Deutschland 2007 · 85 min. · FSK: ab 0 Regie: Robert Thalheim Drehbuch: Robert Thalheim Kamera: Yoliswa Gärtig Darsteller: Alexander Fehling, Ryszard Ronczewski, Barbara Wysocka, Piotr Rogucki u.a. |
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Darf man in Auschwitz glücklich sein? |
Es ist Sommer, die Sonne hängt tief und brennt gelbgold, ein junger Mann kommt in eine fremde Stadt, die belebt ist, und offenbar viel von Touristen besucht wird. Dies könnte eine Idylle sein, und der Anfang für eine heitere Geschichte, hieße dieser Ort nicht Auschwitz. Und nichts ist erstaunlicher an diesem Film, als wie gut es dem Regisseur gelingt, einen leichten, streckenweise heiteren Grundton zu wahren, ab und an sogar witzig zu sein, trotz dieses Schauplatzes und eines Hintergrundthemas, das einem alles Lachen vergehen lässt.
Wer Netto gesehen hat, den Erstling von Robert Thalheim, der nach wie vor noch Student an der Potsdamer Filmhochschule ist, weiß um die Stärken dieses Regisseurs: Denn was Netto so faszinierend und einmalig machte, war nicht etwa sein Realismus – die Regisseure der »Berliner Schule« sind da treffender – oder der menschenfreundliche Blick auf die Unterschicht – das kann Andreas Dresen genauso gut – sondern sein Witz, seine Leichtigkeit des Erzählens, die der tristen Story alles Schwere und Depressive, alle deutsche Romantik austrieb, und sie mit einer gesunden Portion fatalistischem Sarkasmus' würzte. Nicht alles war perfekt an Netto, aber sofort sichtbar war: Robert Thalheim bringt einen neuen, bisher nicht gekannten Ton ins deutsche Kino.
Schon die Aussicht, ausgerechnet Thalheim würde den ersten deutschen Spielfilm über das Auschwitz der Gegenwart drehen, ließ einiges erhoffen. Thalheim hat seine Zivildienstzeit dort verbracht und so gesehen ist Am Ende kommen Touristen auch ein autobiografischer Film – obwohl Thalheim selbst in Interviews betont: »Der Film ist nicht autobiografisch, sondern fiktiv.« Man hätte sich dabei von ihm durchaus auch eine Komödie vorstellen können, einen Film der die Peinlichkeit des öffentlichen Geschichtsgebrauchs und mancher Gedenkrituale bloßlegt, mit scharfem Blick, satirisch, aber ohne wiederum selbst peinlich zu werden. Spurenelemente eines solchen Films – den man zugegebenermaßan auch gern gesehen hätte – finden sich tatsächlich in Am Ende kommen Touristen, etwa, wenn der Film in einem Nebenstrang der Handlung die Bemühungen eines deutschen Industrieunternehmens skizziert, den passenden Umgang mit der Geschichte und der eigenen Rolle zu finden, naheliegenden Vorwürfen zu begegnen und sich »der Verantwortung bewusst« zu geben – obwohl man doch eigentlich bloß Geschäfte machen und die Polen als möglichst billige Arbeitskräfte verwerten will. Wie dumm, dass das vor 60 Jahren schon andere noch ein bisschen effizienter und skrupelloser gemacht haben.
Im Zentrum aber steht etwas völlig anderes: Sven Lehnert (Alexander Fehling) bildet von der ersten Szene an den Mittelpunkt. Er, der als Zivildienstleistender an der Auschwitz-Gedenkstätte tätig ist, ist sozusagen der Stellvertreter des Zuschauers vor Ort. Mit ihm begegnet man Abläufen, Menschen, die hier leben und arbeiten. Vor allem zwei Personen sind es, die Sven kennenlernt und mit deren sehr unterschiedlichen Standpunkten er sich auseinander setzen muss: Da ist der über 80-jährige Herr Krzeminski (gespielt von der polnischen Schauspieler-Legende Ryszard Ronczewski), ein Ex-Häftling, der alte Koffer seiner Mithäftlinge restauriert und Besuchern von seinen Lager-Erlebnissen berichtet. Und da ist Ania (Barbara Wysocka) eine junge Frau, die ihr Geld als Touristenführerin verdient, und von hier weg will, von einem Job bei der EU in Brüssel träumt. Diese beiden denkbar unterschiedlichen Polen symbolisieren die zwei Seiten von Sven Verhältnis zu diesem Ort: Krzeminski löst berechtigte Scham und Schuldgefühle aus, die in Überidentifikation münden. Sven mag Krzeminski, will gut zu ihm sein, und weiß doch oft nichts mit ihm anzufangen. In Ania verliebt er sich – und damit zugleich in eine Gegenwart, die Leichtigkeit, Glück und Alltag bedeutet, das Vergessen der Vergangenheit, das dann auch wieder schnell Schuldgefühle weckt. Darf man, kann man in Auschwitz glücklich sein?
Thalheim arbeitet mit einer Handkamera und relativ grobkörnigem Bildmaterial, was den Bildern eine dokumentarische Anmutung gibt. Der Blick der Kamera ist beiläufig, schnell, bereit zu raschen Perspektivwechseln – das betont die flanierende Position Svens, seine Unsicherheit, aber auch die Unmittelbarkeit und Direktheit des Geschehens. Es treibt den Bildern alles Getragene, allen Gestus des Repräsentativen aus. Sie sind, was sie sind, nicht mehr, nicht
weniger.
Das überzeugende Resultat und die ihm zugrundeliegende Leistung von Regie und Produzenten – Britta Knöller und der selbst als Regisseur bekannte Hans Chrisian Schmid – sind auch deswegen gar nicht genug zu schätzen, weil die Dreharbeiten stark belastet waren: erst kurz vor Ankunft wurde die bereits erteilte Drehgenehmigung für das eigentliche Lager zurückgezogen, sodass neben dem Dreh auch die ganze Filmhandlung vor Ort verändert und in Teilen sozusagen
improvisiert werden musste.
In überaus leichter, unangestrengter Weise zeigt Am Ende kommen Touristen, wie kompliziert der Umgang mit der deutschen Schuld am industrialisierten Völkermord weiterhin bleibt. Er zeigt, wie auch dieser Umgang industrialisiert wird, Effizienzkriterien und Rationalisierung auch hier greifen und Gedenken im eigentlichen Sinn schwer machen. Er zeigt neben dem Schulddilemma junger Deutscher – das der böse treffende Satz, eines Ex-Häftlings
über Sven illustriert: »Frag ihn mal, ob sein Vater auch schon hier gearbeitet hat.« –, auch die Dilemmata der Polen, die heute vom Lagertourismus leben, aber doch nur weg wollen.
Vor allem aber ist dies ein Gegenstück zum bleiernen, grau-braunen autoritären Repräsentationskino a la Der Untergang und Das Leben der Anderen, in denen noch jede Nebenfigur ein Symbol mit Bedeutung wird, aus denen alles Leben und Alltag ausgetrieben sind. Einem Kino, das die Vergangenheit festschnüren will und sagt: So und nicht anders war es. Am Ende kommen Touristen findet die Vergangenheit in der Gegenwart, ist voller Alltag, konkret und unsymbolisch. Das ist nicht die kleinste seiner vielen Stärken.