D/F 2017 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Fatih Akin Drehbuch: Fatih Akin, Hark Bohm Kamera: Rainer Klausmann Darsteller: Diane Kruger, Denis Moschitto, Johannes Krisch, Ulrich Tukur, Samia Chancrin u.a. |
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Selbstjustiz und Rache um der Gerechtigkeit willen |
»...es wird lange dauern, bis das zersetzende Gift dieser Zeit ausgemerzt ist. Aber, sonnenklar, wir müssen da durch!«
Hennig von Tresckow, Hitler-Attentäter
»Sie können hier jetzt nicht entlang, fahren Sie bitte weiter«, sagt die Polizistin. Und als die Frau im Auto erklärt, ihr Mann habe sein Büro in der abgesperrten Straße, insistiert sie: »Fahren Sie bitte weiter.«
Es ist ein Moment, da ändert sich alles für Katja Sekerci, eine junge selbstbewusste Frau aus Hamburg. In diesem Moment wird ihr Leben zerbrechen, sie sich aus dem Nichts hervorarbeiten, aber auch immer wieder neu hineinfallen.
Fatih Akins neuer Film Aus dem Nichts erzählt von dieser Frau, deren Mann und ihr achtjähriger Sohn bei einem rechtsextremen Terroranschlag in Hamburg ermordet werden. Sogenannte Zufallsopfer. Parallelen zum Terror der NSU sind keineswegs zufällig. Daneben zeigt Akin aber auch, wie dieser offene mordlustige Faschismus, auch wenn man das ungern wahrhaben will, in manchen Stellen in der bundesdeutschen Mehrheits-Gesellschaft fest verankert ist, im »Extremismus der Mitte«, wie das Kenner nennen. Im strukturellen Rassismus, den Akin auch zeigt: Wenn Türken ermordet werden, dann stehen erst einmal die Opfer unter Verdacht. Stichwort: »Dönermorde.«
Der Film skizziert eingangs mit wenigen Bildern und Momenten das Leben »davor«. Dann erzählt in er in drei Abschnitten in ganz unterschiedlichen Tonlagen zuerst von der Tat und den unmittelbaren Folgen des Terrormords bis zur Verhaftung der Täter; dann vom Prozess, der mit einem Freispruch sogenannter »zweiter Klasse« »im Zweifel für den Angeklagten« ausgeht und schließlich von dem, was darauf folgt: Die Pointe ist nämlich – und dies muss man enthüllen, um über diesen Film überhaupt sprechen zu können –, dass Diane Kruegers Figur daraufhin das Recht in die eigene Hand nimmt: Am Schluss sprengt sie die Mörder per Selbstmordattentat ins Jenseits – ein weiblicher Michael Kohlhaas, der wie in Heinrich von Kleists Klassiker Selbstjustiz und Rache übt, um der Gerechtigkeit willen, und der auf Erden nicht zu helfen ist.
Was würden wir tun, wenn wir Lebensgefährten und Kind verlören? Die Frage ist legitim, und die poetische Antwort, die Fatih Akin in seinem Film gibt, und die nicht unumstritten bleiben kann, ist es auch.
Dass diese Antwort aber eine poetische ist, darauf muss man bestehen. Dies ist kein Lösungsvorschlag eines Regisseurs, der so einen Vorschlag auch nicht machen muss.
Wer Akins Film nur inhaltistisch liest, der kommt nicht weit. Denn Aus dem Nichts ist weder Parteiprogramm mit Argumenten, noch Sozialreportage – insofern ist die Argumentation mancher deutscher Kollegen, die nach der Premiere in Cannes weitaus ungnädiger waren, als Ausländer, und dem Film in Cannes vorwarfen, eine schludrige Sozialreportage und ein unpraktikables Parteiprogramm zu sein, etwas kurzbeinig.
Es geht um die Integrität der
Figur und der Emotion. Der Verbrecher habe ein Recht auf Strafe, sagt Kleists Zeitgenosse Hegel. Ein toller Satz, der die Freiheit des Verbrechers achtet, seine Freiheit zur Tat. Analog muss man formulieren: Das Opfer hat ein Recht auf Rache. Und wo es zum Verbrecher wird, ein Recht auf Strafe. Denn der freie Mensch hat zu allem ein Recht. Opfer, auch Frauen, sind in Fatih Akins Filmen nicht die besseren Menschen, aber freie. In beidem liegt genau ihre Würde.
Aus dem Nichts ist auch keine Gerichts-Dokumentation. Leider aber sind die Passagen des mittleren Akts, die von Justiz und Staatsanwaltschaft und vom Gerichts-Verfahren selbst handeln, in jeder Hinsicht der große Schwachpunkt der Films. Dieser Teil ist sowohl überraschend hölzern und unglaubwürdig geschrieben, als auch mitunter ungenügend gespielt, so dass auch Akins Inszenierung und die gewohnt souveräne Montage seines britischen Stammcutters Andrew Bird diesen Teil nicht retten können. So schwach wie er hier erscheint, ist der Rechtsstaat nicht, und so kommt das Ergebnis an einigen Stellen einer Verhöhnung der Gesetze und der Institutionen gleich.
Wie viel besser man so etwas machen kann, zeigt Frieder Schlaichs Naomis Reise, der von Ausländern vor einem deutschen Gericht erzählt, dessen Akteure er komplett mit Laien besetzt hat. Im Dezember läuft er im ZDF. Schlaich schlägt Funken aus den Ritualen und Floskeln, aus der Trockenheit, die bei Akin nur öde wirkt.
Dennoch ist der Film als Ganzes spannend und gelungen. Die Dialoge sind an anderen Stellen sehr gut geschrieben und realistisch, geprägt von der Sprache der Straße: Aus dem Nichts ist in erster Linie ein moralisches Melodrama, in dem der Charakter der Mutter, ihr Leid und der Umgang damit, ganz im Zentrum stehen.
Die Frage der Selbstjustiz, der Kohlhaas-Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Gewalt, Recht und Terror, wird dagegen vom Film nicht wirklich ausgetragen, sondern einfach behauptet und das Ergebnis gesetzt.
Akin zeichnet auf der Leinwand ein schwarzes Bild unser gegenwärtigen Welt. Zusammengehalten wird es in erster Linie durch die Deutsche, Französin und Hollywoodschauspielerin Diane Krueger, die in der Hauptrolle, ihrer ersten in Deutschland und deutscher Sprache, überraschend überzeugend auftritt.
Sie verkörpert die großen Pluspunkte des Kinos des im besten Sinne von Bauchgefühlen geprägten Kinos des Hamburgers Regisseurs: Die Emotionen, seine »starken« Frauen, und die Power der schieren druckvollen Bewegung der Bilder. Es ist ein Kino von Blut, Schweiß, Dreck und Tränen. Letztere spielen diesmal eine besondere Rolle. Vor dem Zorn kamen die Tränen.