GB/USA 2024 · 120 min. · FSK: ab 16 Regie: Fede Alvarez Drehbuch: Fede Alvarez, Rodo Sayagues Kamera: Galo Olivares Darsteller: Cailee Spaeny, Isabela Merced, Archie Renaux, David Jonsson, Spike Fearn u.a. |
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Schöne Kinomomente... | ||
(Foto: Disney) |
Mit absoluter Stille geht einmal mehr alles los: Sehr böse und sehr gnadenlos. Vor allem atmosphärisch knüpft Alien: Romulus an Ridley Scotts Klassiker von 1979 an. Dort im All zeigen die ersten Sekunden des Films ein Raumschiff, das offenbar die Überreste der »Nostromo«, des Raumschiffs des ersten Alien-Films, eingesammelt hat. Dann, plötzlich rattern im dunklen, kalten Weltraum die Bildschirme der Computer los – doch das signalisiert nicht etwa das Ende des Schlafs der Vernunft in diesem Film, sondern im Gegenteil die Geburt neuer Ungeheuer.
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Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt – da weiß man seit dem ersten Film dieser unglaublichen, unnachahmlichen Filmreihe, was einem bevorsteht: Das perfekte Monster, entsprungen aus unserem Unterbewussten, dessen komplettes Arsenal an Perversionen, an Grauenerregendem, Erschütterndem, Widerlichem in diesem wandlungsfähigen, unfassbaren, glitschigen, fiesen
schwarzen Etwas gebündelt zu werden scheint; ein Monster, das nie sterben wird, sondern ewig wiederkehren in immer neuen Variationen.
Wir wissen, dass auch dieser Film diesem Monster nette unbedarfte Menschen – und auch ein paar weniger nette, die es vielleicht sogar verdient haben –, im halben Dutzend zum Fraß vorwerfen wird, und dass da eine Heldin kommen wird, die sich ihm entgegenstellt und zumindest für diesen Film das apokalyptische Ende aufhält, das in der
»Alien«-Reihe irgendwann notwendig bevorzustehen scheint.
Diese Heldin lernen wir auch in den ersten Minuten des neuen Films kennen – in einem strahlenden, sonnenbeschienenen Auftritt, der sie sofort als Heldin inthronisiert, der sich zwar leider als Traumsequenz entpuppen wird und doch den romantischen Kern berührt, der allen »Alien«-Filmen innewohnt. Sie heißt Rain, soll die neue Ellen Ripley werden und wird von Cailee Spaeny gespielt, der neuen großen Entdeckung des englischsprachigen Kinos – letztes Jahr machte Sofia Coppola sie in Priscilla aus dem Nichts zum Star, danach spielte sie die Hauptrolle in Civil War an der Seite von Kirsten Dunst, und auch in diesem Fall lohnt allein schon ihr starker Auftritt den Besuch des Films.
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Dafür, dass wir alle wissen, was in diesem Film früher oder später passieren dürfte, und dass das Auftauchen und Zuschlagen der Monster uns zwar für Sekundenbruchteile schockieren wird, dass die Erwartung ein Grauen und Erschauern in uns aufkommen lässt, aber niemals die große Angst vor dem Unbekannten – denn wir kennen ja schon, was kommen wird – dafür macht dieser Film, bei dem Fede Alvarez Regie führte, seine Sache erstaunlich gut.
Alvarez ist ein Uruguayer in Hollywood, der sich durch smarte B-Movies empfohlen, aber die Filmgeschichte bisher nicht neu erfunden hat.
Das tut er auch in diesem Fall nicht. Es wäre wohl auch etwas zu viel verlangt, denn schließlich erwartet man von einem Alien-Film, dass genau das passiert, was der Titel auf dem Kinoplakat schon suggeriert.
Trotzdem versucht der Film die Handlung auf kluge
Weise etwas aufzupeppen: Wir lernen eine Handvoll Menschen kennen, eine von ihnen ist eben jene Rain, eine Vollwaise. Alle sind ziemlich jung und divers – ein Tribut an den Zeitgeist, auch der Versuch, ein neues Publikum zu erschließen – und stehen auch sonst für die »Generation Z«: Zwanzigjährige ohne klare Zukunftsperspektive, die ausgebeutet als Arbeitssklaven auf einer gottverlassenen Minenkolonie, 65 Lichtjahre von der Erde entfernt, ihr Dasein fristen.
Proletarier-Kinder, die nicht so werden wollen wie ihre Eltern (das immerhin werden sie auch nicht), und darum ein herrenlos durch den Weltraum trudelndes Raumschiff als ihre Chance sehen, um der Ausbeutung zu entkommen. Sie wissen ja nicht, was sie dort erwartet.
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Mit dieser Ausgangsgeschichte erinnert Alvarez, der auch das Drehbuch schrieb, daran, dass das zweite Monster der Alien-Geschichten immer Kapitalismus und Ausbeutung gewesen sind, und von der Macht überstaatlicher Unternehmen erzählen, die nicht weniger triebhaft zum Monster werden wie das Alien-Viech.
Dann passiert das Erwartbare: Das kleine Raumschiff dockt an das Große an. Drei gehen vor, drei bleiben zurück. Interessant ist, dass es die Jungs sind, die auf das große Raumschiff gehen, während die Mädchen zurückbleiben und warten. Deswegen passiert den Mädchen auch erstmal nichts. Aber es führt doch, und das wollen wir nicht unerwähnt lassen, en passant ein konservatives Geschlechterbild vor: Jungs tun was, auch viel Dummes, Mädchen bangen, gucken und warten.
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Exkurs: Was soll man heute mit einer Saga wie »Alien« anfangen, die in den 45 Jahren ihres Bestehens mehr als eine Handvoll Fortsetzungen, Prequels, und sogar merkwürdige Kreuzungen (die beiden Alien vs. Predator-Filme 2004 und 2007) üblerlebt hat, ohne jemals den Schock des ersten, in die Geschichte eingegangenen Teils einholen zu können? Nach dem Misserfolg von Alien: Covenant (2017), der die von Ridley Scott mit Prometheus (2012) angestrebte Trilogie der Prequels abbrach, und der Übernahme von 20th Century Fox durch Disney 2018, bestand die kommerzielle wie kulturelle Herausforderung darin, das »Alien«-Universum einer Generalüberholung zu unterziehen, es
aufzufrischen, ohne es dabei zu zerstören.
Diese Operation verlief zunächst über eine allgemeine Verjüngung von Team und Besetzung. Die Hauptfiguren sind nun Disney-like eine Truppe von Mittzwanzigern, die dem Ganzen jugendliche Attitüden, aber auch grundsätzliche verleihen. Man möchte schließlich im Kino nicht immer Menschen beim – hier überaus schmerzhaften – Erwachsenwerden zuschauen. Geht’s auch mal etwas erwachsener? Ok, Boomer, alles klar!
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Obwohl Alvarez den »Quellcode« der Saga nicht berührt, erweitert er dennoch einige Aspekte: Der interessanteste Erzählstrang des Films dreht sich dann um Andy, einen Roboter, der den Menschen zum Verwechseln ähnlich sieht und sich von diesen vor allem dadurch unterscheidet, dass er viel empathischer und selbstloser ist. Andys einzige Direktive ist: »I have just one directive: do what’s best for Rain«. Da wird Alien: Romulus auch zur Geschichte über das
Verhältnis vom Mensch und KI, und über die Evolution.
Denn zum einen wird diesem Andy durch einige Kurven und Kehren der Handlung, die wir hier nicht erklären wollen, ein paar Mal der Computerchip mit dem eines anderen Roboters ausgetauscht. So begegnet man in einer schönen Variation des klassischen Doppelgängermotivs eigentlich zwei Andys: einem bösen, dessen Auftrag das Interesse des Unternehmens ist, für das er auch über Leichen geht, und besagtem guten empathischen, ohne
den Rain den Film nicht überleben würde.
Zum zweiten kommt es zur Wiederbegegnung mit dem Androiden Ash aus Alien (1979), den der digital wiederauferstandene, 2020 verstorbene Ian Holm mit verschmitzter Abgebrühtheit verkörpert. Ash begründet seine menschenfeindliche »Mission«, ergo: Programmierung, zuschauerfreundlich in längeren Ausführungen von rein zweckrational orientiertem
Positivismus, der mit Kontrolle und Disziplinierung arbeitet.
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So ist dieser gelegentlich nostalgische »Reboot« der »Alien«-Reihe mit einer neuen, jüngeren Heldin eine würdige und gelungene Fortsetzung der früheren Filme, an die er zum Teil direkt anknüpft, ohne dass man sie dafür kennen müsste. In vieler Hinsicht ist dies sehr gutes Old-School-Kino ohne »postcredit-Sequenzen« und andere Faxen.
Zugleich ein Film, der sich auf sehr smarte Weise zwischen »hoher« und »niedriger« Kultur bewegt, mit philosophischen Ideen und Genremotiven
spielt, theoretische wie politische Debatten inspiriert und dabei viel Spaß macht. Ein Film für die Fans der frühen Filme wie für eine neue Kinogeneration.
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Während er bis zur nicht erwartbaren Showdown-Steigerung sein Pflichtenheft abarbeitet, gelingt es Fede Alvarez immer wieder, schöne Kino-Momente zu erschaffen. Das beginnt schon mit der Eröffnung, mit Bildern kosmischer Weite. Zu ihnen gehört auch die bis zum Schluss durchgehaltene Idee eines häufigen Wechsels zwischen Phasen der Schwerelosigkeit und der Schwerkraft. Dies führt zu einer bemerkenswerten Passage: Nachdem Rain ein Dutzend Aliens getötet hat, findet sie sich plötzlich zwischen einem säurehaltigen Alien-Blut-Gewitter wieder, das in der Luft hängt. Einige Szenen später wird ein freier Fall in einem schwindelerregenden, ins Nichts führenden Fahrstuhlschacht plötzlich gestoppt und dann wieder beschleunigt. In solchen Momenten gelingt es Alien: Romulus, sich von seinen Vorläufern für Augenblicke zu emanzipieren und den Zuschauern buchstäblich den Raum unter seinen Füßen wegzuziehen.