USA/GB 2013 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: Scott Cooper Drehbuch: Brad Ingelsby, Scott Cooper Kamera: Masanobu Takayanagi Darsteller: Woody Harrelson, Christian Bale, Casey Affleck, Zoe Saldana, Sam Shepard u.a. |
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Harte Stahl-Jungs mit Mädel |
Am Anfang war der Ort. So jedenfalls beschreibt Scott Cooper die Genese seines zweiten Spielfilms nach Crazy Heart, jenem lakonisch erzählten Musikerdrama, das Jeff Bridges 2010 einen Oscar als bester Hauptdarsteller einbrachte. Noch während der Promotion-Tour zu seinem Regiedebüt wurde Cooper auf die Kleinstadt Braddock im Bundesstaat Pennsylvania aufmerksam: früher ein blühendes Zentrum der Stahlindustrie, heute jedoch nur noch Spiegelbild eines vergessenen Landstrichs. Wo einst hart und erfolgreich gearbeitet wurde, prägen nun stillgelegte Fabriken und heruntergekommene Werkshallen das Stadtbild. Fast bedrohlich ragen die Schlote der Hochöfen (auf diese spielt der Originaltitel Out of the Furnace an) in den wolkenbedeckten Himmel und erinnern an den Niedergang, den Braddock in den 1970er und 1980er Jahren erlebte, als die Stahlindustrie langsam in sich zusammenbrach.
Vom Zerschellen des amerikanischen Traums wollte Cooper erzählen. Von den unsichtbaren Männern des »Stahlgürtels« im Nordosten der USA. Ihrer Perspektivlosigkeit und ihrem Aufbäumen gegen das unerbittliche Schicksal. All dies nahm konkret Gestalt an, nachdem der Regisseur auf ein Thriller-Drehbuch von Brad Ingelsby stieß, für das sich bereits Leonardo DiCaprio und Ridley Scott interessiert hatten (die beiden blieben dem Projekt als Produzenten erhalten). Cooper arbeitete die fremde Vorlage um, passte sie an seinen favorisierten Handlungsort Braddock an und legte damit den Grundstein für eine ganz eigenwillige Tonalität, die Auge um Auge durchaus zu einer Ausnahmeerscheinung im sonst so handlungsgetriebenen Hollywood-Kino macht.
Auch wenn der Geschichte ein Racheplot zu Grunde liegt (darauf zielt der etwas plumpe deutsche Verleihtitel ab), spielt dieser letztlich nur eine untergeordnete Rolle. Nicht umsonst muss der vom Mainstream erzogene Zuschauer ungewöhnlich lange warten, bis das Vergeltungsgeschehen überhaupt ins Rollen kommt. An die Stelle cleverer Twists und hektischer Drehbuchentwicklungen setzt Cooper das Stilmittel der Entschleunigung. Anders als viele Kollegen geht er nah an seine Figuren heran und taucht ein in ihren problembeladenen Alltag. Kurzum: Er lässt sich Zeit und erzeugt gerade dadurch eine beklemmende Atmosphäre, die dem dahinsiechenden Braddock, einem Hauptakteur des Films, auf ganzer Linie Rechnung trägt. Hinter jeder Ecke ist sie zu spüren, die Hoffnungslosigkeit, die sich wie ein Leichentuch über die postindustrielle Kleinstadt gelegt hat.
Die Handlung setzt ein im Jahr 2008. Genau zu jener Zeit, als Barack Obamas schwungvolles Auftreten im ganzen Land für Aufbruchsstimmung sorgt. In Auge um Auge ist davon allerdings wenig zu spüren. Lediglich an einer Stelle läuft im Hintergrund ein Fernsehbericht über den vermeintlichen Heilsbringer. Wenig beachtet, bloß ein Detail am Rande. Statt »Yes we can!«-Euphorie herrscht in der abgewirtschafteten Gemeinde Apathie und Resignation. Die Menschen kehren dem Ort den Rücken oder aber suchen ihr Heil in kriminellen Machenschaften. So auch der Berufssoldat Rodney Baze (Casey Affleck), der nach dramatischen Kriegserfahrungen nicht ins normale Leben zurückfindet, obwohl ihm sein verantwortungsvoller Bruder eigentlich ein gutes Vorbild sein könnte. Russell (Christian Bale) lässt sich von Enttäuschung und Niedergang nicht anstecken, schuftet wie ein Verrückter im einzigen Stahlwerk, das seine Pforten noch nicht geschlossen hat, und wacht über Rodney, der immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten gerät.
Als der Stahlarbeiter eines Tages jedoch unter Alkoholeinfluss einen Autounfall mit Todesfolge verursacht, beginnt auch er, langsam den sicheren Halt zu verlieren. Während der Haftzeit stirbt sein schwerkranker Vater, seine Freundin wendet sich von ihm ab, und sein kleiner Bruder kommt nach einem weiteren Irakeinsatz endgültig als gebrochener Mann in die Staaten zurück. Russell will trotzdem nicht aufgeben, heuert nach seiner Entlassung wieder im Stahlwerk an, doch die Würfel sind längst gefallen. In einer ergreifenden, aber keineswegs billig sentimentalisierenden Szene, in der er seine Ex-Freundin zurückzugewinnen versucht, erfahren wir ganz nebenbei, dass Russells Arbeitsstelle wohl nicht mehr lange existieren wird, da die Verlagerung der Produktion in ein asiatisches Land deutlich rentabler ist. Hier grüßt die hässliche Fratze der Globalisierung.
Ruhige Momente und Alltagsbeobachtungen wie diese sind es, die Coopers zweite Regiearbeit von einem hervorragend gespielten Charakterdrama zu einer ebenso eindringlichen Milieustudie ausweiten. Persönliche Schicksale und gesellschaftliche Befindlichkeiten gehen fließend ineinander über. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen, und die Figuren finden sich früher oder später in einem Teufelskreis wieder. Ähnlich dem Protagonisten in David Finchers Kultfilm Fight Club, weiß Rodney seiner Perspektivlosigkeit und seiner inneren Leere nicht anders entgegenzutreten, als sich in illegalen Faustkämpfen aufzureiben. Sie bringen Geld, was mit ehrlicher Arbeit anscheinend nicht mehr zu verdienen ist, und noch wichtiger: das brutal-archaische Messen mit Kontrahenten ermöglicht die Bestätigung der eigenen Männlichkeit. Eine Erlösung bieten diese Veranstaltungen freilich nicht. Vielmehr läuft Rodney, wie so viele Figuren im düsteren Noir-Kosmos, sehenden Auges in sein eigenes Verderben. Fordert mit Harlan DeGroat (geradezu furchteinflößend: Woody Harrelson) einen Mann heraus, der keine Kompromisse kennt und sich nicht zum Narren halten lässt.
Eben dieser unberechenbare Hillbilly löst schließlich einen Racheimpuls aus, der das letzte Drittel des Films beherrscht. Hier stößt selbst Russell, der trotz seines Gefängnisaufenthalts lange Zeit als gutes Gewissen des Zuschauers fungiert, an seine Grenzen und beschreitet, seiner letzten Gewissheiten beraubt, auf einmal den Weg der Gewalt. Erlittenes Unrecht muss notfalls in Eigenregie beglichen werden. Ein fast schon banaler Erzähltopos, der gerade im amerikanischen Kino nicht totzukriegen ist. Wenngleich das Thriller-Drama nun deutlich konventioneller ausfällt, fügt sich die von Cooper bemühte Ausweglosigkeit doch recht treffend in das allgemeine Stimmungsbild ein. Auge um Auge handelt von ernüchternden Zukunftsaussichten und verpassten Chancen. Einem schwer gebeutelten Amerika, das in dieser Form leider zu selten auf der großen Leinwand zu sehen ist, aber gewiss viele weitere Geschichten bereithält. Deren Handlungsorte müssen nur noch von umsichtigen Filmemachern entdeckt werden.