Deutschland 2004 · 111 min. · FSK: ab 16 Regie: Oskar Roehler Drehbuch: Oskar Roehler Kamera: Carl-Friedrich Koschnick Darsteller: Martin Weiß, Moritz Bleibtreu, Herbert Knaup, Katja Riemann u.a. |
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Agnes auf der Beziehungscouch |
Ein sexbesessener Taugenichts, der sein Glück als Spanner, anfängerhafter Anmacher und in Selbsthilfegruppen für Sexsüchtige sucht. Und es dann endlich findet, als er zum Darsteller einer Pornofilmproduktion wird. Ein heillos gestresster, rotgrüner Staatssekretär, der Trittin-mäßig sein politisches Heil auf das Streben nach dem europäischen Dosenpfand konzentriert, derweil ihm daheim Frau und Sohn entgleiten. Schließlich Martin, der sich neuerdings Agnes nennt, ein Transsexueller, der in Rotlichtbars tanzt, in einer 08/15-Beziehungskrise verzweifelt, seiner amerikanischen Liebe nachträumt und überdies schwer krank ist – es ist schon ein mehr als merkwürdiges, bizarres Brüdertrio, das Regisseur Oskar Roehler hier versammelt hat. Und über allem thront noch der alte Vater, gespielt einmal mehr von Roehlers immer wiederkehrendem Kino-Papa Vadim Glowna: misanthropisch, sterbensmüde, mit indianerhaft wallendem weißen Haar, ein böser 68er-Häuptling.
Die Familie – ein Terrorzusammenhang. Gleich doppelt gespiegelt erlebt man es in Agnes und seine Brüder, einer abgrundtief schrägen Gesellschaftsfarce, die man als deutsche Antwort auf American Beauty, Happiness und The Ice Storm verstehen darf – nicht ganz auf Augenhöhe, aber als Versuch, deren Motive und Ideen-Konzepte auf deutsche Befindlichkeiten anzuwenden, auf bundesrepublikanische Tonlage herunterzukochen. Und diese Tonlage ist schrecklich. Auch die Gesellschaft ist ein Terrorzusammenhang, wer daran noch zweifelt, sollte einfach einmal fünf Minuten in einer Touristen-Schlange am Flughafen stehen.
Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei der Institution Familie: Sie tritt auf zunächst in Gestalt der öden Ehe von Politiker Werner, den Herbert Knaup auf den Spuren von Jack Lemmons mitleidserregendem Angestellten-Portrait in Das Apartment spielt. Und Mitleid hat man tatsächlich auch mit diesem Trottel – denn wer will schon gern mit der frigiden Zicke verheiratet sein, die Werner daheim in der Düsseldorfer Nobelvilla erwartet. Noch nie schien Katja Riemann so mit sich im reinen wie in diesem Auftritt als Knaup-Gattin, und es ist bewundernswert, was Roehlers Inszenierung hier bei dieser immer wieder überschätzten Darstellerin freilegt. Weil auch der Sohn (Tom Schilling) ganz nach der Mutter gerät, findet Werner Liebe und menschliche Wärme nur noch bei seinem Hund – die Tragödie eines lächerlichen Mannes.
Über alldem, das schon für einen eigenen Film ausgereicht hätte, zieht sich das emotionale Netz zwischen dem Vater und den drei Söhnen, die regelmäßig zum Sonntagnachmittagstee beim Alten antanzen, den sie hassen, fürchten und von dem sie doch nicht loskommen. Roehler entlarvt hier alle Spießerlügen, nach denen man erst dann richtig erwachsen ist, wenn man zu den Eltern ein gelassen-gut-geschäftsmäßiges Verhältnis aufgebaut hat – manchmal geht es vielleicht wirklich schneller, wenn man sie einfach totschlägt.
Drei Brüder, drei Möglichkeiten, drei Lebens-Auswege: Drama, Satire, Melo, dableiben, abhauen, sterben; verspießern, töten, getötet werden; hetero-sein, onanieren, transsexuell werden; unausgelebter Sex, gar kein Sex, ausgelebter Sex.
Böse, bitter, over the top – dabei gelassen und überaus relaxed ist dieser Film. Man spürt das göttliche Gelächter des Regisseurs aus dem Hintergrund. Die Familie war schon immer sein Thema: Nach der Mutter-Beziehung (Die Unberührbare) und dem Vater-Verhältnis (Der Alte Affe Angst) macht es Roehler nun eine Ebene höher: Keine ganz persönlichen Geschichten, sondern ein Panorama über die Kinder von 1968 – und dass er sich selbst als eines von ihnen sieht, daran lässt er keinen Zweifel. Liebe und Leben in Zeiten der Schröder-Ära. Dieses Panorama ist so hysterisch wie die Bundesrepublik der Gegenwart, zugleich kühl notiert wie man es im deutschen Kino sonst nur bei Helmut Dietl erlebt, als dessen Bruder im Geiste Roehler hier erstmals erscheint – und das ausgerechnet in seinem »amerikanischstem« Film.
Weil der Agnes und seine Brüder richtig gut beobachtet ist (und allein schon die verschiedenen Häuser und Bungalows der Figuren aufs prägnanteste die Tristesse der alten Bundesrepublik spiegeln, das verschmockte Flair der 70er-Jahre), ist der Film jederzeit mehr, als nur eine private Geschichte. Vielmehr kommen einem in den besten Momenten des Films Romane von Updike, Begley, Eugenides und Franzen in den Sinn, und Roehler beweist einmal mehr, dass er zu den besten deutschen Regisseuren gehört, eine der wenigen wirklichen Hoffnungen des deutschen Films ist. Immer spürbar ist sein Wille, eigene persönliche Horizonte zu überschreiten, auch im Privatesten etwas Spezifisches aus unserer Zeit zu erzählen.
Ein Film, wie man ihn aus Deutschland zu selten sieht, exzentrisch, voller Frische und Witz. Drastisch, voller Mut zum Extrem. Roehler lässt wenig Gags aus, trotzdem schafft er immer wieder, Momente voller Tiefe. Das nur beiläufig inszenierte Dosenpfand wird zu einem Symbol eines kleinkarierten, reformunfähigen, zugleich spießig-umweltkorrekten, von seiner eigenen Schwerfälligkeit besessenen, innerlich leeren Deutschland. Wo der Film bedröhnt ist, sind es die Verhältnisse, die er beschreibt.
Roehlers Filme handeln immer, über die Storys hinaus, die sie erzählen, auch vom Kino und seinen Mythen. Darum darf man bei diesem wilden, kompromisslosen Kino auch an Bergman und vor allem Fassbinder denken, hinter der Komödie lauert das Melo und umgekehrt. »Bigger than Life«, drunter geht’s nicht bei diesem exzessiven Filmemacher, der sich jederzeit ganz und gar riskiert, und hier eine Geisterbeschwörung an die nächste reiht. Bis in die Nebenrollen hinein – etwa mit der hinreißenden Loretta Stern als Journalistin, mit Marie Zielke und Martin Semmelrogge – ist Agnes und seine Brüder toll besetzt.
Und wenn sich dann doch etwas gegen diesen Film sagen lässt, dann, dass er sich manchmal verzettelt, ihm der ganz lange Kino-Atem letztlich fehlt. Zu wenig gelingt es Roehler, eine Atmosphäre aufzubauen und über den ganzen Film über durchzuhalten. So rettet er sich und seine Figuren am Schluß mit einem Tick ins Moralisieren, auf den er besser verzichtet hätte. Da will dann auch Roehler Botschaften verkünden: Alle haben sich wieder lieb, zwei seiner Figuren gehen »nach Bagdad«, weil man da noch richtig was bewirken kann, und die irgendwie störende Transe ist aus der Welt. Aber eigentlich wollen wir doch alle solch ein unglaubwürdiges Happy End – und vielleicht war auch das noch eine satirische Volte, die wir nur einfach nicht verstanden haben Ansonsten ist alles das reine Vergnügen.