USA 2002 · 105 min. · FSK: ab 16 Regie: Paul Schrader Drehbuch: Michael Gerbosi Kamera: Fred Murphy Darsteller: Greg Kinnear, Willem Dafoe, Rita Wilson, Maria Bello u.a. |
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Männer in perversen Umständen |
Seit Jahrzehnten warnen Medienkritiker vor dem Kulturimperialismus Amerikas, vor der Bilder- und Musikflut, die täglich über uns hereinbricht, unsere eigene kulturelle Identität verdrängt und uns die Moralvorstellung und Ästhetik der USA in die Köpfe hämmert.
Man mag es deshalb als gutes Zeichen sehen, dass, dieser vermeintlichen Gehirnwäsche zum Trotz, ein normaler, »alter« Europäer, den US-amerikanischen Moralempfinden immer noch vollkommen ratlos gegenüber steht.
Auf der einen Seite das prüde Amerika, das Schimpfwörter und schlichte Nacktheit im Fernsehen zensiert, mit seinen religiösen Protesten gegen unbequeme Filmen, mit absurden Prozessen gegen Künstler, mit geradezu hysterischen Gesetzen und Sicherheitsvorschriften, auf der anderen Seite das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, mit der größten Pornoindustrie der Welt, mit South Park, Marilyn Manson, Michael Moore, Rap-Videos voller Waffen und »Gangsta Bitches«. Um es auf einen Nenner zu bringen: Wie ist es zu verstehen, dass sich die keusche Jungfrau Britney Spears in ihren Videos wie eine billige Stripperin verhält?
Einen sehr tiefen Blick in dieses schizophrene Amerika gewährt uns nun Paul Schrader mit seinem brillanten Werk Auto Focus, wobei auch hier die Frage bleibt, wie dieser intelligente und entlarvende Film im oberflächlichen Amerika von heute, in einer angeblich nur auf Kommerz fixierten Filmindustrie, entstehen konnte.
Auto Focus steht in bester Tradition von Schraders bisherigen Regie- und Drehbucharbeiten und erzählt erneut von einem getriebenen Mann am Rand (bzw. Abgrund) der Gesellschaft. Hier ist es die wahre Geschichte des beliebten Radiomoderators Bob Crane, dessen Leben eine dramatische Wendung nimmt, als ihm die Hauptrolle für die Fernsehserie »Hogan’s Heros« (bei uns unter dem Titel »Ein Käfig voller Helden«, die momentan auf Kabel 1 wiederholt wird) angeboten wird. Die Entscheidung für diese Rolle macht sich Crane nicht leicht, nicht etwa aus moralischen Gründen (darf man sich in dieser Weise ein Vergnügen aus der Nazizeit machen?), sondern aus Angst, die Serie könnte sich als Karrieregift herausstellen. Doch das Gegenteil tritt ein. Die Serie wird zu einem riesigen Erfolg, Crane wird zum Star, die Arbeit macht ihm Spaß und zu Hause wartet im schönen Häuschen die perfekte Frau mit den braven Kindern, kurzum: Crane lebt den amerikanischen Traum.
Dass in seinem Leben trotzdem etwas fehlt, merkt er durch die Bekanntschaft mit John Carpenter (der nichts mit dem gleichnamigen Regisseur zu tun hat), einem HiFi-, Video-, Technikfreak der ersten Stunde. Durch Carpenter lernt Crane die Welt der Stripclubs kennen, in denen er bald zwei seiner großen Leidenschaften nachgeht: Schlagzeug spielen und nackte Frauen betrachten. Trotz einer veritablen Pornosammlung in der Garage und den langen Nächten in den Stripclubs, sieht sich Crane als guter Ehemann. Daran ändert sich auch nichts, als er immer öfter fremdgeht, immer wahlloser mit Frauen schläft, mit Carpenter regelrechte Orgien veranstaltet und sie sich dabei auch noch gegenseitig filmen. Crane sieht vielmehr in seiner zunehmend zügellosen Sexualität einen Schutz, der seine Familie vor seinen schlechten Stimmungen (die er metaphorisch schön als »Wellen« bezeichnet) bewahrt.
Seine Frau sieht das ein wenig anders, weshalb bald die Scheidung folgt. Crane heiratet daraufhin eine Kollegin, die anfänglich noch großes Verständnis für seine Obsession zeigt. Nachdem die Serie »Hogan’s Heros« abgesetzt wird, beginnt für Crane ein verhängnisvoller Abstieg. Seine Sexsucht läßt sich immer schwerer kontrollieren, die exklusive Videotechnik, die Carpenter willfährig anschleppt, um ihre gemeinsamen Home Movie Pornos zu drehen, verschlingt Unsummen, eine neue Arbeit zur Finanzierung all dessen findet Crane aber nicht, da im prüden Mediengeschäft niemand etwas mit einem bekennenden Pornografen zu tun haben will.
Eine mühselige Tour als Provinzschauspieler nutzt Crane zur ausgiebigen Erkundung der örtlichen Sex- und Swingerszene, woran auch seine zweite Ehe zerbricht. Fortan geht es noch schneller bergab. Als sein verblasster Serienruhm weder ausreicht, um einen einfachen Job zu finden, noch um eine Frau ins Bett bzw. vor die Kamera zu ziehen, entschließt er sich, dem ganzen »Treiben« ein Ende zu machen, was vor allem heißt, sich von seinem Freund und Kompagnon Carpenter zu distanzieren. Am nächsten Morgen liegt Crane ermordet in seinem Bett.
Paul Schrader hat in einem Interview zu Auto Focus seine Abneigung gegenüber dem Offensichtlichen zum Ausdruck gebracht und gerade in seiner Zurückhaltung und Diskretion steckt die besondere Faszination dieses Films. Schrader führt hier nicht einfach die bigott verklemmte Gesellschaft, die überforderte Kirche, die scheinheilige Medienwelt vor. Auch die Frage, ob Crane oder die Gesellschaft pervers bzw. krank ist, wird nicht beantwortet.
Die
moralischen Probleme, die Schrader beschreibt, haben nichts Allgemeingültiges, sondern beziehen sich auf das Handeln einer einzelnen Person, maximal auf das oft schwierige Verhältnis von zwei Menschen.
Das tragende Element in Auto Focus ist in diesem Sinne die komplizierte Beziehung zwischen dem Star Crane und dem Techniker Carpenter. Diese Freundschaft, die länger und besser als Cranes Ehen hält, ist so komplex, dass man noch tagelang darüber nachgrübeln kann, wer hier von wem abhängig war, wer wen bewunderte, wer einen schlechten Einfluß auf den anderen hatte, wer wen ausnützte und hinterging. Schon der Grundcharakter ihrer Freundschaft bleibt nebulös; kumpelhafte Männerfreundschaft? Begeisterte Hobbykollegen? Latente Homoerotik? Alles zusammen?
Kongenial dargestellt wird dieses verrückte Paar von Greg Kinnear als smarten, stets unverdrossenen Bob Crane und Willem Dafoe als servil diabolischem John Carpenter.
Um diese pornografische Beziehung herum baut Schrader seinen pittoresken, fesselnden Film zwischen subtilem Humor und angedeuteter Tragik, wobei ihm sein erklärtes Ziel, die Metamorphose Cranes, durch eine Veränderung der filmischen Mittel zu verdeutlichen, absolut gelingt. Analog zur Hauptfigur, glaubt man als Zuschauer am Ende der Geschichte, einen anderen Film als zu Beginn zu sehen. Auto Focus beginnt im flotten Retro-Chic von Catch me if you can und endet in einer düster melancholischen Moritat wie Confessions of a dangerous mind.
Überhaupt gibt es erstaunlich viele Übereinstimmungen zwischen Auto Focus und George Clooneys erster Regiearbeit, die von ähnlichen visuellen Mitteln (bis hin zu fast identischen Bildern, wie einem grell erleuchteten Swimmingpool in dunkler Nacht) bis zu Parallelen in der Handlung reichen. Hier der Serienstar, den die Sexsucht ruiniert, dort der Spielshowerfinder, den eine (angebliche) Nebenkarriere als Auftragskiller aus der Bahn wirft.
Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Filme ist entweder einer großer Zu- und für jeden Cineasten Glücksfall oder aber das Zeichen für einen Boom der intelligenten (Film)Kunst, die auf dem immer größer werdenden Haufen Mist der amerikanischen Politik und Kultur bestens wächst und gedeiht.
Gemeinsam ist diesen und anderen neuen, sehenswerten Filmen aus Amerika, dass sie ihre Kritik an der Gesellschaft nicht direkt üben, sondern sich ihr über das Schicksal einzelner Personen näheren. Nicht die große, globale, sondern die kleine, private Katastrophe steht im Vordergrund.
In Auto Focus findet diese ihren Höhepunkt in einer nächtlichen Szene gegen Ende des Films. Die Wohnung ist schäbig, der ehemalige Sonnyboy Crane ist ein Wrack, ein Geräusch weckt ihn, der Fernseher läuft, das weiße Rauschen erleuchtet den Raum in gespenstisch blauem Licht, Crane starrt auf den Bildschirm, der für seinen Ruhm ebenso steht wie für seinen Untergang und plötzlich ist da eine Szene aus »Hogan’s Heros«, in der Hogan seine Bedenken wegen einer Razzia der Nazis äußert. »I got things to hide«, sagt sein Alter Ego und es wird klar, dass auch Crane, der Mann, der scheinbar alles von sich gezeigt hat, immer noch Seiten hat, die niemand kennt, niemand kennen soll. Sein glückliches Leben ist daran zerbrochen.
Woody Allen fand in Deconstructing Harry das schöne Bild eines geplagten Schauspielers, der plötzlich »unscharf« wird. Auf seine Art trifft das auch auf Bob Crane und sein Leben zu. Er ist »out of focus«.