Frankreich/D 2008 · 101 min. · FSK: ab 6 Regie: Claire Denis Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau Kamera: Agnès Godard Darsteller: Alex Descas, Mati Diop, Grégoire Colin, Nicole Dogué, Julieth Mars-Toussaont u.a. |
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Vater und Tochter |
Die französische Regisseurin Claire Denis, zu Unrecht hierzulande immer noch relativ unbekannt, obwohl sie schon in den 70ern als Assistentin von Wim Wenders in Deutschland arbeitete, und seitdem immer wieder gern zurückkehrt, Claire Denis also, ist als Regisseurin eine Taumelnde. Im besten Sinn. Sie bewegt sich nicht gradlinig durch ihre Stoffe, sondern schaut hierhin und dorthin, lässt sich ablenken, obwohl sie doch dabei ihr Ziel nicht aus den Augen verliert, und macht auf diese Weise wunderbare Entdeckungen. Wie in einem Kaleidoskop bekommen ihre Filme, je nachdem von welcher Seite man sie anschaut, ein immer wieder neues Gesicht. So ist 35 Rhums einerseits eine Familiengeschichte, aber auch ein Film über Freundschaft und moderne Arbeitswelten, ein Film über heiße Musik und kalte Vorstädte, ein ungewöhnlicher Paris-Film und eine ganz universale Geschichte. Es geht um Franzosen, die schwarz sind, und um Einwanderer in Frankreich, und deshalb natürlich auch um Rassismus, aber es geht auch um Liebe. 35 Rhums ist der warmherzigste, liebevollste, und mildeste Film dieser Regisseurin, die bisher immer wieder Grenzen ausgetestet und Extreme berührt hat, von Grenzgängern und Außenseitern erzählte.
Hier liegt das Ungewöhnliche unter der Oberfläche, in der Intensität der Vater-Tochter-Beziehung von Lionel (Alex Descas) und Joséphine (Mati Diop). Weil die Mutter früh starb, ist der Vater gewissermaßen auch zur Mutter für Joséphine geworden, nun aber muss sie lernen, auf eigenen Füssen zu stehen. Das erinnert nicht zuletzt an einen Film von Ozu, Late Spring, der eingebettet in die vom Krieg traumatisierte japanische Nachkriegsgesellschaft nahezu das Gleiche erzählt: Von einer Tochter, die ein wenig zur Ersatzfrau des Vaters geworden ist, weshalb der auch nicht gern auf ihre Gesellschaft verzichten möchte, obwohl er weiß, dass es gut wäre für sie. Bei Claire Denis sind die Gewichte verlagert, aber auch hier ist für die Tochter die väterliche Gesellschaft ein Schutz vor der Welt, ein Kokon, der zerrissen werden muss, obwohl das schmerzhaft ist wie oft eine Veränderung.
Vom schwarzen Milieu erzählt Denis natürlich auch, aber sie tut das ohne Sozialkritik und das übliche Moralisieren. Statt der Zwischenstufe Moral wählt Denis gleich die Politik: Es gibt Verweise auf den Kolonialismus und den antikolonialen Kampf, auf Frantz Fanon und dessen Idee der Revolte.
Aber es bleibt bei kurzen Verweisen, Angeboten. Im Zentrum bleibt die private Geschichte. Auf ihren tastenden Schritten der Abnabelung werden Vater und Tochter von anderen Mitglieder einer
Wahlfamilie begleitet: Verliebte Nachbarn, Arbeitskollegen, und eine deutsche Großmutter (Ingrid Caven). Leise, mit viel Poesie und sehr gekonnt erzählt Denis von Sehnsucht und Träumen, auch vom Schmerz – aber wie gesagt: 35 Rhums ist ein milder, ein optimistischer Film.