Großbritannien 2010 · 129 min. · FSK: ab 0 Regie: Mike Leigh Drehbuch: Mike Leigh Kamera: Dick Pope Darsteller: Jim Broadbent, Ruth Sheen, Oliver Maltman, David Bradley, Martin Savage u.a. |
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False friends? |
Dass die Medien (und als wichtiger Teil davon das Kino) auch große Illusionsmaschinen sind, die uns eine idealisierte, geschönte, perfektionierte Welt vorführen, ist nicht nur unvermeidlich, sondern weitgehend gewünscht. Problematisch ist daran nur, dass viele (nicht nur besonders naive) Menschen diese idealisierten Darstellungen als Maß für ihr eigenes Leben nehmen und deshalb nach Traumpartnern, Traumhäusern, Traumurlauben und Traumhochzeiten, nach perfekten Feiern, perfekten Dinnern, perfekten Jobs und perfekten Hobbys, wie man sie aus dem Kino, dem Fernsehen oder Zeitschriften kennt, streben.
Ein Traumurlaub oder ein perfektes Abendessen mögen sich mit dem nötigen zeitlichen und / oder finanziellen Aufwand vielleicht erfüllen lassen. Wenn es aber um idealisierte Bilder anderer Menschen geht, dann wird es schwierig. Typisches und oft diskutiertes Beispiel hierfür ist etwa die Partnersuche, die immer dann scheitert, wenn ihr als Maßstab die vollkommen unerfüllbaren Idealbilder aus den Medien zugrunde gelegt werden.
Erstaunlicherweise so gut wie nie wird über einen anderen Aspekt zwischenmenschlicher Idealvorstellung (und deren Komplikationen) gesprochen, nämlich über den perfekten Freundeskreis.
Für ein perfektes Leben, wie es die Medien propagieren, reicht es eben nicht aus, alleine mit dem perfekten bzw. für perfekt gehaltenen Partner im perfekten Heim zu sitzen. Nein, dazu braucht es von Zeit zu Zeit auch soziale Kontakte, also Freunde (oder zumindest Bekannte), mit denen man
gemeinsam etwas unternimmt, kocht, isst, trinkt, redet, Spaß hat. Die Medien halten auch hierfür das perfekte Personal bereit. Attraktive, kreative, selbständige, erfolgreiche Menschen, die sich geistreich was zu sagen haben, die voller toller Ideen sind und für schöne Überraschungen sorgen, die zum Abendessen mehr Wein mitbringen als sie wegsaufen, deren Liebeskummer genauso liebenswert ist wie ihre Marotten, die selbst mit schlechter Laune oder im betrunkenen Zustand noch
erträglich, anständig und obendrein witzig sind, die jedes Fest und jede Party zu einem Ereignis machen.
Ein schonungslos realistisches Bild, wie soziale Kontakte innerhalb und außerhalb der Familie oft wirklich sind, zeichnet der traurigschöne Film Another Year von Mike Leigh. Der Film räumt gnadenlos mit dem utopischen Bild des perfekten Freundeskreises auf, beweist sogar das genaue Gegenteil, dass soziale Kontakte eben auch Ärger und Frustration mit sich bringen können.
Unter all der tristen Realität verbirgt sich (typisch für Mike Leigh) aber auch eine
positive Botschaft. Diese besteht natürlich nicht in der Behauptung, dass man Freunde (ver)bessern kann oder dass der Kontakt zu solch »schwierigen« Personen wenn schon keinen unmittelbaren Nutzen so doch moralische Größe und Zufriedenheit bringt. Filme die solche Dinge behaupten, sind nicht nur verlogen, sondern üblicherweise auch aus cineastischer Sicht schlecht.
Die tröstliche Botschaft, die Another Year bereithält, ist die, dass wir in einer unperfekten Welt mit unperfekten Freunden leben, dass dieser Zustand aber ganz gut erträglich ist, wenn wir aufhören überall Perfektion zu erwarten. Eine klare Absage erteilt der Film dabei der Möglichkeit, sich im privaten Glück (das die Hauptfiguren Tom und Gerri miteinander gefunden zu haben scheinen) abzukapseln. Unperfekte Freunde sind eben immer noch besser als perfekte Isolation.
Der Text erschien zuerst in dem Blog »Traurigschöne Welt« von Michael Haberlander. Zum Weiterlesen: http://traurigschoenewelt.wordpress.com/