Australien/Kanada 2014 · 94 min. · FSK: ab 16 Regie: Jennifer Kent Drehbuch: Jennifer Kent Kamera: Radoslaw Ladczuk Darsteller: Essie Davis, Noah Wiseman, Daniel Henshall, Tim Purcell, Tiffany Lyndall-Knight u.a. |
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Das ist das Bibbern, wenn der Babadook aus dem Buch aufpoppt: Ba-ba-ba-dook-dook-dook |
Unter dem Bett und im Schrank lauert das Böse. Das weiß jedes Kind, davor fürchtet es sich auch: Hinüberzugleiten in das Land der Träume oder der Dunkelheit, wo die Ungeheuer hervorkriechen, das Kommando übernehmen und auch die überfallen, die einem am wichtigsten sind.
Die kindliche Einbildungskraft, die ihre Fratze zeigt – sie ist der Ausgangspunkt von Jennifer Kents Spielfilm Der Babadook. Sie wirft den Zuschauer mitten hinein in das Leben von Altenpflegerin Amelia (Essie Davis), die seit dem Tod ihres Mannes vor sechs Jahren das Lachen verlernt hat. Vor allem ihr hyperaktiver sechsjähriger Sohn Samuel (Noah Wiseman) raubt ihr sämtliche Energie, ein verständnisloses Umfeld trägt dazu bei, dass sie sich noch elender fühlt. Eines Tages entdeckt Samuel ein auffällig gestaltetes Bilderbuch, aus dem er Mama bittet, ihm vorzulesen. Er glaubt, in dem Buch-Monster, genannt Mr. Babadook, das Wesen aus seinen Alpträumen zu erkennen. Auch Amelia wird gefangen von den Vorhersagen dieses fürchterlichen Mr. Babadook, der umso gewaltiger auftritt, je mehr sie ihn loswerden will.
Nach ganz alter Schule gemacht hat Der Babadook das Zeug zum modernen Horror-Klassiker, bei dem das Gruseln das wuchtige Medium, aber nie die Botschaft ist – ein Kennzeichen für Meisterhaftigkeit in diesem Genre. Das düster-karge Produktionsdesign von Alex Holmes, eingefangen durch die Kamera von Radek Ladczuk, erschafft die eigene seltsam-triste Welt von Amelie und Samuel, spaltet sie ab vom zeitlich-räumlichen Rahmen jeglicher Alltagsnormalität. In dieser Grundstimmung, zu der die Australierin Kent, wie sie sagt, vor allem expressionistische Stummfilme des vergangenen Jahrhunderts inspirierten, sind die Erschreck-Effekte nicht wohlfeil. Entweder erklären sie sich durch eine bedrückende Wirklichkeit oder sie sind Vorboten noch größeren Unheils.
Nicht nur dank der beeindruckenden Illustrationen von Alexander Juhasz ist Der Babadook ein perfekt erzähltes, schauerromantisches Kunstmärchen, bei dem die Sprache sich in beiden Erfahrungsräumen – dem fantastischen und dem vermeintlich wirklichen – als wahr herausstellt und beide immer mehr in dramatischer Zuspitzung zusammenführt.
Neben dem handgemachten, ehrlichen Horror ist die emotionale Bandbreite eine weitere Stärke von The Babadook. Man kommt nicht umhin, nach kurzer Zeit tiefes Mitgefühl für die beiden hervorragend gespielten Figuren mit ihren Verstörtheiten zu empfinden. Die Darstellung dieser in Extrem-Schieflage geratenen Mutter-Sohn-Konstellation erinnert in ihrer kompromiss- und schonungslosen Intensität an We Need to Talk About Kevin, und wie in Lynne Ramsays herausragendem Drama ist jeder Zweier-Kampf für den Zuschauer körperlich spürbar, sodass sich neben der zu erwartenden Gänsehaut – ja, verdammt – auch reichlich Tränen gesellen dürfen. Die mutigen szenischen Einfälle und Turns lassen lange offen, wer auf welche Art letztendlich beim großen Showdown geprüft wird und welch überraschende Folgen er zeitigt – gerade das macht den Film so spannend.
Vielfach wurde Kents Spielfilm-Debüt Der Babadook preisgekrönt, unter anderem gleich dreimal mit dem »australischen Oscar«, dem Preis der Australian Academy of Cinema and Television Arts (AACTA), für den besten Film, beste Regie und bestes Original-Drehbuch. Wegbereiter und Fingerübung für den Erfolg war der Kurzfilm Monster von 2005, für den Kent, die den gelernten Schauspiel-Beruf aufgab und stattdessen unter anderem bei Lars von Trier als Regieassistentin bei Dogville mitwirkte, ebenfalls international viel Beachtung fand. Monster wirkt wie eine leckere Vorspeise, die Kent später mit Der Babadook zum perfekten Hauptgang ausgearbeitet hat. Zu finden ist der Kurzfilm im Internet auf vimeo.com, sehenswert ist er auf jeden Fall – allerdings erst nach dem Langfilm, dem sonst ein bisschen von seiner Spannung genommen würde.