Frankreich 2007 · 104 min. · FSK: ab 16 Regie: Jan Kounen Drehbuch: Jan Kounen, Nicolas & Bruno Kamera: David Ungaro Darsteller: Jean Dujardin, Jocelyn Quivrin, Patrick Mille, Vahina Giocante, Elisa Tovati u.a. |
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Kreatives Chaos? |
Wenn man Künstler über die zahlreichen Schwierigkeiten ihrer Profession reden hört, dann bleibt ein ganz fundamentaler Aspekt, der über Gedeih oder Verderb eines Kunstwerks oder gar einer ganzen Karriere entscheiden kann, erstaunlich oft ungenannt. Anscheinend setzt man sich als Künstler lieber mit vermeintlich beherrschbaren Störfaktoren wie einem verfilzten Kulturbetrieb, finanziellen Zwängen oder dem ignoranten Publikum auseinander, als mit der Unberechenbarkeit und Unerbittlichkeit der Zeit bzw. des Zeitgeschehens.
Nicht nur trendiger Mainstream sondern auch große Kunstwerke können famos scheitern, wenn das, was sie beschreiben, nicht (mehr) in die momentane Zeit passt. Ein Krieg bricht aus, der Eiserne Vorhang fällt, Flugzeuge stürzen in Hochhäuser, eine Finanzblase platzt und schon schaut die Welt anders aus, ist die allgemeine Stimmung eine komplett andere, stellt man ganz andere Anforderungen und Hoffnungen an die Kunst.
Der einzige Trost dabei ist, dass ein solcher Stimmungsumschwung
auch den unverhofften Erfolg eines bisher »unpassenden« Künstlers befördern kann und dass wirklich große Kunst letztlich zeitlos ist und somit die Hoffnung einer Wieder- bzw. Neuentdeckung zu einer anderen (nicht zwangsläufig besseren) Zeit besteht.
Wie Kunst in den unberechenbaren Fluten des Zeitflusses hin und her geworfen werden kann, mal oben auf schwimmt, mal fast absäuft, zeigt sich besonders markant bei Literaturverfilmung, wie aktuell etwa bei 39,90.
Die Verfilmung des französischen Erfolgsromans aus dem Jahr 2001 trägt sein Problem mit der Zeit fast schon plakativ im Titel mit sich herum. Denn »39,90« ist die Mark-Umrechnung/Übersetzung des Originaltitels (sowohl von Buch als auch
jetzt der Verfilmung) »99 francs« und bekanntlich sind dies zwei Währungen, die schon seit Jahren von einer anderen ersetzt wurden, die damit für eine vergangene Zeit stehen und die in unserem heutigen Leben kaum noch eine Rolle spielen. Dieses Unzeitgemäße durchzieht auch den Film 39,90.
Tückisch ist dabei, dass diese zeitliche Diskrepanz nicht so augenfällig an den Tag tritt wie etwa veraltete Frisuren oder Mode, sondern subtil die (Aussage)Kraft und Brisanz des Kunstwerkes untergräbt.
Typisches Beispiel hierfür sind die Bestsellerverfilmungen eines Bernd Eichinger, die üblicherweise einige Jahre nach dem Bucherfolg ins Kino kommen und dann in der veränderten allgemeinen Stimmungslage oft ein wenig deplaziert wirken (darum mit den »Feuchtgebieten«
nicht zu lagen warten Hr. Eichinger!!!).
Bei der Verfilmung von Bret Easton Ellis' Skandalroman »American Psycho« war es z.B. die zwischen Erscheinen von Buch und Verfilmung liegende Serial Killer-Welle, die dafür sorgte, dass dem Film ein entscheidender Teil seines Empörungs- und Verstörungspotentials abhanden kam.
Bei der Verfilmung von 39,90 ist es das Platzen der New Economy-Blase und die unersättliche Rasanz der Medien, die ihn über weite Strecken obsolet erscheinen lässt.
Das ist schade, denn formal ist der Film nicht schlecht gemacht. Die Schauspieler sind gut, die Kameraarbeit beeindruckend, die Musikauswahl exquisit und der visuelle Einfallsreichtum, der sich vielfach an der Werbewelt orientiert, ist (nicht wie manche Kritiker meinten genau so flach wie
das was er kritisiert, sondern) nur konsequent und durchaus passend.
Leider verfallen alle diese positiven Punkte, wenn sich Szene an Szene reiht, die man aus dem endlosen Mahlstrom der Kunst und Medien bereits kennt, oft besser gemacht kennt oder ihrer schon lange wieder überdrüssig ist.
Da hilft es dem Film auch nichts, offensiv mit seiner Zitierwut zu kokettieren, um somit den Eindruck erwecken zu wollen, hier einen geistreichen Kommentar bzw. eine ironische Reflexion zur bildbesessenen Welt zwischen Medien, Marketing und Kunst abzugeben.
Um das zu erreichen, ist die Zitiererei viel zu beliebig und unstrukturiert, so dass man als Zuschauer nur zwischen mehr oder minder gelungenen und wünschenswerten Erinnerungen an Filme wie Fight Club, 2001 und Trainspotting, Musikvideos wie »Come Undone« von Robbie Williams oder »Teardrop« von Massive Attack und dem alltäglichen Bilderrausch der Massenmedien herumgestoßen wird und nie weiß, wo hier
bedeutungs- und anspielungsreich zitiert werden soll und wo dem Regisseur einfach nichts besseres eingefallen ist.
Man kann die Crux des Films 39,90 an zwei Schlüsselszenen, die sich (wie könnte es anders sein) um Werbespots drehen, ablesen.
In der einen Szene wird den Chefs des mächtigen Joghurtherstellers die Idee für den geplanten Werbespot vorgestellt. Darin sollen zwei Bikinischönheiten am Strand entlanglaufen und zur allgemeinen Überraschung hochgeistige Gespräche führen (was natürlich eine Folge des beworbenen Produkts ist). Der Vorstand lehnt diesen
Vorschlag als zu intellektuell und hintersinnig ab. Die Hauptfigur Octave – und mit ihm der Film – sind sich einig, dass hier die Ursache für die überwiegende Dummheit der Werbung zu suchen ist. Die genialen Ideen der Kreativen haben nie eine Chance gegen die Ignoranz der Bosse und Bonzen, die zum 100.000endsten Mal das Klischee von der attraktiven Frau auf der Sonnenterasse sehen wollen und so den Konsumenten verblöden.
Diese Behauptung mag man schnell als gefühlt richtig abnicken, dumm nur, dass vor einigen Jahren im deutschen Fernsehen ein regulärer Spot nach exakt dieser Idee lief (zwei Bikinischönheiten am Pool unterhalten sich über Heisenbergs Unschärferelation). Klassischer kann man vom Lauf der Geschichte gar nicht überholt werden.
Der Umstand, dass diese Idee bei genauer Betrachtung eigentlich ziemlich doof ist, führt geradewegs zur zweiten Schlüsselszene, in der Octave eine subversive Alternativfassung des spießigen Joghurt-Spots erstellt und als finale Abrechnung mit dem »System« diesen Spot ins Fernsehprogramm schmuggelt. Nachdem sich ein nicht unerheblicher Teil von 39,90 um diesen ominösen Anti-Spot dreht, ist man als Zuschauer entsprechend auf seine Ausstrahlung
gespannt und im selben Maß enttäuscht, als er sich als lächerliches, künstlich provokantes Kasperltheater im Stil eines Nu Metal-Videos entpuppt.
Spätestens hier muss man erkennen, dass der Film in der Kreativitätsfalle steckt.
Denn um Octaves Abgesang von der Unterdrückung bzw. Ausbeutung der Kreativität durch den Kommerz glauben zu können, müsste der Film erst einmal echte Kreativität vorführen.
Aber echte Kreativität lässt sich nun einmal nicht auf Kommando aus dem Hut ziehen (am gleichen Problem leiden übrigens auch alle Filme über geniale Musiker, geniale Maler, geniale Poeten, etc., wenn deren Genialität schließlich dargestellt werden soll und man nicht auf ein echtes Genie zurückgreifen kann), weshalb sich 39,90 lieber darauf verlegt, seine Aussage durch moralische Positionen zu untermauern.
Nach außen sind in diesem Film (nahezu) alle Figuren Idioten, Schweine und Kriecher. Nach innen unterscheidet der Film sie aber in einerseits eigentlich ganz nette Kreativ-Schweine, die sich zwar in Sex, Drogen und asozialem Verhalten suhlen, gleichzeitig aber auch gegen den Irrsinn des Systems anrennen und dabei tragisch scheitern (weshalb der Sex und die Drogen schon in Ordnung sind) und andererseits die widerlichen Finanz-Schweine, die einfach nur macht- und geldgeil sind, egal
welche Menschen, Ideen oder Ideale darunter leiden.
Derart aufgestellt, ist es dann auch egal, dass die im Film präsentierte Kreativität nicht über das Mittelmaß hinaus kommt. Ihr gegenüber steht schließlich die dunkle Macht des Geldes und der Konzerne und jeder der dagegen angeht gilt im allgemeinen Empfinden zwangsläufig als geistreicher Idealist und echter Mensch.
Zusammengenommen ist das aber nichts anderes als moralisches Erregungskino, wie es einem sonst vor allem in
einseitig kritischen Dokus unterkommt und wenn schließlich im Abspann von 39,90 vorgerechnet wird, mit welchem Anteil am weltweiten Werbebudget welcher Anteil des Welthungers getilgt werden könnte, dann fehlt eigentlich nur noch der notorische Jean Ziegler um sich und uns über solchen Wahnsinn zu erregen.
Ironischerweise liegt 39,90 zumindest mit dieser verhängnisvollen Vereinfachung von hochkomplexen Problemen ausnahmsweise voll im Trend (der Globalisierungskritik). Dem zeitübergreifenden Phänomen der Werbung, die ein vielschichtiges Bindeglied zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Kunst darstellt, kommt man dadurch nicht näher.
Gut zu wissen, dass irgendwann die Zeit für einen Film kommen wird, der diesem Thema gerecht wird.
Werbung, daran sollten wir uns bitte alle erinnern, ist böse. Richtig böse. Böse, böse. 500 Milliarden Dollar werden weltweit pro Jahr für Werbung rausgeschmissen, obwohl doch ein Bruchteil davon laut den Vereinten Nationen den Hunger der Welt beseitigen könnte. Na also! Noch Fragen? Zudem ja die Werbung zumeist nur für nutzlose Produkte wirbt. Also wirklich! Ein überbezahlter kokainabhängiger Pariser Yuppie ist nun von seinem furchtbaren Beruf als Werbetexter, der ihn zwingt, anständige Menschen zu manipulieren, so angenervt, dass er sich umbringt. Oder doch nicht. Oder doch. Hm. Frédéric Beigbeders Zeitgeist-Novelle »99 francs« – in Deutschland unter dem Titel »39,90« bekannt – über die Werbebranche ist verfilmt worden – und bringt das Beste von Buch und Autor auf die Leinwand.
Um die Qualitäten des Films 99 Francs (bzw. »39,90«) zu erkennen, muss man nur einmal eine bestimmte Sorte Kritiken lesen, die den Film, wie zuvor seine Buchvorlage jetzt begleiten. Die nehmen all ihren Humor zusammen, spotten über »das seltene Genre Literaturverfilmung ohne Literaturvorlage«, und gebrauchen immer wieder das schöne Wort »Overkill«, als ob das notwendig ein Vorwurf wäre: »ästhetischer Overkill aus tricktechnischen Spielereien, Animationen, dramatischen Kamerafahrten und filmgeschichtlichen Referenzen« – klingt doch eigentlich eher gut, oder? Oder es heißt: »Wie Werbung besteht der Film oft nur aus Verpackung.« Was nur zeigt, dass der Kritiker immer noch an der längst überholten Vorstellung festhält, Inhalt und Form ließen sich trennen, und dass er außerdem das Feld der Werbung missversteht. Denn Werbung ist ja keineswegs nur Verpackung von etwas anderem, sondern etwas ganz Eigenes, Selbstständiges.
»Die Werbung kommt auf leisen Sohlen und beweist eine unendlich flexible Überredungskunst, um die Menschheit auf den Stand der Sklaverei zu reduzieren. Wir leben erstmals in einem Herrschaftssystem, gegen das selbst die Freiheit sich als ohnmächtig erweist. Im Gegenteil, Freiheit ist sein eigentliches Lebenselixier, seine genialste Erfindung. Jede Kritik stärkt seine Position und verfestigt den illusionären Glauben an seine süßliche Toleranz. Kein System unterwarf sich die Menschen bisher mit solcher Eleganz. Das Ziel ist erreicht: Selbst Ungehorsam ist nur noch eine Form des Gehorsams.« So weit der französische Autor Frédéric Beigbeder. Aber der Reihe nach...
In den 90er Jahren machten plötzlich Typen wie Patrick Bateman Furore. Die Hauptfigur von Bret Easton Ellis' Roman »American Psycho« war der Vorreiter einer neuen Art Romanhelden: Ein in jeder Hinsicht unsympathischer Kerl, ein überkandidelter, markenfixierter Snob, ein ungemein arroganter Yuppie, ein widerliches uninteressantes Charakterschwein, und dass er sich bald auch noch als Serienkiller entpuppte, war dann gar nicht mehr das Wichtigste. Man hatte »American Psycho« auch als Analogie auf sein Zeitalter zu lesen, und darum war dieser Roman so ungemein einflussreich. Man konnte solche im Kern ähnlichen Figuren dann in allen möglichen Texten und Filmen wieder finden, sogar in Büchern deutscher Autoren, wenn man sich zum Beispiel einmal Christian Krachts »Faserland« in Erinnerung ruft. Die Helden dieser Bücher waren exemplarische Helden ihrer Zeit, die eines gemeinsam hatten: Sie machten unsympathische Dinge, aber sie standen dazu, sie waren nicht weinerlich. Es war das Konzept »Subversion durch Affirmation«: Ellis behauptete, die Markenwelt als einzig reale Welt lasse sich in ihrem Zynismus allenfalls durch Überbietung bekämpfen.
Spätestens Anfang unseres Jahrzehnts änderte sich dann alles. Vielleicht war gar nicht einmal der für alles und jedes in Verantwortung genommene »11. September« schuld, denn genau genommen ist die Veränderung bereits in den Romanen von Michel Houellebecq erkennbar, aber die Terroranschläge und die auf sie folgende Rückkehr des Moralisierens haben das alles noch verstärkt: Die Romanhelden sind immer noch unsympathisch, aber nun leiden sie darunter, nun hadern sie mit sich, suhlen sich in Selbstvorwürfen und erzählen wieder die alte Geschichte von der Markenwelt als Teil eines umfassenden Entwirklichungszusammenhangs. Das ist die einschlägige Kritik an den »geheimen Verführern«, Adorno/Horkheimers Verdikt gegen den »Reklamecharakter der Kultur« – der hier nun aber seinerseits wieder zum in die Marketingwelt eingespeisten Kulturgut wird.
Ein solcher Romanheld ist Octave Parango. In dem autobiographisch geprägten Roman »99 francs« des ehemaligen Werbetexters Frédéric Beigbeder ist er ein erfolgreicher Mitarbeiter einer Top-Werbeagentur mit nachgerade genialen Fähigkeiten zur Kundenverführung und Menschenmanipulation. Er führt ein Leben, wie es sich viele wünschen: In schönen Hotels, an Topstränden oder in Metropolen, oberflächlich und hedonistisch, in jedem Arm ein hübsches Girl, ausreichend Drinks und Koks. Eine Frau ist schuld, dass dieses Leben und das dazugehörige Lebensgefühl ins Wanken geraten: Sophie, seine große Liebe. Erst verlässt er sie, dann kehrt er zu ihr zurück, aber will dafür die Werbewelt verlassen – das stellt sich aber als schwierig heraus. Der 2001 erschienene Roman wirkte wie eine Mischung aus wirklichkeitsgetreuer Reportage und überdrehter Satire und wurde prompt zum Welt-Bestseller, unter anderem, weil er zwar den Voyeurismus seines Publikums bedient, das ganze aber mit einer kräftigen Line Moral versüßt. Und der Verfasser des Schlüsselromans, der zuvor zehn Jahre für die Agentur »Young & Rubicam« arbeitete, war Frankreichs neuer Literaturstar, tingelte von nun an durch die Talkshows Europas und inszenierte sich als sympathisch unaufdringlicher Prophet, der vor dem Untergang des Abendlandes warnt: »Ich bin Werber. Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft«, haut das Buch schon zu Anfang auf die Moralpauke.
Die jetzt herauskommende Buchverfilmung entpuppt sich aber als adäquate Form für den Stoff, weil sie der Welt und dem Charakter der Werbung weitaus gerechter wird als ein Buch. Zudem mit Jan Kounen (Blueberry, Other Worlds, Darshan) ein ehemaliger Werbefilmer Regie geführt hat. Es ist ein rasanter, abgedrehter Film geworden, dessen Form glücklicherweise der moraltriefenden Message widerspricht: Wie ein Abend Werbespots durch den Mixer gedreht, eine halluzinatorische, stylische Achterbahnfahrt, die viel Sinn fürs Kino hat, und die Möglichkeiten des Mediums weit mehr ausnutzt als das viele andere tun. Der kaleidoskopische Bilderrausch in Hochglanzästhetik und schnellen Schnitten wird unterlegt mit dem sardonischen Kommentar eines Ich-Erzählers und begleitet mit permanentem Stilwechsel – als zappte man durch das Werbefernsehen – begegnen einem ständig echte und falsche Werbespots, zitieren oder persiflieren bestimmte Passagen Einfälle von Werbedesignern. Oft ist das sehr, sehr lustig und gar nicht moralinsauer. Etwa der ausführlich geschilderte Dreh Octaves für einen Werbeclip für einen Niedrigkalorien-Jogurt – im Buch »Madone« in der Realität »Danone« – ist ungemein komisch, dabei sexy und geistreich. Zuerst fällt Octave etwas Originelles ein, doch sein CEO will etwas Konventionelleres, damit die Hausfrauen vor der Glotze auch hingucken und Stück für Stück wird das Niveau nach unten geschraubt. Wer viel ins Kino geht, kennt das Problem: Der permanente Kampf zwischen denen, die nur ans Geld denken und den Kreativen, die eine andere Welt wollen. Es ist der Kampf zwischen Kommerz und Kunst, den Beigbeder in seinem Roman den »Dritten Weltkrieg« nennt.
Regisseur Jan Kounen wendet die Mittel der Werbebranche gegen diese selbst. Sein Film stellt die Dummheit und abgrundtiefe Geschmacklosigkeit der Werbewelt einfach genüsslich aus, und dann dem Publikum die Frage, warum es sich von solchem Blödsinn und solchen auch noch doofen Zynikern einfach an der Nase herumführen lässt, warum es die Sprache der Werbung so geduldig erträgt. Diese Umdrehung des Werbe-Prinzips, also nicht »Verzicht« oder »Anti-Werbung«, sondern Werbung gegen Werbung, ist genau die Methode der Adbusters, einer Werbe-Guerilla, mit der auch Beigbeder sympathisiert.
Ein letzter Aspekt ist an Buch und Film gleichermaßen bemerkenswert: Die Betrachtung der Werbewelt und die mittransportierte Moral. Zur Moral hier eine Kostprobe des Off-Monologs der Erzähler/Hauptfigur im Film:
»Man kann alles kaufen. Die Kunst, die Liebe, den Planeten Erde, Sie und mich. Vor allem mich. Der Mensch ist ein Produkt wie jedes andere mit einem Verfallsdatum. Ich bin Werbefachmann, einer von denen, die Sie von Dingen träumen lassen, die es für Sie niemals geben wird: ein ständig blauer Himmel, makellose Mädchen, perfektes Glück retuschiert mit Photoshop. Sie glauben, ich würde die Welt verschönern? Falsch. Ich mache sie kaputt. Alles ist nur provisorisch. Die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie und Ich ...«
Begbeder setzt Werbeschaffende kurzerhand mit Hitler und Goebbels gleich: Werbung schreibt er, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Faschisten erfunden, »Goebbels und Hitler waren geniale Texter: 'Arbeit macht frei' und 'Ein Volk, ein Reich, ein Führer'«.
Verständlich, dass die Werbebranche Beigbeder und jetzt auch Kounen hasst. Keinen Cent investierten Frankreichs kommerzielle Privatsender Canal plus, »TF 1« oder »M6« in den Film, es war der Kulturkanal ARTE der ihn als Co-Produzent möglich machte.
Octave ist ganz oben. Er arbeitet erfolgreich in der Kreativabteilung einer der einflussreichsten Werbeagenturen der Welt. Octave bestimmt, was morgen Trend wird, weckt unsere Träume und zerstört sie sogleich wieder, indem er sie uns als veraltet entreißt. Doch allmählich entpuppt sich seine Welt aus Sex, Party und Drogenexzessen als ein instabiles Fundament, das droht zusammenzubrechen und ihn mit in den Abgrund zu reißen. Als ihn seine Freundin Sofie, die Person, die ihm am meisten bedeutet, verlässt, versucht er seine existenzielle Ruine zu verlassen.
Der Film zieht uns mit Hochgeschwindigkeit in einen halluzinogenen Strudel der Manipulation, Oberflächlichkeit und Sinnlosigkeit, der auch beim Zuschauer Übelkeit hervorruft. Denn es handelt sich hier nicht nur um Octaves Welt, sondern in gewisser Weise auch um unsere eigene. Der Unterschied besteht aber darin, dass Octave sich auf der herrschenden Seite des Werbeimperiums befindet, während wir hilflos ausgeliefert auf der anderen Seite sind. Unbeweglich stehen wir dem Ansturm von Reklameplakaten und Werbespots gegenüber, denn wo könnten wir uns auch noch verstecken und wollen wir das überhaupt? Die Massenpräsentation von Produkten nimmt uns doch die Entscheidungen gekonnt ab, denn wer wüsste es auch besser, was das Richtige für unsere jeweiligen Ansprüche ist?
In seinem neuen Film, eine Persiflage auf die Welt der Werbung und deren Mittel, bedient sich Jan Kounen auch der filmischen Ästhetik der Werbespots, die uns auf komische Weise die Absurdität dieser Welt veranschaulicht. Vielleicht ist dieser Film auch deshalb als Appell zu verstehen, mal wieder unseren eigenen Verstand einzusetzen um irgendwann die perfekteste aller Welten zu finden!