USA 2018 · 142 min. · FSK: ab 12 Regie: Damien Chazelle Drehbuch: Josh Singer Kamera: Linus Sandgren Darsteller: Ryan Gosling, Claire Foy, Ciarán Hinds, Kyle Chandler, Jason Clarke u.a. |
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Ein Mann unserer Zeit |
»Was iss in dieser Welt noch ächt? (Wahrscheinlich wird der Mond auch nur auf eine der niedrigeren Wolken projiziert).« – Arno Schmidt, Julia, oder die Gemälde
Filme über eine Reise zum Mond gibt es fast schon so lange, wie es das Kino selbst gibt, seit Georges Méliès Reise zum Mond (1902). Seitdem gab es zahlreiche Variationen über das gleiche Thema. Manche, die sich gescheiterten Projekten annäherten (APOLLO 13, 1995), oder verknetete Versionen, wie Wallace und Gromits Grand Day Out (1989). Dass sich bislang niemand an die erste, tatsächlich erfolgreiche Landung 1969 heranwagte, mag aber nicht nur daran liegen, dass eine umfangreiche Biografie des Hauptprotagonisten Neil Armstrong erst 2005 erschien, sondern wahrscheinlich an der Geschichte selbst. Denn die Mondlandung 1969 ist wie nur wenige historische Ereignisse unserer Moderne tief in unsere kollektive Erinnerung eingebrannt, zumindest in die Erinnerungen jener Generationen, die bis in die frühen 1960er geboren wurden und die sich noch heute daran erinnern, wie sie von ihren Eltern aus den Betten geholt wurden, um dieses Ereignis vor einem laufenden Fernseher generationsübergreifend teilen zu können. Doch inzwischen stirbt auch diese Erinnerung langsam mit ihren Zeitzeugen aus und der Zeitpunkt scheint gekommen, dieser Erinnerung nun das notwendige, filmische Vermächtnis zu setzen.
Da ein Vermächtnis immer auch ein Kind seiner Zeit ist, sollte historische Akkuratesse nicht wirklich erwartet werden. Und natürlich erst recht nicht von Damien Chazelle, der in Filmen wie Whiplash (2014) oder La La Land (2016) gezeigt hat, dass er weniger an Tradition als an ihrer Hinterfragung interessiert ist, dass er es sowohl versteht Moral als auch ein ganzes Genre gegen den Strich zu bürsten und dabei doch ambivalente und aufregende Unterhaltung zu bieten.
Nicht anders verhält es sich auch mit Chazelles Aufbruch zum Mond. Chazelle fokussiert zwar stark auf James R. Hansens Neil Armstrong-Biografie »First Man: The Life of Neil A. Armstrong«, zeitlich dabei vor allem auf das Vorspiel zur Mondlandung. Über die erhaltenen Funksprüche, die belegten Testflüge und Todesfälle des Mondprogrammes schafft er zusätzliche historische Faktizität, setzt dann allerdings Schwerpunkte, die ein Chronist und Regisseur Ende der 1960 nie und nimmer gesetzt hätte.
Denn Chazelle interessiert weniger der globale Event der Landung, diese ganze Leibhaftigwerdung eines weiteren »American Dream«; auch der politische Wettkampf mit dem Kommunismus wird nur angedeutet, die ikonografische Flaggensetzung auf dem Mond wird ebenso nebensächlich abgefertigt und kann so mehr oder weniger als subtile Kritik an der gegenwärtigen amerikanischen Politik gelesen werden. Und auch an dem spröden, wortkargen, introvertierten, aber gutmütigen »Macher«, der Armstrong wohl war, ist Chazelle eigentlich nicht interessiert, weil er heutigen Generationen wohl ebenso fremd bliebe, wie die Kriegsheimkehrergeneration in Deutschland ihren eigenen Kindern stets blieb. Stattdessen entwirft Chazelle mit Ryan Gosling einen Armstrong, der zweifelt, der trauern kann und am Ende sogar weinen lernt; eine Aufnahme ins Mondprogramm dürfte er mit diesen Eigenschaften allerdings wohl kaum geschafft haben. Auch die Frau an Armstrongs Seite, die von Claire Foy verkörperte Janet Armstrong, entspricht mehr einem Rollenmodell unserer Gegenwart oder den sich gerade etablierenden Gender-Experimenten einer 68er-Kommune, von denen die Familie Armstrong allerdings so weit entfernt war, wie es der Mond auch heute noch für die meisten von uns ist.
Dass die emotional vielleicht stärkste Szene von Chazelles Film die Schlussszene ist, in der dem Ehepaar Armstrong gerade über die trennende Quarantäneglasscheibe zum ersten Mal so etwas wie partnerschaftliche Nähe gelingt, zeigt das eigentliche Dilemma von Chazelles Aufbruch zum Mond vielleicht am besten, weil hier am deutlichsten wird, was Chazelle am meisten interessiert, wovon im Film dann aber leider am wenigsten passiert – die Beziehungsarbeit.
Denn natürlich besteht Chazelles Film zu einem großen Teil aus Raumfahrtversuchen, dem eigentlichen »Science Fiction«, denen Chazelle jedoch weder große Spannung noch Emotionalität einzuhauchen versteht, die eher wie eine leblose Pflichtkür wirken und allein wegen ihrer Historizität interessieren, weil sie zeigen, dass es den Kampf um Gelder für die Raumfahrt und das Scheitern damals genauso gab wie heute noch. Dass es immer visionären Irrsinn und den Mut zum Scheitern braucht, um Erfolg zu haben.
Davon kann man allerdings auch anders und ich denke besser als Chazelle erzählen, auch wenn es sich um Raumfahrt handelt, und auch wenn es »nur« um Fakten geht. Dafür reicht es, einen kurzen Blick auf Ridley Scotts Marsianer zu werfen, der all das hat, was Aufbruch zum Mond nicht hat, der sowohl »Science Fiction« als auch »Human Fiction« gleichberechtigt in seinen Plot integriert.
Nur eins hat Scotts Film natürlich nicht – die reale Vergangenheit. Aber die braucht es eigentlich eh nicht, denn so wie Scott unsere Gegenwart nutzt, um über eine Zukunft zu erzählen, die es vielleicht nie geben wird, so bedient sich Chazelle einer Vergangenheit, die es nie gegeben hat, um über unsere Gegenwart zu erzählen.