Aus meiner Haut

Deutschland 2022 · 104 min. · FSK: ab 12
Regie: Alex Schaad
Drehbuch: ,
Kamera: Ahmed el Nagar
Darsteller: Jonas Dassler, Mala Emde, Maryam Zaree, Dimitrij Schaad, Sema Poyraz u.a.
Filmszene »Aus meiner Haut«
Paar-Sozialisation einmal anders und doch vertraut...
(Foto: X Verleih/Warner Bros.)

Alte Schule

Es ist das nie wirklich eingelöste Urversprechen des Internets: Wer ganz anderes sein zu können, als man ist. Alex Schaad geht in seinem Debüt konsequent analog, um das Versprechen doch noch einzulösen

Body-Swap Filme gab es mal wie Sand am Meer. Tom Hanks' Karriere hat 1988 in BIG so begonnen und Mel Gibson in Nancy Meyers What Women Want (2000) Fremd­schäm-Barrieren über­wunden. Und auch der große Blake Edwards hat sich mit der wunder­baren Ellen Barkin in SWITCH (1991) des Themas ange­nommen. Doch bis auf James Camerons ersten Avatar, in dem der Body-Switch eine grund­le­gende Rolle zur Erkundung der eigenen Identität spielt, ist es still um das meist als Komödie ausge­reizte Genre geworden.

Das liegt sicher­lich auch daran, dass das Internet dazwi­schen gekommen ist. Das Internet mit seinem Urver­spre­chen, dass jeder, zumindest im virtu­ellen Raum, sein kann, wer ersie will – es reicht ja schon, den Namen zu ändern. Flankiert wurde diese Entwick­lung von bahn­bre­chenden Cyberpunk-Romanen wie Richard K. Morgans Altered Carbon (2002) und Filmen wie The Matrix oder Spiel­bergs Ready Player One und den Metaverse-Filmen der letzten Jahre wie Ever­ything Ever­y­where All at Once oder Spider-Man: No Way Home, die Körper und Identität mehr und mehr frag­men­tierten und den Body-Swap schon fast hyper­ven­ti­lierten.

Umso über­ra­schender ist es, mal wieder einen Film der alten Schule zu sehen, einen Film, der das Science-Fiction-Element des Körper­tauschs nicht in hard boiled SF überführt und auch nicht zur Komödie greift, sondern es in ein New Age-Umfeld einer länd­li­chen Kommune einbettet, in dem der Körper­tausch vor allem aus thera­peu­ti­schen Gründen durch­ge­führt wird.

Idee und Drehbuch stammen von den Brüdern Alex (der auch Regie geführt hat) und Dimitrij Schaad (in einer der Haupt­rollen), die mit Aus meiner Haut ihr Lang­film­debüt geben, das letzte Woche das Film­fes­tival Max Ophüls Preis eröffnete und bereits im vergan­genen September in Venedig mit dem Queer Lion ausge­zeichnet worden ist.

Die Aufmerk­sam­keit, die das Gedan­ken­spiel der Schaad-Brüder erhält, ist auch deshalb gerecht­fer­tigt, weil sich Aus meiner Haut Zeit lässt, seine Haupt­dar­steller, die Pärchen Tristan (Jonas Dassler) und Leyla (Mala Emde) sowie Fabienne (Maryam Zaree) und Mo (Dimitrij Schaad) in ihren »alten« Rollen einzu­führen und sich dann auch Zeit lässt, diese Rollen in unter­schied­liche Vexier­bilder zu über­führen. Dabei werden natürlich nicht nur die Charak­tere getauscht, sondern auch die Geschlechter und damit die Frage nach Identität und »Heimat« auf mehreren Ebenen durch­de­kli­niert. Das entspricht im Großen und Ganzen den Ergeb­nissen einer Studie des Instituts für Sexu­al­for­schung und Foren­si­sche Psych­ia­trie des Univer­si­täts­kli­ni­kums Hamburg-Eppendorf, die 2017 das repro­duk­tive Verhalten sowie die Auswir­kungen der »neuen Medien« auf die sexuelle Sozia­li­sa­tion von jungen, hoch­ge­bil­deten Erwach­senen unter­sucht hat und gerade bezüglich studen­ti­scher Bezie­hungen jenseits von Mono­se­xua­lität und Monogamie auf sehr ähnliche Schluss­fol­ge­rungen wie Aus meiner Haut kommt.

Was nicht sonder­lich verwun­dert, denn Schaads Film deckt nicht nur die Alters­klasse, sondern auch die Gesell­schafts­schicht der Studie ab, sehen wir zentral vor allem junge und intel­li­gente Menschen mit ihren Bezie­hungen und Lebens­ent­würfen hadern. Das thera­peu­ti­sche New-Age- und Kommu­nen­set­ting, das fast schon ein wenig zu altbacken und stereotyp daher­kommt, tut ein übriges, diese Theorien zu erhärten, und ist alles andere als ein Wider­spruch zum real exis­tie­renden Zeitalter des Internets, denn gerade wer hier gesell­schaft­lich privi­le­giert ist, darf sich auch erlauben, sich den Anfor­de­rungen der Zeit und ihrer Dogmen zu entziehen und ein wenig Körper­tausch und Gender-Swap im analogen Umfeld zu üben.

Was Aus meiner Haut dann viel­leicht neben seinem doch recht brav exer­zierten Gedan­ken­spiel unfrei­willig auch zu einem fast schon visi­onären Drama darüber macht, wer in unserer Gesell­schaft von den neuen Errun­gen­schaften unserer Zeit profi­tiert. Und Aus meiner Haut mit seinen schil­lernden, ruhigen und gesetzten utopi­schen Momenten dann doch näher an einer dunkel-düsteren Dystopie wie dem oben erwähnten »Altered Carbon« ist, als ihm viel­leicht lieb ist.

Spiel jetzt einfach mal ein Krokodil!

Wie originell! Wie ungewöhnlich: Aus meiner Haut dekliniert das ganze Identitätärä des Augenblicks durch, erinnert am Ende aber doch mehr an eine Übung an der Schauspielschule

Wir haben ein Paar. Sie heißen Leyla und Tristan. Jung, schön, wie man so sagt »gut situiert«, es hat keinerlei Probleme. Ein typisches deutsches Filmpaar eben.
Und dann hat es aus irgend­einem diffusen Grund doch Probleme. Natürlich Bezie­hungs­pro­bleme. Bezie­hungs­pro­bleme gehören ja heute schließ­lich fast schon zum guten Ton.
So richtig versteht man ihre Probleme als Zuschauer nicht – aber das ist ja viel­leicht auch egal. Wenn der Film einen mitreißen würde, hätte man jeden­falls gar keine Zeit, darüber nach­zu­denken.

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»Leyla, wo sind wir hier?«, fragt Haupt­figur Tristan irgend­wann stell­ver­tre­tend für die Zuschauer. Die richtige Antwort lautet natürlich: In einem deutschen Film.
Aber das ist auch gemein. Die korrekte, höfli­chere Antwort heißt: Auf einer einsamen Insel. Irgendwo im Nirgendwo. Denn dieser Film ist auch ein Science-Fiction, der in der nahen Zukunft spielt. Eine Art Kunst-Science-Fiction, bei dem es nicht um Raum­schiffe geht, sondern um das, was Regisseur Alex Schaad »magischen Realismus« nennt, wobei mir der seltsame Stoffturm, der dies verkör­pern soll, wenig magisch und auf keinen Fall realis­tisch vorkommt.

Alex Schaad hat mit dem mittel­langen Film Invention of Trust 2016 den Studenten-Oscar gewonnen, er ist ohne Frage ein inter­es­santer Regisseur, und zeigt auch hier, dass er insze­nieren kann. Das ist es nicht. Sondern das Drehbuch, die Grundidee, der man neben vielem anderen auch anmerkt, dass es über sieben Jahre gedauert hat, bis das Drehbuch endlich verfilmt werden konnte – der deutschen Film­för­de­rung und den hinläng­lich beschrie­benen Problemen des Nach­wuchs­films sei Dank. Durch diesen langen Zeitraum wird etwas in der Regel nicht besser, und wenn eine Geschichte sowieso schon ziemlich verworren und kompli­ziert ist und sehr, nun ja, gewagte Ideen enthält, dann wird alles noch schlimmer. Der erwähnte Stoffturm steht jeden­falls auf der erwähnten einsamen Insel. Er ist der Ort, an dem die Menschen, kurz gesagt, ihre Körper tauschen können, oder auch das Symbol dafür, dass sie das können.

Akzep­tiert das einfach! Wer hier nachdenkt, hat schon verloren. Magischer Realismus ey! Magisch! Realismus!

Oder doch nur Esoterik?

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Die meisten Filme würden es für nötig halten, zumindest alibi­mäßig etwas zu erklären und zu begründen, irgend­eine Technik zu behaupten. In Inter­views hat der Regisseur erzählt, dass er das zuerst auch versucht hatte, dass es da Ideen in eine tech­no­lo­gi­sche Richtung gab zum Beispiel, dass über im Kleinhirn imple­men­tierte Mikro­chips der Gehirn­in­halt von einer Person auf die andere über­tragen wird und irgend­wann hat man das alles verworfen, irgend­wann kam man auf die reine Phan­tastik. Aber der Ausdruck »Magischer Realismus« verrät, dass es die Phan­tastik der Literatur ist, nicht die des Kinos und des sonstigen Science-Fiction-Genres. Dies ist also eher Fantasy, und keines­falls Science.
Der Regisseur spricht von einem spiri­tu­ellen, tran­szen­den­talen Erlebnis – das mag sein, ist aber seiner Natur nach etwas, das man nicht kommu­ni­zieren kann, sondern das man glauben muss.

Ich haben den Eindruck, dass hier vor allem kein Geld da war, etwas zu visua­li­sieren und deswegen wird es in Worte gepackt. Das ist schade auch für den Film, der nicht die Kunst der Worte ist, sondern der Bilder, und es ist schade für seine Macher. Wir müssen es aber benennen, denn ich glaube es funk­tio­niert nicht. Auch wenn dieser Film, darauf komme ich noch, eine Menge begeis­terte Reak­tionen hervor­ge­rufen hat.

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Weil dieses Paar Tristan und Leyla – ja, Leute heißen so, auch im echten Leben außerhalb von Berlin Neukölln, aber vor allem heißen sie so in deutschen Filmen –, weil dieses Paar so wahn­sinnig narziss­tisch auf sich selbst fixiert ist, also jede Paar­hälfte auf sich selber und dann natürlich auf die eigene Beziehung, und darauf, ob man sich liebt... Und warum man sich liebt... Und ob man eigent­lich in diesen schönen Körpern sein will und nicht etwas häss­li­cher sein? Ob man es in diesen schönen Körpern wirklich aushält? Ob man sich die Achsel rasieren sollte? Und weil die Frau sich überlegt, wie es ist, »einen Schwanz zu haben«, und der Mann sich überlegt, wie es ist, »Titten zu haben« und weil das natürlich alles wichtige Fragen sind, die sich jeder von uns am Morgen stellt – oder nicht? – darum kommen sie auf die nahe­lie­gendste Idee von allen: Sie tauschen ihre Körper. Mitein­ander und mit anderen.
Dass das ihre Probleme nicht löst, sondern neue Probleme schafft, liegt auf der Hand. Auch wenn die Figuren dann ab und zu ausrufen, wie toll es ist, jetzt mal in einem ganz anderen Körper zu sein.

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Es hört sich ja erst mal toll an: Körper­tausch. Fluide Iden­ti­täten. »Non-Binarität« und »Queerness«. Das ganze Iden­ti­tä­tärä des Augen­blicks, das Fixieren und Infra­ge­stellen im gleichen Moment, wird in diesem Film durch­de­kli­niert.

Aber all das mutet auf der Leinwand dann auch ein bisschen an wie eine Übung an der Schau­spiel­schule: Sei jetzt für eine Stunde lang einfach mal ein Krokodil.

Ui ui ui. Wie originell! Wie unge­wöhn­lich!!

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Dieser Film ist genau genommen gar nicht anders, sondern genau so wie der deutsche Film sehr oft ist: Unglaub­lich pedan­tisch und korrekt, so gar nicht verspielt. Und überall da, wo man subtil sein könnte, ist er überaus explizit und über­deut­lich. Radikal ist überhaupt nichts an diesem Film, gewollt eine ganze Menge.

Vor allem ist er auch sehr sehr ernst. Wenn man schon so einen Quatsch macht, wie Aus meiner Haut, dann kann man das auch ein bisschen lustig machen. Aber sie meinen es offenbar ernst. Nicht einen Funken Humor gibt es in dem Film, nur ein paar bemühte Lacher, die aber eben vor allem eines sind: Bemüht. So tritt die Lächer­lich­keit mancher Szene nur um so mehr zutage.

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Zugleich ist es natürlich auch nicht inter­es­sant. Nicht intel­lek­tuell heraus­for­dernd. Und weil es das nicht ist, weil es sich ans Publikum und seine vermeint­li­chen Inter­essen heran­schmeißt, kommt es bei einer bestimmten mittleren Ebene des soge­nannten Feuil­le­tons über­ra­schend gut an. Ich zitiere: »ein aufre­gender, fantas­ti­scher Liebes­film über das Wesen zwischen­mensch­li­cher Bezie­hungen«; »mit psycho­lo­gi­scher Tiefen­schärfe«; »Eines der ambi­tio­nier­testen Debüts 2022!«

Die Schau­spieler sind wie gesagt schön und gut anzusehen, und sie spielen auch gut, was viel­leicht deswegen gar nicht so über­ra­schend ist, weil das eben ein gefun­denes Fressen für Schau­spieler ist: Exaltiert und ein bisschen selbst­be­soffen eine Rolle zu spielen, in der die Figur eine Rolle spielt, also das Rollen­spiel, das deren täglich Brot ist, zu verdop­peln.

Gerade der Macho, den Co-Autor Dimitrij Schaad spielt, ist grau­en­haft über­zeichnet. Soo schlecht. Die über­zeich­netste Rolle im ganzen Film. Das heißt: Es ist genauso geworden, wie sie es haben wollten. Der muss da selber drauf bestanden haben. Why?

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»Du bist der Mensch, der du bist, weil du deinen Körper hast, den du hast.« – das ist die große und schon sehr frag­wür­dige Behaup­tung in diesem Film.
Im Effekt steht der Film damit que(e)r zu unseren Gegen­warts-Debatten: Wenn der Körper bestimmt, was man ist, kann man eben nicht wählen, wer man sein will, sondern nur welche Hülle man sich anschminkt oder anope­riert. Das ist die logische Konse­quenz dieses Grund­ge­dan­kens. Dazu steht der Film dann aber nicht.
Sondern er biedert sich allem an, weil er es allem recht machen will: Queerness und Spießig­keit verbünden sich zu einem großen Frage­zei­chen.
Nicht in Frage gestellt wird nur eines, nämlich dass es diesen Figuren eigent­lich insgesamt viel zu gut geht.

Aber was ist eigent­lich genau das Problem? Was soll eigent­lich das Thema dieses Films sein? Part­ner­tausch? Liebe? Identität als unver­än­der­lich verstanden? Identität als verän­der­lich verstanden?

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So ist dieser ganze Film wie die Bezie­hungs­pro­bleme in der Geschichte: Die reine Behaup­tung. Eine Behaup­tung, die in sich schon nicht stimmt, und die auf keiner Ebene überzeugt: Nicht wenn man die Film­fi­guren versucht, psycho­lo­gisch ernst zu nehmen, und auch nicht, wenn man versucht, darin so etwas wie Science-Fiction zu erkennen.

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Wichtiger aber: Was für Männer­bilder und Frau­en­bilder werden hier gezeigt, was für Vorstel­lungen von Schwul-Lesbisch und Hetero?
Eine Freundin, die Frauen liebt, kam aus dem Kino und meinte: Der Film ist wahn­sinnig homophob. Und sie hat Recht! Es sind ausschließ­lich die 08/15 Klischees von Weib­lich­keit und Männ­lich­keit, und von allem anderen, die hier verdop­pelt, breit­ge­treten und nie in Frage gestellt oder verun­si­chert werden. Und dahinter steckt das Bild des Schwulen als des »Weibi­schen«, Egozen­tri­schen.

Die Über­schrei­tungs­phan­ta­sien sind bieder und puri­ta­nisch: Jaja, der Typ schläft schon mal mit einem Mann, aber eigent­lich ist der ja doch seine eigene Frau, die nur im Körper eines schwulen Mannes steckt, und deswegen hat sie auch noch einen einen großen dicken Schw... – lassen wir das. Aber so ist hier das Niveau.
Und sie möchte dann im Mannes­körper bleiben, weil Männer halt doch irgendwie besser, stärker, begeh­rens­werter und kompletter sind. Und sie müssen sich nicht die Achsel­haare rasieren.