USA 2019 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: James Gray Drehbuch: James Gray, Ethan Gross Kamera: Hoyte van Hoytema Darsteller: Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Donald Sutherland, Ruth Negga, Kimberly Elise u.a. |
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Unbedingter Wille zur »modernen Utopie« |
»Wunderliche Fata einiger See-Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebohrnen Sachsens, Welcher in seinem 18den Jahre zu Schiffe gegangen, durch Schiff-Bruch selb 4te an eine grausame Klippe geworffen worden, nach deren Übersteigung das schönste Land entdeckt, sich daselbst mit seiner Gefährtin verheyrathet, aus solcher Ehe eine Familie mit mehr als 300 Seelen erzeuget, das Land vortrefflich angebauet, durch besondere Zufälle erstaunens-würdige Schätze gesammlet, seine in Teutschland ausgekundschafften Freunde glücklich gemacht, am Ende des 1728sten Jahres, als in seinem Hunderten Jahre, annoch frisch und gesund gelebt, und vermuthlich noch zu dato lebt...« – J. G. Schnabel, Die Insel Felsenburg, 1731
»Man has gone out to explore other worlds and other civilizations without having explored his own labyrinth of dark passages and secret chambers, and without finding what lies behind doorways that he himself has sealed.«
― Stanisław Lem, Solaris, 1961
Wer Brad Pitt in den letzten Wochen in Quentin Tarantinos Reise in die guten, alten 1969er-Jahre von Once Upon a Time... in Hollywood hat lachen, grinsen und feixen sehen, sollte sich auch James Grays Reise in die kaum fantasielosere Zukunft von Ad Astra ansehen. Und das nicht nur wegen Brad Pitt, dem hier in seiner großartigen Verkörperung des Astronauten Roy McBride von Anfang an alles Lachen vergangen ist. Sondern auch, weil es ein aufregendes Ereignis ist, über einen Schauspieler sowohl eine atemberaubende Version unserer Vergangenheit als auch eine fantastische Vision unserer Zukunft zu erhalten.
Dass James Gray aus einem »festgefahrenen« Genre-Stereotyp etwas völlig Neues schaffen kann, zeigte sich bereits in seinem letzten Film, Die versunkene Stadt Z, in dem er klassisches, biografisches Entdecker- und Abenteuer-Material des frühen 20. Jahrhunderts in eine aufregende, introspektive Geschichte über die zahlreichen Facetten von Wahn und Scheitern überführte und »Geschichtsunterricht« endlich wieder zu dem machte, was er eigentlich immer auch sein sollte – die Erkundung auch der dunklen Seite menschlicher Träume und Errungenschaften.
Dieses im historischen Kontext von The Lost City of Z etablierte Prinzip wendet Gray nun auch für die Zukunft in Ad Astra – Zu den Sternen an. Auch hier hadert ein Mann, Roy McBride (Brad Pitt) mit seiner Gegenwart. In gewisser Weise ist Roy McBride genauso wie Percy Fawcett in Grays letztem Film ein forschender Reisender mit schweren Beziehungsproblemen, denn McBride ist ein Astronaut, der zwar schwierigste berufliche Krisen mit autistischer Präzision meistert. Aber in tagebuchähnlichen Sentenzen aus dem Off erfahren wir, dass Roy dafür einen hohen Preis zahlt – die Unfähigkeit mit Mitmenschen, auch mit seiner Ex-Partnerin, befriedigend kommunizieren zu können. Dieser Bruch in Roys Persönlichkeit wird noch einmal deutlicher, als Roy erfährt, dass sein im All als Held verschollen geglaubter Vater noch leben soll, was allerdings für die Erde nichts Gutes bedeutet. Zwar macht sich Roy wie befohlen auf eine Reise, die ein wenig an die Reise ins Herz der Finsternis in Coppolas Apocalypse Now erinnert, aber das auch nur für einen Moment, ein Moment, der so kurz und so lang ist wie die Assoziationen an Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum, die beim Anblick von Grays wunderschönen, fein ziselierten und dann doch nur im Vorbeiflug präsentierten Zukunftsdetails wie des »Weltraumfahrstuhls«, der Alltäglichkeit einer Fahrt zum Mond und der Mondstation fast zwangsläufig entstehen.
Aber wie schon geschrieben, all das ist Grays Ad Astra nicht, er ist kein Apocalypse Now, kein 2001, und auch kein Interstellar sondern führt fast spielerisch, Katz- und Mausartig, so etwas wie eine Kulturkunde des Science Fiction-Films vor, um dann tatsächlich auch in der Gegenwart dieses Genres anzukommen. Eine Gegenwart, in der der Weltraum so normal ist wie die Kühe im Alpenvorland, in der Pathos verboten ist und in der Leerstellen und Andeutungen nur als zarter Sternenstaub existieren. Etwa jene, in der das technische Andockproblem der Sohn-Raumkapsel an das Raumschiff des Vaters die Beziehungsproblematik nicht nur andeutet, sondern in ein fast schon perfektes Science-Fiction-Bild umsetzt.
Der Vater-Sohn-Konflikt deutet allerdings auch an, dass Grays Gegenwart nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist. So wie Tarantino interessieren Gray Frauen nur am Rande, wäre eine Verfilmung des diesjährigen Hugo- und Nebula Siegers, »The Calculating Stars: A Lady Astronaut Novel« von Mary Robinette Kowal – in der über eine Parallelwelt endlich einmal Astronautinnen in einen positiven Weltraumkontext gestellt und nicht nur in schmutzigen Horror-Dystopien von Alien (1979) bis Another Life (2019) traumatisiert werden –, wahrscheinlich undenkbar. Dafür schließt Gray den Bogen zu anderen modernen und historischen Vorlagen, erfüllt er mit seiner »Psychologisierung« des Weltraums über die Vater-Sohn-Geschichte nicht nur das, was Stanislaw Lem sich immer gewünscht hatte, sondern schließt über Lems Vorstellung eines einsamen Weltalls – in dem nur Menschen leben und falls es andere Intelligenzen gibt, diese vom Menschen nicht erkannt werden – auch den Bogen zu gegenwärtigen filmischen Science-Fiction-Entwürfen wie The Expanse, in der der Weltraum nichts anderes ist als »Neuland unterm Pflug«. Mit der bitteren Konsequenz, dass wie zu Zeiten der Entdecker neuer Erdteile es im Grunde in der Fremde so weitergeht wie auf der Erde.
Doch auch hier emanzipiert Gray sich schon einen Moment später, wird über die therapeutische Begegnung von Roy mit seinem Vater Clifford (Tommy Lee Jones) und dessen Erkenntnissen über die Einsamkeit des Weltenraums klar, dass im Grunde nicht die Hoffnung auf eine bessere Welt das Ziel sein darf, sondern der Weg das Ziel selbst ist, sein muss. Eine banale Alltagsweisheit vielleicht, aber im Kern überaus dramatisch, frustrierend, und sowohl aktuell als auch historisch relevant, gerade wenn man sich die Geschichte der großen, literarischen Utopien ansieht und an eine der erfolgreichsten, J. G. Schnabels »Insel Felsenburg«, denkt. Denn bei einer ähnlichen Geschichte – über der Suche nach dem »Vater« eine reformierte, perfekte Gesellschaft finden – widersteht Grays Ad Astra der Erlösung durch die äußere Welt, wird deutlich, dass die Erlösung auf dem Weg selbst liegt.
In diesem Sinne ist Roy McBride ein großartiger und ebenbürtiger Wiedergänger von Mark Watney in Ridley Scotts Marsianer.
Denn beide Filme zeigen, dass nur durch das Annehmen der grenzenlosen Einsamkeit des Weltalls auch ein Leben im Weltall möglich ist – umarmst du deine eigenen unergründlichen Tiefen, erträgst du auch die des Alls. Dieser Wille zur »modernen Utopie« ist ein wichtiger Bestandteil der dystopisch-realistischen Bestandsanalyse unserer Gegenwart, denn so schwach wie der Mensch ist, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Probleme auf der Erde je gelöst werden. Müssen wir wohl schon sehr bald aufbrechen, um lebensfreundliche Planeten zu besiedeln, wie die gerade entdeckte »Supererde« , braucht es unbedingt Astronauten wie Mark Watney und Roy McBride und natürlich Astronautinnen wie Mary Robinette Kowals Elma York.