USA 1997 · 89 min. · FSK: ab 16 Regie: Luis Llosa Drehbuch: Hans Bauer, Jim Cash Kamera: Bill Butler Darsteller: Jennifer Lopez, Ice Cube, Jon Voight, Eric Stoltz u.a. |
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Schrecken des Amazonas |
Recycelt wird ja heutzutage allerorten.Was also konnte nach den Katastrophenfilmen- und Easy Listening Revivals der letzten Jahre noch kommen? Findige Menschen sind jetzt auf den Monsterfilm gestoßen, zu seiner Zeit mindestens so unbeliebt wie der ebenfalls seiner Auferstehung harrende Austro-Pop.
Am grundsätzlichen Rezept brauchte man da gottseidank nicht viel zu ändern. Wir sehen eine nach allen Gesetzen der political correctness zusammengestellte Forschertruppe, bestehend aus einer hübschen Lateinamerikanerin (hübsch: Jennifer Lopez), einem blassen Engländer (englisch: Jonathan Hyde), einem noch blasseren US-Boy (blass: Eric Stoltz) und einem toughen schwarzen Rapper (tough: Ice Cube). Zusammen schippern sie den malerischen Amazonas (malerisch: der Amazonas) hinab, auf der Suche nach einem unentdeckten Indianerstamm. Zu ihnen gesellt sich bald der ebenso abgefeimte wie aufgedunsene Schlangenexperte Paul Sarone (nicht schön anzusehen: Jon Voight) dessen hehres Ziel es ist die größte und gefährlichste Anaconda aller Zeiten einzufangen.
Dabei schreckt er vor nichts zurück, Mord und Totschlag inklusive. So führt der Weg unsere forsche Forschertruppe schon bald ins Revier der mächtigen Riesenschlange. Die aber mißt ganze 15 Meter und ißt lieber gemischte Reisegruppen statt sich einfangen zu lassen, und so entbrennt recht bald ein zünftiger Kampf Mensch gegen Natur...
Ließ Steven Spielberg in seinem Monsterhit Der weiße Hai damals den titelgebenden Riesenfisch nur recht sporadisch auftauchen, so bietet uns Regisseur Luis Llosa in Anaconda Schlange satt, ungeachtet der Tatsache, daß sein tierischer Hauptdarsteller trotz verbesserter Tricktechnik eher wie ein Sympathieträger aus der »Augsburger Puppenkiste« wirkt. Der Ami hat sich offensichtlich dazu entschlossen es von der witzigen Seite zu sehen, in den USA wurde Anaconda ein Hit. Das muß er hierzulande nicht werden, mangelnde Dramaturgie und schlechte Darsteller sind nämlich nicht wirklich lustig, wenn der Regisseur seinen Job zu ernst nimmt. Allenfalls größere, kompromißlos zum Amüsement entschlossene und mit reichlich alkoholischen Getränken versorgte Jugendgruppen dürfen ihre Freude daran haben (müssen aber auch nicht).
Die Wasser des Amazonas (Konnotation: weiblich). Der Dschungel (Konnotation: weiblich). Das Schiff mit dem klangvollen Namen Micaela (Konnotation: weiblich). Eine Gruppe von Dokumentarfilmern und Forschern, zunächst unter männlicher Leitung. Allzu bald allerdings wird Dr. Steven Cale (Eric Stoltz) lahmgelegt durch den Stich einer Wespe (Konnotation?). Lediglich das Entfernen des Corpus delicti aus dem Rachenraum und ein improvisierter Luftröhrenschnitt retten ihm das Leben. Fortan jedoch muß er das Bett hüten. Ein Held, dem die potenz-ielle Kampfkraft genommen wird noch bevor er Gelegenheit bekommt, seinen Mann zu stehen. Die Risiken der Penetration, das Damoklesschwert der Entmannung, die Gefahren des Eindringens in die sumpfig-schwülen, finsteren Tiefen der Dschungelweiblichkeit – diese Themen beschäftigen (wohl nicht nur) Herrn Luis Llosa, der als Regisseur für Anaconda verantwortlich zeichnet.
Terror, so besagt die Theorie des Sublimen, sei die Angst, die ausgelöst wird in der Konfrontation mit dem Entgrenzten, dem Unkontrollierbaren. Man(n) muß folglich danach trachten, das Entgrenzte zu begrenzen, das Unkontrollierbare zu kontrollieren, die Wildnis in einen Garten zu verkehren. Das Ergebnis nennt sich das Schöne und ist nicht nur schön, sondern vor allem weiblich. Was aber, wenn die Zähmung der Widerspenstigen mißlingt? Dann freilich schlägt Terror in Horror um, dann entzieht sich das wuchernde Unterholz jeder landschaftsgärtnerischen Begradigung, dann beißt sich die Vagina Dentata durch kastrationsängstliche Männerphantasien.
Das Gros der Horrorfilme sind im eigentlichen Sinne lediglich Terrorfilme. Was mit dem Dschungel beginnt endet allzu oft im Küchengarten. Ein Horrorfilm müßte konsequent beunruhigen, müßte sich der Sicherheit eines Ordnungssystems verweigern. Ein Kunstgriff, den nur wenige Regisseure beherrschen. Ob Luis Llosa den Sprung ins kalte (Amazonas)Wasser wagt?
Der Mann, der sich den Tücken der entfesselten Natur stellt, ein echter Zivilisator, muß ein Ausnahmeathlet sein. Das wußte bereits Herman Melville. Nur ein Captain Ahab kann es aufnehmen mit dem weißen Wal. Die Jagd als Mission, als exorzistisches Ritual, ist ein Fulltime Job. Ahab heißt bei Llosa Paul Sarone und Darsteller Jon Voight darf die Zähne blecken, die Augen rollen lassen und aus jeder Pore des massigen Körpers Besessenheit verströmen.
Anaconda als Reader’s Digest Version des Moby Dick? Paul Sarone jagt die Schlange, die bekanntlich das perfekteste Beispiel von hortikultureller Anstrengung unwiederbringlich zerstörte. Jenseits von Eden hatte Sarone zunächst eine andere (?) Berufung. Priester wollte er werden, den Kampf gegen die Sünde an vorderster Front aufnehmen. Warum er in seinen Zielen versagt habe, wird er von den mehr oder weniger freiwilligen Reisegefährten gefragt, und er protestiert sogleich aufs Schärfste. »Who says I failed?«
Versagt hat er nicht, vielleicht aber zu wenig Nietzsche gelesen. Wer in den Abgrund blickt... Paul Sarone ist selbst zur Schlange mutiert, zur Menschenschlange im wahrsten Sinne des Wortes. Ein weibliches Mitglied der Expeditionsmannschaft, das Sarone sinnigerweise mit Little Bird angesprochen hatte, erstickt im Würgegriff.
Wie Captain Ahab wird letztlich aber auch für Sarone die eigene Obsession zum Verhängnis. Bei Melville darf der Wal den Jäger und Zivilisator in die dunkle, feuchte Tiefe ziehen – und überleben. Soweit wagt sich Llosa nicht vor. Zum Showdown geht es in einen hoch über dem Dschungel aufragenden Schornstein. Ein gewaltiger Feuerball fährt durch den Ziegelstein-Phallus und treibt das Ejakulat Schlange und Schlangenbändiger aus. Dieses landet folgerichtig quasi im Schoß der einzig überlebenden weiblichen Expeditionsteilnehmerin Terri Flores (Jennifer Lopez), die dem letzten Aufbäumen der Monster ein rigoroses Ende bereiten darf. So steht schließlich eine Frau mit männlichen Kompetenzen gegen einen Mann als weibliche Schlange. Der Anaconda selbst mundet der derart aufbereitete Sarone wohl nicht: unverdaut wird er wieder ausgekotzt. Den Geschmacksnerven der Zuschauer dürfte die Expedition in das Grauen mehr zusagen – auch wenn es letztlich wieder nur bei einer Reise in den Terror bleibt.