USA 2023 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Dustin Guy Defa Drehbuch: Dustin Guy Defa Kamera: Tim Curtin Darsteller: Michael Cera, Hannah Gross, Sophia Lillis, Tina Benko, Wavyy Jonez u.a. |
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Spiele der erwachsenen Kinder | ||
(Foto: Universal) |
Ihr Verhältnis ist zerrüttet. Rachel nimmt es ihrem Bruder Eric übel, dass er sich drei Jahre lang nicht gemeldet hat. Jetzt ist die Mutter gestorben, Eric kommt zum schuldbewussten Besuch, es steht aber nicht die Beerdigung an. Die war wohl schon – und Eric nicht da. Vieles lässt Dustin Guy Defas, Schauspieler (»Easy«) und Regisseur (Bad Fever), in seinem dritten Langfilm in der Schwebe. Er muss nichts ausformulieren, skizziert lieber das schwierige Geschwisterverhältnis mit wenigen Strichen. Seit wann sie sich die Haare färbt, fragt Eric Rachel. Sie faucht irgendwas von FaceTime und Skype zurück. Versäumnisse lassen sich nicht mehr durch Worte füllen und auf lange Selbstdarstellungen hat sie jetzt keine Lust mehr.
Der säumige Eric ist der Perspektivträger in dieser Geschichte unter Geschwistern, zu der sich noch die kleinere, treuselige und den großen Bruder vergötternde Maggie gesellt. Der Kanadier Michael Cera spielt Eric, einer, der schon lange im Geschäft ist, Independent, zweite Reihe, auch große Titel, bekannt wurde er in Juno von Jason Reitman, der, ebenfalls aus Montreal kommend, das American Indie mit stimmungsvoller Alltags-Atmosphärik geflutet hat. Auch Cera steht für einen bestimmten Casual Touch. Er ist der boy next door, die von ihm verkörperte Figur meint man vom ersten Moment an zu kennen, auch wenn sich Eric möglichst geheimnisvoll und undurchdringlich gibt. Irgendwie tut er sich mit der Wahrheit schwer und auch damit, die Schnödigkeit des Lebens zu akzeptieren. Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Deshalb blufft Eric beim geringsten Anlass, der sich ihm bietet.
Einen Schulfreund will er besuchen, er hat ihn lange nicht gesehen, es wird eine Baby-Aufwartung sein. So leichterdings konfrontieren kann man das mit thirty something aber nicht. Er sagt, er hätte an dem einen Nachmittag schon was mit seiner Schwester ausgemacht, ihr erzählt er, dass er zum vereinbarten Treffen nicht kann, weil er da das Baby sehen muss. Die anderen im Ungewissen lassen, es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, ein in die Leere laufendes Versteckspiel zu betreiben (irgendwann wird er sie dann doch alle gesehen haben): Das Bluffen ist Erics Leidenschaft. Eric ist ein Poker-Spieler. Seine zweite Mission (oder dritte, neben der Baby-Shower) ist, die alte Pokerrunde wieder stilecht in einer Garage zusammentrommeln. Aber auch das: Ist unbedingt mit dem Vorzeichen halbweltlicher Heimlichkeit zu versehen. Eric ist ein Zocker, er fegt die anderen locker vom Spieltisch, auch mit unschönen Konsequenzen.
Das Spielen – keine Kartenspiele, eher Spiele körperlicher Verknotungen, Albernheiten, Sprachspiele, die Stimme verstellen, Nonsense reden – ist das pulsierende Herz des Films. Hier finden die drei Geschwister zusammen, hier tauschen sie sich intuitiv aus, in Codes, die sie sich während der gemeinsamen Kindheit geschaffen haben. Es sind nonverbale Bindeglieder des bedingungslosen Verstehens, das ganz ohne Missverständnisse auskommen kann. Wenn sie versuchen, »wie Erwachsene« miteinander zu sprechen, über Probleme, über Enttäuschungen, über Versäumnisse, darüber, wie das Leben weiter gehen kann, läuft das eher schief.
Rachel ist verbittert, die Kanadierin Hannah Gross spielt sie mit großartiger Steifheit und unerschrocken in sehr presbyterianisch anmutenden freudlosen Kleidern. Hochgeschlossene weiße Rüschenbluse, braune Schürze, langes Kleid. Sie ist ernst, seit dem Tod der Mutter liegt auf ihr die ganze Familien-Verantwortung, meint sie zumindest. Die kleine Schwester Maggie (gespielt von der 21-jährigen Amerikanerin Sophia Lillis) darf dafür unbeschwert durchs Bild hüpfen, ihren Bruder stürmisch umarmen, sie hat das Studium abgebrochen, trotzdem lastet nichts auf ihr. Auch die Abkühlung zwischen den älteren Geschwistern ignoriert sie und zieht sie als Jüngste wieder in das Spiel hinein, das aus einer Zeit stammt, als sie sich noch verstanden haben, als die Mutter noch nicht tot war, und sie zusammen.
Das realisiert sich auch in unprätentiösen Tanzschritten, kleinen Choreographien, die sich einfach so ergeben und ganz nonchalant sein wollen. Dustin Guy Defas The Adults ist kein Film der großen Emotionen, des Pathos oder der ausrufenden Gesten. Meist sind seine Figuren eher ratlos, kleine Details zeigen ihre Unsicherheiten, ihr Schwanken im Leben, auch ihr Alleinsein, weil sie ihre Einheit verloren haben, und mit ihr die Kindheit. Oder ist es anders herum? Währenddessen sind auch die Farben ihrer »Erwachsenenzeit« gedämpft, als wäre schon der Herbst ins Leben eingezogen. Die goldene Sonne kann das Strahlen des Sommers nicht zurückbringen, die welken Blätter deuten ebenfalls nicht mehr auf das blühende Leben. Defa fängt die diffuse Stimmung eines Neuanfangs ein, der sich nicht mehr nach Aufbruch anfühlen will, bei dem es vielmehr darum geht, ein Gefühl aus der vergangenen Zeit für das Neue, die Zukunft, herüberzuretten. Das ist zwangsläufig melancholisch.