»Ich bin Dramatiker, kein Historiker« |
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Schlachtenlenker: Stone am Set von Alexander |
Seit 25 Jahren gilt Oliver Stone, 63, als einer der besten Filmregisseure der USA. der mehrfach Oscar-prämierte Regisseur ist immer auch ein politischer Provokateur mit einer Vorliebe für brisante, umstrittene Stoffe. Mit dem Vietnam-Drama Platoon wurde er bekannt, später widmete er sich in JFK und Nixon immer wieder der
Zeitgeschichte. Zuletzt drehte Stone drei Dokumentationen: Über den Nahostkonflikt und über Fidel Castro. Jetzt kommt sein Film Alexander ins Kino, eine opulente Darstellung des Lebens Alexanders des Großen.
Das Interview führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Ist bei Alexander alles so geworden, wie sie wollten?
Oliver Stone: Ich liebe Filme so sehr, aber ich hasse den Prozess der Fertigstellung. Was immer Sie über den Film denken – ich werde immer besser. Amerika ist, was mich angeht sehr polarisiert. Ich kenne das seit 15 Jahren: »Er ist zurück!«; »Er ist verrückt!«; »Das ist alles Mist!«; »Was für ein interessanter Mist!« – immer das Gleiche.
artechock: Erstmals beschäftigen Sie sich mit älterer Geschichte, Ihre anderen Filme handeln von Ereignissen, die Sie selbst in irgendeiner Form miterlebt haben...
Stone: Ich liebe Geschichte, sie hat mich immer interessiert. Aber ich bin Dramatiker, kein Historiker. Alles was ich tun kann, ist mit Leuten zu sprechen, zu lesen, alles herauszufinden, was ich kann – und dann muss ich meine Fähigkeiten als Regisseur einsetzen. Wir wissen nicht viel über Alexander den Großen
Erst drei, vier Generationen nach ihm entstanden die ersten vier, fünf antiken Texte über ihn, die man heute noch kennt.
Maximal drei dieser römischen Autoren waren die einzigen, die noch Originalmanuskripte einsehen konnten, die aus Alexanders Zeit stammen, oder unmittelbar nach Alexanders Tod entstanden. Unter ihnen die Erinnerungen des Ptolemäus, die in meinem Film eine wichtige Rolle spielen, die Erinnerungen seines Architekten, viele Schriften seiner Soldaten – sie alle befanden sich in der Bibliothek von Alexandria, die später abbrannte.
artechock: Haben Sie sich diesem Thema gegenüber freier gefühlt, als gegenüber der Kennedy-Ermordung, oder Nixon?
Stone: Ja, auf alle Fälle. Kennedy und Nixon sind Themen, die in Amerika viele Emotionen wecken. Der Film NIXON hat nicht viel Geld eingespielt, weil die Leute wegblieben – es ist offenbar ein zu düsteres Thema. Auch um Alexander wird es Kontroversen geben. Das kann ich garantieren. Denn der Film handelt von zu vielen modernen Themen. Selbst Mütter werden ihre Kommentare geben: Es gibt da ja eine sehr starke Mutter-Sohn-Beziehung, Vater-Sohn-Beziehung. Und dann wird es eine große Frage sein, ob ich Alexander glorifiziere.
artechock: artechock: Sie haben es schon erwähnt: Es gibt viele Lücken in Alexanders Biographie. Sie füllen sie mit eigenen Interpretationen
Stone: Ja, es gibt sehr viel Interpretation in diesem Film. Es ist dramatisierte Geschichtsschreibung. Zum Beispiel die Figur der Roxane. Über die Gründe ihrer Heirat mit Alexander weiß man fast nichts.
Nichts Geschriebenes ist darüber erhalten. Ich habe die Idee postuliert, dass das ein sehr wichtiger politischer Akt war: Zehn Jahre war Alexander unverheiratet – das war schon sehr ungewöhnlich. Und dann heiratete er weder
eine Mazedonierin, noch eine Tochter des Perserkönigs Dareiros. Sondern die Tochter eines Bergstammes. Das kann nur zwei Gründe gehabt haben: Entweder war er tatsächlich sehr verliebt. Oder er war – wie so oft – von einer mythologischen Idee besessen: Der Verschmelzung mit dem anderen, asiatischen Kontinent. Er bekam erst nach drei Jahren einen Sohn mit ihr – das war ebenfalls sehr ungewöhnlich.
Nehmen Sie dann seine Beziehung zu seinem Freund Hephaistion. Es
war eine sehr enge Freundschaft, vielleicht Liebe.
Warum starb Alexanders überhaupt? Er starb nur acht Monate nach Hephaistions Tod. Das ist eine sehr starke Geschichte. Wir können über Alexanders Gefühle nur spekulieren. Starb er an gebrochenem Herzen? Durch Hephaistions Tod?
Oder darüber, dass ihm seine Soldaten in Indien die Gefolgschaft verweigert hatten? Bei der Schlacht von Molton riskierte er sein Leben – es wirkt wie Todessehnsucht. Er wurde dort schwer
verwundet. Ein Pfeil durchdrang seine Lunge. Ich wollte diese Schlacht nicht drehen, weil ich nicht zu viele Schlachten drehen konnte. Darum zog ich die Ereignisse zweier indischer Schlachten zu einer zusammen.
artechock: Wie schätzen Sie die Beziehung Alexanders zu seiner Mutter ein?
Stone: Sehr schwer zu sagen. Es gibt keine klare Antwort: Ja, sie liebten sich sehr. Aber diese Liebe war sehr destruktiv.
Sie liebte ihn leidenschaftlich, und sie wollte ihn zum Größten machen. Wie viele Mütter. Sie sagte ihm: »Wenn Deine Kameraden längst nur noch als Schatten in der Unterwelt existieren, wird man sich an Dich noch für viele Jahrhunderte erinnern als an den jungen Alexander den Großen.« Sie hat ihn zu dieser Größe
getrieben. Sie gab ihm seinen Optimismus auf den Weg: »Greif Dir die Welt!«
Der Vater Philip von Mazedonien vererbte ihm hingegen seinen Pessimismus. Und damit die notwendige Stärke, die unterschwellige Grausamkeit, den grundsätzlichen Pessimismus der griechischen Seele. Den Alexander aus meiner Sicht durchbrochen und überwunden hat. Er wurde mehr als sein Vater.
Ich nenne ihn »den letzten Griechen«, als Metapher dafür, dass seine Herrschaft das Ende der antiken griechischen Welt bedeutet. Mit ihm mündete die griechische
Welt in etwas anderes, neues, in das gewaltige Imperium, dass er geformt hat. Mit ihm begannen Ost und West ihre vielfältige Wechselbeziehung.
Nach seinem Tod herrschten – trotz der Diadochenkämpfe – über hundert Jahre Prosperität und Boom. Man kann mit guten Gründen sagen, dass die Römer viele Ideen von Alexander aufgegriffen und in ihrem Imperium weitergeführt haben – allerdings auf andere Weise. Aber die Beziehung zwischen Römern und Griechen ist eine andere
Geschichte.
Die Beziehung zu Hephaistion war vielleicht die wichtigste emotionale Beziehung seines Lebens. Sein Verlangen, alle Grenzen und alle Welten zu transzendieren – ob die Grenzen der Sexualität, der Moral, der Götter. Alexander erscheint mir als ein Mann, der sich ganz und gar seinem Idealismus verschrieben hatte. Er sagte seinem Vater, dass Achilles und Prometheus seine Vorbilder seien – mythische Helden also.
Es gibt so viele Möglichkeiten diese Figur
und den Film zu verstehen: Der Film folgt den Spuren seines Lebens, versucht eine Art Psychohistorie Alexanders zu bieten.
Vielleicht wurde er von seinen Generälen getötet – es gibt ein paar gute Motive dafür. Ptolemäus nennt sie in dem Film: »Alle Träumer müssen am Ende sterben.« – Vielleicht ist die eigentliche Geschichte: Er verlangte zuviel von seinen Mitmenschen, er wollte zuviel. Die Träumer töten mit ihren zerplatzten Träumen.
Auf der anderen Seite sind es die Träumer, die die Geschichte vorantreiben. Also: Gut oder Schlecht – Alexander veränderte den Gang der
Geschichte und manche hassten ihn dafür. Und er veränderte die Welt mit erst 26 Jahren. Das ist auch ein Aspekt des Themas: Junge Menschen werden zu Herren der Welt. Ich kann das gar nicht alles zusammenfassen!
»Am Ende zählt nur, was man getan hat.« sagt er einmal. Er ist ein Mann des Intellekts und er ist ein Tatmensch.
artechock: Wenn Sie Alexander mit den anderen Politikern vergleichen, über die Sie Filme gemacht haben, auch mit Arafat oder Castro, über die Sie mehrere Dokumentationen gedreht haben: Wo sehen Sie Parallelen und wo Unterschiede?
Stone: Castro ist auch ein Mann des Intellekts und er ist ein Tatmensch. Ich will ihn nicht mit Alexander vergleichen, aber er weiß viel über Alexander. Ich habe ihn getroffen, weil ich die Gelegenheit hatte, ihn zu sehen und zu filmen – und es waren ein paar wundervolle Tage in Cuba.
Natürlich ist es immer interessant, sich mit Menschen an der Macht zu beschäftigen. Und wann immer man sie im Leben trifft, denkt man auch an historische Vorbilder, vergleicht, wägt ab.
Der Hauptunterschied zwischen Castro und Alexander liegt vielleicht in den unterschiedlichen Voraussetzungen: Castro konnte deshalb kein Alexander werden, weil er nicht die entsprechende Macht hinter sich hatte.
Der zweite große Unterschied: Castro starb nicht früh und wurde zur Ikone – wie Alexander oder auch Che Guevara. Er konnte und musste sehen, wie seine Träume alterten, was aus ihnen geworden ist. Und es ist schwerer, weiterzuleben. Und dabei »die Revolution« zu verkörpern, wie er es tut. Ich bewundere ihn für seine Standhaftigkeit, für das Festhalten an Ideen. Er hat sie meiner Meinung nach nicht verkauft – wie manche behaupten.
artechock: Haben alle Menschen an der Macht, haben Kennedy und Nixon, Alexander und Castro etwas gemeinsam?
Stone: Ja, sie interessieren mich. [Lacht] Was sie gemeinsam haben, ist vielleicht etwas, was ich in ihnen sehe, denn ich trage mein Bewusstsein an diese Personen heran. Kennedy, Castro, Arafat, Nixon sind Menschen, die an etwas geglaubt haben. Auch meine andere Figuren können Sie so sehen. Mich interessiert, was die Geschichte von diesem Glauben übrig gelassen hat. Was alle meine Filmhelden gemeinsam haben: Sie hatten eine Vision. Und sie sind oft mit dieser Vision gescheitert.
Alexander ist ein Idealist und ein Pragmatiker zugleich. Aber wie alle Menschen ist er korrumpiert durch seine Vergangenheit, seine Beziehungen – das ist das Wesen des menschlichen Lebens: Es erzeugt einen, es schafft erst den Charakter, der man wird, aber es zerstört einen auch. Bei Alexander ist der Kontrast zwischen dem schöpferischen und dem destruktiven Anteil besonders stark. So war es auch Richard Nixon – das war auch ein Muttersöhnchen, für den die Beziehung zur Mutter immer etwas ganz entscheidendes war.
Bei Jim Morrisson liegen die Dinge anders. Das ist ein anderes Spiel. Aber Morrisson bewunderte Alexander sehr.
Alexander wollte Achill sein, aber er ging an einem bestimmten Punkt über Achill hinaus. Er war für mich am ehesten eine Art Prometheus – er schuf eine neue Welt, mit zum Teil schrecklichen, aber auch herrlichen Folgen. Prometheus veränderte die Welt. Und er wollte ähnlich wie Alexander Freiheit.
artechock: Sie haben das Alexander-Projekt schon lange Zeit geplant. Warum hat es so lange gedauert?
Stone: Ich denke, ich hätte den Stoff früher nicht bewältigt. Ich habe ihn damals nicht verstanden. Vielleicht verstehe ich ihn heute auch nicht – aber vielleicht doch etwas besser, als früher.
Wir haben 1989/90 mit dem Drehbuch angefangen. Die Basis war Klaus Manns Novelle »Alexander« – ein seltsames, hoch interessantes Buch. 1996 hatten wir nach vielen Versionen – ich habe selbst mitgeschrieben – ein fertiges
Drehbuch, aber es hat nicht richtig funktioniert. Es war ein fünf-Akte-Film. Aber ich wollte den Film unbedingt unter drei Stunden Länge machen. Nach zehn Jahren, in denen ich viel Mist gebaut habe – ich hatte »Evita« verloren, ebenso wie andere Projekte – dachte ich: »Jetzt muss ich es machen.« Ich werde älter, wenn nicht jetzt, dann nie.
Es war auch nicht so leicht, die Geldgeber von Colin Farrell zu überzeugen. Der war zu unbekannt. Darum mussten wir den Film außerhalb
Hollywood finanzieren. Darum haben wir den Film in Deutschland, Frankreich und England finanziert. Es ist eine komplett europäische Produktion – einer der größten Independent-Filme, der je gemacht wurde. Wir hatten nicht viel Geld, konnten nur 90 Tage drehen – normal wären für so ein Projekt 120.
artechock: Hat sich Ihr Blick auf Alexander in den über zehn Jahren stark verändert?
Stone: Auf alle Fälle. Ich habe alles gelesen – ein großartiges Buch mit viel psychologischem Verständnis von Harold Lamb. Jean Benoit. Droysen. Peter Green. Robert Lane Fox. Der ist sehr streng. Der hat mich auch beraten.
Wir haben mehrere Experten von Oxford konsultiert, um zu erfahren, wie die Städte aussahen. Sie konnten sich nicht einigen. Schon über die Orte, die man kennt. Und keiner weiß, wie Baktrium oder Indien im Jahr
300 vor Christus aussah. Unmöglich.
artechock: War der alte Alexander-Film von Robert Rossum für Sie irgendwie von Nutzen?
Stone: Ein toller Film. Ich mag ihn. Nur leidet er unter einem Problem: Er erzählt seine Geschichte linear und chronologisch, weniger in Schlaglichtern, wie wir. Und schon die Verhältnisse in Griechenland waren so kompliziert… Bis man da einmal raus ist, ist der Zuschauer schon müde. Wenn Persien erobert ist, fühlt er sich endgültig erschlagen. Ich habe diese Linarität aufgegeben. Ich habe den Abschnitt über die Kindheit
Alexanders auf ein Minimum reduziert, gerade genug, um ein paar Punkte zu erklären.
Wichtig war es, mehr über Alexanders Charakter zu zeigen: er war ein weicher, mitleidiger, gefühlvoller Mann. Es wird berichtet, dass er um seine gefallenen Soldaten auf dem Schlachtfeld weinte, um seine gestorbenen Freunde sowieso.