Philippinen/D 2016 · 87 min. · FSK: ab 16 Regie: Khavn Drehbuch: Khavn, Achinette Villamor Kamera: Albert Banzon Darsteller: Marti San Juan, Dido De La Paz, Robin Palmes, Khavn, Bing Austria u.a. |
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Punkig hingerotzte, expressive Intensität |
Sehr kurz.
Sehr kurz ist dein Leben.
Die Funken fliegen
von den Kohlen der Hölle.
Den Himmel wollen sie küssen.
Aber das wird nie geschehen. [aus dem Titelsong]
„Alipato“ ist Filipino für Funke. Im Film ist es der Funke, der fliegt, wenn Holzplanken zu Kohle verbrannt werden. In Ulingan, einem Slum von Manila, ist diese Kohleproduktion die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung. Überall brennen dort auf den Straßen die Funken schlagenden Feuer und überziehen das ganze Viertel mit ihrem giftigen Qualm. Die Kohle ermöglicht den dortigen Menschen ein Leben und bringt zugleich ihren Tod: Die durchschnittliche Lebenserwartung in Ulingan liegt bei 40 Jahren. Gerade die Kinder kümmern sich um die Kohleherstellung. Sobald sie laufen können, sammeln sie aus der heißen Asche Nägel zum Verkauf an Metallhändler auf.
Dies ist das Umfeld, in dem im Jahre 2031 eine Gang von Straßenkindern sein Unwesen treibt: Die „Kostkas“ machen alles vom Diebstahl im Supermarkt bis zum Mord, um an Geld zu kommen. Doch der Boss will mehr und beschließt den Überfall der Zentralbank. Doch der geht gründlich schlief: Einige Gangmitglieder sterben und der Boss wandert für 28 Jahre in den Knast. Als er herauskommt, warten die anderen bereits auf ihn. Sie haben nur eine Frage: Wo ist das nach dem missglückten Raub verschwundene Geld?
So weit ein paar Fetzen aus der ohnehin nur höchst rudimentären Handlung des neuen Films des philippinischen Enfant terribles Khavn (de la Cruz), einem echten Vielfilmer und Multitalent: Alipato – The Very Brief Life of an Ember ist bereits der 49. Langfilm des philippinischen Tausendsassas. Hinzu kommen noch einmal 100 Kurzfilme. Außerdem betätigt sich Khavn als Autor und als Musiker – alleine oder in einer seiner drei Bands. Bei der Vorstellung seines letzten Films, des 13-stündigen surrealen Tagebuchs Simulacrum Tremendrum, auf dem Filmfestival in Rotterdam, ließ es sich Khavn nicht nehmen, die gesamte Aufführung live am Klavier zu begleiten.
So erweckt auch Khavns Inszenierungsstil den Eindruck eines stets unter Überdruck stehenden manischen Machers, der sich ganz klar dem Motto „Mehr ist besser“ verschreiben hat. Sein zuletzt in deutschen Kinos zu sehender Ruined heart – another lovestory between a criminal and a whore aus dem Jahre 2014 war da eher eine ungewohnte Ausnahme: Der ist ein zwar sehr wilder und ziemlich schräger, aber auch ein romantischer Liebesfilm, bei dem Wong Kar-Wais einstiger Stammkameramann Christopher Doyle für die visuelle Umsetzung verantwortlich war.
Doch mit ALIPATO schließt Khavn nicht an Ruined Heart, sondern an Mondomanila (2010) an, von dem er das Milieu der Kindergangs und die Bezeichnung des Handlungsorts übernommen hat: Auch ALIPATO spielt in „Mondomanila“. Das Kunstwort setzt sich zusammen aus dem Namen der philippinischen Hauptstadt und aus der Bezeichnung für ein spezielles Subgenre des italienischen Exploitationfilms, dem Mondo-Film. Dieses nahm 1962 mit dem noch verhältnismäßig zahmen Mondo Cane seinen Anfang und steigerte sich in Folge zu immer wüsteren Werken, die unter dem Vorwand der Aufklärung eine krude Ansammlung von Sex, Gewalt und Tod aus aller Welt zeigten.
Dies ist im Prinzip auch die Methode von Khavn in Mondomanila und in ALIPATO. Dass sein „Mondomanila“ in Letzterem in die nahe Zukunft versetzt ist, zeigt sich nicht anhand irgendwelcher futuristischen Features, sondern alleine anhand der frappierenden Zuspitzung des Geschehens. Wohlgemerkt ist „Geschehen“ hier – wie bei Khavn allgemein üblich – weniger im Sinne einer stringenten Handlung, als vielmehr im Sinne einer geballten Ansammlung manisch-durchgeknallter Aktionen zu verstehen.
Der Eindruck wechselnder Performances entsteht schon alleine aufgrund der Art der Darstellung: Wie bei einem semiprofessionellen YouTube-Musik-Video hält die Kamera immer direkt auf die zumeist genau in Bildmitte befindlichen wechselnden Akteure drauf. So zappelt gleich zu Anfang ein Verrückter in einem Affenkostüm herum. Ihm folgen andere, die anders, aber immer ähnlich schräg ausstaffiert, ihre eigenen Nummern vorführen. In dem Stil geht das über eine halbe Stunde weiter, bevor sich aus dem Gezeigten ganz allmählich so etwas, wie eine Handlung herauszuschälen beginnt.
Was Khavn allerdings erreicht, ist eine beängstigend-bedrückende Vision einer Welt, die nicht am Abgrund steht, sondern bereits weit darüber hinaus ist, und die trotzdem immer weiter macht. Dabei werden die einzelnen wechselnden infernalischen Impressionen und Handlungsminiaturen zusammengehalten durch die überall lodernden Feuer, deren wilde Funken und schwarzer Qualm Mondomanila sowohl im realen, wie auch im übertragenen Sinne in eine wahre Hölle auf Erden verwandeln. Das unkontrollierte Züngeln der Flammen findet eine akustische Entsprechung in der kakofonischen musikalischen Untermalung, die zum Teil ebenfalls von Khavn stammt.
In dieser punkig hingerotzten expressiven Intensität und Gestik liegt die große Stärke von ALIPATO. Sie verhilft dem Film immer wieder zu äußerst eindringlichen Momenten, in denen sich das Gezeigte direkt über die Netzhaut in die tiefsten Hirnwindungen hineinfrisst und zugleich ein flaues Gefühl in der Magengegend entstehen lässt. Doch leider konterkariert Khavn diesen Effekt immer wieder dadurch, dass er sichtlich zu gewollt auf maximale Provokation setzt:
So werden die einzelnen Gangmitglieder mit sich immer weiter steigernden Attributen, wie „frisst Popel“, „frisst Scheiße“, „frisst Glasscherben“ vorgestellt. Natürlich ist die Schwester eines der kriminellen Milchbubis eine Hure („Blasen: 1 $, Ficken: 2 $“). Und als der Boss aus dem Knast heraus kommt, treibt er es zuerst mit seiner schwangeren Freundin auf dem Klo und vergewaltigt anschließend die Oma mit vorgehaltener Knarre in der Küche. – So weit zu den dezenteren Details ...
All dies bewirkt, dass der Zuschauer bei Alipato immer wieder zwischen Faszination und innerer Ermüdung schwankt. In jedem Fall bewirkt dieser Film eine sehr ungewöhnliche und sehr intensive Seherfahrung. Ob diese deshalb auch wirklich lohnenswert ist, muss dahingegen jeder Betrachter für sich selbst entscheiden.
Sicher ist nur: Das Leben ist wie ein brennender Holzscheit: heiß, Funken sprühend, schmutzig und gefährlich – und sehr schnell verbrannt.