USA 2013 · 106 min. · FSK: ab 6 Regie: J. C. Chandor Drehbuch: J. C. Chandor Musik: Alex Ebert Kamera: Frank G. DeMarco, Peter Zuccarini Darsteller: Robert Redford |
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Der alte Mann und das Segel |
Über den dunklen Holzboden ergießt sich ein schäumender Wasserschwall. Der alte Mann schreckt aus seinem Schlaf auf und steigt rasch aus dem Bett, um die Kajüte nach einem Leck abzusuchen. Ein roter, im Meer herumtreibender Schiffscontainer hat ein Loch in den Schiffsrumpf gerissen und sich dort verzahnt, während schubweise Wasser über den Schreibtisch ins Innere des Bootes dringt. Funkgerät, Notebook, alles ist schon mit Salzwasser durchtränkt, der Wasserpegel steigt. Es sind die ersten Minuten in All Is Lost von J. C. Chandor und schon ließe sich sagen: »Das wird nichts mehr.« Doch der einsame Segler wird von Robert Redford gespielt, den man aus dem Kino als schillernden und unbeugsamen Helden kennt, der so etwas wie Niederlagen nicht akzeptiert – ob als listiger Bücherwurm in Die drei Tage des Condor oder jüngst als aufrechter Ex-Untergrundaktivist in The Company You Keep – Die Akte Grant. So besteht also noch Hoffnung. Vielleicht sogar zurecht, denn der Namenlose weiß gekonnt das Leck zu flicken und seine Segelyacht wieder rundum seetüchtig zu machen. Schnell wird klar, dass hier jemand am Werk ist, der nicht nur als Seefahrer erprobt ist, sondern auch sonst schon viele Krisen gesehen und überstanden hat. Er ist ein gealterter Held über 70, voller Energie und Lebenswillen, ungeachtet aller lebensfeindlichen Umstände. Diese Umstände werden sich im Laufe des Films nur verschlimmern, der indische Ozean hat dem Protagonisten den Kampf angesagt.
All Is Lost ist der zweite Film von J. C. Chandor, der vor drei Jahren mit Der große Crash – Margin Call debütierte. Dieser war ein filmisches Schauerstück zum Finanzkapitalismus, das gerade durch seine analytisch präzise und nüchterne Schilderung der Umstände verstörte, die zur Wirtschaftskrise in 2007 führten; ein schwindelerregender Blick in die charakterlichen Abgründe und Untiefen einer Handvoll Investmentbanker im Herzen von New York City. Betrachtet man Chandors neuen Film in diesem Kontext, könnte man darüber nachdenken, inwiefern er den existenziellen Gemütszustand des Westens im 21. Jahrhundert widerspiegelt. Alle großen Ideologien hat man hinter sich gelassen, und es bleibt offenbar nur noch der triebgesteuerte Kampf ums Leben. Gerade Alfonso Cuaróns Gravity würde auch in dieses Schema passen, in dem Sandra Bullock als Astronautin im Weltall dem Tod entkommen muss: Doch anders als der Weltraumfilm, der mit seinen hineinsaugenden Ich-Perspektiven an das Bildrepertoire zeitgenössischer Videospiele anknüpft und in Verbindung mit der 3D-Technik das Kino zu aktualisieren sucht, ist All Is Lost von elementarem Charakter. Nur Robert Redford ist im Film zu sehen – Chandor befreit sich vom Ballast der Dialogzeilen und verlässt sich auf die erzählerische Kraft seiner Bilder sowie seines einzigen Darstellers. Redford besinnt sich auf seine Stärken, geht sparsam mit seiner Mimik um und überlässt sein furchendurchzogenes aber betörendes Antlitz völlig der Kamera, die ihn furchtlos durch jede bedrohliche Meereswoge begleitet. Nur gelegentlich erklingen die von Alex Ebert komponierten, tiefen und melancholischen Meerestöne.
Der Regisseur pflegt hierbei oft vergessene Kinotugenden und nähert sich dabei dem Seelenzustand »unseres Mannes« (wie Redfords Charakter im Abspann heißt) auf hoher See in einer aussichtslosen Lage an. In dramaturgisch geschickter Staffelung jagt eine Katastrophe die nächste und setzt beim einsamen Segler ungeahnte Ressourcen frei. Für Redford ist das fraglos eine Paraderolle, die er überzeugend meistert, mit allem, was ihm zur Verfügung steht. Sogar im ständigen Angesicht des Todes darf sich unser Mann keine Niederlage eingestehen. Anders herum betrachtet ist der Film also auch eine Studie des Starrsinns, wie jemand einfach nicht loslassen kann, verbissen an etwas festhält – einer Weltanschauung, einem Lebensentwurf –, das schon längst verloren ist. Schon lange, bevor der erste Tropfen überhaupt den Boden berührt hat. »I have always hoped for more for you all«, steht in der Flaschenpost, die er auf einen Fetzen Papier niedergeschrieben und ins Meer geschmissen hat. Wir können nur wünschen, dass er damit doch noch Recht behält.