Deutschland 2023 · 94 min. · FSK: ab 6 Regie: Wim Wenders Drehbuch: Wim Wenders Kamera: Franz Lustig Schnitt: Maxine Goedicke |
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Malen mit Feuer, Leben ohne Blut | ||
(Foto: DCM Film Distribution GmbH) |
»Ich habe die Nacht verschüttet. Aus einem Krug.« – Paul Celan
Beide sind 1945 geboren, beide sind internationale Größen in ihrem Metier und dann auch noch befreundet. Und dann war es für Wim Wenders, eines der Urgesteine des neuen deutschen Films der 1970er Jahre (Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, Alice in den Städten, Im Lauf der Zeit, Der amerikanische Freund) ja zu Anfang seines erwachsenen Lebens auch gar nicht der Film, der ihn anzog, sondern die bildende Kunst, wie er kürzlich in einem Zeit-Interview verriet: »Was für ein Leben ich vielleicht gehabt hätte, wenn ich doch Maler geworden wäre. Was ja mein größter Traum war. Ich kriege jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn ich eine leere Leinwand sehe, eben nicht im Kino, sondern in einem Maleratelier. Allein schon wenn ich die Farben rieche.«
Und die Farben, über die Wenders spricht, scheinen in seiner Annäherung an seinen alten Freund Anselm Kiefer dann auch tatsächlich zu riechen, kommt man in dieser Werkschau über einen der letzten lebenden, deutschen Großkünstler dessen Werk so nah, wie man es auf Ausstellungen wohl kaum käme. Das liegt nicht nur an dem historischen Abriss, den Wenders vor allem über Kiefers wechselnde und immer gigantischer werdende Ateliers seit seinem Eintritt als Meisterschüler bei Joseph Beuys nachzeichnet, sondern in diesem Fall auch über die eingesetzte Technik – die gegenwärtig höchste Auflösung von 6K und das schon fast wieder ausgestorbene 3D-Format, das Wenders bereits in seinem Porträt über Pina Bausch adäquat eingesetzt hatte, hier aber fast noch mehr Sinn macht.
Denn Kiefer ist ja nicht nur durch seine Skulpturen und Installationen ein multidimensionaler Künstler, sondern auch in seiner Malerei. Wenders nähert sich diesen oft berstenden Leinwänden jedoch nicht nur in ihrem Endzustand an, sondern auch während ihrer Entstehung, die durch Wenders' langen Beobachtungszeitraum von drei Jahren erst möglich ist; sehen wir Bilder also nicht nur unter Behandlung mit einem Flammenwerfer und mit Kiefers Team wachsen, sondern dann auch in den Arsenalen von Kiefers Lagerhallen, in denen Kiefers kaum zu fassende Produktionsvielfalt fast schon beklemmende Gefühle auslöst. Aber unter der hypnotisierenden Kamera von Franz Lustig lösen sich diese Beklemmungen schnell auf, wenn sie sich Kiefers Kunst im Detail nähert, um die Körperlichkeit von Kiefers Gemälden mit ihrer subtilen Irritation in flirrende und dann wieder auch meditative Bilder zu fassen.
Diese Werkbetrachtung ist der stärkste Teil von Wenders' Film. Auch, weil Wenders hier immer wieder historisch-essayistische Passagen über die politischen Komponenten vor allem in Kiefers früheren Werken mit einfließen lässt, wie die legendäre Celan-Lesung seiner Todesfuge, über die die Gruppe 47 wegen ihres eigenartigen Pathos nur ein Lachen übrig hatte.
Das Pathos von Celans Stimme fällt hier wohl auch deshalb nicht so sehr ins Gewicht, weil Wenders in seiner Betrachtung seines Freundes selbst zunehmend in ein Pathos verfällt, das aus einer anderen Zeit zu stammen scheint, der Zeiten, als Großkünstler und Großschriftsteller tatsächlich noch Generationen überdauerten und hinter ihrem Werk zurücktraten, ja ihr Werk waren und sich niemand traute, zu fragen, wann sie denn für gewöhnlich kacken und was sie essen.
Dazu passen dann auch Wenders' und Kiefers Aussagen – das ist im Laufe des Films immer weniger zu unterscheiden – nach denen Kunst und Mythologie eine andere, aber ebenso wichtige Form der Erkenntnis sind. Wenders streut zwar in Spielszenen Kindheitsmuster und Szenen des Künstlers als junger Mann in sein Porträt ein, aber auch die sind stets von dem Willen zur Kunst geprägt und vielleicht mit Absicht ganz nah bei Heidegger und seinem Willen zur Macht hineinmontiert, der hier mit Celan ein Stelldichein gibt und irgendwann dann auch auch Ingeborg Bachmann ins Bild tritt, das Raunen der Lyrik dabei stets präsent.
Durch diese ein wenig erratisch wirkende, aber dann wieder sehr stilisierte Vernetzung mit den Toten folgt Wenders im gewissen Sinn Manès Sperber, der im Vorwort zu seiner großen Romantriogie Wie eine Träne im Ozean schrieb: »Um einen Lebenden zu verstehen, muss man wissen, wer seine Toten sind. Und man muss wissen, wie seine Hoffnungen endeten – ob sie sanft verblichen oder ob sie getötet wurden. Genauer als die Züge des Antlitzes muss man die Narben des Verzichts kennen.« Und die Toten erklären dann auch tatsächlich viel von dem Werk Kiefers, das in Wenders' Film gezeigt wird, von den Narben des Verzichts sehen wir allerdings nichts.
Stattdessen tritt der Künstler dann wirklich hinter sein Werk zurück, auch, weil in jedem Großen das Scheitern schon enthalten ist und das Schicksal niemanden entkommen lässt. So ist Kiefer nicht mehr als ein Geist in riesigen Fotoalben, ist eine Sonnenblume, ist ein Fahrrad fahrendes Kind – und weil lineare Zeitmaßstäbe für Großkünstler ihre Gültigkeit verlieren, bleibt irgendwann nur noch Sternenstaub.
Damit bewegt sich Wenders gedanklich nah an einem anderen Großmeister des neuen deutschen Films der 1970er Jahre, an Werner Herzog und dessen 2020 fertiggestellter Dokumentation Fireball: Besuch aus fernen Welten, die mit großer Lust und Neugierde erklärt, warum wir nichts als Sternenstaub sind und irgendwann auch wieder zu den Sternen aufbrechen werden, jeder für sich und alle zusammen.
Bei Herzog hat das fast etwas Fröhliches, etwas Berauschendes und Wildes, bei Wenders wird dieser eigentlich befreiende Moment wieder in durch ein an Kitsch grenzendes Pathos überführt, das dann aber auch ein berührender Moment sein kann, lässt man sich auf Wenders und seinen romantisch-poetischen Blick ein, ein Blick, den er seit seinen Anfängen in sich trägt, der schon in seinen ganz großen Filmen wie Im Lauf der Zeit präsent war, damals aber nur als Funkeln, sich in heute seltsam anmutenden Männerdialogen artikuliert hat. Heute ist dieses Funkeln ein Feuer, das den Kosmos mit seinem endlosen Rauschen der Zeit erschließen will.
Wie wenige andere hat der aus Donaueschingen stammende, in Frankreich lebende Maler und Bildhauer Anselm Kiefer (geb. 1945) seit den 1960er-Jahren mit seinen einmaligen Plastiken eine so persönliche wie monumentale Welt erschaffen. Auf riesigen Leinwänden, in immer neu zusammengesetzten Objektkombinationen oder wie im südfranzösischen Barjac in Gestalt einer 40 Hektar großen Installation, entwickelt sie sich ständig weiter. Dabei beschwört sie antike Mythen oder Sagenerzählungen wie Parzifal, und bezieht sich immer wieder auf die deutsche Geschichte, oder auf Literatur wie Heinrich von Kleist, Paul Celan und Ingeborg Bachmann.
Der Regisseur Wim Wenders widmet dem unprätentiös-konkreten Kiefer, der im Gegensatz zu ihm selbst früh der Enge und Biederkeit der frühen Bundesrepublik entfloh, mit Anselm – Das Rauschen der Zeit jetzt eine große, dessen Werk angemessen monumentale Kino-Hommage.
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Man sieht im Film Kiefer ganz praktisch arbeiten: In seinem Atelier, beim Recherchieren, und dieses Arbeiten ist bestimmt von dem sehr Konkreten, Gegenständlichen, Technischen. Zum Beispiel fährt Kiefer einmal mit dem Gabelstapler durch sein riesiges Atelier, dann mit dem Fahrrad, später wuchtet er mit Kränen und Hebebühne Teile seiner Plastiken durch den Raum.
Zugleich spiegeln sich in Anselm die persönliche Biografie Kiefers und die Werkgeschichte des Künstlers gegenseitig. Wenders zeigt den Protagonisten auch in »Reenactment«-Spielszenen in drei Zeitebenen als Kind, als Heranwachsenden und als nicht mehr ganz jungen Mann. Dabei sprengt der Film raffiniert die Chronologien auf. Historische Fernseh-Features, die sich seit seinen Anfängen an Anselm Kiefers sperriger Kunst abarbeiten, fließen ebenso organisch in die visuell und akustisch ausgefeilte Annäherung wie stereoskopische Aufnahmen, die die »Frauen-der-Antike«-Installationen in Barjac zu anregendem Leben erwecken oder Kiefers neueste Ausstellung im Dogen-Palast in Venedig.
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»Ich hab jedem eigentlich 'nen Spiegel vor’s Gesicht gehalten ... Der größte Mythos ist der Mensch selbst.« – die wenigen Sätze wie diese, die der Maler persönlich zu dem Film beisteuert, heben auf dessen zentrale existentialistische Einsicht ab, dass das Sein und das Nichts untrennbar miteinander verbunden sind. Den Abgrund in allem, so Kiefer, wollen die Menschen aber tunlichst nicht wahrhaben: Der Mensch sei angesichts geologischer und kosmischer Geschichte, heißt
es einmal, »nicht mal ein Tropfen im Regen. Wir sind weniger als ein Tropfen, wir sind ein Atom«.
Diese manchmal zu nihilistischer Sinnverweigerung, dann wieder zum »Pantheismus«, zum Aufgehen des einzelnen Menschen in der ganzen Welt neigende Sicht der Dinge schwingt auch in Anselm mit, der die universalen Themen Kindheit und Tod, die Vergangenheit und Gegenwart, Weltuntergangsphantasien und die Wonne verlorener Paradiese so zusammenbindet, dass
man weder Übergänge noch Abbrüche zu erkennen vermag.
Der Träumer trifft hier auf den Materialisten – die Mischung ist gefährlich explosiv: Wim Wenders, der Poet unter den deutschen Autorenfilmern, der einst Engel über Berlin fliegen, Peter Handke raunen und Alice durch das Wunderland der Städte des Nachkriegsdeutschland fahren ließ, hat sich in seinen letzten Dokumentarfilmen ganz auf internationale Großkünstler spezialisiert: Nach Pina Bausch und Sebastiao Salgado in Das Salz der Erde (und dem Papst!?) ist es nun Kiefer.
Ähnlich wie in Pina über die Choreographin Pina Bausch gelingt Wenders mit Anselm ein singuläres Filmerlebnis, das Kiefers monumentaler Kunst im filmischen
Medium eine geeignete Bühne bietet.
Man begegnet hier aber auch zwei für Wenders' Spätwerk sehr typischen Elementen: Etwa einer typisch Wenders-haften Verrätselung und Kulturkritik: Die Menschen suchten die Leichtigkeit, verweigerten sich mutwillig dem Schweren, heißt es.
Geflüsterte Gedichte von Paul Celan – »Wir mögen die Namenlosen und die Vergessenen aller Zeiten...« –, Prosa von Ingeborg Bachmann, deren Sprache oder gar Inhalt man akustisch kaum versteht, sodass sie in einem Grundraunen aufgehen, sind adäquate Entsprechung der Verrätselung auf der Tonebene. Sie klingen wie Geister, die in Kiefers Kunst hausen, die in Satzfragmenten immer wieder auch aus seinen Werken hervortreten.
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Wenn wir uns erinnern, was ein Alexander Kluge in seinem dialogischen Film- und Interviewporträt Der mit den Bildern tanzt hingegen aus einer Figur wie Anselm Kiefer macht, dann begegneten wir dort einem komplett anderen Menschen. Und echter Augenhöhe.
In Sophie Fiennes Over Your Cities Grass Will Grow erleben wir hingegen einen Priester der Apokalypse.
Wenders macht gern Filme über seine Freunde, betont dies auch mehr als deutlich, und so ist auch dies ein Dokumentarfilm, der durch die Anmutung freundschaftlicher Nähe geprägt ist. Beide sind gleichalt, Nachkriegsgenerationsgenossen, und kennen sich offenbar schon lange, und wollten immer mal etwas »zusammen machen«. Das hat viele Vorteile.
Der Nachteil ist, dass dieser Film komplett auf Nachfragen, Kontext oder gar Kritik verzichtet, und gelegentlich etwas distanzlos
wirkt.
Für Kiefer ist das unangemessen. Denn der war mit seiner deutschen Mythensuche, seinen brachialen Installationen und der romantisch-raunenden Grundausrichtung seiner Werke, die um Krieg, Gewalt, Völkermord, NS-Zeit und und Nachkrieg kreisen, lange Zeit in Deutschland hochumstritten.
Darauf hätte man eingehen dürfen und müssen.
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Schließlich: Die Aneignung. Wenders agiert »auf Augenhöhe«. Zu recht? Die Kunst Kiefers ist faszinierend – aber gilt dies auch für die Kunst von Wim Wenders? Diese unhöfliche Frage stellt sich, weil Wenders sie selbst provoziert. Wenn er in ein paar Momenten selbst zum Vergleich anhebt und räsoniert, er selbst hätte ja Maler werden wollen, und Anselm Kiefer Filmemacher. Aber so abstrakt und so radikal wie Kiefer in fast jedem seiner Werke ist, war Wenders selbst zu seinen besten Zeiten nicht.
Großartig allerdings bleibt die Rekonstruktion von Kiefers Werk und deren Wurzeln in der Kultur- und Mythengeschichte Deutschlands, ebenso wie die Rekonstruktion der Erfahrungen einer ganzen Generation am Beispiel dieses Ausnahmekünstlers.