Deutschland 2015 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Johannes Schmid Drehbuch: Johannes Schmid, Nora Lämmermann Kamera: Michael Bertl Darsteller: Odine Johne, Stephan Kampwirth, Sonja Baum, Walter Hess, Berit Karla Menze u.a. |
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Den Gang ins Kino allein schon wert: Odine Johne als Agnes |
Agnes ist eine Wahrheitssucherin. Sie will aber auch Schönheit. Darum forscht sie als Quantenphysikerin nach der Möglichkeit perfekter Symmetrie. Könnte das auch in einer Liebesbeziehung gelten? Von Anfang an umgibt Agnes in Johannes Schmids Film ein Hauch des Rätselhaften. Still und tiefsinnig, zugleich leicht autistisch und nicht ohne innere Zwänge scheint sie zu sein – etwas aus der Zeit gefallen, ein wenig aber auch wie gar nicht von dieser Welt. Dann aber
entschlossen und spontan. Denn als sie den Schriftsteller Walter kennenlernt, begegnet beiden gleich beim ersten Date das Absolute in Form einer Passantin, die auf der Straße tot umfällt. Das scheint ein Zeichen zu sein, so steigt sie zu ihm nach dem Abschied doch noch ins Taxi, und fortan sind sie ein Paar.
Er solle über sie schreiben, bittet Agnes, und als er es tut, ist sie narzisstisch wie existentiell berührt, er wiederum hat endlich eine Muse gefunden. Doch bald entwickelt sein
poetischer Entwurf eine ungeahnte Eigendynamik, und lässt die Beziehung nicht unbeschadet.
Peter Stamms ein wenig ausgedachtes und sehr deutsches (Stamm ist Schweizer) Romandebüt aus dem Jahr 1998 ist inzwischen Pflichtlektüre fürs deutsche Abitur, auf einer Stufe mit »Dantons Tod« und »Homo Faber«. Wie bei Max Frisch ist da auch bei Stamm ein älterer Mann, dem eine Jüngere begegnet, die ihn verjüngt auf eigene Kosten. Zugleich ist alles ganz filmisch, denn die Ebenen überlagern sich: Es geht um Realität und Phantasie, Kunst und Wahrheit und wie sie sich tangieren...
Wie
wichtig ist Wahrheit? fragt man sich bei dieser Story über die Frage, ob man Bildern trauen kann und über unser aller Verlangen, gesehen zu werden. Schmid erweist sich dabei, wie Hitchcock in Vertigo als ein unzuverlässiger Erzähler.
Ganz und gar getragen und gelenkt wird die Adaption von Odine Johne in der Titelrolle, die allein den Gang ins Kino unbedingt wert ist. Ihre Agnes ist ein rätselhaftes Wesen, eine Nixe. Johne ist von flirrender Intensität, prägnanter Präsenz und keinen Augenblick ohne Geheimnis. Sie kann im gleichen Moment aussehen wie ein Teenager und eine uralte Äbtissin. Mit ihrer hohen Stirn wirkt sie nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern gedankenvoll und weise, strahlt etwas Rätselhaftes aus. Man weiß: Mit dieser jungen Frau kann man nicht nur »Pferde stehlen«, sondern auch länger denken. Johne hat E.T.A. Hoffmann verstanden, und erweitert die Quantenphysikerin Agnes, die sich für Dinge wie den »Hofstaedter Butterfly« begeistert, um weitere romantische Dimensionen, die auch in Stamms Roman bereits angelegt sind. Johnes Agnes ist intensiv, frei, offen, aber sie hat Dämonen in sich und vielleicht ist ihr Wunsch, im Kunstwerk verewigt zu werden, von Anfang an ein Teufelspakt a la Dorian Gray. Ein atemberaubender Auftritt.