USA 2017 · 115 min. · FSK: ab 16 Regie: David Leitch Drehbuch: Kurt Johnstad Kamera: Jonathan Sela Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Til Schweiger, Eddie Marsan u.a. |
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Echter Wasserstoff mit Explosionspotenzial |
Der ehemalige Stuntman David Leitch führt mittlerweile bei körperbetonten Actionfilmen Regie. Zuerst hatte Leitch bei dem überraschend guten John Wick mitgemischt. Jetzt hat er im Alleingang den Agententhriller Atomic Blonde inszeniert. Der auf der Graphic Novel »The Coldest City« von Anthony Johnston und Sam Hart basierende Actionthriller spielt in Berlin am Vorabend des Mauerfalls. Die titelgebende Blondine ist Charlize Theron in der Rolle einer äußerst schlagkräftigen M16-Agentin.
Berlin 1989. Wenige Tage vor dem Fall der Mauer wird der M16-Agent Gascoine (Sam Hargrave) von einem KGB-Mann ermordet, der ihm eine geheime Agenten-Namensliste entwendet. Deshalb wird die Top-Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) nach Berlin geschickt, um die ominöse Liste zu finden. In Berlin ist Broughton auf die Unterstützung des schwer durchschaubaren David Percival (James McAvoy) angewiesen. Jener ist der offizielle MI6-Hauptverantwortliche vor Ort und ein scheinbar unbedarfter Lebemann, zu dessen Privatlektüre neben dem Hustler allerdings auch Machiavelli zählt.
Wie schon bei John Wick verbindet David Leitch bei Atomic Blonde erneut eine im wahrsten Sinne knüppelharte Action mit einer sehr stilvollen Inszenierung. Die Kampfszenen von Mann zu Mann, beziehungsweise von Frau zu Mann, sind von einer Intensität, die schon beim reinen Zuschauen schmerzt. Etwas Vergleichbares gab es zuletzt in David Cronenbergs Mafiadrama Tödliche Versprechen zu sehen. Allerdings geht Leitch noch weiter als Cronenberg, indem er die Fights teilweise ewig lang bis zum bitteren Ende hin auswalzt.
Dabei bekommt Charlize Theron als hart austeilende M16-Agentin Lorraine Broughton so manche schlimmen Blessuren ab. Trotzdem mutiert die australische Mimin niemals zum Monster, sondern bleibt stets die so sexy wie eiskalte Blondine. Aber hier beginnen die Probleme des Films. Denn Broughton bleibt ebenso, wie alle weiteren Protagonisten, bis zum Schluss nicht viel mehr als eine leere Hülse. Sicherlich haben diese Agenten gute Gründe, ihre persönlichen Gefühle zu unterdrücken. Zu angespannt und undurchsichtig ist die Lage, als dass man sich zu sehr auf Privates konzentrieren könnte. Aber trotzdem bleibt der Eindruck, dass da einfach nicht viel zu verbergen ist.
Weit mehr als für das Innenleben der Charaktere interessiert sich Leitch für das effektvolle Kontrastieren von Oberflächen: Der Filmemacher setzt die Schönheit Therons gegen die oftmals reichlich zerknautschten Fressen böser KGB-Agenten und anderer Macho-Spione. Und er setzt ein überstilisiertes 80er-Jahre-Neon-Chic in Westberlin gegen die mausgraue Tristesse und den abgeranzten Charme abblätternden Putzes im Ostteil der Stadt. Es ist ein geteiltes Klischee-Berlin, wie man es auch von anderen Hollywoodfilmen her kennt.
Eine wirklich positive Überraschung ist jedoch der häufige Einsatz von Musik der Neuen Deutschen Welle. Spätestens, wenn eine knallharte Actionszene innerhalb eines fahrenden Autos von Peter Schillings »Major Tom« untermalt wird, kommen beim Zuschauer, der diese Dekade selbst miterlebt hat, echte Glücksgefühle auf. So cool kann diese ständig als uncool gebrandmarkte Musik also sein, wenn sie nur einmal in einen etwas anderen Kontext gesetzt wird! Okay, Falcos »Der Kommissar« war natürlich schon immer kultig. Aber wer hätte gedacht, was für unerwartete neue Nuancen Nenas infantiler Hit »99 Luftballons« mit einem Mal bekommt, wenn zu dem Geträllere jemand mächtig mit seinem eigenen Skateboard verdroschen wird?
Ein wenig gemindert wird das Vergnügen jedoch dadurch, dass Leitch hier im Gegensatz zu dem so schön ironischen John Wick stets bierernst an die Sache herangeht. Selbst in den potenziell witzigen Szenen will uns der Filmemacher durchgehend weißmachen, dass dies kein pulpiger Actionknaller, sondern ein existenzialistisches Agentendrama ist. Nur reicht es nicht aus, mal kurz ein wenig Machiavelli zu rezitieren, um dem zwei Stunden währenden Geknüppel die Aura einer tiefgründigen Parabel zu geben.
Denn die Story des Films rankt sich die gesamte Laufzeit über einzig um die unschwer als reines MacGuffin erkenntliche ominöse Agenten-Namensliste. Zwar wird der Plot dabei immer verwickelter und erweist sich am Ende gar ein gutes Stück smarter als gedacht. Aber so richtig interessiert das den Zuschauer trotzdem nicht, da die Figuren zu konturlos bleiben. Immerhin muss zugeben werden, dass der Filmtitel nichts anderes verspricht, als was letzten Endes tatsächlich auf der großen Leinwand zu sehen ist.