte, wahre Kino-Dynamik.
Das
Großartige an der Digitalisierung, der Einführung der DVD ist, dass ich im kommenden Jahr eine Version des Films veröffentlichen werde, die eine Stunde länger ist. Darin ist dann nicht nur irgendein Mist – »nie gesehene Inhalte« – sondern eine echte Weiterentwicklung der Geschichte. Dann ähnelt der Film mehr der Lektüre eines Buches. Man kann eine Pause einlegen, etwas noch mal angucken. Im Kino ist der Film wie ein Drama im Theater. Wir schneiden ihn, um Dynamik
hineinzubringen.
artechock: Aber man will doch mehr über die Figuren wissen...
Scott: Das ist das Beste, was Sie sagen können. Dann habe ich alles richtig gemacht. Was wir gekürzt haben, war der Anfang in Frankreich, und einige Teile aus den Episoden mit Sibylla.
artechock: Wie muss man sich den Dreh für so einen monumentalen Stoff mit vielen Statisten praktisch vorstellen? Haben Sie viel mit Hilfe des Computer gearbeitet?
Scott: Sie haben keine Vorstellung, wie so etwas abläuft. Bevor überhaupt irgendetwas Kreatives passieren kann, geht es um Logistik. Versuchen Sie mal 650 Statisten anzukleiden, auch noch mit verschiedenen Kostümen, dann müssen Sie um 4 Uhr morgens anfangen, damit die 650 um 9 Uhr fertig sind. Frühestens! Sie brauchen einen detaillierten Plan, ein Konzept, damit es funktioniert.
Wenn Sie 5000 Statisten hätten, wären Sie
nie im Leben vor 2 Uhr nachmittags fertig, wenn alle schon völlig erschöpft sind. Oder wenn Sie 200 Pferde gleichzeitig brauchen.
Digitale Effekte sind nur ein Hilfsmittel für solche Fälle. Die 650 Statisten kann ich digital zu 10.000 oder 170.000 Soldaten vermehren. Sie werden digital geklont, einzeln und in Gruppen, damit es nicht aussieht, wie in einem Videospiel. Und Sie brauchen es, um die Spuren der Gegenwart, Strommasten oder Autos wegzuretuschieren.
Wir haben
ansonsten nichts digitalisiert, Außenaufnahmen sind Außenaufnahmen. Wir haben gar nicht in irgendeinem Studio gedreht. Wir hatten sie nur in Reserve, als Ausweichsets. wenn es zum Beispiel so schlechtes Wetter gegeben hätte, dass wir Außen nicht hätten drehen können – dann hätten wir einen Ort gehabt, wo wir hätten drehen können.
artechock: Worauf also kommt es beim Filmemachen an?
Scott: Filmemachen ist wie Schachspielen. Jeder Zug muss gut überlegt sein. Man muss immer ein paar Züge voraus denken, auf alles Mögliche gefasst sein. Viele Leute begreifen immer noch nicht, dass Film eine echte Industrie ist. Man denkt, da sind ein paar Leute, die Champagner trinken, kurz »Action!« rufen, und dann in einen Nachtklub gehen. Alles Quatsch: Wir arbeiten wir die Hunde. Wir arbeiten härter, als die meisten Leute. Wir sind eine
echte Industrie. Überlegen Sie sich, wie klein Hollywood ist – ein Dorf, höchstens eine Kleinstadt. Und doch befindet sich dort die zweitgrößte Industrie der USA.
Mit jedem Film versuche ich, die Zuschauer an Orte zu bringen, wo sie noch nicht waren. Im Kino geht es nicht um platte Schönheit, sondern um Wahrheit, Echtheit.
artechock: Als nächstes werden Sie, mit dem gleichen Drehbuchautor, „Blood Meridian“ verfilmen, den berühmten Roman von Cormac McCarthy, der zur Zeit der Eroberung des Wilden Westens spielt. Das ist, wie viele Ihrer Filme, wie auch Kingdom of Heaven wieder eine düstere Story, die von der Selbstzerstörung der Zivilisation handelt.
Scott: Das Buch ist fantastisch, aber sehr schwer zu verfilmen. Es ist leicht, etwas zu adaptieren, aber man muss einen Grund finden, warum es gemacht werden muss. Dieser Film ist für mich die größte Herausforderung von allen meiner Filme.