Atempause

La tregua

I/F/D/CH 1996 · 113 min. · FSK: ab 12
Regie: Francisco Rosi
Drehbuch: , ,
Kamera: Pasqualino De Santis, Marco Pontecorvo
Darsteller: John Turturro, Massimo Ghini, Rade Serbedzija, Stefano Dionisi u.a.
Die Welt wie sie ist...

Staunende Augen

Francesco Rosis Primo-Levi-Verfil­mung

Ausschwitz war keine 20 Jahre vorbei, als der italie­ni­sche Schrift­steller Primo Levi 1962 seinen Roman »Die Atempause« veröf­fent­lichte. Bereits in »Ist das ein Mensch?« hatte Levi sein Dasein in einem deutschen KZ geschil­dert, das zweite Buch beginnt mit der Befreiung.

Indem sich Francesco Rosi seine Filme waren beim letzt­jäh­rigen Münchner Filmfest in der Retro­spek­tive zu sehen- auf Levis zweites Buch beschränkt, entgeht er dem Dilemma, das sich immer einstellt, wenn die Erfah­rungen der Vernich­tungs­lager in Film­bilder gefaßt werden sollen: Wie ist der absolute Schrecken überhaupt darstellbar, ohne unglaub­würdig zu werden ? Hinzu kommen andere Fragen: Ist es im Angesicht des Leidens nicht immer obszön, im KZ auch das Glück einer Liebes­ge­schichte geschehen zu lassen, oder ein Überleben zu schildern ?

Roberto Benignis viel­ge­lobter Das Leben ist schön hatte dieses Dilemma nur um einen hohen Preis vermieden: Er erhöht das KZ zu einem symbo­li­schen Ort, abstra­hiert den Schrecken ins Komö­di­an­ti­sche, und traut sich doch nicht, ganz konse­quent zu bleiben, und die Vernich­tung zu schildern, ohne überhaupt Tote zu zeigen. Auch dieses Vorgehen bleibt, der Oscar-Aner­ken­nung zum Trotz, zutieftst umstritten.

Fest­zu­halten ist bei alledem, daß man aus Italien binnen kurzer Zeit gleich zwei bemer­kens­werte Beiträge zum Thema Faschismus zu sehen bekommt. Auch die Italiener haben hier bekannt­lich ihre eigene Geschichte aufzu­ar­beiten. Aus der Bundes­re­pu­blik hört man nichts derglei­chen.

Wie Levis Buch vorgibt, zeigt Francesco Rosi nicht den Schrecken der Vernich­tung selbst, sondern den Umgang mit den unmit­telbar zurück­lie­genden trau­ma­ti­schen Erleb­nissen während der Heimkehr per Fußmarsch durch Osteuropa. Der Druck des täglichen Über­le­bens ist vom Ich-Erzähler Primo gewichen, aber wie läßt sich von nun an das Leben führen ? John Turturro spielt diese Haupt­figur reduziert: Vor allem seine großen stau­nenden Augen bleiben in Erin­ne­rung. Ihnen sieht man den Unglauben darüber an, daß trotz Auschwitz die Welt noch so heil scheint, daß die Bäume im Früh­lings­licht blühen, und die Sonne ungerührt auch über den Henkern leuchtet.

So schließt Atempause an Rosi frühe Filme an, und vermeidet sowohl Benignis Manie­rismen als auch Spiel­bergs Schindler-Pathos: Ungläubig nimmt man die Norma­lität zur Kenntnis, obwohl man doch immer weiß, daß die Welt so ist, wie sie ist. Aber was weiß man da ?