USA 2003 · 135 min. · FSK: ab 12 Regie: Spike Lee Drehbuch: David Benioff Kamera: Rodrigo Prieto Darsteller: Edward Norton, Philip Seymour Hoffman, Barry Pepper, Rosario Dawson u.a. |
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Edward Norton |
Ein Gang durch die Straßen Manhattans. Wohlhabend ist das Viertel, in dem Monty Brogan seinen Hund ausführt, in den Cafés sitzen gutgelaunte Menschen. Man folgt einem Besuch in der alten Schule, dem Treffen mit einem Freund, dann mit Montys schöner Lebensgefährtin Naturelle, mit dem Vater in dessen irischer Kneipe, dann, später wieder mit Freunden. Es könnte dies die Beschreibung eines unbeschwerten Tages sein, doch jedes dieser Treffen ist ein Abschied. Es wird Nacht über New York, und Nacht über dem Leben von Monty Brogan.
Monty, von Edward Norton sehr zurückgenommen und mit insistierender Traurigkeit gespielt, ist Drogendealer, kein ganz kleiner Fisch, und deshalb hat man ihn jetzt gleich für sieben Jahre eingebuchtet, nachdem er verpfiffen wurde. Am nächsten Morgen muss er seine Haftstrafe antreten, und wenn er einst wieder herauskommt, wird nichts, auch er selbst, mehr so sein, wie zuvor. Spike Lees 25th Hour nach David Benioffs Roman erzählt von Montys letzten 24 Stunden in Freiheit.
Er zieht Bilanz, lässt die wichtigsten Momente, Orte und Personen seines Lebens noch einmal durch seinen Kopf ziehen. Ein Film der vom Tod und dem Sterben handelt, und damit von der Liebe zum Leben, das einer bald verlassen muss. Der Tod ist hier zwar »nur« ein sozialer, doch könnte er schnell auch physisch werden: Monty ahnt, was ihm, dem weichen, wohlerzogenen, jungen Mann im Knast der harten Jungs alles blühen könnte, und weil er dies schon in Gedanken nicht erträgt, denkt er sogar daran, sich zu töten.
Aber dieses auch von Mitleid und Hass durchzogene Selbstverhältnis tritt zurück gegenüber den Menschen, die ihm wichtig sind. The 25th Hour ist noch mehr ein Film über Vertrauen und Verrat; über Montys Zweifel an seiner Freundin, denn er hält es für möglich, dass sie der Polizei den entscheidenden Tip gab, und über seine beiden ungleichen Freunde. Der eine, Frank (Barry Pepper) stammt wie Monty aus kleinbürgerlich irischem Milieu, und ist als Börsenmakler reich, aber auch kalt geworden. Jacob (in wunderbarer, wenn auch inzwischen ein wenig gewohnter Lebensuntüchtigkeit: Philip Seymour Hoffman) von Haus aus wohlhabend, ist ein Highschool-Lehrer, der sich fast wie eine Art Professor Unrat unserer Tage, den Reizen einer seiner Schülerinnen (gleichfalls grandios: Oscarpreisträgerin Anna Paquin) kaum entziehen kann.
Vemittelt durch all diese Personen bietet Spike Lee die eindringliche Momentaufnahme der Atmosphäre seiner Heimatstadt. Denn mehr als alles andere ist dies ein Film über das Post-11.September-New York. Das verhärtete Ich des Helden ist erst einmal eine Schockreaktion. Doch es löst sich Stück für Stück auf, und genau indem Lee beides – Verhärtung und Wiederöffnung, Schuld und Sühne – zeigt, ohne dass die zu späte Einsicht zum Happy End führen könnte, ist er ehrlich und vermeidet Klischees. Ein Film, in dem der gelegentlich zum Moralisieren neigende Lee auf schnelle Wahrheiten, »die« Wahrheit gar, verzichtet.
Die Tristesse und Melancholie, die den Film durchziehen, werden als allgemeines Lebensgefühl des Augenblicks etabliert. Die Zeichen sind unübersehbar: Schon im Vorspann zeigte der Regisseur eindrücklich die riesige Lichtinstallation, die die Konturen des verschwundenen World Trade Center für einige Wochen noch einmal in den Himmel wachsen ließen, man entdeckt Verweise auf gestorbene Feuerwehrleute, blickt von oben auf Ground Zero. Untermalt von eindringlicher Musik ist The 25th Hour eine New-York-Nocturne, ein Traumstück, das Anspielungen auf Western und Film Noir zu einer hymnischen Liebeserklärung an die Stadt verschmelzen lässt, dabei Wunden nicht maskiert. Bis zum Ende konzentriert sich der Film aufs Fragen und Offenhalten, verzichtet auf vorschnelle Antworten.
Voller visueller und dramaturgischer Intelligenz gelingt Spike Lee ein prägnant erzähltes, reifes Zeitportrait, eine kluge Parabel über das Amerika der Gegenwart.