The Artist

Frankreich/Belgien 2011 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Michel Hazanavicius
Drehbuch:
Kamera: Guillaume Schiffman
Darsteller: Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller u.a.
Komm zum Stummfilm!

Die Väter der Klamotte und die Lehren des Erfolgs

»Väter der Klamotte«, »Männer ohne Nerven«, »Western von Gestern« – die nicht mehr ganz Jungen werden sich erinnern: In jenen weit zurück­lie­genden Zeiten, als »Laurel & Hardy« in der Bundes­re­pu­blik noch »Dick und Doof« hießen, gab es im ZDF am Vorabend, so ca. 18.20 bis 18.55 ein paar Reihen, die alle Kinder meines Alters damals geguckt haben. Film­schnipsel, lose verbunden mit abgrund­tief dämlichen Synchro­ni­sa­tionen, zu neuen Geschichten verbunden, die ich als ziemlich spießig in Erin­ne­rung habe. Da habe ich erfahren, wer »Buster« und »Charlie« waren, »die kleinen Strolche« und »Harold Lloyd«, da habe ich die Namen Douglas Fairbanks und Mary Pickford zum ersten Mal gehört, und Valentino und wohl auch Dick und Doof, da habe ich einmal das ahnungs­weise erfahren, was einst der ursprüng­liche Zauber des Kinos war: Jahrmarkt, Über­schuss, Albern­heit, Voyeu­rismus. Da klatschten die Sahne­toren in die Gesichter, da fielen Männer von Dächern, in Wasser­tonnen, wurden Frauen nass­ge­spitzt und Kinder verdro­schen. Der Witz und seine Beziehung zum Unbe­wussten. Die Welt, nach der sich das Kino gerade jetzt, in der angeb­li­chen Stunde seines Verschwin­dens, zurück­sehnt. Bald kommt auch Scorseses Hugo Capret ins Kino, auch dies eine Beschwö­rung seiner Ursprünge, und der einzige Film, der noch öfters für die nächsten Oscars nominiert ist, als The Artist. Diese Welt des frühen Kinos ist die Welt, die auch hier beschworen wird.

Ein Star, eine unbe­kannte Schau­spie­lerin, ein süßes Hündchen und viel Charme – die Kombi­na­tion dieser so einfachen, dabei so unglaub­lich schwere »herzu­stel­lenden« Bestand­teile sind das Geheimnis von The Artist einer hübschen, wunderbar leichten Film­komödie aus Frank­reich, die jetzt in die deutschen Kinos kommt.

Nur Experten kannten diesen Mann mit dem scheinbar unaus­sprech­li­chen Namen: Michel Hazana­vicius, fran­zö­si­scher Regisseur mit arme­ni­schen Wurzeln. In den fran­zö­si­schen Kinos hatte er beacht­li­chen Erfolg mit OSS 117, einer Agen­ten­par­odie, die aber die Grenzen der Heimat nicht über­schritt. Dann hatte The Artist im letzten Mai bei den Film­fest­spielen Premiere, und dieser Morgen wurde zum Beginn eines Welter­folgs, der noch nicht zuende ist: Nach einer Handvoll Golden Globes und vielen anderen Preisen gilt The Artist nun mit 11 Nomi­nie­rungen als Favorit bei der kommenden Oscar­ver­lei­hung.

Wenn man nur hört, worum es sich handelt, hält man das kaum für möglich: Denn The Artist ist ein, nun ja: in Schwarz­weiß gedrehter Stummfilm. Aber er wurde nicht auf irgend­einem Dachboden aufge­funden, und mühevoll restau­riert, sondern jetzt und hier gedreht. Mit den alten Tricks, und weit­ge­hend unbe­kannten Schau­spieler. Und trotzdem ein großer Erfolg! Damit beweist The Artist nicht nur, dass immer alles möglich ist, sondern vor allem, dass das Geheimnis guten Kinos und die Poesie, die dem Publikum letzt­end­lich gefällt, nicht aus Stars besteht und teurer 3-D-Technik, nicht aus compu­ter­ge­ne­rierten digitalen Tricks und einer berech­nenden Drama­turgie, die angeblich »genau weiß, was unser Publikum will«, sondern in ganz anderen Dingen: Poesie, Über­ra­schung, der Konse­quenz einer künst­le­ri­schen Vision.

Die Story ist schnell erzählt: George Valentin ist ein Superstar des Stumm­films. Ein bisschen eitel, ein bisschen über­heb­lich, ein Charmeur, dem die Frauen zu Füßen liegen. Letzt­end­lich hat er das Herz auf dem rechten Fleck, er genießt einfach nur seinen Erfolg. Der Stummfilm steht in voller Blüte. Aber als der Tonfilm entsteht, spottet er über die neue Technik: Wen inter­es­siert schon so ein quäckender Quatsch? Wer braucht schon Ton? Sein Studio­boss, dem Valentin – dessen Name uns natürlich an den echten Stumm­film­su­per­star Rudolfo Valentino erinnern soll, dessen Charakter und Bewe­gungen aber auch die eines Douglas Fairbanks und John Gilbert sind – sowieso schon lange auf die Nerven geht, setzt auf Tonfilm, und weil Valentin nicht mitmachen will, ist er plötzlich draußen. Ohne Aufträge. Reich aber ein Mann von Gestern. Da macht er, was Schau­spieler tun, wenn der Erfolg ausbleibt: Er wird Regisseur und dreht eigene Filme. Aber im Unter­schied zu Til Schweiger und Matthias Schweig­höfer will er Kino mit Anspruch. Und so floppt sein Film. Erst mit Hilfe einer jungen Dame, der er einst, als sie keiner kannte, geholfen hat, und die jetzt der Star der neuen Technik ist, kommt er wieder nach oben.

Warum das funk­tio­niert, obwohl (fast) kein Wort gespro­chen wird, und kein Farb­klecks das ruhige Schwarz­weiß stört, muss man sehen! Dann erst springt der ganze Funke dieses Films über. Erklären könnte man es aber ganz einfach so: Weil gutes Kino nichts mit Worten zu tun hat, weil es darin um das Sehen geht, um die Bilder. Und weil der Regisseur mit diesen Bildern fehlerlos umgeht. Denn die Ironie des Films ist ja die, dass zwar die neue Technik – Tonfilm – in der Story siegt, in den Bildern aber verliert, denn wir bekommen die Geschichte als Stummfilm erzählt.

Insofern enthält The Artist eine Lektion für uns: Entspannt Euch, sagt er. Glaubt nicht an die Hypes der immer neuesten Technik, glaubt nicht an Stars und das Geschwätz des Boule­vards, glaubt nicht an die Macht des Geldes. Die sind flüchtig und schon morgen Schnee von Gestern. Glaubt an die Schönheit und Humor, an Kunst. Die sind ewig.

Aber jenseits solcher Einsichten, die bestimmt manchem zu sehr nach Sonn­tags­pre­digten klingen, ist das aller­wich­tigste, dass dieser Film Spaß macht: Hazana­vi­zius' aufre­gender Versuch, heute noch mit den Mitteln des Stumm­films zu erzählen, beschwört das Klas­si­sche Kino­zeit­alter, die Goldenen 20er, und natürlich das Gefühl jener Frühzeit des Kinos – aber es ist ganz und gar ein Film von heute.