USA 2010 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Anton Corbijn Drehbuch: Rowan Joffe Kamera: Martin Ruhe Darsteller: George Clooney, Violante Placido, Thekla Reuten, Paolo Bonacelli, Bruce Altman u.a. |
||
Engel des Todes |
George Clooney zu besetzen ist, darum kommt man nicht herum, ein Fashion Statement. Man verpflichtet sich damit nicht nur den derzeit angesagtesten US-amerikanischen Darsteller, den einzigen, der so etwas wie die mythische Qualität früherer Hollywood-Stars zu entfalten vermag, sondern auch die seltene Verbindung aus Coolness mit Charme und Selbstironie. Die Farbe, die vor Clooney nur Cary Grant mit ähnlicher Perfektion bespielte. Wie Grant hat auch Clooney die Wirkung vollkommener Zivilität: Fast unmöglich, sich diesen Mann als Soldat, als Polizist, oder als Mörder vorzustellen. Wie funktioniert das nun aber, wenn man, wie Anton Corbijn in seinem neuen Film The American, Clooney als Auftragskiller besetzt? Kann es funktionieren? Vielleicht nur, wenn man eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählt.
Es ist eine ziemlich gute Eröffnungsszene, und weil jeder, der in dem Film nicht zu spät kommt, sie sowieso gleich sieht, darf man ihre Pointe unbesorgt verraten: George Clooney, der den Held dieses Film spielt, den titelgebenden »American«, einen Amerikaner in Europa, stapft durch den schwedischen Schnee. Er tut das nicht allein, begleitet wird er von einer hübschen Schwedin, mit der ihn offensichtlich ein Liebesverhältnis verbindet. Da findet er Spuren im Schnee, die ihn Verdacht schöpfen lassen, die Kamera hilft uns zu verstehen, was in seinem Kopf vor sich geht, er zieht die Frau an seinen Körper, ignoriert ihren Schreck und ihre irritierten Fragen, und zieht eine Waffe und erlegt zwei Männer, die offenbar in den Bäumen auf ihn lauerten. Als der Körper am Boden liegt, sagt er seiner Begleiterin, sie solle Hilfe holen, doch sobald sie ihm den Rücken zugewandt hat – tötet er sie durch einen Kopfschuss.
»Who was the girl?« wird er bei nächster gefragt, als er von dem Vorfall Bericht erstattet. Seine Antwort: »A friend«. »Next time don’t make friends.« Man hätte von diesem Mann auch nicht unbedingt erwartet, dass er Freunde hat. er hat noch nicht einmal einen Namen. Mal heißt er Jack, mal Edward, mal Butterfly, weil er einen solchen als Tatoo zwischen den Schultern trägt, mal noch wieder anders. Viele Namen, das ist wie gar keiner, und in seinem Geschäft ist dies die beste Option. Ein Mann ohne Identität.
Im Folgenden wird dieser Mann allmählich aus der Kälte auftauchen, wird auftauen, und sich ein Terrain zurückerobern, das er lange schon verloren hatte: Das des Gefühls. Und damit sich selbst. Von Anfang an muss man allerdings Angst darum haben, dass es zu spät ist für diesen Mann, dass er nicht mehr loskommt von seiner Arbeit und ihren Folgen.
Von schönen Killern lebt das Kino seit jeher: Man denke nur an Alain Delon als eiskalten Engel in Melvilles Le samouraï, an John Woo’s The Killer, an Edward Fox in Fred Zinnemans Der Schakal, an den Bourne verschiedener Filme, von den nicht völlig anders gelagerten Shootists des Western gar nicht erst zu reden. Sie alle haben Probleme mit ihrer Identität, das liegt nicht allein daran, dass sie diese sinnvollerweise zu verbergen suchen, es scheint essentielle Folge des Handwerks zu sein.
Bei Clooney und seinem Regisseur wird diese Identitätslosigkeit allerdings ein System. Ging es Antonionis Hauptfigur in Beruf: Reporter noch darum, sich loszuwerden, geht es Corbijns introvertiertem Helden eher um das Gegenteil: Er sucht sich selbst wiederzufinden, die Kontrolle zurückzugewinnen.
Am Ende suchen sie aber das Gleiche: Erlösung. und sie finden es in der Bewegung, der Ortsverlagerung, der Reise. In Kirchen. Bei Frauen. Da ist Mathilde (Thekla Reuten), eine neue Kundin, für die er eine spezielle Mordwaffe anfertigt. Und dann Clara (Violante Placido), die Dorfhure jenes malerischen italienischen Kaffs, in das er sich zurückgezogen hat.
Anton Corbijn ist bekanntlich Holländer. Bevor er einer der bekanntesten Photografen seiner Generation wurde, war er ein Musikfan, kulturell sozialisiert in den Punk und Post-Punk-Szenen der Spätsiebziger. Einer seiner ersten Fotoaufträge führte ihn nach Manchester, wo er – als einen sehr ersten Aufträge überhaupt – die aufstrebende Joy Division portraitierte. Die letzten Jahre ihres Leadsängers, des charismatischen Ian Curtis, der 1980 mit 23 Jahren Selbstmord beging, standen, nach der Zwischenstation mehrerer Musikvideos (z.B. Depeche Mode und »U2«) im Zentrum von Control, Corbijns erstem Spielfilm. Control könnte auch dieser Film heißen. Denn sein Thema ist zu allererst der Versuch, die Kontrolle nicht zu verlieren. Dieser Wunsch gilt als besonders männlich und in der gegenwärtigen Gesellschaft zugleich als eher lasterhaft, ist doch Kontrollverlust ein Zeichen des Authentischen. Und authentisch werden muss der Mensch, sagt das gemeine Bewusstsein, sonst lebt er nicht. Darum soll diesem George Clooney/Killer unsere ganze Sympathie gelten. Ist es in Woos The Killer vor allem die Müdigkeit, die dann neben der Ähnlichkeit zwischen Gangster und Bulle opernhaft zelebriert wird, ist es hier vor allem die Sinnlosigkeit des Tuns.
Man könnte The American als Metapher auf unsere Arbeitswelt verstehen, die Handwerk immer weniger schätzt, in der die Handwerker aussterben, darum sieht man unseren Helden ausgiebig in seinem kargen Zimmer herumwerkeln.
George Clooney/Killer ist vor allem und zuerst ein solcher Profi, der mit der selbstzweckhaften Akribie, die andere in Zinnsoldaten oder Modelleisenbahnen verwenden, Spezialwaffen anfertig, sozusagen massgefertigte Mordinstrumente. Wozu man so etwas wirklich braucht und ob es solche Leute tatsächlich gibt, hat man auch am ende des Films nicht verstanden.
The American ist zu allererst eine Stilübung, und zwar eine im Retro-Stil, also etwas sehr Gebräuchliches in unseren einfallslosen Zeiten. Verpflichtet ist der Film dabei vor allem dem europäischen, besonders dem französischen Kino. Der Film hat, ohne je glatt oder kitschig zu sein, oder Postkartenbilder zu reproduzieren, auch etwas von einem Touristenprospekt, der die malerischen Schönheiten eines noch unentdeckten Dorfes preist, das Italien der Post-Toskana-Fraktion: Nachhaltigen Urlaub, also mit Wolken und grauem Himmel.
Die Anzüge sitzen immer bei Clooney, und spätestens, wenn er im Café seinen dritten »Café Americano« (!!) schlürft, fällt einem die Werbung wieder ein, die er für Espressomaschinen und ihre Wegwerffilter gemacht hat. Im Radio läuft dann auch mal Renato Carosone Song »Tu Vuò Fa' L’Americano«, der einen nicht nur an Klischees der Beziehung Amerika-Italien erinnert, sondern auch an Minghella Highsmith-Ripley-Verfilmung. Weil wir in einem italienischen Musterdorf sind, gibt es auch einen Priester, der neunmalkluge Fragen schöpft und offenbar gleich begreift, dass er in Clooney/Killer eine Seele vor sich hat, die nach Erlösung durstet, und daher mit ihm Camillo-und-Peppone-hafte Gespräche führt.
So stimmen alle Zeichen in diesem Film. Aber was nicht stimmt, ist die Tiefe unter der Oberfläche, was fehlt ist der Sog, der alle Zeichen und Mosaiksteine zu einem Ganzen fügt, was fehlt, ist ein Geist vom Kaliber Antonionis, der in Beruf: Reporter aus banalsten Ereignissen und einer kruden Geschichte ein Meisterwerk und eine existentielle Metapher zu formen vermochte.