Alles ist eins. Außer der 0.

Deutschland 2020 · 96 min. · FSK: ab 6
Regie: Klaus Maeck, Tanja Schwerdorf
Drehbuch: ,
Kamera: Hervé Dieu
Schnitt: Andreas Grützner
Filmszene »Alles ist eins. Außer der 0.«
Geschichte wurde gemacht, es ging voran.
(Foto: NEUE VISIONEN)

Die letzten Mohikaner der Bürgerrechte

Medienkritik? Ja bitte! Ein Bericht aus der Steinzeit der Kommunikationsguerilla und jenen Zeiten als vernünftige Menschen bei Gegenöffentlichkeit nicht an »Neue Rechte« dachten

»Every trail has its end, and every calamity brings its lesson!«
– James Fenimore Cooper, The Last of the Mohicans

»Matter and energy are limited. Infor­ma­tion is unlimited....« – die Welt bestehe aus Materie und Infor­ma­tion. Materie sei begrenzt, Infor­ma­tion sei unbe­grenzt. Deshalb müsse sie frei sein – der das hier sagt, auf einem gris­se­ligen, verpi­xelten alten Video in schlechtem Englisch ist einer der Wort­führer der frühen deutschen Hacker­szene: Wau Holland, oder »Doktor Wau«.

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Zwischen­frage: Warum brauchten solche alter­na­tiven Führer in den Acht­zi­gern und Neun­zi­gern eigent­lich alle einen Doktor­titel? Doktor Motte? Egal. Weiter.

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Er sah aus wie ein Wald­schrat (so sagt es auch jemand in dem Film), wie ein Inbegriff des Klischees vom Compu­ter­nerd. Bürger­lich hieß er Herwart Holland-Moritz. Von ihm und von seinem besten Einfall erzählt dieser Film.

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Früher waren sie Bürger­schrecks, vierzig Jahre später gehören sie zu den letzten Mohi­ka­nern der Grund- und Bürger­rechte im klas­si­schen Verständnis. Der »Chaos Computer Club«, kurz CCC.
Viele hörten bei diesem Namen anfangs nur das erste Wort und dachten an Randale, Punks, Alter­na­tive und Chaoten. Ganz falsch war das bestimmt nicht – jeden­falls nicht im Verständnis der späten 70er und frühen 80er Jahre. Der »Chaos Computer Club« ist eine Gründung aus der Alter­na­tiv­kultur der soge­nannten Nach-68er. Die Studen­ten­be­we­gung und Bürger­rechtler spalteten sich auch in West­deutsch­land in kleine radikale Unter­grund- und K-Gruppen, größere Massen, die die Welt­re­vo­lu­tion in Psycho­gruppen, Land­kom­munen, Öko- und Anti-Atomkraft-Bewe­gungen suchten, und eine weitere kleine Fraktion, die statt auf ein Zurück-zur-Natur gerade auf die von den Ökos oft verpönte Technik setzte: Genau gesagt auf Computer und das entste­hende Internet.

Labyrinth als Chance. Die neuen Öffent­lich­keiten mit ihren eigenen Regeln, schneller Kommu­ni­ka­tion, selbst­ge­bas­telten Programmen und dezen­traler Technik ohne große Kosten und Hier­ar­chien sollten der Raum für eine Gegenöf­fent­lich­keit und die Verän­de­rung der Gesell­schaft werden.

»Compu­ter­freaks« nannten sie dagegen noch lange all dieje­nigen, die das für Spinnerei oder Utopismen hielten. Es war ja auch unsexy: Die Akten­köf­fer­chen, das Gerede, Selbst­pro­gram­mieren – wozu denn?

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Was wirklich dahinter steckt, und warum dies eine der inter­es­san­testen Episoden der neueren deutschen Kultur­ge­schichte ist, zeigt jetzt der Doku­men­tar­film Alles ist eins. Außer der 0. von Klaus Maeck und Tanja Schwer­dorf.

Der Film taucht zunächst ein in eine verges­sene und bis heute schwer verständ­liche, nur Einge­weihten erschlos­sene Welt. Es ist die Welt der Sub- und Gegen­kultur, die ausgehend von den Hippies, den Spontis und der kultu­rellen Revolte von 1968 weite Teile der deutschen Jugend­kultur mitprägte und die ersten deutschen Hacker beein­flusst hat: Plötzlich war Science-Fiction inter­es­sant, man las Perry Rhodan statt Karl May, Philip K. Dick statt Hermann Hesse, aber auch Fanta­sy­ro­mane wie »Herr der Ringe« und Konspi­ra­tives wie die »Illu­mi­natus«-Trilogie, sowie den »Whole Earth Catalogue«.

Aus diesem Geist entstanden die ganzen »alter­na­tiven« Listen, die taz, die heute nicht mehr »links­al­ter­na­tive tages­zei­tung« heißen will, schließ­lich die Grünen – also nahezu alles, was mal »andere Verhält­nisse« wollte, aber heute »Neue Mitte«, etabliert, brav, spießig, mora­li­sie­rend und im Effekt konter­re­vo­lu­ti­onär ist, bald mit der Union koaliert, oder sogar in einer Ampel­ko­ali­tion die Merkel-Nachfolge bestimmt.

Aus diesen Denk- und Lebens­welten gründete sich aber auch der CCC. Der Geist der Anarchie und des Wider­standes war derselbe wie der der 68er, aber man war schlauer, und versuchte es mit anderen Mitteln: »Statt sich in einer hoff­nungs­losen Konfron­ta­tion mit dem Staat zu verschleißen, sollen Freiräume geschaffen werden« heißt es in diesem Film.

Es war der entzü­ckend idea­lis­ti­sche Glaube an eine Utopie, die aus den Neuen Medien erwächst, die Kali­for­ni­sche Ideologie (Richard Barbrook), in der Marx und Margaret Thatcher Sex haben, und ein Kind zeugen, das sich erwartbar als ein Monster entpuppt: Kein Zombie, sondern sehr lebendig, ein Fran­ken­stein-Geschöpf.

Und womöglich fühlten sich Holland und Konsorten als moderne Prome­theus, als jene, die den Göttern das Feuer entrissen und mit seiner Hilfe die Epoche einer nie gekannten Eman­zi­pa­tion entfes­selten.
Es ist ein Welten­brand geworden. Und wir können sagen, wir sind dabei gewesen. Wir haben es erlebt.

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In den USA waren die Linken tech­ni­k­opti­mis­ti­scher.

»Hacker« haben noch immer bei vielen Menschen einen zwei­fel­haften Ruf. Dabei ist der »Chaos Computer Club« längst ein wichtiger Helfer der Behörden geworden, etwa wenn es um Elek­tro­ni­sche Gesund­heits­karte, Über­wa­chung im öffent­li­chen Raum, oder die Corona-Warn-App geht, aber eben auch ein nütz­li­cher kriti­scher Begleiter dabei, zu kontrol­lieren, dass Bürger­frei­heiten nicht durch solche an sich nütz­li­chen Techniken gefährdet werden.

Der Film greift auf wunder­bares Archiv­ma­te­rial zurück, und zeigt die gewitzten Aktionen der Hacker, ergänzt durch Inter­views aus der damaligen Zeit und die Erzähler, den öster­rei­chi­schen Schrift­steller Peter Glaser und den ersten Pres­se­spre­cher des CCC, Steffen Wernéry.

Dabei geht es immer weiter, ohne Blicke seitwärts und zurück. Keine Atempause, Geschichte wurde gemacht, es ging voran. Der Stoff ist ja auch zu viel für drei Filme. Insofern ist dies wie so oft ein Teaser als Film, der auf die augen­blick­li­chen Grenzen der Produk­ti­ons­be­din­gungen des Mediums Film verweist: Es ist alles verdammt ober­fläch­lich, Kino darf nicht tiefer gehen.

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Als Kommu­ni­ka­ti­ons­gue­rilla wollte man beim CCC subversiv Sicher­heits­lü­cken anpran­gern und auf die Proble­matik einer allmäh­lich immer kraken­hafter um sich grei­fenden Kontroll- und Sicher­heits­technik eingehen.

Im Laufe seiner gut 40-jährigen Geschichte hat der »Chaos Computer Club« immer wieder mit spek­ta­ku­lären Hacker­ak­tionen die von Industrie- und Geheim­dienst­lob­by­isten voll­mundig ange­prie­senen digitalen Sicher­heits­kon­zepte in ihren Schwächen entlarvt.

Dabei lag ein Stück Witz direkt neben dem ernst­haften Aufklä­rungs­willen und der Sorge über einen allmäch­tigen Über­wa­chungs­staat.

So entsteht ein präzises, tref­fendes und sehr unter­halt­sames Porträt des rebel­li­schen Geistes um 1980, des Kampfes um freien Zugang zu Infor­ma­tionen und demge­genüber der heutigen desaströsen Lage im World Wide Web, in der von den einstigen Träumen nicht mehr viel übrig ist. Die dunkle Seite der Macht hat gewonnen. Mordor regiert.