39,90

99 francs

Frankreich 2007 · 104 min. · FSK: ab 16
Regie: Jan Kounen
Drehbuch: ,
Kamera: David Ungaro
Darsteller: Jean Dujardin, Jocelyn Quivrin, Patrick Mille, Vahina Giocante, Elisa Tovati u.a.
Kreatives Chaos?

Der alte Preis

Wenn man Künstler über die zahl­rei­chen Schwie­rig­keiten ihrer Profes­sion reden hört, dann bleibt ein ganz funda­men­taler Aspekt, der über Gedeih oder Verderb eines Kunst­werks oder gar einer ganzen Karriere entscheiden kann, erstaun­lich oft ungenannt. Anschei­nend setzt man sich als Künstler lieber mit vermeint­lich beherrsch­baren Stör­fak­toren wie einem verfilzten Kultur­be­trieb, finan­zi­ellen Zwängen oder dem igno­ranten Publikum ausein­ander, als mit der Unbe­re­chen­bar­keit und Uner­bitt­lich­keit der Zeit bzw. des Zeit­ge­sche­hens.

Nicht nur trendiger Main­stream sondern auch große Kunst­werke können famos scheitern, wenn das, was sie beschreiben, nicht (mehr) in die momentane Zeit passt. Ein Krieg bricht aus, der Eiserne Vorhang fällt, Flugzeuge stürzen in Hoch­häuser, eine Finanz­blase platzt und schon schaut die Welt anders aus, ist die allge­meine Stimmung eine komplett andere, stellt man ganz andere Anfor­de­rungen und Hoff­nungen an die Kunst.
Der einzige Trost dabei ist, dass ein solcher Stim­mungs­um­schwung auch den unver­hofften Erfolg eines bisher »unpas­senden« Künstlers befördern kann und dass wirklich große Kunst letztlich zeitlos ist und somit die Hoffnung einer Wieder- bzw. Neuent­de­ckung zu einer anderen (nicht zwangs­läufig besseren) Zeit besteht.

Wie Kunst in den unbe­re­chen­baren Fluten des Zeit­flusses hin und her geworfen werden kann, mal oben auf schwimmt, mal fast absäuft, zeigt sich besonders markant bei Lite­ra­tur­ver­fil­mung, wie aktuell etwa bei 39,90.
Die Verfil­mung des fran­zö­si­schen Erfolgs­ro­mans aus dem Jahr 2001 trägt sein Problem mit der Zeit fast schon plakativ im Titel mit sich herum. Denn »39,90« ist die Mark-Umrech­nung/Über­set­zung des Origi­nal­ti­tels (sowohl von Buch als auch jetzt der Verfil­mung) »99 francs« und bekannt­lich sind dies zwei Währungen, die schon seit Jahren von einer anderen ersetzt wurden, die damit für eine vergan­gene Zeit stehen und die in unserem heutigen Leben kaum noch eine Rolle spielen. Dieses Unzeit­ge­mäße durch­zieht auch den Film 39,90.

Tückisch ist dabei, dass diese zeitliche Diskre­panz nicht so augen­fällig an den Tag tritt wie etwa veraltete Frisuren oder Mode, sondern subtil die (Aussage)Kraft und Brisanz des Kunst­werkes unter­gräbt.
Typisches Beispiel hierfür sind die Best­sel­ler­ver­fil­mungen eines Bernd Eichinger, die übli­cher­weise einige Jahre nach dem Buch­erfolg ins Kino kommen und dann in der verän­derten allge­meinen Stim­mungs­lage oft ein wenig depla­ziert wirken (darum mit den »Feucht­ge­bieten« nicht zu lagen warten Hr. Eichinger!!!).
Bei der Verfil­mung von Bret Easton Ellis' Skan­dal­roman »American Psycho« war es z.B. die zwischen Erscheinen von Buch und Verfil­mung liegende Serial Killer-Welle, die dafür sorgte, dass dem Film ein entschei­dender Teil seines Empörungs- und Vers­tö­rungs­po­ten­tials abhanden kam.

Bei der Verfil­mung von 39,90 ist es das Platzen der New Economy-Blase und die uner­sätt­liche Rasanz der Medien, die ihn über weite Strecken obsolet erscheinen lässt.
Das ist schade, denn formal ist der Film nicht schlecht gemacht. Die Schau­spieler sind gut, die Kame­ra­ar­beit beein­dru­ckend, die Musik­aus­wahl exquisit und der visuelle Einfalls­reichtum, der sich vielfach an der Werbewelt orien­tiert, ist (nicht wie manche Kritiker meinten genau so flach wie das was er kriti­siert, sondern) nur konse­quent und durchaus passend.
Leider verfallen alle diese positiven Punkte, wenn sich Szene an Szene reiht, die man aus dem endlosen Mahlstrom der Kunst und Medien bereits kennt, oft besser gemacht kennt oder ihrer schon lange wieder über­drüssig ist.

Da hilft es dem Film auch nichts, offensiv mit seiner Zitierwut zu koket­tieren, um somit den Eindruck erwecken zu wollen, hier einen geist­rei­chen Kommentar bzw. eine ironische Reflexion zur bild­be­ses­senen Welt zwischen Medien, Marketing und Kunst abzugeben.
Um das zu erreichen, ist die Zitie­rerei viel zu beliebig und unstruk­tu­riert, so dass man als Zuschauer nur zwischen mehr oder minder gelun­genen und wünschens­werten Erin­ne­rungen an Filme wie Fight Club, 2001 und Train­spot­ting, Musik­vi­deos wie »Come Undone« von Robbie Williams oder »Teardrop« von Massive Attack und dem alltäg­li­chen Bilder­rausch der Massen­me­dien herum­ge­stoßen wird und nie weiß, wo hier bedeu­tungs- und anspie­lungs­reich zitiert werden soll und wo dem Regisseur einfach nichts besseres einge­fallen ist.

Man kann die Crux des Films 39,90 an zwei Schlüs­sel­szenen, die sich (wie könnte es anders sein) um Werbe­spots drehen, ablesen.
In der einen Szene wird den Chefs des mächtigen Joghur­ther­stel­lers die Idee für den geplanten Werbespot vorge­stellt. Darin sollen zwei Biki­ni­schön­heiten am Strand entlang­laufen und zur allge­meinen Über­ra­schung hoch­geis­tige Gespräche führen (was natürlich eine Folge des bewor­benen Produkts ist). Der Vorstand lehnt diesen Vorschlag als zu intel­lek­tuell und hinter­sinnig ab. Die Haupt­figur Octave – und mit ihm der Film – sind sich einig, dass hier die Ursache für die über­wie­gende Dummheit der Werbung zu suchen ist. Die genialen Ideen der Kreativen haben nie eine Chance gegen die Ignoranz der Bosse und Bonzen, die zum 100.000endsten Mal das Klischee von der attrak­tiven Frau auf der Sonnen­te­rasse sehen wollen und so den Konsu­menten verblöden.

Diese Behaup­tung mag man schnell als gefühlt richtig abnicken, dumm nur, dass vor einigen Jahren im deutschen Fernsehen ein regulärer Spot nach exakt dieser Idee lief (zwei Biki­ni­schön­heiten am Pool unter­halten sich über Heisen­bergs Unschär­fe­re­la­tion). Klas­si­scher kann man vom Lauf der Geschichte gar nicht überholt werden.

Der Umstand, dass diese Idee bei genauer Betrach­tung eigent­lich ziemlich doof ist, führt gera­de­wegs zur zweiten Schlüs­sel­szene, in der Octave eine subver­sive Alter­na­tiv­fas­sung des spießigen Joghurt-Spots erstellt und als finale Abrech­nung mit dem »System« diesen Spot ins Fern­seh­pro­gramm schmug­gelt. Nachdem sich ein nicht uner­heb­li­cher Teil von 39,90 um diesen ominösen Anti-Spot dreht, ist man als Zuschauer entspre­chend auf seine Ausstrah­lung gespannt und im selben Maß enttäuscht, als er sich als lächer­li­ches, künstlich provo­kantes Kasperl­theater im Stil eines Nu Metal-Videos entpuppt.
Spätes­tens hier muss man erkennen, dass der Film in der Krea­ti­vitäts­falle steckt.
Denn um Octaves Abgesang von der Unter­drü­ckung bzw. Ausbeu­tung der Krea­ti­vität durch den Kommerz glauben zu können, müsste der Film erst einmal echte Krea­ti­vität vorführen.

Aber echte Krea­ti­vität lässt sich nun einmal nicht auf Kommando aus dem Hut ziehen (am gleichen Problem leiden übrigens auch alle Filme über geniale Musiker, geniale Maler, geniale Poeten, etc., wenn deren Genia­lität schließ­lich darge­stellt werden soll und man nicht auf ein echtes Genie zurück­greifen kann), weshalb sich 39,90 lieber darauf verlegt, seine Aussage durch mora­li­sche Posi­tionen zu unter­mauern.

Nach außen sind in diesem Film (nahezu) alle Figuren Idioten, Schweine und Kriecher. Nach innen unter­scheidet der Film sie aber in einer­seits eigent­lich ganz nette Kreativ-Schweine, die sich zwar in Sex, Drogen und asozialem Verhalten suhlen, gleich­zeitig aber auch gegen den Irrsinn des Systems anrennen und dabei tragisch scheitern (weshalb der Sex und die Drogen schon in Ordnung sind) und ande­rer­seits die wider­li­chen Finanz-Schweine, die einfach nur macht- und geldgeil sind, egal welche Menschen, Ideen oder Ideale darunter leiden.
Derart aufge­stellt, ist es dann auch egal, dass die im Film präsen­tierte Krea­ti­vität nicht über das Mittelmaß hinaus kommt. Ihr gegenüber steht schließ­lich die dunkle Macht des Geldes und der Konzerne und jeder der dagegen angeht gilt im allge­meinen Empfinden zwangs­läufig als geist­rei­cher Idealist und echter Mensch.
Zusam­men­ge­nommen ist das aber nichts anderes als mora­li­sches Erre­gungs­kino, wie es einem sonst vor allem in einseitig kriti­schen Dokus unter­kommt und wenn schließ­lich im Abspann von 39,90 vorge­rechnet wird, mit welchem Anteil am welt­weiten Werbe­budget welcher Anteil des Welt­hun­gers getilgt werden könnte, dann fehlt eigent­lich nur noch der noto­ri­sche Jean Ziegler um sich und uns über solchen Wahnsinn zu erregen.

Ironi­scher­weise liegt 39,90 zumindest mit dieser verhäng­nis­vollen Verein­fa­chung von hoch­kom­plexen Problemen ausnahms­weise voll im Trend (der Globa­li­sie­rungs­kritik). Dem zeitüber­grei­fenden Phänomen der Werbung, die ein viel­schich­tiges Binde­glied zwischen Gesell­schaft, Wirt­schaft und Kunst darstellt, kommt man dadurch nicht näher.
Gut zu wissen, dass irgend­wann die Zeit für einen Film kommen wird, der diesem Thema gerecht wird.

Sexy und geistreich

Werbung, daran sollten wir uns bitte alle erinnern, ist böse. Richtig böse. Böse, böse. 500 Milli­arden Dollar werden weltweit pro Jahr für Werbung raus­ge­schmissen, obwohl doch ein Bruchteil davon laut den Vereinten Nationen den Hunger der Welt besei­tigen könnte. Na also! Noch Fragen? Zudem ja die Werbung zumeist nur für nutzlose Produkte wirbt. Also wirklich! Ein über­be­zahlter koka­in­ab­hän­giger Pariser Yuppie ist nun von seinem furcht­baren Beruf als Werbe­texter, der ihn zwingt, anstän­dige Menschen zu mani­pu­lieren, so angenervt, dass er sich umbringt. Oder doch nicht. Oder doch. Hm. Frédéric Beig­be­ders Zeitgeist-Novelle »99 francs« – in Deutsch­land unter dem Titel »39,90« bekannt – über die Werbe­branche ist verfilmt worden – und bringt das Beste von Buch und Autor auf die Leinwand.

Um die Qualitäten des Films 99 Francs (bzw. »39,90«) zu erkennen, muss man nur einmal eine bestimmte Sorte Kritiken lesen, die den Film, wie zuvor seine Buch­vor­lage jetzt begleiten. Die nehmen all ihren Humor zusammen, spotten über »das seltene Genre Lite­ra­tur­ver­fil­mung ohne Lite­ra­tur­vor­lage«, und gebrau­chen immer wieder das schöne Wort »Overkill«, als ob das notwendig ein Vorwurf wäre: »ästhe­ti­scher Overkill aus trick­tech­ni­schen Spie­le­reien, Anima­tionen, drama­ti­schen Kame­ra­fahrten und film­ge­schicht­li­chen Refe­renzen« – klingt doch eigent­lich eher gut, oder? Oder es heißt: »Wie Werbung besteht der Film oft nur aus Verpa­ckung.« Was nur zeigt, dass der Kritiker immer noch an der längst über­holten Vorstel­lung festhält, Inhalt und Form ließen sich trennen, und dass er außerdem das Feld der Werbung miss­ver­steht. Denn Werbung ist ja keines­wegs nur Verpa­ckung von etwas anderem, sondern etwas ganz Eigenes, Selbst­stän­diges.

»Die Werbung kommt auf leisen Sohlen und beweist eine unendlich flexible Über­re­dungs­kunst, um die Mensch­heit auf den Stand der Sklaverei zu redu­zieren. Wir leben erstmals in einem Herr­schafts­system, gegen das selbst die Freiheit sich als ohnmächtig erweist. Im Gegenteil, Freiheit ist sein eigent­li­ches Lebens­eli­xier, seine genialste Erfindung. Jede Kritik stärkt seine Position und verfes­tigt den illu­si­onären Glauben an seine süßliche Toleranz. Kein System unterwarf sich die Menschen bisher mit solcher Eleganz. Das Ziel ist erreicht: Selbst Unge­horsam ist nur noch eine Form des Gehorsams.« So weit der fran­zö­si­sche Autor Frédéric Beigbeder. Aber der Reihe nach...

In den 90er Jahren machten plötzlich Typen wie Patrick Bateman Furore. Die Haupt­figur von Bret Easton Ellis' Roman »American Psycho« war der Vorreiter einer neuen Art Roman­helden: Ein in jeder Hinsicht unsym­pa­thi­scher Kerl, ein über­kan­di­delter, marken­fi­xierter Snob, ein ungemein arro­ganter Yuppie, ein wider­li­ches unin­ter­es­santes Charak­ter­schwein, und dass er sich bald auch noch als Seri­en­killer entpuppte, war dann gar nicht mehr das Wich­tigste. Man hatte »American Psycho« auch als Analogie auf sein Zeitalter zu lesen, und darum war dieser Roman so ungemein einfluss­reich. Man konnte solche im Kern ähnlichen Figuren dann in allen möglichen Texten und Filmen wieder finden, sogar in Büchern deutscher Autoren, wenn man sich zum Beispiel einmal Christian Krachts »Faserland« in Erin­ne­rung ruft. Die Helden dieser Bücher waren exem­pla­ri­sche Helden ihrer Zeit, die eines gemeinsam hatten: Sie machten unsym­pa­thi­sche Dinge, aber sie standen dazu, sie waren nicht weiner­lich. Es war das Konzept »Subver­sion durch Affir­ma­tion«: Ellis behaup­tete, die Marken­welt als einzig reale Welt lasse sich in ihrem Zynismus allen­falls durch Über­bie­tung bekämpfen.

Spätes­tens Anfang unseres Jahr­zehnts änderte sich dann alles. Viel­leicht war gar nicht einmal der für alles und jedes in Verant­wor­tung genommene »11. September« schuld, denn genau genommen ist die Verän­de­rung bereits in den Romanen von Michel Houel­l­e­becq erkennbar, aber die Terror­an­schläge und die auf sie folgende Rückkehr des Mora­li­sie­rens haben das alles noch verstärkt: Die Roman­helden sind immer noch unsym­pa­thisch, aber nun leiden sie darunter, nun hadern sie mit sich, suhlen sich in Selbst­vor­würfen und erzählen wieder die alte Geschichte von der Marken­welt als Teil eines umfas­senden Entwirk­li­chungs­zu­sam­men­hangs. Das ist die einschlägige Kritik an den »geheimen Verfüh­rern«, Adorno/Hork­hei­mers Verdikt gegen den »Rekla­me­cha­rakter der Kultur« – der hier nun aber seiner­seits wieder zum in die Marke­ting­welt einge­speisten Kulturgut wird.

Ein solcher Romanheld ist Octave Parango. In dem auto­bio­gra­phisch geprägten Roman »99 francs« des ehema­ligen Werbe­tex­ters Frédéric Beigbeder ist er ein erfolg­rei­cher Mitar­beiter einer Top-Werbe­agentur mit nach­ge­rade genialen Fähig­keiten zur Kunden­ver­füh­rung und Menschen­ma­ni­pu­la­tion. Er führt ein Leben, wie es sich viele wünschen: In schönen Hotels, an Topst­ränden oder in Metro­polen, ober­fläch­lich und hedo­nis­tisch, in jedem Arm ein hübsches Girl, ausrei­chend Drinks und Koks. Eine Frau ist schuld, dass dieses Leben und das dazu­gehö­rige Lebens­ge­fühl ins Wanken geraten: Sophie, seine große Liebe. Erst verlässt er sie, dann kehrt er zu ihr zurück, aber will dafür die Werbewelt verlassen – das stellt sich aber als schwierig heraus. Der 2001 erschie­nene Roman wirkte wie eine Mischung aus wirk­lich­keits­ge­treuer Reportage und über­drehter Satire und wurde prompt zum Welt-Best­seller, unter anderem, weil er zwar den Voyeu­rismus seines Publikums bedient, das ganze aber mit einer kräftigen Line Moral versüßt. Und der Verfasser des Schlüs­sel­ro­mans, der zuvor zehn Jahre für die Agentur »Young & Rubicam« arbeitete, war Frank­reichs neuer Lite­ra­tur­star, tingelte von nun an durch die Talkshows Europas und insze­nierte sich als sympa­thisch unauf­dring­li­cher Prophet, der vor dem Untergang des Abend­landes warnt: »Ich bin Werber. Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft«, haut das Buch schon zu Anfang auf die Moral­pauke.

Die jetzt heraus­kom­mende Buch­ver­fil­mung entpuppt sich aber als adäquate Form für den Stoff, weil sie der Welt und dem Charakter der Werbung weitaus gerechter wird als ein Buch. Zudem mit Jan Kounen (Blueberry, Other Worlds, Darshan) ein ehema­liger Werbe­filmer Regie geführt hat. Es ist ein rasanter, abge­drehter Film geworden, dessen Form glück­li­cher­weise der moral­trie­fenden Message wider­spricht: Wie ein Abend Werbe­spots durch den Mixer gedreht, eine hallu­zi­na­to­ri­sche, stylische Achter­bahn­fahrt, die viel Sinn fürs Kino hat, und die Möglich­keiten des Mediums weit mehr ausnutzt als das viele andere tun. Der kalei­do­sko­pi­sche Bilder­rausch in Hoch­glan­zäs­t­hetik und schnellen Schnitten wird unterlegt mit dem sardo­ni­schen Kommentar eines Ich-Erzählers und begleitet mit perma­nentem Stil­wechsel – als zappte man durch das Werbe­fern­sehen – begegnen einem ständig echte und falsche Werbe­spots, zitieren oder persi­flieren bestimmte Passagen Einfälle von Werbe­de­si­gnern. Oft ist das sehr, sehr lustig und gar nicht mora­lin­sauer. Etwa der ausführ­lich geschil­derte Dreh Octaves für einen Werbeclip für einen Nied­rig­ka­lo­rien-Jogurt – im Buch »Madone« in der Realität »Danone« – ist ungemein komisch, dabei sexy und geist­reich. Zuerst fällt Octave etwas Origi­nelles ein, doch sein CEO will etwas Konven­tio­nel­leres, damit die Haus­frauen vor der Glotze auch hingucken und Stück für Stück wird das Niveau nach unten geschraubt. Wer viel ins Kino geht, kennt das Problem: Der perma­nente Kampf zwischen denen, die nur ans Geld denken und den Kreativen, die eine andere Welt wollen. Es ist der Kampf zwischen Kommerz und Kunst, den Beigbeder in seinem Roman den »Dritten Weltkrieg« nennt.

Regisseur Jan Kounen wendet die Mittel der Werbe­branche gegen diese selbst. Sein Film stellt die Dummheit und abgrund­tiefe Geschmack­lo­sig­keit der Werbewelt einfach genüss­lich aus, und dann dem Publikum die Frage, warum es sich von solchem Blödsinn und solchen auch noch doofen Zynikern einfach an der Nase herum­führen lässt, warum es die Sprache der Werbung so geduldig erträgt. Diese Umdrehung des Werbe-Prinzips, also nicht »Verzicht« oder »Anti-Werbung«, sondern Werbung gegen Werbung, ist genau die Methode der Adbusters, einer Werbe-Guerilla, mit der auch Beigbeder sympa­thi­siert.

Ein letzter Aspekt ist an Buch und Film glei­cher­maßen bemer­kens­wert: Die Betrach­tung der Werbewelt und die mittrans­por­tierte Moral. Zur Moral hier eine Kostprobe des Off-Monologs der Erzähler/Haupt­figur im Film:

»Man kann alles kaufen. Die Kunst, die Liebe, den Planeten Erde, Sie und mich. Vor allem mich. Der Mensch ist ein Produkt wie jedes andere mit einem Verfalls­datum. Ich bin Werbe­fach­mann, einer von denen, die Sie von Dingen träumen lassen, die es für Sie niemals geben wird: ein ständig blauer Himmel, makellose Mädchen, perfektes Glück retu­schiert mit Photoshop. Sie glauben, ich würde die Welt verschö­nern? Falsch. Ich mache sie kaputt. Alles ist nur provi­so­risch. Die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie und Ich ...«

Begbeder setzt Werbe­schaf­fende kurzer­hand mit Hitler und Goebbels gleich: Werbung schreibt er, wurde Anfang des 20. Jahr­hun­derts von Faschisten erfunden, »Goebbels und Hitler waren geniale Texter: 'Arbeit macht frei' und 'Ein Volk, ein Reich, ein Führer'«.

Vers­tänd­lich, dass die Werbe­branche Beigbeder und jetzt auch Kounen hasst. Keinen Cent inves­tierten Frank­reichs kommer­zi­elle Privat­sender Canal plus, »TF 1« oder »M6« in den Film, es war der Kultur­kanal ARTE der ihn als Co-Produzent möglich machte.

Ganz unten

Octave ist ganz oben. Er arbeitet erfolg­reich in der Krea­tiv­ab­tei­lung einer der einfluss­reichsten Werbe­agen­turen der Welt. Octave bestimmt, was morgen Trend wird, weckt unsere Träume und zerstört sie sogleich wieder, indem er sie uns als veraltet entreißt. Doch allmäh­lich entpuppt sich seine Welt aus Sex, Party und Drogen­ex­zessen als ein insta­biles Fundament, das droht zusam­men­zu­bre­chen und ihn mit in den Abgrund zu reißen. Als ihn seine Freundin Sofie, die Person, die ihm am meisten bedeutet, verlässt, versucht er seine exis­ten­zi­elle Ruine zu verlassen.

Der Film zieht uns mit Hoch­ge­schwin­dig­keit in einen hallu­zi­no­genen Strudel der Mani­pu­la­tion, Ober­fläch­lich­keit und Sinn­lo­sig­keit, der auch beim Zuschauer Übelkeit hervor­ruft. Denn es handelt sich hier nicht nur um Octaves Welt, sondern in gewisser Weise auch um unsere eigene. Der Unter­schied besteht aber darin, dass Octave sich auf der herr­schenden Seite des Werbe­im­pe­riums befindet, während wir hilflos ausge­lie­fert auf der anderen Seite sind. Unbe­weg­lich stehen wir dem Ansturm von Rekla­me­pla­katen und Werbe­spots gegenüber, denn wo könnten wir uns auch noch verste­cken und wollen wir das überhaupt? Die Massen­prä­sen­ta­tion von Produkten nimmt uns doch die Entschei­dungen gekonnt ab, denn wer wüsste es auch besser, was das Richtige für unsere jewei­ligen Ansprüche ist?

In seinem neuen Film, eine Persi­flage auf die Welt der Werbung und deren Mittel, bedient sich Jan Kounen auch der filmi­schen Ästhetik der Werbe­spots, die uns auf komische Weise die Absur­dität dieser Welt veran­schau­licht. Viel­leicht ist dieser Film auch deshalb als Appell zu verstehen, mal wieder unseren eigenen Verstand einzu­setzen um irgend­wann die perfek­teste aller Welten zu finden!