18.10.2007

»Ich versuche, Bilder zu machen, die man noch nie gesehen hat«

Szenenbild Import/Export
Import/Export

Ausbeutung, Lachen, Filme: Regisseur Ulrich Seidl unplugged über Import/Export

Mit Hundstage wurde der Öster­rei­cher Ulrich Seidl vor sechs Jahren berühmt und gewann in Venedig den »Silbernen Löwen«. Seidl mischt Doku­men­ta­tion und Spiel­hand­lung zu einer unver­wech­sel­baren Film­sprache, die ebenso provo­ziert wie faszi­niert. Import/Export ist sein neuester Film.

Mit Ulrich Seidl sprach Rüdiger Suchsland

artechock: Ihre Zusam­men­ar­beit mit dem Gus Van Sant-Kame­ra­mann Ed Lachman ist neu. Wie kam es zu der?

Ulrich Seidl: Ed Lachman ist auf meine Filme aufmerksam gemacht worden, mochte die sehr. Er war dann vor einigen Jahren in Wien, und da haben wir uns kennen gelernt. Ich bin an ihn heran getreten, und habe ihn gefragt, und er hat spontan ja gesagt. Wiewohl er wusste, dass er lange nicht das Honorar bekommen kann, was er in den USA gewohnt ist. Und dass ich sehr wenig tech­ni­schen Licht­auf­wand betreibe – nahezu keinen – und er aber derjenige sein wird, der für das Licht zuständig sein wird – aber mitunter mag es auch ein Reiz für ihn gewesen sein, mit wenigen Mitteln etwas zu erzeugen. Und ich glaube, es war für ihn auch letzt­end­lich eine tolle Erfahrung, zu sehen, dass ich gewohnt bin, bei meinen Filmen licht­tech­nisch mit ganz wenig auszu­kommen und trotzdem für das Kino, für die große Leinwand zu arbeite.

artechock: Was hat Sie daran gereizt, ihn zu wählen?

Seidl: Mich hat daran gereizt, ihn zu wählen als einen Menschen, der viel Erfahrung gesammelt hat in seinem Leben als Kame­ra­mann. Weil er ja auch mit europäi­schen Größen zunächst gear­beitet hat, mit Wenders, Herzog und dann mit einer ganzen Reihe von ameri­ka­ni­schen so genannten Inde­pen­dent-Filmern. Und ich habe gedacht: Natürlich inter­es­siert mich das, was der kann und mit einbringen kann.

artechock: Import/Export ist aus meiner Sicht der erzäh­le­rischste ihrer Filme. Was war das Grund­kon­zept und die Grundidee, vor allem auch visuell? Es mag ohne viel zusätz­li­ches Licht gear­beitet sein, aber die Bilder sind sehr sorg­fältig kompo­niert…

Seidl: …was sie in meinen Filmen ja immer sind…

artechock:…was sie immer sind, ja. Aber mich hat der Film mehr als andere – das kann an mir liegen, kann ja auch ein Fehler sein – an europäi­sche Malerei erinnert. Ich weiß nicht, ob Malerei für Sie eine Rolle spielte?

Seidl: Wenn sie eine Rolle spielte, dann eine unbe­wusste Rolle. Aber natürlich versuche ich bei jedem Film – und viel­leicht ist es bei diesem auffal­lend – mit Bildern zu erzählen, also filmisch zu erzählen – das ist mir ganz wichtig. Ich versuche auch, Bilder zu machen, die man noch nie gesehen hat, die ich selber noch nie gesehen habe, die für mich neu sind, und die mit einem Bild auch etwas erzählen.

artechock: Es geht Ihnen in Ihren Filmen also um unge­se­hene Bilder? Kann man es auf diese Formel bringen?

Seidl: Nicht, dass das sozusagen als Credo für die Arbeit des Films gestanden wäre. Aber das ist für mich in jedem Moment wichtig, würde ich sagen: Dort wo ich bin, dort wo ich drehe, Bilder zu finden, die neu sind.

artechock: Warum Import/Export? Das ist ja nicht nur der Titel, sondern das Subthema des Films, es ist die Bewegung der beiden Haupt­fi­guren, und das Verhältnis, das sie zur Welt haben. Man kann auch von Ausbeu­tung, von wech­sel­sei­tigen Ausbeu­tungs­ver­hält­nissen sprechen…

Seidl: Zunächst ist dies ja ein sehr zeit­ge­mäßes Thema, ein sehr modernes Thema, was Europa anbelangt. Zum einen, zum anderen war ich immer daran inter­es­siert, im Osten zu drehen. Mir sind die Länder des europäi­schen Ostens sehr nahe. Ich habe sehr viele Reisen dorthin gemacht, und es war mir ein Bedürfnis, dort etwas zu drehen. Die eine Geschichte meines Films, die von Pauli, einem öster­rei­chi­schen Arbeits­losen, den es auf der Suche nach Arbeit dann in die Ukraine verschlägt, basiert auf einer wahren Bege­ben­heit: Vor vielen Jahren, als ich Zur Lage gedreht habe, einen Film mit mehreren Regie-Kollegen zur Lage Öster­reichs, habe ich in Wien eine sieben­köp­fige Familie gefunden, in der alle arbeitslos waren, auch die erwach­senen Kinder. Ich habe damals ein Portrait über diese Familie gedreht, das aber dann nie gezeigt worden ist – aber es war dann die Basis für eine Spiel­film­sache.

artechock: Ihre Formu­lie­rungen sind inter­es­sant. Sie sprechen nicht davon, etwas zu erzählen, etwas zu zeigen, sondern Sie sagen, Sie »finden« eine Familie. Ihre Haupt­dar­steller sind Laien. Wie erklären Sie Ihren Figuren, nicht allein, wie sie das technisch machen, sondern vor allem, was sie da spielen? Was das für ein Film werden wird? Ich vermute mal: Die kannten Ihre Filme vorher nicht…

Seidl: Was die Olga, die die Ukrai­nerin spielt, anbelangt: Die kannte meine Filme natürlich nicht. Die Olga habe ich in der Ukraine gefunden, und ich wollte für die Besetzung der Olga jemanden finden, der noch nie im Westen war. Der auch keine andere Sprache konnte, als ihre Mutter­sprache, und der nicht jetzt auch Kiew kommt, sondern aus der Provinz. Darum habe ich sie ausge­wählt. Beim Pauli weiß ich jetzt nicht so genau, ob der einen Film von mir kannte.
Ich glaube auch, dass das letzt­end­lich gar nicht ausschlag­ge­bend ist. Letzt­end­lich geht es darum: Wie findet man zu einem Ergebnis, bei dem man auf der einen Seite sehr genau weiß, was man machen möchte, was man erzählen möchte, wo man geschrie­bene Szenen vor sich hat, und auf der anderen Seite einen Menschen, der etwas spielen soll, und von dem man auch will, dass er sich möglichst persön­lich einsetzt und einbringt, und von dem man auch persön­liche Dinge mitein­be­zieht in die Rollen­fin­dung und in die Szenen.

artechock: Sie erwähnen geschrie­bene Szenen. Die Dialoge oder die Sätze, die gespro­chen werden, sind also immer ausge­schrieben? Ich dachte, Sie arbeiten anders…

Seidl: Es gibt keine Dialoge, die ich schreibe. Alle Dialoge sind impro­vi­siert. Es bleibt die Sprache der Darsteller, der Schau­spieler erhalten.

artechock: Wenn Sie sagen, Sie »finden« eine Figur… Ich weiß, dass Sie auch Recher­chen machen, dass Sie durch Nacht­lo­kale, durch Orte gehen, die man dann auch im Film sieht – ange­fangen von der Disco, bis hin zu Kran­ken­häu­sern. Was heißt: »die Figur finden«? Es ist ja kein Casting im regulären Sinn, wie das meistens die Film­in­dus­trie macht. Oder doch?

Seidl: Irgendwie doch. Das würde mich über­for­dern. Ich hätte auch gar nicht die Zeit, alleine unterwegs zu sein und Leute zu finden. Für Import/Export haben wir 1500 Leute gecastet. Das bedarf natürlich einiger Mitar­beiter. Und es ist so, dass ich mich in den Casting-Prozess erst ein wenig später einschalte. Die Basis schaffen Mitar­beiter von mir. Also es werden Leute auf der Straße ange­spro­chen zum Beispiel. Oder man sucht in dem Milieu, in dem man vermutet, dass man die Leute finden wird, Lehr­lings­heime oder Schulen, oder Szene­kneipen, oder was auch immer. Und bei Pauli war das eben die Straße. Und ich beschäf­tige mich dann mit einer Auswahl von Leuten, die ich dann immer wieder sehe, die ich treffe, oder mit denen was probiere oder einfach mit ihnen Dinge unter­nehme, um sie kennen­zu­lernen, und um überhaupt heraus­zu­finden, ob wir zusam­men­finden.
Und das letzt­end­lich ist natürlich auch der andere Teil, also dass der Schau­spieler auch mitbe­kommt, worauf ich hinaus­will.

artechock: Ich war in der Pres­se­vor­füh­rung in Cannes. Und dort war es zumindest so, dass es an manchen Stellen Lacher gab, bei denen ich dachte, die gehören da jetzt eigent­lich nicht hin. Wenn Sie das erleben: Sind Sie da glücklich, oder speziell unglück­lich, oder ist Ihnen das egal? Gibt es eine richtige, oder eine falsche Reaktion des Publikums?

Seidl: Ich weiß, dass es immer wieder so ist, dass Menschen bei bestimmten Szenen lachen – was ich gut finde, und das möchte ich auch –, und andere können dabei nicht lachen, sind verärgert, weil der Nachbar lacht. Ich finde, das sagt nur etwas über den Humor der Menschen aus, der eben sehr unter­schied­lich ist, und so ist das eben auch.
Aber ich versuche ja auch selber, Humor in meinen Filmen sozusagen zu verwenden. Ich denke, auf der anderen Seite zeige ich auch »Schreck­li­ches« – unter Anfüh­rungs­zei­chen –, und es ist auch wichtig, dass man lachen kann.

artechock: Ja. Aber es gibt ja, wie wir wissen, verschie­dene Arten von Lachen. Es gibt das Lachen mit jemandem, und es gibt das Lachen über ihn.

Seidl: Das liegt in der Verant­wor­tung des Zuschauers. Er muss das selber für sich wissen. Und es gibt auch ein befrei­endes Lachen. Was glaube ich bei mir oft statt­findet ist, dass das, was man sieht, peinlich ist für jemanden, für sich selber peinlich ist – und die Reaktion ist Lachen. Ob er sich deswegen bewusst ist, oder nicht, das ist eine andere Geschichte.
Auf jeden Fall ist es nicht so, dass ich Menschen zeige, die man auslachen soll, sondern ich zeige Szenen, die mitunter lustig sind. Weil man natürlich ja im Leben auch manches nur bewäl­tigen kann, indem man darüber lacht.

artechock: Das sehe ich auch so. Ich bin über manches immer wieder irritiert, wenn ich Ihre Filme sehe, und denke, das ist ja auch kein Schaden.
Die Frage ist natürlich auch, in welchem Zusam­men­hang man einen Film sieht. Und jetzt – das betrifft mich selbst genau so, wie die, über die ich jetzt rede: Wenn wir dann in Cannes in der Pres­se­vor­füh­rung sind, dann ist das akade­mi­sches Volk, profes­sio­nelles Volk, gehobener Mittel­stand, also nicht die Leute, die Sie da haupt­säch­lich zeigen, die zumindest ihre Haupt­fi­guren sind.
Zumindest mir stellt sich da die Frage: Lachen da die Leute nicht über die »Unter­schicht«, das Prekariat – nennen wir es mal so –, also das, was sie nicht sind. Ist das nicht ein Lachen, das sich erhebt über die anderen, das sich distan­ziert. Ist das, verschärft gesagt, ein ausbeu­tendes Lachen? Wenn dem o wäre, vermute ich dass Ihnen das nicht angenehm sein dürfte.

Seidl: Das kommt vor, immer wieder, das weiß ich. Und diese Leute, die sich darüber erheben, sind dann oft auch die Gegner meiner Filme. Weil sie auf der anderen Seite dann so eine mora­li­sche Schutz­hal­tung einnehmen, für die Darsteller, die sie zwar auslachen, aber von denen sie finden, dass die nicht verstanden haben, was mit ihnen passiert. Und dann kommen die Vorwürfe an mich. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Leute das Milieu persön­lich gar nicht kennen, das hier darge­stellt wird, dass sie aber darüber urteilen. Dass sie urteilen über jemanden, der sich so und so gibt oder zeigt. Ich weiß aber auch, dass es genau so ist, und das derjenige, der das so darstellt, damit aber auch gar kein Problem hat. Weil es so ist. Und weil er selber weiß, dass es so ist.

artechock: Also: Ihr Figuren erzählen in Ihren Filmen auch etwas über ihr eigenes Leben?

Seidl: Auch. Ja. Ja. Aber ganz egal, ob das Schau­spieler sind, oder nicht Schau­spieler. Auch bei den Schau­spie­lern versuche ich in die Rolle das einzu­bringen, was jemand auch ist.

artechock: Ja. Ok. Darüber muss ich jetzt nach­denken.
[Pres­se­frau schaltet sich ein: »Eine Frage noch.«]

Seidl: [Lacht lauthals]. Da muss man sehr wohl überlegen...

artechock: Ja, da kommt jetzt nicht der eine goldene Schuss...

Seidl: Also zwei.

artechock: Ok. Sagen wir mal so: Wie stellen Sie eigent­lich sicher, dass Sie Ihre Figuren, ohne dass Sie es wollen, dann doch ausstellen und ausbeuten, preis­geben?

Seidl: Also, ich glaube, dass ich lange genug Filme mache und lange genug Erfahrung habe – das hat aber auch gar nix mit meinem Beruf zu tun. Das hat eigent­lich damit zu tun, wie ich als Mensch bin –, dass ich insofern das Richtige mache. Letzt­end­lich würden diese Filme auch nicht diese Wege machen und nicht diesen Erfolg haben, wenn es anders wäre. Weil das wäre anders einfach zu billig und zu kurz­fristig.

artechock: Wenn jemand Ihren Film, diesen Film und Hundstage und darin zum Beispiel die Sexszenen als Pornos konsu­mieren würde – hätte er dann Unrecht? Dürfte er das? Wäre das furchtbar für Sie, oder im Bereich des Zuläs­sigen?

Seidl: Ich glaube, die Szenen, die Sie ange­spro­chen haben, sind ja keine Szenen, die man lustvoll schaut. Ich glaube ja, dass man darin viel­leicht gebeutelt wird, weil die Szenen demas­kie­rend sind. Sie zeigen etwas, worauf wir viel­leicht gerne unser Augenmerk hinrichten, weil uns das anzieht. Aber im selben Moment wird man auch zurück­ge­stoßen. Wenn’s das nicht wäre, dann würde der Film so nicht bestehen können.