Deutschland 2019 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Leonie Stade, Annika Blendl Drehbuch: Annika Blendl, Oliver Kahl, Leonie Stade Kamera: Mateusz Smolka Schnitt: Nina Ergang |
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Eine Anklage gegen Ausbeutung (Foto: Cine Global) |
Nina, noch Schülerin, will unbedingt Model werden. Darum reist sie nach Mailand, um sich dort unter Hunderten einzureihen, die den gleichen Traum träumen.
Die gut 40-jährige Mareile ist in ihrer Serien-Rolle den Serientod gestorben und durch eine jüngere Darstellerin ersetzt worden. Jetzt wird Schauspielerin bei einem Provinztheater, und spielt Schillers der Jungfrau von Orleans. Aber sie muss sich entscheiden, wie sie künftig leben will. Denn weiterhin muss sie täglich darum
kämpfen, dass sie nicht wieder durch eine Jüngere ersetzt wird – ihre Furcht vor der Konkurrenz durch die Mischung aus Ehrgeiz und Jugend ist nicht unberechtigt. Darum sucht sie sogar einen Schönheitschirurgen auf.
Und dann sind da noch die zwei Filmemacherinnen. Sie wollen ihren Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München machen. Dafür gelingt ihnen der Deal mit einem ziemlich unangenehmen Macho-Produzenten für einen reportageartigen Dokumentarfilm und so begleiten sie mit der Kamera nun das Nachwuchs-Model bei ihren ersten Schritten auf der Karriereleiter und die Schauspielerin bei ihrem Kampf um Hauptrollen und gegen den drohenden Abstieg.
Film im Film. Das hat man schon gesehen. Aber hier wird dieses Motiv noch eine Drehung weiter gedreht, denn die Regisseurinnen heißen Leonie Stade und Annika Blendl, also ganz genau so wie die Regisseurinnen dieses Films.
Ist also alles hier am Ende echt?
Ja und Nein. Genau mit der Spannung zwischen den Polen Wahrheit und Fake spielt All I Never Wanted. Annika Blendl und Leonie Stade haben eine »Mockumentary« gedreht, einen Film, der teils fiktiv, teils dokumentarisch ist. Er ist deshalb so witzig und funktioniert, weil wir Zuschauer nie sicher sein können, was wir gerade sehen.
Hinzu kommt, dass dieser Film ziemlich klug und facettenreich ist.
All I Never Wanted ist an seiner Oberfläche erst einmal ein Parcours durch die Möglichkeiten der Karrieren im Kunstbereich. Weiblicher Karrieren. Das ist wichtig, denn diverse Zumutungen sind hier nie weit. Das Objektifiziert-werden, das zum Objekt werden im Blick des männlichen Photographen, des männlichen Theaterregisseurs, des männlichen Filmproduzenten. Und die Selbstbehauptung der Frauen dagegen. Nicht weit ist auch #MeToo – sexuelle Belästigung und Ausbeutung aller Art stehen oft im Raum.
Es gibt auch Exzesse anderer Form. Wenn etwa ein Regisseur sich vor seinen Schauspielern total vergisst und ausrastet: »So Madame Wichtig ist auch wieder da, können wir ja weitermachen. ... Du schlürfst wie ein Sandsack über die Bühne ... Ich hör nichts ... Du siehst aus wie Miss Piggy ... Peinlich, das ist überhaupt nichts...«
Auch die beiden Regisseurinnen stehen unter Druck. Wollen »gutes Material«, also mehr Story und bessere Bilder. Dadurch beeinflussen sie die Wirklichkeit, verändern, was sie eigentlich nur neutral beschreiben wollten.
Während sie bei Mareile vor allem jede Scham abwerfen, fehlt ihnen im Fall von Nina jedes Verantwortungsgefühl.
Dabei machen sich die Autorinnen selbst zum Teil des Films, und gehen mit sich selbst hart ins Gericht. So bringen sie die ganze Medienbranche mit ihren betrogenen Hoffnungen, ihren Lügen vor Kameras und auf der Bühne, sowie die scheinbar magischen, tatsächlich aber vor allem absurden Orte des Kinos wie Filmfestivals mit ihren Premieren, in denen sich die tatsächlichen, wie angeblichen Stars oft von ihrer schlechtesten Seite zeigen.
Der Film ist eine Anklage gegen Ausbeutung. Aber er macht auch die Abgründe unter den allzu einfachen moralischen Weisheiten der liberalen Gesellschaft sichtbar. Einige der intelligentesten, provokativsten Passagen des ganzen Films stammen von einer Domina. Selbstverständlich einer echten.
All I Never Wanted ist ein satirischer Spielfilm, in dem alles zu einem großen Spektakel verschmilzt – und am Ende machen alle Figuren tatsächlich mit bei der permanenten Selbstinszenierung unserer Gesellschaft und tun alles das, was sie nie gewollt haben. All I Never Wanted ist eine freche und kluge Komödie der Irrungen und Wirrungen unseres PR-Zeitalters.