PL/E/B/D/H 2018 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Raúl de la Fuente Drehbuch: Raúl de la Fuente, Amaia Remirez, Niall Johnson, David Weber, Damian Nenow Musik: Mikel Salas Kamera: Raúl de la Fuente, Gorka Gómez Andreu |
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Fakt oder Fiktion? |
»All memory is individual, unreproducible – it dies with each person. What is called collective memory is not a remembering but a stipulating: that this is important, and this is the story about how it happened, with the pictures that lock the story in our minds.«
Susan Sontag, Regarding the Pain of Others
Wahrscheinlich ist es ein Glück, dass Ryszard Kapuściński, der große Reporter, Fotograf, Poet und Schriftsteller bereits 2007 im Alter von 74 Jahren gestorben ist. Und mit ihm die meisten der von ihm porträtierten Helden aus Kriegen, Umstürzen und Untergängen, die unserer kollektiven Erinnerung schon fast wieder entfallen sind. Nein, Kapuściński, würde er noch leben, dürfte seinen Ruhm kaum genießen können, eine fast schon hymnische, uneingeschränkte Bewunderung von Schriftstellern, Journalisten und Ethnolgen gleichermaßen. Denn bereits kurz nach Kapuścińskis Tod wurde nicht nur bekannt, dass Kapuściński vorübergehend Informant der polnischen Geheimpolizei SB gewesen ist, sondern es erschien auch die Biografie „Non-Fiction“ von Artur Domosławski, die nach zahlreichen Interviews mit von Kapuściński Porträtierten und Zeitzeugen den Verdacht nährte, dass Kapuściński ähnlich wie im letzten Jahr Claas Relotius nicht nur Fakten, sondern auch mehr Fiktion als behauptet in seine Geschichten einfließen ließ, um am Ende der realen Geschichte, eine für das kollektive Erinnern besser funktionierende „wahrere“ Geschichte an die Seite zu stellen.
Von diesem Konflikt – wenn er denn zu dieser Zeit und in Kapuścińskis Augen überhaupt einer war – erzählt auch Raul de la Fuente und Damian Nenows Another Day of Life, die Verfilmung von Kapuścińskis literarischer Reportage über den angolanischen Bürgerkrieg im Jahr 1975. In einer Mischung aus Animationssequenzen, altem Dokumentarfilmmaterial aus dem Bürgerkrieg und aktuellen dokumentarischen Interviews mit Kapuścińskis Weggefährten. Fuente und Nenow bewegen sich hier auf einem schmalen Grat. Zum einen versuchen sie über die an die Ligne Claire angelehnte, immer wieder beeindruckende Animation nicht nur zeichnerisch den Film zeitlich korrekt zu verankern, sondern auch die Schrecken und Absurditäten des Krieges auf künstlerische Weise transparent zu machen. Wie sehr die Kunst und das Bild immer auch Interpretation und Neuschreibung von Geschichte sind, zeigen die gegengeschnittenen Dokumentarfilmpassagen, die zudem mit Kapuścińskis Ringen um die »beste Wahrheit« korrespondieren und Kapuścińskis Übergang vom objektiven Berichterstatter zum Schriftsteller auf fast schon unheimliche Weise illuminieren.
Unheimlich ist dies vor allem deswegen, weil das Non-Faktische einen Sog entwickelt, den das Faktische kaum erzeugen kann. Denn allein schon diesem Cowboy der Apokalypse, der Kapuściński zweifelsohne auch war, bei seiner manischen Suche zuzusehen, der Erste und Einzige sein zu wollen, der von den Grauen Conradschen Ausmasses erzählt, zieht den Betrachten für eine Geschichte in den Bann, die sonst kaum interessiert hätte. Eine ähnliche Konstellation, die Susan Sontag in Regarding the Pain of Others für Narrativ versus Fotografie erkennt: »Narratives can make us understand. Photographs do something else: they haunt us.«
Another Day of Life gelingt letztendlich beides. Der Film hilft uns ein Stück vergessene Geschichte neu zu verstehen und mit seiner erzählerischen Finesse auch unsere Gegenwart zu hinterfragen. Denn Kapuściński versucht ja nicht nur mit den Mitteln der Literatur der Wahrheit des Krieges näher zu kommen, sondern er debattiert auch darüber, ob die neutrale Position des Journalisten moralisch überhaupt gerechtfertigt ist. Mit dem Rückblick auf einen 44 Jahre zurückliegenden Kampf und seinen ernüchternden Ausgang bieten Fuente und Nenow damit auch einen subtilen Kommentar zu unserer post-faktischen Gegenwart und vor allem den dazu gehörenden politischen Gebrechen an.