Schweden/DK/D 2018 · 123 min. · FSK: ab 6 Regie: Pernille Fischer Christensen Drehbuch: Kim Fupz Aakeson, Pernille Fischer Christensen Kamera: Erik Molberg Hansen Darsteller: Alba August, Maria Bonnevie, Trine Dyrholm, Henrik Rafaelsen, Magnus Krepper u.a. |
||
Glück neben Tod und Verlassenheit |
Eine alte gebeugte Frau sitzt 1987 an ihrem Schreibtisch und liest zu ihrem achtzigsten Geburtstag Glückwünsche aus der ganzen Welt. Man erkennt sie sofort als Astrid Lindgren, die noch immer säckeweise Fanpost ihrer jungen Leser erhält, ist sie doch eine der weltberühmtesten Literatinnen, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Die Briefe werden im Off vorgelesen und die Kinder wollen wissen, wie es der Autorin gelingt, sich so gut in die Kinderseele hineinzuversetzen.
Diese Frage wird der Film nun zu beantworten versuchen und blendet zurück in die Vergangenheit zur 16-jährigen Astrid, die in dem schwedischen Ort Vimmerby eine anstrengende, aber glückliche Kindheit auf dem Bauernhof verbringt. Mit drei Geschwistern, der streng gläubigen Mutter und dem Vater, der stets ihr heimlicher Unterstützer ist. Er ist es auch, der Astrid als Volontärin an die Zeitung des Ortes vermittelt. Wir lernen sie als junge Frau kennen, die sich keinen Konventionen unterordnen mag. Als sie an einem Tanzabend niemand auffordert, bringt sie das Parkett kurzerhand mit ihrer Freundin allein zum Rocken. Selbst in diesem entlegenen schwedischen kleinen Ort sind die wilden 20er Jahre angekommen, nicht nur mit der swingenden Musik, sondern auch in Form des Magazins „Die moderne Frau“, die der Redakteur seiner Assistentin eines Tages auf den Tisch legt. Es wirkt wie eine Offenbarung dessen, was Astrid bereits im Inneren verspürt und mit ihren kleinen Ausbruchsversuchen längst zu leben versucht. Wir sehen es der Mimik der jungen Astrid so deutlich an, wie sehr sie sich mit den abgebildeten Frauen identifiziert. Nun muss sie keine Gewissensbisse mehr gegenüber ihrer Familie haben, wenn sie mal wieder rebelliert, nein – es ist genau richtig und ein Zeichen der modernen Zeit! Der nächste Schritt ist der zum Friseur, sie ist die erste junge Frau, die in ihrem Dorf kurze Haare trägt – das muss man sich in diesem kleinen Ort erst mal trauen und der Blick ihrer Mutter spricht Bände.
Das mag in dieser knappen Zusammenfassung ein wenig plakativ klingen, ist aber nie so inszeniert, denn emanzipiert ist Astrid schon längst. Dass ihr Vater sie zur Zeitung geschickt hat, ist in dieser Zeit und diesem Milieu sehr ungewöhnlich und für Astrid Lindgren ein Glücksfall, die schon als Schülerin Aufsätze verfasst hat, die für Aufmerksamkeit sorgen.
Unter der Regie von Pernille Fischer Christensen gelingt der jungen Schauspielerin Alba August die darstellerische Bandbreite vom ungestümen Mädchen bis zur neugierigen Verführerin. Ihre ganze Mimik und Körperhaltung strahlt in jeder Einstellung die Sehnsucht nach Lebenslust aus. Astrid ist auch beim nächsten Abend das Mauerblümchen, man hat den Eindruck, die jungen Männer scheuen dieses Energiebündel. Diesmal kann sie jedoch ganz gelassen bleiben, denn sie hat bereits ihre ganz eigene Erfahrung mit ihrem Chef gemacht, die sie in die größte Krise ihres jungen Lebens stürzen wird. Sie bekommt mit 18 Jahren ein Kind, natürlich weit weg von Zuhause, in Dänemark, denn daheim darf niemand von dieser Schande erfahren.
Das Bild, das der Film hier zeichnet, ist das einer verlogenen Christlichkeit. Die Mutter, die rät, das Kind wegzugeben, der Redakteur, der Astrid nach seiner Scheidung zwar heiraten würde, aber schon mal die Küche plant, damit sie für ihn und seine sieben Kinder sorgen kann. Alleinerziehende ledige Mutter – ein Skandal. Und trotzdem wird Astrid genau das sein, nachdem sie ihren fast dreijährigen Sohn Lasse endlich zu sich nach Stockholm holt. Aus diesen frühen Erfahrungen hat sie ihre literarischen Themen geschöpft und von glücklichen Kindheiten erzählt, aber häufig auch von Tod und Verlassenheit. Nicht wenige ihrer Kinderhelden sind ganz auf sich allein gestellt, allen voran natürlich Pippi, auch Mio und die Die Brüder Löwenherz.
Der Film versucht weiterhin die Fragen aus den Kinderbriefen zu beantworten, die wie eine Klammer als rhythmisierendes Element für die Geschichte dienen und so den Film strukturieren. Die Bilder geben ganz suggestiv auf die klugen Fragen Antworten. So begreifen wir plötzlich eine große Autorin, die auf eine glückliche Kindheit zurückblicken kann, die jedoch jäh endete. Wir folgen ihr gebannt in ihrem Ringen um Selbstbestimmung und der Sehnsucht nach Versöhnung mit der Familie.
Zum Schluss kehren wir zur Rahmenhandlung zurück, die betagte Astrid Lindgren liest weiter die Zeilen der jungen Fans und hört sich schließlich eine Kassette an, die Kinder für sie aufgenommen haben, und wir wissen einmal mehr – diese Autorin muss man einfach lieben und ihre Bücher weiterhin lesen!