Frankreich 2017 · 121 min. · FSK: ab 6 Regie: Jacques Doillon Drehbuch: Jacques Doillon Kamera: Christophe Beaucarne Darsteller: Vincent Lindon, Izïa Higelin, Séverine Caneele, Bernard Verley, Anders Danielsen Lie u.a. |
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Der Meister am Werk |
Sehen und Tasten – das sind die wesentlichen Tätigkeiten, mit denen der berühmte Bildhauer Auguste Rodin (1840-1917) in Jacques Doillons Biopic gezeigt wird. Das beharrliche Schauen, das geduldige Kneten und Formen: Im kontinuierlich fließenden Ablauf langer Plansequenzen lässt Doillon das Sehen und das Tasten förmlich ineinander übergehen, lässt auch den Kamerablick die Oberflächen und Materialien fast schon haptisch erfassen.
Einmal sehen wir Rodin in einer dieser optisch-sinnlichen Sequenzen in der Natur draußen spazieren, im Gespräch mit seiner Lebensgefährtin Rose, und er ist ständig dabei, die Rinden der Bäume zu umschmeicheln und zu berühren, ihren Schrunden und Rissen nachzuspüren. Der Schauspieler Vincent Lindon legt seine Verkörperung des Künstlers vor allem von dieser tastend-handwerklichen Seite der Bildhauerei her an, fünf Monate lang hat Lindon fünf Stunden täglich an Skulpturen gearbeitet, um sich auf diese Rolle vorzubereiten, um ein Gespür für das Formen von Gips und Ton zu bekommen, wie er in Interviews erzählt. Er gibt Rodin dabei eine bäuerlich wirkende Bodenständigkeit, Beharrlichkeit, ja Sturheit, die am konkreten Formgebungsprozess interessiert ist, an dessen Ende Statuen stehen sollen, denen er Leben eingehaucht hat, wie er selber sagt.
Und so erträgt er auch unbeirrt die Anfechtungen, die er mit seinen manchmal ungeduldigen Auftraggebern auszutragen hat. Rodin steht zu Beginn des Films nämlich bereits auf der Höhe des Ruhms. Der Regisseur Doillon ist nicht an einem Künstlerdrama interessiert, das vom mühsamen Kampf um Anerkennung, vom Ringen um die Berufung erzählt.
Auch die melodramatischen Facetten, die in Rodins Beziehung zu Frauen, insbesondere zu der fast zwanzig Jahre jüngeren Camille Claudel
liegen, arbeitet er nicht eigens heraus. Camille ist im Film einfach da, so wie Rodin einfach schon eine Berühmtheit ist. Camille ist seine Schülerin, sie ist seine Geliebte, später im Film dann ist sie es nicht mehr; das dahinterstehende Drama bleibt draußen, die Gefühlsverwirrungen werden ausgeblendet. Lediglich in einer Szene wird gezeigt, dass diese Geschichte auch anders erzählbar wäre, da sucht die langjährige Lebensgefährtin Rose die jüngere Rivalin in deren Atelier auf und
präsentiert ihr einen eifersüchtigen Auftritt. Die leidenschaftliche Geschichte der Camille Claudel mit ihrem durchaus tragischen Ende in der Irrenanstalt hat bereits Bruno Nuytten in Camille Claudel (1988 mit Isabelle Adjani) erzählt; Bruno Dumont wiederum hat sich dann in Camille Claudel 1915 (2013 mit Juliette Binoche) ganz auf die Zeit der Internierung
konzentriert.
Mit Rodins Perspektive jedoch, der sich Doillons Film ausdrücklich verschreibt, ist dann Camille mehr oder weniger umstandslos aus seinem Leben und damit auch aus dem Film verbannt. Das wirkt durchaus brutal und lässt Rodins mangelnde Sensibilität, ja seinen Egoismus erkennen. Die Beharrlichkeit und Sturheit, die Lindons Rodin so überzeugend ausstrahlt, bringt hier ihre unangenehme, harte Seite zum Vorschein, was umso drastischer wirkt, als in eben dieser dem Stein der Skulpturen zugewandten Intensität anfangs ein großes Einvernehmen zwischen Rodin und Camille herrschte.
Die Form der Berührung, die die beiden künstlerisch und menschlich verband, trennt sie später. Rodin hat dabei vor allem das Vorantreiben seines Werkes im Sinn. Die Affären mit den Modellen, die er nach Camille immer wieder hat, nimmt er mit großer Selbstverständlichkeit als seinem Genie geltende Huldigungen entgegen. Der Film zeigt hier eine Verkehrung des Bezugs zu Menschen und Dingen bei Rodin, eine Art déformation professionelle des Bildhauers, der steinernen Statuen Leben einzuhauchen vermag und Menschen reduziert auf anfassbare Gegenstände, denen seine Aufmerksamkeit nur gilt, solange sie ihm etwas für seine Kunst geben können.
Doch Doillon drängt dem Zuschauer solche Einsichten nicht auf. Er legt seine Erzählung als ungezwungene Folge von Szenen und Episoden an, die zum Beispiel auch Begegnungen mit Hugo, Cézanne, Monet oder Rilke einstreuen, ohne daraus eine große Geschichte zu konstruieren. Es geht Doillon einfach darum, einen ruhigen, unaufgeregten Fluss an Bildern zu erzeugen, die den steten Wandel im unermüdlichen Gestaltungsprozess beim Entstehen der Skulpturen Rodins spiegeln. Die Gelassenheit und Unerschütterlichkeit Rodins gibt dem Film den gemäßen Rhythmus.