Horrorfilme sind eine Antwort auf unsere Gegenwart |
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»Marcus Stiglegger (* 1971) ist ein in Deutschland lebender und arbeitender, österreichischer Publizist, Professor für Filmwissenschaft, Filmemacher und Musiker.« (Wikipedia) |
Als Filmwissenschaftler gehört Marcus Stiglegger zu jener in Deutschland besonders seltenen Spezies, die jeder bei einer Partyeinladung besonders interessant findet, in öffentlichen Debatten aber offenbar lieber nicht erleben möchte. Denn Filmtipps lässt man sich von ihnen gern geben, aber selbst in einer Talk-Show erscheinen sie dem Mainstream risikoreich. Dabei hätte Stiglegger, der schon von Beruf wegen nahe an Zeitgeist und Popkultur dran ist, zu vielen Debattenthemen
Interessantes beizutragen. Stiglegger, Jahrgang 1971, lehrt fest in Berlin und oft an anderen Universitäten. Er wuchs in Mainz auf, promovierte dort 1999 mit einer Arbeit über »Faschismus und Sexualität im Film« (in zweiter, erneuerter Auflage unter dem Titel „SadicoNazista. Geschichte, Film und Mythos“; Hagen-Berchum 2015), habilitierte sich 2006 mit einer
„Seduktionstheorie“ des Films („Ritual und Verführung“; Berlin 2006). Gerade hat er den zweiten Band seiner „Grenz-Trilogie“ veröffentlicht: „Grenzüberschreitungen“ unternimmt „Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte“, vor allem ins
Horrorkino. Dies interpretiert er konsequent im Wechselverhältnis zu den kulturellen und politischen Rahmenbedingungen seiner Entstehungszeit.
Mit Stiglegger, der unermüdlich publiziert, zwischen Lehraufträgen, Tagungen und gelegentlichen Urlauben unterwegs ist, traf ich mich bereits im August auf halber Strecke zwischen Berlin und Mainz, im recht zeitgemäß ausgestatteten Bahnhofscafé von Hannover zu einem Gespräch über sein neues Buch und über das Kino, bei dem
man Ort und Zeit schnell vergessen konnte.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: »Grenzüberschreitungen. Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte« ist der zweite Band deiner „Grenztrilogie“. Was war die Idee deines Buches?
Marcus Stiglegger: Die Idee des Buches war, das Populäre des Genres und Genrekinos zu reflektieren, aber aus einem Bewusstsein der Tradition. Das ist eine Erfahrung, die ich gemacht habe: Dass das Bewusstsein für Filmgeschichte verloren geht.
artechock: Um mal nicht gleich kulturpessimistisch anzufangen – das werde ich dann auch noch selber – aber es ist ja so, dass die Älteren immer beklagen, dass je älter sie werden, immer mehr des Wissens ihrer Jugend verlorengeht. Da sollten wir beide realistisch sein.
Die Siebziger, die zur Zeit unser beider Kino-Sozialisation dann vielleicht zwei, drei oder zehn Jahre her waren, die sind heute halt 40 bis bald 50 Jahre her. So wie damals das Kino der 30er und der 40er Jahre. Krasser Gedanke, aber so war es.
Und seien wir ehrlich: Was wussten wir Mitte, Ende der Achtziger über das Kino der 30er und der 40er Jahre? Du bestimmt mehr als ich, aber... mal im Ernst! Man kann es ja auch so herum sehen.
Die die heute überhaupt an Filmgeschichte interessiert sind, die kennen doch immerhin auch die neunziger Jahre schon ganz gut, das Post-Millennium-Kino sowieso; und wenn sie noch etwas interessierter sind eignen sie sich dann Stück für Stück auch historisches Wissen an. Das ging uns genauso.
Die Referenzen in deinem Buch kommen nun zum großen Teil vor allem aus den 70er und 80er Jahren, also deiner Jugend und der Zeit unmittelbar davor...
Stiglegger: Ja, das stimmt. Schwerpunkt ist die Wahrnehmung, die man so in den 80er Jahren hatte. Die Fernsehwahrnehmung vor allem und dann durch das Sammeln von Filmen auf Heimmedien, VHS-Kassetten vor allem. die abenteuerlichen Besuche von Videotheken sind in unvergesslicher Erinnerung. Da haben wir dann Schätze gesucht. Man versuchte natürlich auch Videotheken zu finden, deren Programm sich in Grenznähe befand, wo man auch
die in Deutschland nicht zugänglichen Sachen fand.
Aber andererseits hat mein filmgeschichtliches Bewusstsein schon relativ früh bis in die 30er und 20er Jahre zurückgereicht. Ich habe Geschichte immer wichtig gefunden und sehr früh angefangen, Filmliteratur zu lesen – die „Klassiker des Horrorfilms“ (von William Everson) im
Goldmann-Verlag zum Beispiel, oder die Bände der Heyne-Filmbibliothek.
artechock: So etwas gab es damals!
Stiglegger: Norbert Stresaus Buch über Horrorfilme war ein Buch, das den Stummfilm mitbehandelte und die Idee vermittelte: Auch das ist wertig. Und ich bin dann auch mit zwölf Jahren als Schüler in Matineen von Stummfilmen gegangen – Das Cabinet des Dr. Caligari, Der Student von Prag – das gab es damals noch im Mainzer Capitol-Kino.
Von daher war meine Wahrnehmung des Mediums Film immer eine Parallele aus aktuellem Kinoprogramm, den Klassikerprogrammen der öffentlich-rechtlichen Fernseh-Sender, Heimmedien und den Wiederaufführungen älterer Filme im Programmkino.
Ich habe einen Großteil meiner Jugend und Pubertät im Kino verbracht und vor dem Fernseher.
artechock: Ich vor allem vor dem Fernseher. Bis ich 15, 16 war, war Kino etwas Besonderes, eine Ausnahme, wenn ich mal in der Stadt war – das geht schon damit los, dass ich nicht in der Stadt sondern im S-Bahn-Bereich von Frankfurt aufgewachsen bin. In dem Ort wo ich aufwuchs, gab es nur ein Kino mit einem Saal, da lief dann zehn Wochen lang Gandhi, im Main-Taunus-Zentrum gab es auch nur zwei Säle mit Mainstream.
Also der Ort der Cinephilie war das Fernsehen. Da liefen zum Beispiel in den frühen 80er Jahre die Dracula-Filme mit Christopher Lee... „Der phantastische Film“...
Stiglegger: Ja, genau! Die Reihe „Der phantastische Film“ war eine richtige Generationen-Erfahrung, die, glaube ich, für viele, mit denen man redet, die heute zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, prägend war – das waren die Filme, auf die man sich gefreut hat. Zu denen man als Jugendlicher Bilder und Texte aus Programmzeitschriften ausschnitt und sammelte. Informationen waren damals ja noch kaum verfügbar. Ohne
Internet, vernünftige Filmlexika und ausreichend Literatur. Von wem war nochmal Der Rattengott? Man schnitt also Programmhinweise aus der Fernsehzeitschrift aus.
Es gab kein Buch darüber, denn es waren ja auch mitunter richtige Deutschland-Premieren. Die Reihe „Der phantastische Film“ hatte damals für diese Generation eine unglaubliche Bildungsfunktion. Weil sie die Klassiker mit den modernen Klassikern zusammengebracht hat.
artechock: Seit wann würdest du sagen, nimmt man eigentlich die B-Movies so ernst wie die Kunstfilme?
Meine Filmbildung begann um 1980 mit dem Abonnement der Zeitschrift „Cinema“.
Stiglegger: Bei mir auch.
artechock: Um 1980 wurde die Grenze zwischen Kunstkino, A-Mainstream und B-Movie endgültig sinnlos. Ich denke gerade an Roman Polanski, der ja diese Grenze schon in den sechziger Jahren ignoriert.
Stiglegger: Absolut! Rosemary’s Baby ist 1967 der Film, mit dem der moderne Horrorfilm in Amerika einsetzt. Weil er die Alltagserfahrung zusammenbringt mit klassischen Gothic-Horror-Motiven, dem „Haunted House“, das durch den Vorbesitzer mit einem Fluch beladen ist. Der aber dann natürlich nicht als Geist auftaucht, sondern
dessen Geist latent präsent ist und auf die Gemeinschaft in diesem Haus einwirkt.
Das sind Bemühungen gewesen, die aus der Generation von Polanski gekommen sind: Man wollte im Prozess der Modernisierung diese Dinge – das Verdrängte, das Unbewusste, Motive der Romantik – ernster nehmen.
Man muss verstehen lernen, dass gerade Genrekino etwas reflektieren kann, was andere Filme nicht so leicht reflektieren können. Und man sich Aspekten filmisch nähern kann, die dort
zuvor keinen Platz hatten – wie in diesem Fall zum Beispiel Schwangerschaftsängste.
Das wäre ja zunächst vielleicht der Stoff für einen Bergman-Film gewesen. Interessanterweise gibt es meines Wissens keinen Bergman-Film darüber. Aber das ist ein tiefenpsychologisches Phänomen, in dem die Visualisierung der Ängste möglich ist. Das hat ein ungeheuer metaphorisches Potential.
Das hat Polanski recht früh begriffen.
Interessanterweise ist er ja am Konzept der
Parodie gescheitert: Tanz der Vampire war ja nicht erfolgreich.
artechock: Findest du ihn denn gut?
Stiglegger: Nee.
artechock: Als Kind musste man den lustig finden, wenn er im Fernsehen kam, aber ich fand ihn auch nie lustig.
Stiglegger: Ja, er ist sehr spröde und irgendwie funktioniert er nicht. Andererseits: Wenn Polanski das Genre richtig ernstgenommen hat, ist er zu enormen Höhen aufgestiegen. Denken wir an Ekel.
Der legitime Erbe dieses Ansatzes war dann William Friedkin mit The Exorcist. Ein Modernist, ein gebildeter Regisseur, der von der Literatur kommt, ein Proust-Verehrer, der dann sagt: »Ich bin kein Christ, aber ich drehe diesen jesuitisch-christlichen Horrorstoff als wäre alles real.« Also er dreht Horror mit nahezu dokumentarischen Mitteln im ganz großen Stil – und das Ergebnis war einer der erfolgreichsten Filme jener Jahre.
artechock: Wie weit ist das neue Kino der 70er aber auch ein Produzentenkino? Produzenten wie Roger Corman und Robert Evans haben Regisseure zusammengebracht, Stoffe vorgeschlagen, eine anregende Struktur geschaffen...
Stiglegger: ... die sich dann zu New Hollywood formt. Andererseits war New Hollywood ja nur das eine: Parallel dazu gab es den Indie-Film, vertreten durch Regisseure wie George Romero, der in Pittburgh um 1968 seine eigene Produktion begonnen hat.
Kurz nach Rosemaries Baby führte Romero die Modernisierung des Horrorgenre einen Schritt
weiter, und erweiterte das Horrormodell zum Gesellschaftsmodell: Diese neuen Indie-Filme spiegeln ganz grundsätzliche Phänomene der amerikanischen Gesellschaft dieser Zeit: Vietnam-Erfahrungen, die Morde an den Kennedys, und an den Schwarzenführern Malcolm X und Martin Luther King und der Watergate-Skandal gaben den Anlass für hochattraktive Paranoiafilme wie 1973 The Crazies. Daraus entstand der moderne Zombiefilm.
Nehmen wir Dawn of the Dead von 1978: Der wurde auch in Deutschland instinktiv verstanden. Ich erinnere mich daran, als ich ein Kind war, und hörte, diese Art von Horror war so erfolgreich gewesen, dass man in den Kinos Klappstühle dazu stellen musste, um alle Zuschauer unterzubringen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass diese Art von Horrorfilmen eine derartige Resonanz haben. Die Filme der
70er Jahre-haben einen Nerv der Gesellschaft ihrer Zeit getroffen.
artechock: Was würdest du sagen: War das Aufkommen dieses Kinos eine Reaktion auf einen Wandel des Zeitgeists, der Gesellschaft? Oder ist es eine Reaktion auf Veränderungen der Produktionsverhältnisse? Auf den Zusammenbruch des Hollywood-Studiosystems in den sechziger Jahren?
Stiglegger: Wenn das schon so auf dem Tisch liegt, würde ich natürlich sagen: Beides! Für das Horrorgenre ist es hier sehr wichtig, dass das Kino das klassischen Familienpublikum ans Fernsehen verloren hat. Daraufhin orientiert sich das Filmemachen neu auf jüngere Zuschauer-Schichten und andere Verbreitungsformen.
Es gab die Drive-In-Kinos und Autokinos für ein jüngeres Publikum...
artechock: Die Teenager und Twens hatten Autos, gingen abends allein aus, und wollten auch eigene Erlebnisse, eine eigene Jugendkultur, die der All-American-Culture der Eltern entgegengesetzt war. Horror war Counter-Culture, galt nicht mehr als „abstoßend“ und „pervers“...
Stiglegger: Genau. So entstanden auch die Wellen der „Midnight-Movies“ und „Grindhouse“-Filme – das wurde plötzlich interessant. All das richtete sich im Laufe der Sechziger, vielleicht sogar schon Ende der Fünfziger an ein jüngeres Publikum.
Ende der Sechziger trug das dann mit einigen Vorläufern auch künstlerisch zunehmend Früchte. Zu diesem Kontext muss man auch I was a Teenage
Werewolf von 1957 dazurechnen [Regie Gene Fowler Jr., mit dem später vor allem aus dem Fernsehen („Bonanza“ und „Unsere kleine Farm“) bekannten Michael Landon in der Hauptrolle] und die Filme von Herschell Gordon Lewis. Das sind ja frühe Hybride aus verschiedenen jugendaffinen Genres: Highschool-Filme, Sportfilme, Surf-Filme, Horrorfilme. Die verschiedenen Dinge kommen dann zusammen und bilden ein neues attraktives Kino für ein neues Publikum.
In
den Siebzigern steigt dann die Tendenz, dass das Kino das metaphorische Potential des Horrors entdeckt, für gesellschaftlich fundierte Ängste einzustehen. Das findet man ganz klar bei Friedkins The Exorcist. Der ist so bewusst politisch! Mit Ellen Burstyn zu drehen, die hier gewissermaßen in einem Agit-Prop-Film spielt. Der Generationenkonflikt zwischen Mutter und Tochter ist genauso
wichtig wie das ungeborene Leben in Rosemaries Baby. Gesellschaftspsychologische Konflikte werden vom Film dann nochmal anders wahrgenommen und ernst genommen.
artechock: ...Ich bin nicht sicher, ob das jetzt schon die ganze Antwort auf meine Frage war...
Stiglegger: Du hast recht, vielleicht müsste man nochmal auf eine Sache eingehen: Die Idee gesellschaftlicher Konflikte im großen Stil. Der Generationenkonflikt der Nachkriegszeit, das zunehmende Empfinden, dass in den Gesellschaften des Westens Eltern ihre Kinder nicht mehr verstehen, verschärfte sich ja durch die Counter-Culture, die eine ganze Gegenkultur präsentierte. Plötzlich hatten nicht nur Eltern und Kinder Konflikte,
sondern die Gesellschaft miteinander.
Nach den Morden an Kennedy und den Schwarzen-Führern, mit dem Vietnamkrieg und dem Fortschreiten des Kalten Kriegs hatte man ein gesteigertes Misstrauen in die Regierung. Das kulminierte im Watergate-Skandal.
artechock: Ich hätte meine eigene Frage wohl so beantwortet, dass ich mich ganz auf Seiten der Kultur geschlagen hätte, und argumentiert hätte, dass der Zusammenbruch der Studios auch bereits eine Folge dessen gewesen ist, was man seit den sechziger Jahren als „Krise Amerikas“ und „Krise des Westens“ beschreibt: Verlust des Glaubens an die eigenen Narrative, die Erschütterung des American Dream durch seine Ernüchterung und eine Gegenkultur, die ja nicht zuletzt durch das Kino erst breitenwirksam wird. Auf den Leinwänden entdeckte die Jugend des Westens andere Musik, andere Werte, andere Lebensformen, die eigene in Frage stellten.
So wie du es jetzt beschrieben hast, könnte man glauben, dass das Kino gewissermaßen nur reaktiv ist: Es spiegelt nur immer das wieder, was in der Gesellschaft sowieso passiert.
Stiglegger: Ja, das wäre so eine Art Siegfried-Kracauer-Idee aus filmsoziologischer Perspektive... [Lacht]
artechock: Lassen wir mal den Kracauer beiseite, und ob er das so gesagt hat – gegen Kracauer-Exegese ist ja natürlich nichts zu sagen. Aber nun hat ja der Film auch eine Art Eigenpotential. Er ist umgekehrt auch ein Medium, das die Gesellschaft verändert.
Man könnte in mancher Hinsicht doch auch sagen, dass die politischen Veränderungen der sechziger Jahre erst auf das Kino überhaupt zurückzuführen sind: Auf das was die Gegenkultur, auch Musik, Literatur und so weiter schon seit den fünfziger Jahren in die Köpfe tragen...
Stiglegger: Ja, aber das ist ja ein Prozess, der sich gegenseitig bedingt, bei dem sehr schwer der Quotient Null auszumachen ist.
Natürlich hat der Film Easy Rider verdammt viel ausgelöst. Andererseits ist er umgekehrt aus sehr vielen Tendenzen entstanden: Die Hells Angels wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegründet und beeinflussten
auch die Vorläufer von Easy Rider: Den Marlon-Brando-Film The Wild One (1953), Roger Cormans The Wild Angels mit Peter Fonda und Nancy Sinatra von 1967 – das alles spiegelt eine Tendenz, die in der Gesellschaft da
war, für die auch ein Publikum da war.
Also ich gebe dir recht, würde aber immer betonen: Es ist immer ein wechselseitiger Prozess. Der kann sich intensivieren, wenn Regisseure wie Romero zum Beispiel ihre Metaphern beharrlich weiterentwickeln. Ich würde bei dem Begriff der Metapher bleiben. Horrormotive sind metaphorisch in ihrer Reaktion, in ihrer Antwort, die sie auf gesellschaftliche Phänomene geben. Das ist etwas, was das Horrorgenre aus heutiger Sicht
hochinteressant macht. Damals wurde es noch unterschätzt.
artechock: Das heißt: Du liest Horrorphänomene wie es Kracauer auch getan hätte, als Spiegel des kollektiven Unbewussten.
Stiglegger: Um es zu vereinfachen: Ja.
artechock: Gibt es denn dann etwas – das muss man dann dazu fragen –, wo du rückblickend feststellen kannst: Da haben Filme sehr deutlich auf etwas voraus verwiesen, das erst später ins allgemeine Bewusstsein trat?
Stiglegger: Ich denke, das ist in den apokalyptischen Filmen Mitte bis Ende der 70er Jahre, die gerade Cronenberg und Romero gedreht haben, schon gegeben. Die Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenbruchs, die dort überspitzt werden, auch die medizinischen und biologischen Ursachen, denen wir darin begegnen, die wuchernde technologische Weiterentwicklung, der „creative cancer“ bei Cronenberg, seine Idee des
„New Flesh“ sind Phänomene, die vorausweisen. Ob das „neue Fleisch“ nun das verrottende Fleisch der Zombies und heutigen Obdachlosen bedeutet – das ist eine Verbindung, die heute ungern gesehen wird, die aber offenkundig ist – oder andererseits die Tumore manche neuen Krankheiten der Gegenwart vorwegnehmen.
Im Grunde hat die Metapher der Transformation, auch der Körper-Horror-Transformation aus diesen Filmen eine prophetische Qualität.
»Grenzüberschreitungen: Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte« Martin Schmitz Verlag 2018
Der erste Band von Stiglegger „Grenztrilogie“ heißt: »Grenzkontakte: Exkursionen ins Abseits der Filmgeschichte« und ist 2016 im gleichen Verlag erschienen.
Inzwischen gibt es auch den Abschluss der Grenztrilogie:
»Jenseits der Grenze: Im Abseits der Filmgeschichte« erschienen im Oktober 2019 im Martin Schmitz Verlag