Alle reden übers Wetter

Deutschland 2022 · 89 min. · FSK: ab 12
Regie: Annika Pinske
Drehbuch: ,
Kamera: Ben Bernhard
Darsteller: Anne Schäfer, Anne-Kathrin Gummich, Judith Hofmann, Marcel Kohler, Max Riemelt u.a.
Filmszene »Alle reden übers Wetter«
Zwischen den Welten...
(Foto: Grandfilm)

Stadt – Land – Stuss

So abgründig wie warmherzig: Annika Pinskes gelungenes Spielfilmdebüt als Regisseurin

»Die Wunden des Geistes heilen, ohne daß Narben bleiben; ....«
- G.W.F.Hegel, »Phäno­me­no­logie des Geistes«, 492

Clara (gespielt von Anne Schäfer) ist im Stress. Sie lässt sich aber auch stressen. Von ihrer Umgebung, von sich selbst. Ganz zu Anfang des Films steht die junge Frau vor dem Bade­zim­mer­spiegel. Sie überprüft sich selbst. Das Nach­denken über Identität und die Ausein­an­der­set­zung mit einengenden Verhält­nissen sind von Anfang an gesetzt in diesem Film. Clara hat einen Lehr­auf­trag an der Uni, und schreibt dabei an ihrer Doktor­ar­beit. Das Thema lautet »Inter­sub­jek­ti­vität und Familie bei Hegel«. Das ist ein Scherz, aber ein ernster, denn eine Weile lang hat man in diesem Film den Eindruck, dass alle Figuren hier, in den zwei Welten, in denen dieser Film spielt, der Univer­sität und dem Privat­leben, ganz und gar in ihrer je eigenen Subjek­ti­vität aufgehen, und das Inter­sub­jek­tive, das Dazwi­schen vergessen. Gerade die Univer­sität, wie die Regis­seurin Annika Pinske sie in ihrem durchaus ambi­tio­nierten Spiel­film­debüt zeigt, ist ein Spiel­platz der Eitel­keiten und des Narzissmus, also der rohen Macht, denn seine Subjek­ti­vität ausleben kann nur der, der es sich leisten darf. Clara steht dazwi­schen: Als Dozentin gibt sie Ton und Richtung vor, als Dokto­randin muss sie sich ihren Vorge­setzten anpassen und unter­ordnen, denn sie will nicht unan­ge­nehm auffallen.

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Bevor Annika Pinske an der Deutschen Film- und Fern­seh­aka­demie in Berlin studierte, war sie die Regie­as­sis­tentin von Maren Ade bei Toni Erdmann. Ein bisschen merkt man diese Erfahrung ihrem dffb-Abschluss­film auch an, in einer sehr beson­deren Verbin­dung von Ernst und Humor. Akade­mi­sche Metro­polen-Menta­lität trifft auf urwüch­siges Provinz-Bewusst­sein. In den Neben­rollen sind u.a. Max Riemelt und Sandra Hüller zu sehen.

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Dieser Film ist einer­seits eine Komödie. Eine Komödie des Wort­witzes und der Sprach­spiele und der alltä­g­li­chen, kleinen frommen Lügen und Selbst­täu­schungen: »Studierste immer noch?« – »Nee ich mach jetzt meinen Doktor«.

Eine Komödie über die Univer­sität und die spezi­ellen Sprach­ri­tuale und Mode-Diskurse im gegen­wär­tigen geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Betrieb, die den Betei­ligten gar nicht mehr auffallen, Außen­ste­henden aber komplett absurd vorkommen: »Kann man den Lust­ge­winn einer Mehrheit auf Kosten einer Minder­heit durch­setzen?« – »Das ist ja keine Minder­heit, sondern eine Frau.« – »Ist das jetzt heut­zu­tage wirklich noch ne Frage der Geschlechter?«

Eine Komödie über die Macht und die Abwertung, die sich in Fragen verkleidet wie: »Und ihre Eltern sind die auch aus dem Metier?«

Im Zentrum steht die junge begabte Dozentin Clara, die trotz aller akade­mi­schen Erfolge immerzu das Gefühl hat, irgendwie nicht richtig dazu zu gehören. Denn sie stammt nicht aus einer Akade­mi­ker­fa­milie und fühlt sich fremd, unter den ganzen bürger­li­chen Akade­mi­ker­kin­dern, von denen sie umgeben ist.
Bei einer Feier unter Kollegen steht sie nicht zu ihrer ostdeut­schen Herkunft und antwortet auf den Beruf des Vaters mit einer Lüge: »Diplomat«. Zudem scheint zu den ganzen West­bio­gra­fien auch die ostdeut­sche Herkunft nicht zu passen.

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Dann kehrt sich alles um in diesem Film: Zu einer Fami­li­en­feier kommt Clara aufs Land und muss sich ihrer Herkunft aus dem länd­li­chen Meck­len­burg-Vorpom­mern stellen. Da merkt sie schnell, dass sie sich nun auch bei ihrer Familie fremd fühlt, und nicht mehr ganz so einfach mit allen reden kann.

Alle reden übers Wetter ist darum vor allem eine Komödie über den Unter­schied zwischen Stadt und Land. Zwischen Provinz und Urbanität. Und der entspre­chenden Menta­li­täten. Man könnte auch sagen über die Spaltung unserer Gesell­schaft in Menschen, die vieles für »heut­zu­tage nicht mehr sagbar« halten, und die anderen, denen Sprach- und Iden­ti­täts­po­litik relativ wurscht sind, oder sogar auf die Nerven gehen: »Was ist die Stei­ge­rung von Rinder­wahn­sinn? Frau­en­power.« – Wo solche Sprüche im Film fallen, sind sie nicht böse, sondern lustig gemeint, und auch wenn Clara da nicht mitlachen kann, erkennt sie das.

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Hinter der Komödie lauert natürlich wie bei allen guten Komödien der Ernst.

Denn indem hier die gesell­schaft­liche Diver­sität, die Brüche zwischen Genera­tionen, Herkünften und Bildungs­schichten so abgründig wie warm­herzig als Cultural-Clash-Komödie mit tieferer Bedeutung entfaltet werden, wird Alle reden übers Wetter zu einem ernst­haften und sensiblen Film über Herkunft, über die feinen Unter­schiede, die symbo­li­schen Diffe­renzen, über das kaum Ausge­spro­chene, das eine Gesell­schaft spaltet, und über das Liebens­werte, das alle Seiten haben (können). Denn eine Promotion über Hegel mag zwar den aller­meisten Menschen sehr fremd bleiben, aber sie ist ja im Prinzip nichts Abge­ho­benes, Elitäres, sondern eine Bemühung um Erkenntnis, ein Ausdruck der Liebe zum Wissen.
Aber auch dieje­nigen, die nicht studieren, und denen Iden­ti­täts- und sprach­po­li­ti­sche Fragen unnötig oder albern vorkommen, sind meistens guten Willens, und in den wenigsten Fällen poli­ti­sche Extre­misten.

So nimmt dieser Film gegen­sei­tige Vorur­teile aufs Korn. Er zeigt zugleich, dass in der akade­mi­schen Welt nicht weniger Sexismus und Bosheit herrschen als auf einem länd­li­chen Rummel­platz.

Alle bekommen hier ihr Fett ab. Nirgendwo steht das Paradies. Das Glück lauert nicht im Elfen­bein­turm der Akade­miker, aber auch keines­falls auf dem scheinbar so unschul­digen Land.

Es ist ein Verdienst dieses klugen, geschmack­voll und mensch­lich insze­nierten Films, die verschie­denen Seiten unserer so diversen Gesell­schaft zusam­men­zu­führen – und sei es nur in der Erkenntnis, wie absurd und lächer­lich wir alle uns manchmal benehmen.

Leere, warme Worte

Annika Pinske hat in ihrem Debüt Alle reden übers Wetter der Heimat auf das Maul geschaut – und das eigentümliche Fremdsein im Vertrauten gefunden

Es ist das echte, viel­leicht sogar das einzige Gefühl von Heimat. Man redet, ohne etwas zu sagen. Übers Wetter zum Beispiel. Aber auch darüber, dass alles teuer geworden ist, oder wo derzeit die Sonder­an­ge­bote zu finden sind. Ob man gut »durch­ge­kommen« ist, lässt sich nicht nur nach einer Autofahrt fragen, ange­sichts der Zugver­spä­tungen und Störungen im ÖPNV drängt sich die Frage auch beim kommu­nalen Orts­wechsel auf. Aus all diesen Fragen steigt wohlige Behag­lich­keit auf, aber auch unend­liche Banalität. Sie sind der Kitt, der ganze Familien zusam­men­hält. Die Eltern mit den erwach­senen Kindern, die ihnen ein bisschen fremd geworden sind, mit denen sie nicht mehr recht wissen, was reden. Die nicht mehr so richtig dazu­gehören, mit denen man aber unbedingt ein starkes Band halten will. Deshalb tut man so, als würden sie noch zum Alltag gehören und verein­nahmt sie mit Unauf­fäl­lig­keiten. Für jene, die sich mehr erwarten, meistens die erwach­senen Kinder, die echte Gespräche und nicht nur dieses Alltags­blabla wollen, ist diese Form des Bondings eine herbe Enttäu­schung.

Über genau jene Ambi­va­lenz, in der größt­mö­g­li­chen Banalität die familiäre Heimat zu finden, hat Regis­seurin Annika Pinske jetzt ihren Debütfilm gemacht: Alle reden übers Wetter. Pinske stammt aus Prenzlau, und in einen Ort in der Uckermark, tiefste ostdeut­sche Provinz, lässt sie die Prot­ago­nistin Clara zu ihrer Mutter heim­kehren. Vor Jahren hat Clara ihre Heimat verlassen, ging in die Großstadt und studierte. Das allein reicht schon, um zwischen sich und ihrer einfachen Herkunft (Plat­ten­bauten, noch nicht einmal ein Bauernhof) einen Graben zu ziehen. Jetzt promo­viert sie in Berlin im Fach Philo­so­phie, zu Hegel und seinem Frei­heits­be­griff. Anne Schäfer spielt die zurück­hal­tende Clara als intro­ver­tierte Akade­mi­kerin, die immer auch ein wenig so wirkt, als hätte sie sich nur in eine Rolle gezwängt. Der Hals ist durch­ge­streckt, die Locken im Dutt gebändigt, und auch das strenge Jackett ist ein Zeichen ihrer Hemmung und Fremdheit in diesem akade­mi­schen Apparatus.

Und dieser stellt sich mit allen Begleit­erschei­nungen vor. Annika Pinske zeigt im ersten Drittel ihres Films, das sie im univer­si­tären Umfeld spielen lässt, die Perfidie akade­mi­scher Rituale – Über­bie­tungs­talk mit Kollegen im Flur, bei dem gezielte Breit­seiten ausge­teilt werden (hier großar­tiger Auftritt von Sandra Hüller als academic revenger), beiläu­figes Angeben (dropping) mit Publi­ka­tionen, Kontakten und Beru­fungen, scheinbar zwang­loses Abend­essen im Kolle­gen­kreis, bei dem das Gegenüber argwöh­nisch auf Hoch­sta­pelei abge­klopft wird. Claras Herkunft aus dem Osten – angeblich eine Diplo­ma­ten­tochter, aber womöglich war eher die Stasi im Spiel? – gerät für die versam­melte bildungs­bür­ger­liche Tisch­ge­sell­schaft west­li­cher Prove­nienz zumindest zum Kuriosum.

Und das ist Alle reden übers Wetter dann auch: ein Film über das Unwohl­sein in einer Schicht und Gesell­schaft, in der, anders als im real exis­tie­renden Sozia­lismus, jetzt wieder die Herkunft, nicht die Ausbil­dung und eigene Leistung, entschei­dend für den sozialen Aufstieg ist. Der Sohnemann des einla­denden Profes­sors hat mit Clara ein Verhältnis, er strebt die Laufbahn des Vaters an, während Clara aus ihrem ersten Leben eine zehn­jäh­rige Tochter hat, die beim Ex in dessen neuer Klein­fa­milie lebt. Ronald Zehrfeld, gebür­tiger Ost-Berliner mit DDR-Erfahrung, spielt den Kinds­vater. Als Clara ihre Tochter abholt, um mit ihr zu ihrer Mutter fahren, wirkt er, als käme er mit einem Satz direkt aus Christian Petzolds Barbara, wo er auch schon den ostdeut­schen Lebemann gegeben hatte. Viel näher als Petzold ist Pinske aber Valeska Grisebach und ihrem Provinz­film Sehnsucht, der auch schon das Unaus­ge­spro­chene zu insze­nieren wusste.

Als Clara in die Heimat zurück­kehrt, löst sich die Anspan­nung – auch die des Films. War bis dato in jedem Moment Beklem­mung und Anstren­gung zu spüren, die sich auch aufs Zuschauen überträgt, findet Alle reden übers Wetter mit der Ankunft im Dorf zu einer wohl­tu­enden Leich­tig­keit. Nicht ganz unschuldig daran sind die unan­ge­strengten Dialoge und das unauf­ge­regte Dahin­plät­schern des Lebens in einer Existenz ohne Ambi­tionen. Was sie noch von ihrem Leben erwarte, fragt Clara ihre Mutter beim Einkaufen, mitten in der Jagd nach den Sonder­an­ge­boten. »Ach lass jetzt mal, hol doch lieber noch die Grill­saucen«, wehrt diese ab. Ihr Geburtstag steht bevor, da ist helle Aufregung angesagt, und keine Zeit, über das Leben nach­zu­denken. Das ist natürlich auch Verdrän­gungs­tak­titk. Denn es ist ein Leben in der größt­mö­g­li­chen Banalität, zumindest in den Augen von Clara. Die anderen sind ganz glücklich damit.

Als Clara am nächsten Morgen verkatert mit dunkler Brille in der Datscha ihrer Groß­el­tern sitzt – die Genera­tionen sind, typisch ostdeutsch, eng aufein­an­der­fol­gend –, weiß man dann auch, was gut an dieser Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Akzep­tiert wird hier der andere ohne viel Aufhebens, zumindest in der eigenen Familie. Babuschka-gleich stapeln sich auf dem engen Garten­grund­s­tück die Mütter und Töchter von vier Genera­tionen.

Annika Pinskes Alle reden übers Wetter ist ein zugleich grausamer und zärt­li­cher Film, ist Anklage und Umarmung. Präzise fängt sie die eigen­ar­tige Einsam­keit im eigent­lich warmen Nest der Herkunft ein, das Gefühl des Fremd­seins inmitten des Vertrauten. In der Familie und im Dorf wird viel geredet, aber nicht mitein­ander. Hinter all dem Reden wird geschwiegen, über die Wünsche, die Enttäu­schungen, den beruf­li­chen Druck und die emotio­nale Leere. Unterm Strich mani­fes­tiert sich ein ziemlich einsames, aber funk­tio­nales Leben. Das lässt sich leicht perp­etu­ieren: Wenn Clara zurück in der Berliner WG ihrer Tochter eine Stulle schmiert, erahnt man, dass eines Tages auch sie mit ihrer Tochter übers Wetter reden wird.