Deutschland 2024 · 114 min. · FSK: ab 6 Regie: Simon Verhoeven Drehbuch: Simon Verhoeven Kamera: Jo Heim Darsteller: Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Meltem Kaptan, Michael Maertens, Elyas M'Barek u.a. |
||
Zwischen Kitsch, Komödie und Kalauer | ||
(Foto: Leonine) |
Seit einem der ersten großen universitären Cancel-Culture-Fälle, der Debatte um die amerikanische Soziologin und Stadt-Ethnologin Alice Goffman und ihre 2014 erschienene, bahnbrechende Urban-Anthropology-Feldstudie On the Run: Fugitive Life in an American City haben sich die ideologischen Kämpfe um kulturelle Aneignung, Geschlechterdisparitäten, Misogynie, Rassismus, politische und Gender-Fluiditäten vom universitären Bereich bis in die bizarrsten Winkel des Alltagslebens ausgebreitet und inzwischen auch Legislativ-Kompetenz erhalten, so wie der kürzlich eingeführte und inzwischen ausgiebig angewandte House Bill 1069, der es in Florida rechten Cancel-Culture-Hetzern ermöglicht, mit nur einer einzigen »besorgten« Beschwerde unliebsame Bücher bis auf Weiteres aus öffentlichen Bibliotheken verschwinden zu lassen.
All das ist natürlich ein guter Grund, der Sache komödiantisch auf die Spur zu gehen, und das auch in Deutschland, denn wenn auch ein wenig zahmer und verspätet, ist das Cancel-Culture-Gebaren inzwischen auch im deutschen Alltag angekommen. Und Simon Verhoeven, der als Regisseur der Migrations-Komödie Willkommen bei den Hartmanns bereits 2016 ein Gespür dafür bewies, neuralgische Punkte der deutschen Gesellschaft komödiantisch aufzubereiten und zuletzt mit Girl You Know It’s True gezeigt hat, dass er auch in Sachen Biopic überzeugen kann, ist sicherlich eine gute Wahl.
Mehr noch, da er mit 52 Jahren persönlich wissen dürfte, wie sich der inzwischen als Kampfbegriff genutzte Vorwurf, ein alter weißer Mann mit überkommenen moralischen Vorstellungen zu sein, anfühlt. Das merkt man jedenfalls dem von Verhoeven geschriebenen Drehbuch an, das voller akkurater Alltagsbeobachtungen steckt, die Verhoevens Kernerzählung reich unterlegen, die Geschichte von Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers), der sich immer mehr und dann von seiner »allerwokesten« Seite zeigen muss, um die langersehnte Beförderung in seiner Telekommunikationsfirma zu erreichen. Dafür bittet er im finalen Teil des Films seine alten und neuen Vorgesetzten zu einem Abendessen nach Hause – bei dem, wie in diesem Format üblich, natürlich alle guten Absichten wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Auf dem Weg dahin erzählt Verhoeven jedoch auch die Geschichte einer modernen Familie, die sich durch Selbstoptimierungsanforderungen und neue moralische Paradigmen voneinander entfremdet hat. Vor allem hier punktet Verhoeven mit realistischen Alltagsvignetten, die er dezent ins komödiantische Format überführt. Sei es Hellmichs Frau Clara (Nadja Uhl), die sich mit Kopfhörern dauerbeschallt bzw. weiterbildet und kaum mehr ansprechbar ist. Oder Großvater Georg (Friedrich von Thun), der sich als Alt-68er als einziger noch traut zu sagen, was er denkt. Und dann sind da natürlich die Kinder, die genauso in sich gefangen und blockiert sind wie die Eltern. Vor allem der Besuch von Heinz bei seiner Tochter in Berlin, während dem er mit Familien-Tabus bricht und wieder lernt, er selbst zu sein, ist großartig inszeniert und der vielleicht stärkste Moment des Films.
Die Kernerzählung über Cancel-Culture in der Firma und im Alltag und den Zeitgeist, dem sich Heinz als Spießer, der er ist, genauso ergeben will, wie er sich bislang allem ergeben hat, was von ihm gefordert wurde, wirkt gerade im Vergleich zu der Familienerzählung zu aufgesetzt, vorhersehbar und vor allem zahm erzählt. Hier übererfüllt Verhoeven sein Soll genauso wie es die Hauptperson des Films, sein Heinz, die ganze Zeit versucht. Sei es mit der völlig überzogenen, klamaukigen Person des von Elyas M’Barek gespielten Älex Sahavi oder auch des von Michael Maertens gespielten Chef Dr. Steinhofer, die so überstrapaziert werden, dass die Komik nicht mehr komisch ist. Die aufdringlich komponierte Musik, die diese und andere Momente unnötig erklären und verstärken sollen, macht alles nur noch schlimmer.
Obwohl schlimm natürlich zu viel des Bösen ist, denn Verhoeven erzählt von wichtigen Themen, entscheidet sich dann aber statt für subtilen oder bissigen Humor für das gefällige Mittelmaß, das in zu vielen deutschen Komödien die Standardlösung ist, um niemanden zu verprellen und möglichst hohe Einschaltquoten bei der Fernsehauswertung zu garantieren. Vor allem das mit Kitsch getränkte Ende mit seiner an amerikanische Vorbilder angelehnten Rettung der heiligen Familie nimmt Verhoevens Film auch den letzten bösen Biss, um den er sich ja immer wieder redlich bemüht und den eine wirklich provokante Komödie etwa aus dem Umfeld von Judd Apatov und seiner »Gang«, Adam Sandler oder ein Film wie Jan Henrik Stahlbergs Fikkefuchs erheblich stärker ausspielt.