Adam und Evelyn

Deutschland 2018 · 100 min. · FSK: ab 0
Regie: Andreas Goldstein
Drehbuch:
Kamera: Jakobine Motz
Darsteller: Florian Teichtmeister, Anne Kanis, Lena Lauzemis, Milian Zerzawy, Christin Alexandrow u.a.
Der schmale Grat zwischen apolitisch und apathisch

Das Rauschen der Sommerbäume im Wind der Politik

»Evelyn: Willst du Tee oder Kaffee?
Adam: Egal.«

Adam und Evelyn

Nachdem Andreas Dresen mit Gunder­mann und Anne­katrin Hendel mit ihrer Familie Brasch 2018 gezeigt haben, dass es manchmal gut tut, ein paar Jahr­zehnte verstrei­chen zu lassen, bevor man einen Blick zurück – in diesem Fall auf die DDR – wirft, erzählt nun auch Andreas Goldstein eine Geschichte, die die stereo­typen Schwarz­weiß­ma­le­reien über den Arbeiter- und Bauern­staat und die Zeit nach dem Fall der Mauer mit den so lange vernach­läs­sigten Grautönen unterlegt. Und mehr noch von jenen DDR-Bürgern erzählt, die bei Dresen und Hendel nicht vorkommen, die sich nicht oder kaum und weder gegen noch für die DDR poli­ti­sierten, die schwei­gende Mehrheit.

Für Goldstein ist Adam und Evelyn nach mehreren Doku­men­tar­filmen und der kurzen Stasi-Komödie Detektive sein langes Spiel­film­debüt; eine Verzö­ge­rung, die wohl auch damit zusam­men­hängt, dass sich die deutsche Film­för­de­rung lange Zeit kaum für eine diffe­ren­zierte Ausein­an­der­set­zung mit dem Thema DDR inter­es­siert hat; und die Verfil­mung eines Romans von Ingo Schulze, in dem ein unent­schlos­sener Antiheld durch die Wende seine Frei­heiten verliert, bislang undenkbar war.

Goldstein hat mit seiner Dreh­buch­au­torin, Kame­ra­frau und Cutterin Jakobine Motz aus Schulzes dialog­rei­chem Buch einen dialog­armen, sehr stillen Film gemacht. Eine Stille, die durchaus die Lebens­hal­tung von Gold­steins Prot­ago­nisten Adam (Florian Teicht­meister) und Evelyn (Anne Kanis) charak­te­ri­siert. Beide treiben in ihrem letzten Sommer in der DDR einfach so dahin, durch einen beiläu­figen, lakonisch bebil­derten Alltag, in dem Adam als privater Schnei­der­meister Frauen Kleider anfertigt oder abändert und dann und wann sie auch nackt foto­gra­fiert, um sie viel­leicht in »Das Magazin« unter­zu­bringen, einer der erfolg­reichsten Zeit­schriften der DDR, die auch für ihre Aktfotos bekannt war. Aber das erfahren wir nicht, so wie auch sonst nur wenige »hard facts« aus dem Alltag des jungen Paares preis­ge­geben werden.

Statt­dessen ruht die Kamera von Motz in wunder­schönen, kontem­pla­tiven Einstel­lungen in den Wipfeln der Bäume und lauscht dem Sommer in seiner viel­leicht reinsten Form. Nur dann und wann laufen die Nach­richten, in denen sich das Ende der DDR abzu­zeichnen beginnt, immer mehr DDR-Bürger in der BRD-Botschaft Budapests um Asyl bitten. Wegen eines schon wohl lange geplanten Sommer­ur­laubs verschlägt es dann zwar auch Adam und Evelyn nach Ungarn, doch die so scheinbar stabile Paar-Konstel­la­tion ist inzwi­schen aus dem Gleich­ge­wicht geraten und mit alten und zufäl­ligen, neuen Freunden am Balaton, in dem die Bäume genauso schön im Sommer­wind rauschen wie in der DDR, fragen sich die Betei­ligten ein wenig erratisch, was sie nur tun sollen: Should I stay or should I go, und damit ist beides mit Frage­zei­chen versehen – die Bezie­hung­heimat und die poli­ti­sche Heimat. Denn Ungarn hat inzwi­schen seine Grenzen geöffnet.

Dieses Porträt eines völlig apoli­ti­schen, fast schon apathi­schen Grund­ge­fühls einer Gene­ra­tion, die an Wider­stand nie gedacht, und die sich in dem Sicher­heit garan­tie­renden Bieder­mei­er­leben des DDR-Alltags ganz gut einge­richtet hat, sind die stärksten Momente in Gold­steins Insze­nie­rung. Doch gerade durch diese Konzen­tra­tion auf ein Gefühl und Gold­steins bewusster Verwei­ge­rung, Geschichten auch zu Ende zu erzählen – indem er immer wieder auf die Kraft seiner Leer­stellen vertraut – geht Adam und Evelyn immer mehr die Identität als Film verloren, wirken die Dialoge wie aufgesagt, werden gerade die Bilder im BRD-Alltag fast erdrückt von der Last ihrer Aussage, hat man nicht mehr das Gefühl eine über weite Strecken geglückte Roman­ver­fil­mung zu sehen, sondern einen bebil­derten Roman zu lesen.

Die »Wende« als Sommerkomödie

Mit Nach­rich­ten­tönen geht es los, Spuren der Geschichte, die das fried­liche Leben eher stören. Auch Feri­en­pläne können schon mal durch­ein­ander geraten, wenn sie der Welt­ge­schichte begegnen. So ergeht es Adam und Evelyn im Sommer 1989, als die beiden deutschen Staaten in eine über­ra­schende Bewegung gerät und sich das Ende der DDR abrupt ankündigt.

Es geht um ein Paar: Eben Adam und Evelyn. Adam arbeitet als Schneider und Fotograf und ist eigent­lich ganz zufrieden mit der DDR-Welt, die so schön langsam vor sich hintickt, so wie er selbst in seinem idyl­li­schen, bran­den­bur­gi­schen Garten. Sein Lieb­lings­tier ist eine Schild­kröte – ihr Tempo und ihre stoische Ruhe scheinen Adam gut zu entspre­chen.
Seine Freundin Evelyn ist ganz anders. Sie hätte schon immer weg gewollt aus der DDR sagt sie irgend­wann später im Film. Evelyn ist gleich dabei, bei der Aufleh­nung gegen die alten Verhält­nisse. Sie will auch aus ihrem eigenen Leben etwas Neues machen. Sie geht auf Protest­ver­samm­lungen und hofft auf eine bessere Zukunft.

Weil die Frauen nicht nur Adams schöne Kleider lieben, sondern manchmal auch ihn selbst, erwischt Evelyn Adam irgend­wann mit einer anderen. Daraufhin fährt sie ohne ihn mit einer Freundin und deren West­cousin nach Ungarn, zum Balaton. Um die Beziehung zu retten, steigt Adam in seinen betagten Wartburg und reist ihr hinterher.

Dann gehen die Grenzen auf, in jeder Hinsicht. Adam und Evelyn kommen nicht vonein­ander los, sie treffen auf andere Reise­be­gleiter, bewegen sich, unschlüssig, wie es nun weiter­geht.
Dies ist ein Film über einen Schwe­be­zu­stand. Zwischen gelebten Träumen und der Sehnsucht nach dem Unbe­kannten. Beste­hende Gewiss­heiten scheinen angezählt, neue Verheißungen zeichnen sich ab.
Evelyn spürt neue Hoffnung, Adam sieht einem Neuanfang mit wenig Begeis­te­rung entgegen.

Adam und Evelyn ist die Verfil­mung von Ingo Schulzes gleich­na­migen Roman. Die Filme­ma­cher Andreas Goldstein und Jakobine Motz entwerfen das zarte Bild einer Gene­ra­tion in der Ausnah­me­si­tua­tion des Wende­som­mers 1989.
Dies ist ein stiller Film. Die Geräusche der Natur, dem Zirpen der Insekten, dem Rauschen des Windes gilt viel Aufmerk­sam­keit. In alldem, in seiner Beiläu­fig­keit und seiner Aufmerk­sam­keit für die Natur erinnert der Film an das Werk des Franzosen Eric Rohmer. Figuren und Film sind nie senti­mental, aber unschuldig. Durch­lässig und unprä­ten­tiös. Ähnlich wie Rohmers Filme hat auch Adam und Evelyn eine besondere, feine stille Komik. So etwa, als Evelyn dann im Westen ist, und von einem west­deut­schen Beamten verhört wird.

Dies ist nicht nur eine von vielen Geschichten aus der Wendezeit, sondern vielmehr der Versuch, die histo­ri­sche Epoche aus der Perspek­tive seiner Haupt­ak­teure, der jungen Gene­ra­tion, auch neu zu defi­nieren. Buch wie Film haben einen reiz­vollen Zugang zu den großen histo­ri­schen Ereig­nissen. Sie schildern diese völlig unauf­ge­regt in Form einer leichten Sommer­komödie – während eines Sommers, in dem die Gefühle aufbe­gehren, sich aber in Wahrheit weniger verändert, als man wahrhaben mag.
Zumindest nicht die Menschen, ihre Charak­tere und ihre Bezie­hungen. Adam sehnt sich auch weiterhin nach seinem Garten zurück, und Evelyn hofft immer noch auf einen Neuanfang.