Deutschland 2002 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Christopher Roth Drehbuch: Moritz von Uslar, Christopher Roth Kamera: Bella Halben Darsteller: Frank Giering, Laura Tonke, Vadim Glowna, Jana Pallaske u.a. |
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Frank Giering als Andreas Baader |
Schnelle Bilder, gute Musik. Baader beginnt fast wie eine Dokumentation über das Westdeutschland der sechziger Jahre; Nostalgie mischt sich mit Bitterkeit. »Sie können Deutschland verändern« steht auf Wahlplakaten der FDP. Das ist noch Realität und war doch schon damals Fiktion.
Damals, dass sind die Jahre 1967 – 1972, als sich Andreas Baader und BKA-Chef Horst Herold über den inneren Eisernen Vorhang der Bundesrepublik hinweg ein bizarres Match lieferten, das nach absurden, ganz eigenen Gesetzen gespielt wurde. Aber Christopher Roths Film, der jetzt, pünktlich zum 25 Todestag von Andreas Baader und Gudrun Ensslin in die Kinos kommt, und tatsächlich auch vom Beginn des deutschen Terrorismus erzählt, ist von einer historischen Dokumentation denkbar weit entfernt. Er handelt vielmehr spielerisch genau von jener prekären, allzu oft unklaren Grenze zwischen Fakten und Fiktion, die im deutschen Kino häufig einer falschen Klarheit geopfert wird, die dort zuletzt selten mit derartigen Mut in ihrer ganzen Unklarheit dargestellt wurde.
Es geht weiter, wie im Kino: Nacht, tiefe Züge aus der Zigarette, ein konspiratives Treffen zwischen Jäger und Gejagtem, einmal darf ihre heimliche Nähe offenkundig werden, schon sehr bald wird der eine den anderen zur Strecke bringen – das Leben, ein Gangsterfilm.
Kino-Helden: Sie sehen gut aus, sind gut angezogen, sie schießen und kiffen und denken – und immer für das Gute. Sie verführen, vor allem uns, die Zuschauer im Kinosaal, inbrünstig zelebriert auch Roth am
Beispiel des Liebespaares Ensslin/Baader, ihres wilden Lebens im Untergrund diese Kinomythen. »Warum sollen sich Marxisten nicht für Lippenstift und schnelle Autos interessieren, nicht konsumgeil sein?« fragt der Regisseur, »die Ansicht, dass man, wenn man links ist oder andere gute Absichten hat, auch in den allerletzten Klamotten herumlaufen müsste, ist falsch. Die RAF ist von ihrem Stil gar nicht zu trennen.«
Darf man das? Eine zweifellos angreifbare Figur wie Baader zum Film-Helden machen? Eine Geschichte der RAF als Geschichte ihrer Posen, Gesten, Klamotten, Geschlechterbeziehungen darstellen? Man darf, soviel vorweg. Auch Billy the Kid oder Humphrey Bogarts Film-Noir-Detektive waren keine Engel; und Kriterium, ob ein Film gut ist, ist immer noch die Qualität dessen, was auf der Leinwand zu erblicken ist, nicht die sittliche Verfassung der Hauptfigur oder das Gesinnungszeugnis der Macher. Dass man solche Selbstverständlichkeiten überhaupt noch einmal erwähnen muss, liegt daran, dass offenbar nicht alle dieser Ansicht sind. Bei seiner Premiere auf der Berlinale sorgte Baader jedenfalls für einen handfesten Skandal, nur Weniges wurde mit ähnlicher Häme von der Kritik verdammt. Nur schöne Bilder hieß es, was offenbar manche immer noch für einen Vorwurf halten, und in Wahrheit sei alles doch ganz anders gewesen. Aber wer würde Shakespeares »Richard III« oder Ecos »Der Name der Rose« mit Erkenntnissen aus dem historischen Seminar kommen wollen?
Christopher Roths Wahrheit ist eine andere. Der Regisseur, der mit seinem Debütfilm Losers! 1995 ein ganz bemerkenswertes, leider vom Verleih unter Wert herausgebrachtes Gegenstück zu den Üblichkeiten der Beziehungskomödie präsentierte, will etwas spürbar machen vom Lebensgefühl, das intelligente Menschen in den Terrorismus gleiten ließ. Indem er seine Figuren Baader, Ensslin, Meinhof (Frank Giering, Laura Tonke, Birge Schade, allesamt hervorragend) als junge, etwas verwirrte aber nicht grundsätzlich unsympathische Personen vorstellt, Skizzen aus ihrem Leben zeigt, die im Detail erfunden sind, im Grundsätzlichen aber tatsächlichen Ereignissen folgen, lenkt er den Blick auf Überraschendes: Auf einmal entdeckt man, dass diese Kapitalismusfeinde auf schnelle Auto standen und gerne Cordsackos und Sonnenbrillen trugen, ahnt man, dass vielleicht die Posen, die sie sich in Filmen wie Pierrot le fou oder Italo-Western abguckten, für die Geschichte dieser an den Terrorismus verlorenen Kinder des Wirtschaftswunders wichtiger war, als die Lektüre von Marx und Lenin.
Vor zwei Jahren erzählte Andres Veiels Black Box BRD ein Märchen in Form eines Dokumentarfilms. Es handelte von der heimlichen Nähe zwischen dem Deutschen-Bank-Chef Alfred Herrhausen und dem Terroristen Wolfgang Grams, der möglicherweise sein Mörder war. Eine Nähe wird hier insinuiert, eine klammheimliche Gemeinschaft im Außenseitertum, gar in einem persönlichen Idealismus der »Gutes tun« will.
Noch einmal: Um historische Fakten geht es hier nur am Rand. Wonach Baader vielmehr sucht, ist Freiheit. Nicht nur im Umgang mit Figuren und Vergangenheiten, sondern noch viel mehr gegenüber einer Gegenwart aus Sachzwängen und Deutungsmonopolen. Die jungen Helden könnten tatsächlich unter anderen Umständen Künstler oder DJs sein, sie wollen, wenn man ihnen schon nicht gestattet, wirklich mündig und erwachsen zu sein, zumindest einfach spielen, und zwar ihre eigenen Spiele, nach eigenen Regeln nicht die, die von den Animateuren der Spaßgesellschaft vorgegeben werden. Diesen Impuls, den ihm zugrundeliegenden Ennui zeigt Baader gut. Eher muss man ihm vorwerfen, dass er noch nicht weit genug geht.
In seinem Ansatz, seine historischen Figuren ohne Rücksicht auf Fakten und Moral als Material zu begreifen für die Frage, welche Freiheit für den Einzelnen oder eine Gruppe möglich ist in der Welt von heute, steht Baader, Bonnie and Clyde oder Rudolf Thomes wunderbarem Rote Sonne – einem unbewussten Vorgriff auf den Terrorismus, der dessen Scheitern schon enthält – weitaus näher als Veiels bravem und gesinnungstreuem Konsensfilm Black Box BRD: Ein Dissensfilm, der darauf verzichtet, auch noch die RAF historisch einzugemeinden, der daran erinnert, dass Streit und das Offenhalten von Wunden manchmal besser ist, als Versöhnung. Ein mutiger, intelligenter und – nicht zuletzt – unterhaltsamer Film.