»Ich versuche, Bilder zu machen, die man noch nie gesehen hat« |
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Import/Export |
Mit Hundstage wurde der Österreicher Ulrich Seidl vor sechs Jahren berühmt und gewann in Venedig den »Silbernen Löwen«. Seidl mischt Dokumentation und Spielhandlung zu einer unverwechselbaren Filmsprache, die ebenso provoziert wie fasziniert. Import/Export ist sein neuester Film.
Mit Ulrich Seidl sprach Rüdiger Suchsland
artechock: Ihre Zusammenarbeit mit dem Gus Van Sant-Kameramann Ed Lachman ist neu. Wie kam es zu der?
Ulrich Seidl: Ed Lachman ist auf meine Filme aufmerksam gemacht worden, mochte die sehr. Er war dann vor einigen Jahren in Wien, und da haben wir uns kennen gelernt. Ich bin an ihn heran getreten, und habe ihn gefragt, und er hat spontan ja gesagt. Wiewohl er wusste, dass er lange nicht das Honorar bekommen kann, was er in den USA gewohnt ist. Und dass ich sehr wenig technischen Lichtaufwand betreibe – nahezu keinen – und er aber derjenige sein wird, der für das Licht zuständig sein wird – aber mitunter mag es auch ein Reiz für ihn gewesen sein, mit wenigen Mitteln etwas zu erzeugen. Und ich glaube, es war für ihn auch letztendlich eine tolle Erfahrung, zu sehen, dass ich gewohnt bin, bei meinen Filmen lichttechnisch mit ganz wenig auszukommen und trotzdem für das Kino, für die große Leinwand zu arbeite.
artechock: Was hat Sie daran gereizt, ihn zu wählen?
Seidl: Mich hat daran gereizt, ihn zu wählen als einen Menschen, der viel Erfahrung gesammelt hat in seinem Leben als Kameramann. Weil er ja auch mit europäischen Größen zunächst gearbeitet hat, mit Wenders, Herzog und dann mit einer ganzen Reihe von amerikanischen so genannten Independent-Filmern. Und ich habe gedacht: Natürlich interessiert mich das, was der kann und mit einbringen kann.
artechock: Import/Export ist aus meiner Sicht der erzählerischste ihrer Filme. Was war das Grundkonzept und die Grundidee, vor allem auch visuell? Es mag ohne viel zusätzliches Licht gearbeitet sein, aber die Bilder sind sehr sorgfältig komponiert…
Seidl: …was sie in meinen Filmen ja immer sind…
artechock:…was sie immer sind, ja. Aber mich hat der Film mehr als andere – das kann an mir liegen, kann ja auch ein Fehler sein – an europäische Malerei erinnert. Ich weiß nicht, ob Malerei für Sie eine Rolle spielte?
Seidl: Wenn sie eine Rolle spielte, dann eine unbewusste Rolle. Aber natürlich versuche ich bei jedem Film – und vielleicht ist es bei diesem auffallend – mit Bildern zu erzählen, also filmisch zu erzählen – das ist mir ganz wichtig. Ich versuche auch, Bilder zu machen, die man noch nie gesehen hat, die ich selber noch nie gesehen habe, die für mich neu sind, und die mit einem Bild auch etwas erzählen.
artechock: Es geht Ihnen in Ihren Filmen also um ungesehene Bilder? Kann man es auf diese Formel bringen?
Seidl: Nicht, dass das sozusagen als Credo für die Arbeit des Films gestanden wäre. Aber das ist für mich in jedem Moment wichtig, würde ich sagen: Dort wo ich bin, dort wo ich drehe, Bilder zu finden, die neu sind.
artechock: Warum Import/Export? Das ist ja nicht nur der Titel, sondern das Subthema des Films, es ist die Bewegung der beiden Hauptfiguren, und das Verhältnis, das sie zur Welt haben. Man kann auch von Ausbeutung, von wechselseitigen Ausbeutungsverhältnissen sprechen…
Seidl: Zunächst ist dies ja ein sehr zeitgemäßes Thema, ein sehr modernes Thema, was Europa anbelangt. Zum einen, zum anderen war ich immer daran interessiert, im Osten zu drehen. Mir sind die Länder des europäischen Ostens sehr nahe. Ich habe sehr viele Reisen dorthin gemacht, und es war mir ein Bedürfnis, dort etwas zu drehen. Die eine Geschichte meines Films, die von Pauli, einem österreichischen Arbeitslosen, den es auf der Suche nach Arbeit dann in die Ukraine verschlägt, basiert auf einer wahren Begebenheit: Vor vielen Jahren, als ich Zur Lage gedreht habe, einen Film mit mehreren Regie-Kollegen zur Lage Österreichs, habe ich in Wien eine siebenköpfige Familie gefunden, in der alle arbeitslos waren, auch die erwachsenen Kinder. Ich habe damals ein Portrait über diese Familie gedreht, das aber dann nie gezeigt worden ist – aber es war dann die Basis für eine Spielfilmsache.
artechock: Ihre Formulierungen sind interessant. Sie sprechen nicht davon, etwas zu erzählen, etwas zu zeigen, sondern Sie sagen, Sie »finden« eine Familie. Ihre Hauptdarsteller sind Laien. Wie erklären Sie Ihren Figuren, nicht allein, wie sie das technisch machen, sondern vor allem, was sie da spielen? Was das für ein Film werden wird? Ich vermute mal: Die kannten Ihre Filme vorher nicht…
Seidl: Was die Olga, die die Ukrainerin spielt, anbelangt: Die kannte meine Filme natürlich nicht. Die Olga habe ich in der Ukraine gefunden, und ich wollte für die Besetzung der Olga jemanden finden, der noch nie im Westen war. Der auch keine andere Sprache konnte, als ihre Muttersprache, und der nicht jetzt auch Kiew kommt, sondern aus der Provinz. Darum habe ich sie ausgewählt. Beim Pauli weiß ich jetzt nicht so genau, ob der einen Film von
mir kannte.
Ich glaube auch, dass das letztendlich gar nicht ausschlaggebend ist. Letztendlich geht es darum: Wie findet man zu einem Ergebnis, bei dem man auf der einen Seite sehr genau weiß, was man machen möchte, was man erzählen möchte, wo man geschriebene Szenen vor sich hat, und auf der anderen Seite einen Menschen, der etwas spielen soll, und von dem man auch will, dass er sich möglichst persönlich einsetzt und einbringt, und von dem man auch persönliche Dinge miteinbezieht
in die Rollenfindung und in die Szenen.
artechock: Sie erwähnen geschriebene Szenen. Die Dialoge oder die Sätze, die gesprochen werden, sind also immer ausgeschrieben? Ich dachte, Sie arbeiten anders…
Seidl: Es gibt keine Dialoge, die ich schreibe. Alle Dialoge sind improvisiert. Es bleibt die Sprache der Darsteller, der Schauspieler erhalten.
artechock: Wenn Sie sagen, Sie »finden« eine Figur… Ich weiß, dass Sie auch Recherchen machen, dass Sie durch Nachtlokale, durch Orte gehen, die man dann auch im Film sieht – angefangen von der Disco, bis hin zu Krankenhäusern. Was heißt: »die Figur finden«? Es ist ja kein Casting im regulären Sinn, wie das meistens die Filmindustrie macht. Oder doch?
Seidl: Irgendwie doch. Das würde mich überfordern. Ich hätte auch gar nicht die Zeit, alleine unterwegs zu sein und Leute zu finden. Für Import/Export haben wir 1500 Leute gecastet. Das bedarf natürlich einiger Mitarbeiter. Und es ist so, dass ich mich in den Casting-Prozess erst ein wenig später einschalte. Die Basis schaffen Mitarbeiter von mir. Also es
werden Leute auf der Straße angesprochen zum Beispiel. Oder man sucht in dem Milieu, in dem man vermutet, dass man die Leute finden wird, Lehrlingsheime oder Schulen, oder Szenekneipen, oder was auch immer. Und bei Pauli war das eben die Straße. Und ich beschäftige mich dann mit einer Auswahl von Leuten, die ich dann immer wieder sehe, die ich treffe, oder mit denen was probiere oder einfach mit ihnen Dinge unternehme, um sie kennenzulernen, und um überhaupt herauszufinden, ob wir
zusammenfinden.
Und das letztendlich ist natürlich auch der andere Teil, also dass der Schauspieler auch mitbekommt, worauf ich hinauswill.
artechock: Ich war in der Pressevorführung in Cannes. Und dort war es zumindest so, dass es an manchen Stellen Lacher gab, bei denen ich dachte, die gehören da jetzt eigentlich nicht hin. Wenn Sie das erleben: Sind Sie da glücklich, oder speziell unglücklich, oder ist Ihnen das egal? Gibt es eine richtige, oder eine falsche Reaktion des Publikums?
Seidl: Ich weiß, dass es immer wieder so ist, dass Menschen bei bestimmten Szenen lachen – was ich gut finde, und das möchte ich auch –, und andere können dabei nicht lachen, sind verärgert, weil der Nachbar lacht. Ich finde, das sagt nur etwas über den Humor der Menschen aus, der eben sehr unterschiedlich ist, und so ist das eben auch.
Aber ich versuche ja auch selber, Humor in meinen Filmen sozusagen zu verwenden. Ich denke,
auf der anderen Seite zeige ich auch »Schreckliches« – unter Anführungszeichen –, und es ist auch wichtig, dass man lachen kann.
artechock: Ja. Aber es gibt ja, wie wir wissen, verschiedene Arten von Lachen. Es gibt das Lachen mit jemandem, und es gibt das Lachen über ihn.
Seidl: Das liegt in der Verantwortung des Zuschauers. Er muss das selber für sich wissen. Und es gibt auch ein befreiendes Lachen. Was glaube ich bei mir oft stattfindet ist, dass das, was man sieht, peinlich ist für jemanden, für sich selber peinlich ist – und die Reaktion ist Lachen. Ob er sich deswegen bewusst ist, oder nicht, das ist eine andere Geschichte.
Auf jeden Fall ist es nicht so, dass ich Menschen zeige, die man
auslachen soll, sondern ich zeige Szenen, die mitunter lustig sind. Weil man natürlich ja im Leben auch manches nur bewältigen kann, indem man darüber lacht.
artechock: Das sehe ich auch so. Ich bin über manches immer wieder irritiert, wenn ich Ihre Filme sehe, und denke, das ist ja auch kein Schaden.
Die Frage ist natürlich auch, in welchem Zusammenhang man einen Film sieht. Und jetzt – das betrifft mich selbst genau so, wie die, über die ich jetzt rede: Wenn wir dann in Cannes in der Pressevorführung sind, dann ist das akademisches Volk, professionelles Volk, gehobener Mittelstand, also nicht die Leute, die Sie da hauptsächlich zeigen, die zumindest ihre Hauptfiguren sind.
Zumindest mir stellt sich da die Frage: Lachen da die Leute nicht über die »Unterschicht«, das Prekariat – nennen wir es mal so –, also das, was sie nicht sind. Ist das nicht ein Lachen, das sich erhebt über die anderen, das sich distanziert. Ist das, verschärft gesagt, ein ausbeutendes Lachen? Wenn dem o wäre, vermute ich dass Ihnen das nicht angenehm sein dürfte.
Seidl: Das kommt vor, immer wieder, das weiß ich. Und diese Leute, die sich darüber erheben, sind dann oft auch die Gegner meiner Filme. Weil sie auf der anderen Seite dann so eine moralische Schutzhaltung einnehmen, für die Darsteller, die sie zwar auslachen, aber von denen sie finden, dass die nicht verstanden haben, was mit ihnen passiert. Und dann kommen die Vorwürfe an mich. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Leute das Milieu persönlich gar nicht kennen, das hier dargestellt wird, dass sie aber darüber urteilen. Dass sie urteilen über jemanden, der sich so und so gibt oder zeigt. Ich weiß aber auch, dass es genau so ist, und das derjenige, der das so darstellt, damit aber auch gar kein Problem hat. Weil es so ist. Und weil er selber weiß, dass es so ist.
artechock: Also: Ihr Figuren erzählen in Ihren Filmen auch etwas über ihr eigenes Leben?
Seidl: Auch. Ja. Ja. Aber ganz egal, ob das Schauspieler sind, oder nicht Schauspieler. Auch bei den Schauspielern versuche ich in die Rolle das einzubringen, was jemand auch ist.
artechock: Ja. Ok. Darüber muss ich jetzt nachdenken.
[Pressefrau schaltet sich ein: »Eine Frage noch.«]
Seidl: [Lacht lauthals]. Da muss man sehr wohl überlegen...
artechock: Ja, da kommt jetzt nicht der eine goldene Schuss...
Seidl: Also zwei.
artechock: Ok. Sagen wir mal so: Wie stellen Sie eigentlich sicher, dass Sie Ihre Figuren, ohne dass Sie es wollen, dann doch ausstellen und ausbeuten, preisgeben?
Seidl: Also, ich glaube, dass ich lange genug Filme mache und lange genug Erfahrung habe – das hat aber auch gar nix mit meinem Beruf zu tun. Das hat eigentlich damit zu tun, wie ich als Mensch bin –, dass ich insofern das Richtige mache. Letztendlich würden diese Filme auch nicht diese Wege machen und nicht diesen Erfolg haben, wenn es anders wäre. Weil das wäre anders einfach zu billig und zu kurzfristig.
artechock: Wenn jemand Ihren Film, diesen Film und Hundstage und darin zum Beispiel die Sexszenen als Pornos konsumieren würde – hätte er dann Unrecht? Dürfte er das? Wäre das furchtbar für Sie, oder im Bereich des Zulässigen?
Seidl: Ich glaube, die Szenen, die Sie angesprochen haben, sind ja keine Szenen, die man lustvoll schaut. Ich glaube ja, dass man darin vielleicht gebeutelt wird, weil die Szenen demaskierend sind. Sie zeigen etwas, worauf wir vielleicht gerne unser Augenmerk hinrichten, weil uns das anzieht. Aber im selben Moment wird man auch zurückgestoßen. Wenn’s das nicht wäre, dann würde der Film so nicht bestehen können.