Deutschland 2021 · 86 min. Regie: RP Kahl Drehbuch: Saralisa Volm, RP Kahl Kamera: Christoph Gampl Schnitt: Angelo Wemmje Darsteller: Saralisa Volm, RP Kahl, Luise Helm, Stefanie Schuster, Heike-Melba Fendel u.a. |
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Reden ohne sich anzuschreien | ||
(Foto: Real Fiction) |
»So the revolution called again, close to farce, that illmannered, drug-leached, informer-infested, indiscriminate ripping up of all the roots, yes, spoiled young middle-class heroes with fleas in their beard and rashes doubtless in the groin were accelerating each other now to accelerate America into the straightest fascism of them all.
And agents provocateurs in every cell. Yet he could not condemn them. Society, left to itself, blissfully void of revolutionaries, would expire in a welter of the most liberal sentiments and the foulest air, die in the total ecological disruption of the universe, if indeed the insane economic imbalances of the cities did not burst forth first.«
Norman Mailer, »The Prisoner of Sex«
Das waren noch Zeiten: Vier Frauen und ein Mann saßen auf dem Podium, man stritt sich heftig und mit Kraftausdrücken, es gab keine sozialen Netzwerke, in denen die Teilnehmer den Streit dann fortsetzen konnten, stattdessen ging man danach noch höflich miteinander trinken und die einen oder anderen sogar miteinander ins Bett.
Aber solche Anekdoten, überhaupt Vor- und Nachgeschichte sind hier nicht das Thema, ebensowenig wie Nostalgie. Als Susan Sontag im
Publikum saß ist ein sehr eigener, faszinierender, nüchterner, wie teilweise irritierender Film, den man am ehesten als dokumentarischen Essay und Performance-Kino beschreiben könnte.
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Grundlage bildet ein Dokumentarfilm des legendären D.A Pennebaker. Der filmte einfach mit, als 1971 die bald berühmte Debatte »A Dialogue on Women’s Liberation« in New Yorks Town Hall stattfand, und fertigte daraus den Dokumentarfilm »Town Bloody Hall«. Regisseur RP Kahl, der einst als Schauspieler in Heiner Müllers Inszenierungen anfing, hat diese Schlüsseldebatte auf Basis von Pennebakers Material verdichtet und mit Darstellern, teilweise Laien auf der Theaterbühne reenactet.
Sein Film bildet diese Aufführungen ab, und verknüpft dies mit den Reflexionen der Darstellerinnen über die Figuren, die sie spielen.
Es mischen sich also auch zwei Textsorten: Die Vorträge, die seinerzeit auch gelesen wurden, mit gegenwärtigem, aktuell und weniger ausgefeilt formuliert Gesprochenem.
Nicht zuletzt der Regisseur selbst, der die Rolle des Macho Normal Mailer spielt, gibt sich dabei auch preis, gibt sich produktive Blößen, fällt aus der Rolle und bricht die Performance der eigenen Person mit der Mailers.
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Man kann natürlich lange streiten, was es heißt, »links« zu sein. Aber es sollte, wer anderer Ansicht ist, nicht Linke als Rechte beschimpfen. Das geschieht heute. 1971, kurz nach 1968 neigte die Linke nicht weniger zur Selbstzerfleischung, aber viel weniger zum Identitären. Man sprach nicht von »Klassismus« und von Repräsentation, sondern von Veränderung. Man klagte nicht »Privilegien« an und Privilegierte, man wartete nicht, dass man etwas bekam, sondern nahm sich, was man
wollte. Man wusste, dass man die Welt nicht verändern könnte, ohne die Welt.
Es war nicht nur eine offenere und selbstbewusstere Gesellschaft, sondern eine offenere und selbstbewusstere Linke. Das zeigt dieser Film.
Wer die Diskussionen von damals verfolgt, der merkt schnell, dass hier Linke mit Linken streiten ohne jenen hysterischen Ton, ohne jenen Kulturmaoismus mit seiner Lust an Bekenntnissen und Selbstkritik, der die heutigen Debatten durchzieht, wo er sie nicht gleich verhindert.
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Was man jetzt da und dort lesen kann an Vorwürfen gegen diesen Film, macht vor allem in seiner Naivität und Anspruchshaltung traurig. Auch eine lobende Rezension beklagt zum Beispiel allen Ernstes den mangelnden »Dialog mit nicht-weißen, nicht privilegierten Frauen«. Hätte der Film die Realität nicht abbilden, sondern in Wunschvorstellungen woker privilegierter, europäischer (und weißer) Mittelstandskinder verfälschen sollen?
So the revolution calls again... Hätten sie doch inzwischen mal etwas gelesen von Susan Sontag, Simone de Beauvoir, Alice Schwarzer, dann hätten sie etwas erfahren oder wenigstens etwas lernen können.
Aber das sind weiße privilegierte Akademikerinnen. So ein Mist. »Umstritten«. Also eigentlich schlecht.
Und Germaine Greer, die hat im Rahmen der #MeToo-Debatte auch nicht das gesagt, was die korrekte Masse hören und lesen wollte. Wieder falsch! Eine »Verräterin« ihres Stammes. So weit wollte man es mit der Freiheit und Emanzipation der Frauen nicht treiben. Sie sollen sagen, was sie wollen, aber schon wollen, was sie sollen.
Aber gerade auch wegen solcher Debatten zwischen den Feministinnen der ersten Feminismus-Generation und heutigen Frauen lohnt sich dieser Film.
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Susan Sontag hat einmal formuliert, warum »Dialog in die Breite« mit Menschen mit wenig Geld und wenig Bildung eine Illusion und das Klischee der Bildungsbürger sind: »I really believe in history, and that’s something people don’t believe in anymore. I know that what we do and think is a historical creation. . . .We were given a vocabulary that came into existence at a particular moment. So when I go to a Patti Smith concert, I enjoy, participate, appreciate, and am tuned in better because I’ve read Nietzsche.«
Kluge Unterhaltungen können nur von klugen Menschen geführt werden. Hier sieht man sie auch gut ausgeleuchtet im Rampenlicht. Auch die Revolution ist nicht in der Breite und nicht im Publikum, sondern vorn auf dem Podium.
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Mit Germaine Greer, Diana Trilling, Susan Sontag, Norman Mailer und anderen ersteht hier auch ein verlorener Diskussionsstil wieder auf, eine Streitkultur, die zugleich härter und zivilisierter und viel humorvoller ist als unsere gegenwärtige.
Trotzdem ist dies weit mehr als nur ein großartiges Dokument des Entwicklungsprozesses der Frauenbewegung. Dies ist alles andere als naiv, sondern komplex und durchdacht, eine vielschichtige, feministische Reflexion, und ein ganz und gar zeitgemäßer Film, der ins Herz der gegenwärtigen Debatten trifft.
Zugleich ist dies eine Art Anleitung für den lustvollen Streit, für das Austauschen von Argumenten. Dieser Film zeigt, wieviel Spaß das freie und befreite Denken macht; er zeigt die Lust am Argument, am Streiten um die Sache im Respekt vor der Meinung der anderen.