Frankreich 2022 · 63 min. · FSK: ab 0 Regie: Annie Ernaux, David Ernaux-Briot Drehbuch: Annie Ernaux Kamera: Philippe Ernaux Schnitt: Clément Pinteaux |
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Super-8 war auch ein Spielzeug für Ehemänner, mit dem sie Familiensinn demonstrierten | ||
(Foto: Film Kino Text) |
Zusammen mit ihrem Sohn David Ernaux-Briot hat die im November gekürte französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux einen Film herausgebracht, der als filmische Variation ihres geschriebenen Werkes »Les années« gelten darf. Der Film ist montiert aus den Super-8-Aufnahmen, die Ernaux' Mann Philippe zwischen 1972 und 1981 von der Familie, meist auf Urlaubsreisen, gemacht hat. Ernaux hat dazu einen Erinnerungstext geschrieben, den sie aus dem Off mit ihrer brüchigen, aber immer noch mädchenhaft klingenden Stimme vorliest. Mit den zwei Söhnen reiste die Familie in ferne Länder, angetrieben durch ein sozialistisches Interesse, zum Beispiel nach Chile zu Salvador Allende. Kurz nach ihrer Reise kam Pinochet an die Macht. »Dieses Land gab es nicht mehr«, sagt Ernaux aus dem Off, schon als sie zuhause das Gefilmte gemeinsam ansehen.
Annie Ernaux‘ große Textkunst ist, und das wird im Film durch das Zusammenspiel der Super-8-Rolle, wie sie wohl in abertausenden Familien existiert, mit ihrem geschriebenen Kommentar deutlich, das Private und Sentimentale niemals banal sein zu lassen, es mit Metakommentaren und soziologischen oder politischen Überlegungen anzureichern, über das Schreiben, die eigene Herkunft, die Rolle als Frau. Immer wieder reflektiert Annie Ernaux ihr unbefriedigendes Dasein als Familienmutter, beschreibt ihr weibliches Umfeld als »femmes au foyer«, allesamt Hausfrauen, nirgendwo findet sie Halt oder Vorbilder, es sei denn in sich selbst, in ihrem Denken und Schreiben, das auch Friktionen in ihre Ehe bringt. Den Zustand der Familie kommentiert Ernaux luzide aus den Bildern heraus. Immer mehr verschwindet die Familie aus den Aufnahmen, immer mehr treten die gefilmten Städte in den Mittelpunkt, ein Zeichen dafür, wie sich der Vater und Ehemann entfernt. Schließlich verlässt Philippe die Familie, nimmt die Kamera mit in seine neue Ehe, wird neue Aufnahmen von seinem neuen Leben machen, und damit sind auch die Jahre von Super-8 vorbei. So einfach, so unsentimental.
Die Unterscheidung zwischen dem autobiographischem Schreiben und dem in jüngerer Zeit geprägten Begriff der »Autofiktion« ist nicht immer haarscharf zu treffen. Annie Ernaux entzieht sich den Kategorien zusätzlich, da ihre Texte weder Autobiographie noch Autofiktion sind, sondern weitreichende Essays. Annie Ernaux – Die Super-8 Jahre befindet sich an dieser Unbestimmtheitsstelle der Kategorien, ist gleichzeitig Home Movie, dokumentarisches Essay und Autobiographie. Das Imaginäre ereignet sich an den Klebestellen des Montagefilms, in den Auslassungen, dem Nichtgezeigten, den der Text von Ernaux in keinem Moment versucht, zu einer geschlossenen Erzählung zu glätten. Gerade das Fragmentarische, Offene, die Erinnerungsspots in eine versunkene Zeit machen die Super-8 Jahre zu einem filmischen Ereignis – das zugleich Zeugnis ablegt von dem gefrorenen Zustand als stillgelegte Ehefrau.