USA 2015 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson Drehbuch: Charlie Kaufman Musik: Carter Burwell Kamera: Joe Passarelli Schnitt: Garret Elkins |
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Marionettentheater ohne Anmut oder grandiose Sprach- und Existenzkritik? |
Was ist das Wesen unserer modernen Gesellschaft? Was ist die Verrücktheit der Welt, in der wir leben? Wo bleibt das Liebenswerte?
Charlie Kaufman, den man vor allem als Drehbuchautor für existentielle Fragestellungen à la Being John Malkovich (R: Spike Jonze) und Eternal Sunshine of the Spotless Mind
(Regie: Michel Gondry) kennt, hat jetzt zusammen mit seinem jungen Co-Regisseur Duke Johnson einen Animationsfilm vorgelegt.
Ein nicht weniger existentialistisches, wenn nicht sogar existentielles Werk ist dies geworden. Anomalisa ist in Stop-Motion entstanden, in obsessioneller Kleinstarbeit. Die Figuren kamen aus einem 3D-Drucker, Grundgerüste konnten in immer andere Figuren gewandet werden, was Geld sparte. Was wichtig war, denn finanziert wurde mittels Crowdfunding. Ein typisches „Liebhaberprojekt“, das abseits der großen Hollywood-Studios neue Wege sucht, und das als erster Animationsfilm den Großen Preis der Jury in Venedig gewann (und jetzt für den Animations-Oscar nominiert wurde).
Die Figuren und das Setting wirken lebensecht, ziehen die Zuschauer zur Gänze in die Illusion hinein, und sind dennoch zugleich grob und unbehauen. Angewendet wurden „live-action“-Techniken bestimmter Kameraeinstellungen und eine Beleuchtung, die so rüberkommt, als wäre in realen Räumen gedreht worden. Kameramann Joe Passerelli ist ein Experte auf dem Feld von Stop-Motion und ein großer Illusionator. Auch die Feinstarbeit in der Mimik der Puppen erzeugt eine verblüffende Echtheit bei aller deutlichen Gemachtheit der Puppen.
Denn da sind diese Brüche in der Inszenierung, die von der Illusion direkt in die Sphäre der angewandten Metaphysik führen: Die Gesichter zeigen Risse, einmal fällt einer Figur die Kinnlade auf den Boden und gibt ein metallisches Mechanikgestell frei, das für das Feintuning der Mimik sorgt. Die Pullover, in denen die Figuren gekleidet sind, sehen aus, als wären sie von Grundschülern für ihre Lieblingspuppe gestrickt worden: einfach, quadratisch, hässlich. Eine absolute und ungewohnte Ausstattungsreduktion. Und dann, vor allem: alle Figuren haben dieselbe Stimme, sprechen in der Eintönigkeit der immer gleichen Floskeln, die nichts mehr sagen und doch alles preisgeben. Hier tut sich eine Sprach- und Existenzkritik auf, die sehr an das freudlose Universum des Schweden Roy Andersson erinnert. Seine sprechenden „Eierköpfe“ in Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach a wirkten mit ihrer Maskenhaftigkeit auch schon wie Sprech-Puppen reduzierter Lebenswelten.
Anomalisa spielt in den Innenräumen eines großen Hotels, das Kongressgäste beherbergt, denen ein Motivationsseminar bevorsteht. Der Coach ist die Hauptfigur. Michael Stone, der Steingewordene, führt ein Leben aus dem Koffer. Seine Familie ist zur bloßen emotionsentleerten Funktion geronnen, in der sich die sozialen Zusammenhänge nur mehr in Tauschwerten ausdrücken („Papa, was bringst du mir mit?“). Michael, der Coach, ist müde. Und hungrig. Vergeblich versucht er sich durch die interaktive Telefonbestellung durchzuklicken, was ihm bei Erfolg ein Menü aufs Zimmer bringen könnte. Es geht ums Existentielle, die Familie, das Leben, das Essen. Und wie alle Existentialisten raucht Michael Stone Kette.
Eine Begegnung, ein minimales Ereignis wie in einer Novelle, ändert das. Eine neue Stimme tut sich auf, die sich vom Rest der Welt abhebt. Es ist der Moment des sich Verliebens, der dies schafft. Die Welt jedoch wird wieder eintönig, als sich Irritation auftut, wegen eines klitzekleinen Details. Das ist nihilistisch und auch ein wenig zynisch.
Kaufman und Johnson haben mit ihrem bescheiden-großen Film sehr behutsam das Seziermesser an der Welt, in der wir leben, angelegt. Dabei wird der Blick auf die funktionalen Zusammenhänge, auf die wir uns in der modernen Gesellschaft bereitwillig reduzieren lassen, frei. Darunter schimmern Emotion und Sehnsucht nach dem echten Leben. Die Puppen, das sind wir.
»Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Und Schmerzen zu haben? Was bedeutet es, zu leben?« Jaja, Puppen haben auch ihre Probleme. Wir wissen das seit »Blade Runner«: Sie möchten gern Mensch sein, und leiden darunter, als künstliche Wesen dem Menschen allenfalls zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Und um Puppen, nicht um echte Menschen, geht es hier. »Jeder Mensch, dem Sie begegnen, hatte eine Kindheit. Jeder hat einen Körper. Und jedem Körper tut etwas weh.«
Ein älterer grauhaariger Mann im grauen Pullover schlurft durch einen Hotelflur. Auch ihm tut etwas weh, nämlich sein ganzes Leben. er ist kurz vor dem Burn-out. Dieser Mann, Michael Stone und Hauptfigur des Films, ist ein Motivationstrainer, der überaus erfolgreich banale Lebensratgeber verkauft. Sein eigenes Leben ist allerdings keineswegs schön: Jeden Abend in einem anderen anonymen Hotel, denn er ist auf Vortragsreise, fern von der Familie, die sich auch nicht besonders für ihn interessiert. Michael ist Kettenraucher und zu seinen Mitmenschen meistens distanziert bis unhöflich. Als er in Cinncinatti Station macht, ruft Michael seine Exfreundin an, doch statt des fröhlichen Wiedersehens ist er nur mit einer depressiven Frau konfrontiert und einer zehn Jahre alten verpassten Lebenschance. Kurz darauf begegnet er zwei anderen Damen, Fans von seinen Büchern. Mit einer beginnt er eine Affäre...
Diese Story haben wir tausendmal gesehen, und viele hundertmal besser. Das Wesentliche dieses Werks ist aber eben nicht diese banale Geschichte, aus der ein Woody Allen ein genial-abgründiges Lebensdrama machen könnte, und das ansonsten einmal pro Woche in einem Fernseh-Prime-Time-Schicksalsschmachtfetzen sein Dasein fristet.
Das Wesentliche an Anomalisa ist, das dies ein Puppenanimationsfilm ist, allerdings einer, der viel weniger lustig ist als
Wes Anderson’s Fantastic Mr. Fox, dafür um einiges depressiver.
Charlie Kaufman hat gern die Fäden in der Hand. In Being John Malkovich war der Drehbuchautor als Marionettenspieler zu sehen, und man kann das selbstironisch finden, oder verräterisch. In »Anomalisa« hat er jetzt Marionetten animieren lassen. Niemand in Hollywood wollte Charlie Kaufman für Anomalisa Geld geben. Ein Puppenfilm in Stop-Motion-Animation – das klang dann doch zu absonderlich und speziell. So mussten die Filmemacher ihr Werk vor allem mit Crowdfunding im Internet finanzieren. Ob sich das im Rückblick als Fehler erweist, und Anomalisa ein Erfolg wird, muss sich noch zeigen. Zumindest bei den internationalen Kritikern und beim bildungsbürgerlich-kunstsinnigen Publikum des Filmfestivals von Venedig ist das Werk ein Erfolg.
Ein animierter Puppenfilm – das klingt nicht nur schräg, das Ergebnis ist es auch. Die Puppen stammen aus dem 3D-Drucker und wurden mit altmodisch Stop-Motion-Technik in Bewegung gebracht.
Nichts wirkt »echt« hier, die Augen sind bei allen so gleich rund wie ihre Stimmen von ein und dem gleichen Sprecher gesprochen wurden, eine feine Naht zieht sich übers Gesicht. Natürlich ist das Absicht und die amerikanischen Macher scheuen sich nicht, an Brechts Verfremdungsverfahren zu
erinnern, das doch etwas anderes meint. Hier geht es eher um ein kafkaeskes Szenario aus Tristesse, Klaustrophobie und Entfremdung, und um dass Spiel mit der psychischen Erkrankung des Fregoli-Syndroms. Puppen sind auch nur Menschen – das hat schon Heinrich von Kleist in seinem Marionettentheater zur Verzweiflung getrieben.
Ansonsten ist es hier amerikanischer Instant-Existentialismus, nach der die Menschen gewöhnlich und paranoid sind und die Welt hermetisch geschlossen. Und Lebensweisheiten à la Hollywood wie »Jeder Mensch hat etwas Besonderes. Achten Sie auf das Besondere.« Und es gibt ein paar Zitate direkt von der populärphilosophischen Resterampe: »Unsere Zeit ist begrenzt. Wir vergessen das immer.«
Oder wenigstens Schmunzelhumor, den manche Menschen anrührend finden mögen, und andere eher kitschig: »Tschuldigung, ich hab ihre Hand gehalten.« – »Ist ok.« – »Ich fliege nicht gern.« – »Ich sagte ja schon: Ist ok. Allerdings können Sie jetzt loslassen.«
So muss man sagen: Dies ist nicht nur Marionettentheater ohne Anmut und Grazie, es ist auch öde, langweilig und depressiv.
Vor über zehn Jahren kam Anomalisa bereits heraus – als Hörspiel. Und viel mehr als die Dialoge nochmal zu sprechen und zu bebildern, ist hier nicht geschehen. Wir können uns an der perfekten Computertechnik erfreuen, so wie andere an einer Modelleisenbahn oder ihren Zinnsoldaten.
Aber es bleibt leblos und nichtssagend. Ein langweiliger Film bleibt ein langweiliger Film, auch wenn die Charaktere von Puppen gespielt werden.