Großbritannien/Spanien 2007 · 100 min. · FSK: ab 18 Regie: Juan Carlos Fresnadillo Drehbuch: Rowan Joffe, Juan Carlos Fresnadillo, Enrique López Lavigne Kamera: Enrique Chediak Darsteller: Robert Carlyle, Rose Byrne, Jeremy Renner, Catherine McCormack, Amanda Walker u.a. |
||
Erschreckend vielschichtig |
Es gibt das sonderbare Paradoxon, dass ausgerechnet im Genre des Horrorfilms, welchen man gemeinhin ja als billigen und oberflächlichen Nervenkitzel für ein anspruchsarmes (und vor allem jugendliches) Massenpublikum betrachtet, wie in kaum einer anderen Filmgattung gedeutet, analysiert und interpretiert wird.
In Horrorfilmen spiegeln sich (nach Ansicht zahlloser »Analysten«) u. a. politischen Situationen, gesellschaftliche Entwicklungen, moralische und ethische Fragen, philosophische Themen, Aspekte echter und vermeintlicher Wissenschaft und natürliche das ganze weite Spektrum der Psychoanalyse.
Für diese Deutungswut gibt es verschiedene mögliche Erklärungen.
Eine tief greifende (und somit selber in die (be)deutungsschwere Richtung gehende) ist die, dass Angst eine der ältesten und stärksten Emotionen des Menschen ist und man zur ihrer Überwindung deshalb versucht, allem was uns Angst macht einen Grund bzw. Sinn zu geben.
Vielleicht hat es auch etwas mit unserem Unterbewusstsein, unseren verdrängten Ängste oder unserem Über-Ich zu tun (man vgl. hierzu The Pervert’s Guide to Cinema mit Slavoj Zizek).
Eine etwas profanere (aber nicht weniger wahrscheinliche) Erklärung wäre die, dass Horrorfilm vor allem von (horror)filmbegeisterten Männern jüngeren und mittleren Alters konsumiert und öffentlich besprochen werden. Gerade diese Personengruppe neigt in ihrer Begeisterungsfähigkeit aber dazu, selbst einzelne Fußballspiele oder bestimmte Autos philosophisch bzw. psychologisch zu deuten.
Unzweifelhaft ist, dass sich vor allem solche Horrorfilme zur (Über)Interpretation eignen, die auch allgemein cineastisch als gelungen gelten können, während die diesbezüglich weniger guten allenfalls im Rahmen der Genrevorgaben bestehen können (ist der Film erschreckend, wie sind die Effekte, ist die Story originell, etc.)
In diesem Sinne ist 28 Weeks Later eindeutig ein sehr guter Film, da man während und nach dem Film gar nicht mehr aufhören kann, hinter der Geschichte eines monströsen Virus, das Menschen im neu bevölkerten London in Sekundenschnelle in bestialische Monster verwandelt, mehr als nur spannende Unterhaltung zu sehen.
Man denkt dabei an die aktuellen Probleme mit Tierseuchen und der Angst vor der großen Grippepandemie, man fühlt sich an den Irakkrieg, den um sich greifenden Homeland-Security-Auswüchsen und militärische »Lösungskompetenz« erinnert, man kann aber auch ein schwerpsychologisches Familiendrama, eine Reflexion über den Egoismus in unserer Gesellschaft oder eine Abrechnung mit dem allgegenwärtigen hyperaktiven Freizeit- und Sportwahn darin sehen.
Das Schöne daran ist, dass möglicherweise keine einzige dieser Aussagen in diesem Film steckt bzw. bewusst von den Machern so gewünscht war. Möglicherweise wollten sie einfach »nur« einen durch und durch packenden Horrorfilm, der den Zuschauer absolut fesselt, drehen.
Es ist nämlich auch gut denkbar, dass 28 Weeks Later für sein Gelingen mehr oder minder zwangsläufig den Vorgaben unseres Alltages folgen musste, womit man beim alten Henne/Ei-Problem der Kunst ist: Beeinflusst die Kunst die gesellschaftliche Entwicklung oder führt die gesellschaftliche Entwicklung zwangsläufig zu der sie widerspiegelnden Kunst?
Bei 28 Weeks Later heißt das zum Beispiel, dass man in den manisch herumrennenden »Infizierten« einen Verweis bzw. Kommentar auf unsere rastlose und fitnessbesessene Gesellschaft sehen kann. Vielleicht ist es heute aber auch gestalterisch unmöglich, einen spannenden Horrorfilm zu drehen, in dem die Monster herumwanken wie in Night of the Living Dead.
Womit man endlich bei dem Punkt ist, der die unzweifelhafte und undeutbare Qualität von 28 Weeks Later ausmacht, seine technische Umsetzung.
Der Regieneuling Juan Carlos Fresnadillo legt ein fast schon »beängstigend« fehlerfreien Film vor.
So orientiert er sich ganz klar an Danny Boyles Vorlage 28 Days Later, ohne aber diesen »toppen« zu wollen oder ihn einfach billig weiterzuspinnen.
Mit unglaublicher Selbstverständlichkeit bedient sich Fresnadillo aus der großen Kiste der Horrorstandards (eine kleine Gruppe in gemischter Zusammensetzung muss sich gegen einen scheinbar übermächtigen Feind behaupten und wird dabei nach und nach dezimiert, unverzichtbar dabei der wehrhafte Held und die »Horror-Queen« (hier sehr passend vertreten durch Imogen Poots als Tochter Tammy) und mittendrin das amerikanische Militär, über dessen Rolle in Horrorfilmen man größere Abhandlungen schreiben könnte), ohne dem Zuschauer auch nur einen Moment die Gewissheit zu lassen, er wüsste wie der Film weiter geht.
Hervorragend auch die Schauspielleistungen (endlich ein Wiedersehen mit Robert Carlyle), die durch den besonderen Rhythmus des Films erst richtig zum Tragen kommen.
Anstatt ein dauerhektisches Terrorszenario zu inszenieren, das die Darstellungsmöglichkeiten der Schauspieler auf die Wahl zwischen »Angst« und »Todesangst« beschränkt, wechselt 28 Weeks Later laufend zwischen ruhigen Phasen, in denen die Figuren und die Handlung Struktur bekommen und
atemlosen Spannungsszenen, die dafür sorgen, dass der Adrenalinpegel der Zuschauer nicht zu sehr sinkt.
Mit einem ähnlichen Kontrast überzeugt die Bildgestaltung, die zwischen pittoresk ruhigen Einstellungen (immer wieder beeindruckend die Bilder des menschenleeren Londons) und rasant wackeligen Handkameraaufnahmen abwechselt.
Fast überflüssig zu erwähnen, dass die gezeigten Horroreffekte auf der Höhe der Zeit sind und auch der Soundtrack seine Aufgabe als stimmungsvolle Untermalung bestens erfüllt.
Abschließend sei auf das Ende des Films hingewiesen. Obwohl es sehr verdächtig nach der Grundlage einer weitere Fortsetzung für die 28 Days/Weeks Later-Reihen riecht, ist es doch eine äußerst bösartige Schlusspointe, die das Ende von 28 Days Later fast peinlich erscheinen lässt.