Rumänien 2007 · 113 min. · FSK: ab 16 Regie: Cristian Mungiu Drehbuch: Cristian Mungiu Kamera: Oleg Mutu Darsteller: Anamaria Marinca, Laura Vasiliu, Ion Sapdaru, Vlad Ivanov, Alexandru Potocean u.a. |
![]() |
|
Vorrevolutionäre Tristesse |
Ein unangenehmer Film. Dreckige hässliche Dinge an dreckigen hässlichen Schauplätzen – mit in jeder Hinsicht bescheidenen Mitteln erzählt der rumänische Regisseur Cristian Mungiu von zwei Frauen im Rumänien kurz vor der Revolution ‘89. Eine muss abtreiben, die andere hilft ihr. Die Welt ist kalt und grau, es ist ja auch Februar. In langen Einstellungen, immer Halbtotalen, fast nie Nahaufnahmen, beobachtet man sie zuerst, wie sie ein Hotel anmieten, stundenlang mit dem Portier verhandeln, stundenlang telefonieren, Geld zusammenkratzen, allein acht Minuten lang hört man zu, wie der Arzt alle Details der illegalen Prozedur erklärt. Stundenlang zeigt eine Einstellung aus dem Inneren des Autos die eine Frau im Halbprofil, wie sie zuhört, wie ein Mann mit seiner Mutter schimpft. Das ist alles völlig unsinnlich, nervtötend. Aber natürlich ist es nicht unabsichtlich, sondern gewollt. Ein Film, der sich wohlgefällig grunzend im Elend suhlt. Lackierte Tristesse, genau das, was man Ulrich Seidls Filmen gern vorwirft. Geprägt von einer sadistischen Haltung dem Zuschauer gegenüber.
Denn Mungius Film steht für ein moralisierendes Kino unverhüllter Pädagogik, möchte seinem Publikum Moral predigen: Hier müsst ihr hingucken, ob ihr wollt, oder nicht. Das gilt dann etwa auch für den abgetrieben Fötus, der etwa 30 Sekunden lang in einer einzigen Einstellung in seinem Blut auf dem Boden liegend gezeigt wird. Dieser Film schaut immer überall hin, auch dann, wenn man längst verstanden hat. Nur als der Arzt als Lohn für seine illegalen Dienste Sex fordert und erhält, schaut Mungiu verschämt weg. Man versteht das, aber es passt nicht zum Rest, und weil es auch eine Moral der Bilder gibt, enthüllt das die Feigheit und Berechnung, die in diesem Film liegt.
Was trotz allen derzeitigen Lobes Zweifel schürt an Mungius Film ist nicht nur sein pädagogioscher Furor und seine Story, es ist vor allem diese stilistische Uneindeutigkeit: Mal konventionelle TV-Ästhetik, mal überlange didaktische Einstellungen. Und der mehr als spekulative Charakter des Arztes, der ganz schlimm sein muss, als ob es nicht so schon schlimm genug wäre.
Technisch möchte man in all der verité-Moral und stilistischen Banalität eigentlich nur wissen, aus welchem Material nun das Fötusmotell gemacht war, das die Kamera am Filmende bedeutungsvoll anstarrt. Wahrscheinlich ein Marzipanschweinchen mit Himbeersoße.
4 luni, 3 saptamini si 2 zile mag das sein, was man gern »notwendig« nennt. Er ist wohl auch moralisch sympathisch, weil Mungiu immer die Partei der beiden Frauen – von Anamaria Marinca und Laura Vasiliu hervorragend gespielt – ergreift; auch wenn seine Position in der Abtreibungsfrage überaus unklar ist, und man seinen Film wahlweise als Pamphlet gegen jedwede Abtreibung wie als Traktat für ihre Legalisierung und mehr Hygiene interpretieren
kann. Aber man möchte doch wetten, dass ein identischer Film, käme er aus Deutschland, Spanien oder Dänemark, im Mai in Cannes keine Goldene Palme gewonnen hätte. Bei Depressionskino gilt der Osteuropa-Bonus.
Aber noch mal: Auch Bilder haben eine Moral.