USA 2003 · 101 min. · FSK: ab 6 Regie: Shari Springer Berman, Robert Pulcini Drehbuch: Shari Springer Berman, Robert Pulcini Kamera: Terry Stacey Darsteller: Paul Giamatti, Hope Davies, Harvey Pekar, James Urbaniak, Joyce Brabner u.a. |
||
Der Comicstar |
Harvey Pekar weiß, dass er ein ganz normaler Amerikaner ist. Er arbeitet als Schreibgehilfe in den Archiv-Katakomben eines Krankenhauses in Cleveland. Ansonsten lebt er mit einer Katze und einer chaotisch-großen Sammlung an Jazz-Platten und Comicheften in seiner vollgemüllten, kleinen Wohnung. Es ist das Jahr 1975, die wilden Siebziger. Harvey wurde gerade von seiner zweiten Frau verlassen, und akzeptiert nun endgültig sein durchschnittliches Leben. Er macht daraus die Geschichten für ein Comic-Heft über sich selbst, über den heimtückischen Alltag eines Alltäglichen. »American Splendor« geht in Serie, macht Pekar zum Underground-Star und bald am Late-Night-Tisch von David Letterman zum Giftzwerg der Nation.
Der Film American Splendor ist eine Revolution. Die kleine Produktion, die schon 2003 auf dem Münchner Filmfest zu sehen war, hat inzwischen eine Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch und eine Menge an Festivalpreisen vorzuweisen. Genug, um die Geschichte vom in Deutschland kaum bekannten Comic-Anti-Helden Pekar, die selbstbewusst so viele Genres und Ästhetiken des Films zusammenbringt, nun auch hierzulande in die Kinos zu bringen.
Robert Pulcini und Shari Springer Berman – Drehbuchschreiber und Regisseure von American Splendor – haben aus den Comics von Pekar eine Filmbiographie gemacht, die genauso brüchig und rau, so launisch und sprunghaft, aber auch genauso herzerweichend und versöhnlich ist, wie das Leben und der Charakter von Pekar selbst. Nach dem Beginn in den Fünfzigern, wo der kleine Harvey an Halloween das ganze Verkleiden satt hat und einfach als Harvey Pekar um Süßigkeiten bittet, ist man im Jahr 1975, als Harvey nicht nur seine Frau, sondern auch seine Stimme verliert. Zurück in die Sechziger: Harvey hängt mit dem bekannten Comiczeichner Robert Crumb herum, der ihm später seine Geschichten illustrieren wird, oder kämpft mit der Wohnung: »Der dumme Abwasch war schon immer meine Achillesverse«, gibt er einmal erbost in einem Comic von sich.
Eingeblendete Textfelder verbinden die Szenen, Gedankenblasen geben dem Film eine comicartige, vierte Dimension. Dazu kommentiert der echte Harvey Pekar aus dem Off die Verfilmung seines Lebens: »Also hier bin ich, oder der Typ, der mich spielt, auch wenn er gar nicht aussieht wie ich. Aber, was soll’s.« Der echte Pekar sitzt in einem weißen Raum ohne Wände, in dem nur spärliche Requisiten mal einen Flohmarkt, dann ein Archiv andeuten. Von Anfang an ist klar: American Splendor spielt mit den Darstellungsmöglichkeiten von Film, lässt Spielszenen in echte Interviews in einem stilisierten Kunstraum übergehen, führt dort Schauspieler neben ihre realen Vorbilder, oder zeigt so manches Detail im Leben Pekars nur als unbewegten Comic. Wenn seine zukünftige Frau Joyce ihn am Flughafen erwartet, sieht sie zuerst nur den grunzenden zweidimensionalen Comic-Harvey, bis der echte neben ihr steht – eine keineswegs angenehmere Erscheinung, von Paul Giamatti mit dem ewig genervten Blick und dem andauernden Kratzen mitreißend eklig gespielt.
Nur eine Nacht braucht Harvey Pekar, aber eine ganze, um seine erste »American Splendor«-Geschichte zu erfinden. Der nächtliche Cool Jazz blendet dabei in morgendlich-schwungvollen Hard-Bob über, um wenig später in überschwänglichem Soul den Erfolg der ersten Comics von Pekar zu feiern. Die Musik, die den beständig wechselnden und ineinandergreifenden Erzählebenen ein kraftvolles Rückrad bietet, ist eines der vielen Geheimnisse von American Splendor. Die fantastische Besetzung der skurrilen Freunde von Harvey ist ein anderes; besonders Judah Friedlander als pedantischer Toby Radloff, der 260 Meilen für den Film Revenge of the Nerds fährt und als »Spring-Break-Party-Nerd« sogar von MTV entdeckt wird. Das echte MTV-Material passt dabei nahtlos in die heterogene Bildstruktur des Films, genau wie die Aufnahmen der Letterman-Show aus den 80ern, wo Pekar mit seiner wüsten Direktheit erst den Moderator, später die ganze Show zum Schweigen bringt.
Als reiner Comic dann die Szenen, in denen Pekar gegen einen Tumor ankämpft und ihn schließlich besiegt. Für die Ungeheuerlichkeit dieser Krankheit vertrauen die Macher des Films ganz auf die unmittelbaren Zeichnungen, enthalten sich jeder theatralen Ergänzung. American Splendor ist zwar randvoll mit medialen Impressionen, aufgrund deren sinnvollen wie sinnlichen Einsatzes kommt es aber zu keiner Implosion. Es geht um das Zusammenspiel, gleichzeitig auch um die Konkurrenz von gezeichneten, gespielten und dokumentarischen Bildern, sowie den Kommentaren von realen und fiktiven Gestalten. Dass dabei ein äußerst stringentes und berührendes Werk herausgekommen ist, schlägt auch eine große Kerbe in die noch immer verbissen vorgenommene Kategorisierung von Filmen, bei der Produktion wie Rezeption.
Am Ende wird der echte Harvey Pekar von seiner Familie und seinen Freunden gefeiert. Aber ob das nun Wirklichkeit oder Inszenierung ist, danach fragt man schon lange nicht mehr. American Splendor ist vor allem herrlich erzähltes Kino.