China 2019 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Frant Gwo Drehbuch: Gong Geer, Junce Ye u.a. Kamera: Michael Liu Schnitt: Ka-Fai Cheung Darsteller: Jing Wu, Chuxiao Qu, Guangjie Li, Man-Tat Ng, Jin Mai Jaho u.a. |
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Motten statt Schmetterlinge |
Die Wege des Herrn sind unergründlich. Das gilt nicht nur für die religiöse Exegese, sondern inzwischen auch für die Filmindustrie. Sei es die Marvellisierung unserer Gegenwart oder die Kaputtkraft der Streaming-Dienste – alles vor zehn Jahren noch undenkbar. Doch selbst da gibt es bei all den Überraschungen dann doch auch noch Super-Überraschungen. Denn wer hätte am 5. Februar dieses Jahres schon vorhersehen können, dass das bis dahin ambitionierteste SF-Projekt der chinesischen Filmindustrie, Frant Gwos The Wandering Earth, nicht nur 699 Millionen Dollar allein an chinesischen Kinokassen einspielen würde, sondern damit nach Captain Marvel und Avengers: Endgame zum bislang dritterfolgreichsten Film dieses Jahres avancieren würde. Aber damit der Überraschung noch nicht genug. Denn statt eines Kinoweltstarts auch in den verbleibenden Peripherien unseres Universums, hat sich Netflix kurzerhand die Rechte für den Weltstart gesichert; seit dem 30. April ist Wandering Earth dementsprechend im Netflix-Katalog abrufbar. Bislang zwar noch nicht in deutscher, sondern nur englischer und spanischer Synchronisation, aber immerhin mit deutschen Untertiteln.
Bei all den Überraschungen und Superlativen wäre es schön, gleich noch ein paar dran zu hängen, denn irgendwie gönnt man es den Chinesen ja dann doch schon, dass sie jetzt auch noch das Filmwesen auf den Kopf stellen. Mehr noch, als einer der interessantesten Science Fiction-Autoren unserer Gegenwart, Liu Cixin, dessen erster Teil der Trisolaris-Trilogie u.a. den Hugo Award erhielt, für Wandering Earth verantwortlich ist; der Film basiert auf einer 2000 erschienenen Erzählung von Liu Cixin.
Cixin Erzählung und die filmische Umsetzung sind ein faszinierender Hybrid. Denn zum einen wird hier ein klassisches Dystopie-Drama erzählt. Die Sonne droht zu einem Roten Riesen zu werden, das Ende der menschlichen Zivilisation ist absehbar und gemeinsam versuchen die Menschen das Unmögliche: sie stoppen die Erdrotation, versehen die Erde mit gigantischen Antriebsdüsen und verlegen die Zivilisation in den Untergrund. Kaum hat die Erde ihre alte Position verlassen, verändert sich auch die Grundstimmung des Films; mehr und mehr tritt nun ein visionärer Unterton in den Vordergrund.
Doch so interessant und schillernd das Entpuppen eines derartigen Schmetterlings sein könnte, in der filmischen Adaption von Wandering Earth schwebt am Ende kein faszinierend schöner Schmetterling durch die Nacht des Weltenalls, sondern eine hässliche, tumbe Motte.
Das liegt nicht nur an einer abstrusen Dramaturgie, der man immer wieder kaum folgen kann, und die die Suspense-Momente immer wieder in der Kürze einer Inhaltsangabe vorbereitet, so dass man am Ende fast jeden Spannungsaufbaus wie der blöde Ochs vorm Tor steht und sich nur fragt, was das denn jetzt nur war. Dementsprechend funktionieren die Dialoge, die, wenn denn mal Zeit für ein paar Sätze ist, an allerschlechtestes Schultheater erinnern. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch eine unentschlossene Regie, die die Hauptdarsteller Qu Chuxiao, Li Guangjie, Ng Man-tat, Zhao Jinmai und Wu Jing mal zu trashiger Kung-Fu-artiger Bödelei (im Stil der Hongkonger Kung-Fu-Komödien der 1970er) antreibt, um sie dann wieder moderner Marvel-Helden-Ästhetik unterzuordnen.
Fast noch unerträglicher ist jedoch der im Lauf des Films zunehmend eskalierende propagandistische Unterton. Schon im visionären Teil werden Menschenmassen überraschend kommentarlos für die Rettung der Menschheit geopfert und fügen sich so willig in ihr Schicksal, wie wir es zwar aus keinem westlichen Science Fiction kennen, aber immer wieder an den politischen Maximen der gegenwärtigen Kommunistische Partei Chinas beobachten können.
Im zweiten Teil verstärkt sich dieser Eindruck noch, wird mit Sätzen umhergeschossen wie mit schweren Waffen, verrennt sich der Film immer mehr in ein Zukunftsgefühl, das lange zurückliegt. Eine Zeit, in der »Human Fiction« in der »Science Fiction« tatsächlich kaum vorkam, das aber im Rückblick immer noch als das goldene Zeitalter der Science Fiction gilt, die Zeit der 1940er und 1950er, als Autoren wie A.E. van Vogt, Isaac Asimov, E.E. Doc Smith, Ray Bradbury, Arthur C. Clark, Alfred Bester, James Blish, Robert A. Heinlein u.v.a. mit ihren Geschichten und Gedankenspielen unsere Zukunft nachhaltig beeinflussten.
Und vielleicht ist das tatsächlich der eigentliche, unheimliche Subtext von Frant Gwos The Wandering Earth – dass wir hier einen neuen Prototypen von Science Fiction sehen, der in seiner brachialen, autokratischen Handreichung einfach nur das moralische Ethos vorbereitet, um die viel zu lang aufgeschobenen Probleme unserer Gegenwart im letzten Moment dann doch noch zu lösen.